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NplusX Unplugged: Pandemic Legacy

Von Nico Zurheide am 07.01.2021
 

Unser Unplugged-Format wurde in letzter Zeit zwar etwas vernachlässigt, doch heute wollen wir uns den wohl berühmtesten Vertretern der Legacy-Spiele widmen: Pandemic. Ihr wisst nicht worum es bei Unplugged geht? Dann klickt hier.

In unserem Unplugged-Artikel zu Brettspiel-Klassikern haben wir euch bereits über Risiko und dessen Legacy-Variante Risiko Evolution von Rob Daviau berichtet - und dieser hat nicht nur dieses neue Genre begründet, sondern auch in Zusammenarbeit mit Matt Leacock zu seinem vorläufigen Höhepunkt geführt. Denn die drei Spiele der Pandemic-Legacy-Reihe treiben dieses Spielprinzip zur Perfektion. Doch beginnen wir von vorne, was ist eigentlich Legacy?

In Legacy-Spielen startet die Spielgruppe noch mit einem völlig jungfräulichen Spielbrett in das erste Abenteuer der meist mehrteiligen Story. Mit jedem neuen Durchlauf oder oft auch durch verschiedene Events im Verlauf des Spiels wird das Regelset erweitert, die Charaktere erhalten neue Fähigkeiten oder Nachteile, es werden veränderte Spielziele ausgegeben und natürlich wird das Spielbrett ordentlich verändert, entweder durch Sticker oder Beschriftungen. In Pandemic verfolgt die Gruppe von idealerweise vier Spielern eine Geschichte, die hauptsächlich zwischen den Partien erzählt wird. In den Spielrunden selbst steht dann vor allem die Eingrenzung der namensgebenden Pandemie im Mittelpunkt, dazu gibt es aber stets noch andere, abwechslungsreiche Ziele.

Wir wollen etwas näher auf die einzelnen Spiele eingehen, ohne die fesselnde Story zu sehr zu spoilern. Wer völlig jungfräulich in die Brettspiel-Pandemie starten möchte, sollte aber spätestens nach dem Abschnitt zum ersten Teil mit dem Lesen aufhören.

Pandemic Legacy: Season 1 (2015)

Matt Leacock hat bereits 2008 das Grundspiel Pandemie entwickelt, das zwar keinen Legacy-Aspekt besitzt, dessen Koop-Spielprinzip aber beinahe 1:1 für die erste Staffel von Pandemic Legacy übernommen wurde. Die Spieler übernehmen hier die Rolle von einem der sieben verschiedenen Charaktere, die jeweils unterschiedliche Vorteile bieten. So kann beispielsweise der Logistiker andere Spielfiguren über das Feld und zueinander schieben, der Sanitäter ist besonders effektiv beim Behandeln der Kranken und die Wissenschaftlerin benötigt weniger Ressourcen für die Entwicklung eines Heilmittels. Die Entdeckung dieser Heilmittel für jedes der vier verschiedenen Viren ist auch das wichtigste Ziel einer jeden Partie, führt sie doch zum Sieg. Jedem Spieler stehen in seinem Zug vier Aktionen zur Verfügung, die er hauptsächlich für die Bewegung, das Tauschen von Handkarten und das Entfernen von Seuchenwürfeln verwendet. Für den Sieg müssen die Spieler also unbedingt effektiv zusammenarbeiten.

Am Ende jedes Zuges zieht der Spieler zwei neue Handkarten, die dem Team später weiterhelfen. Im Nachziehstapel verstecken sich allerdings auch fünf Epidemie-Karten, die das Spiel bedeutend schwerer machen, denn diese sorgen für einen explosionshaften Ausbruch der Krankheit in einer Stadt. Kümmert sich die Gruppe nicht darum, entsteht schnell ein Schneeballeffekt und die immer neuen Ausbrüche sorgen schließlich für eine Niederlage. Die Legacy-Variante kann auch in diesem Modus gespielt werden, der den Spielplan nicht weiter verändert. Richtig interessant wird es aber erst, wenn die Spielgruppe mit den Konsequenzen ihrer früheren Handlungen zurechtkommen muss.

Die Handlung von Pandemic Legacy erzählt das Auftauchen eines neuartigen Virus, der nach und nach zu einer schlimmen Seuche wird und so weit mutiert, dass die Erkrankten mehr oder weniger zu Zombies werden. Euer Job ist es nun natürlich, diese Entwicklung zu stoppen! Die Story erstreckt sich über einen Zeitraum von insgesamt einem Jahr, ihr spielt also mindestens zwölf Partien, die nach und nach komplexer werden. Für jeden Monat habt ihr lediglich zwei Versuche, schafft ihr es also zum Beispiel in beiden Partien im März nicht rechtzeitig, alle Heilmittel zu entwickeln, müsst ihr mit den - wahrscheinlich - schlimmen Folgen leben und im April weitermachen. Euer Spielplan dürfte dann einige neue Sticker erhalten.

Diese gelten nach dem Aufkleben permanent und sorgen unter anderem dafür, dass eine Stadt schon direkt beim Start "verseucht" ist. Es gibt aber auch positive Sticker, ihr könnt für gewonnene Partien stets einige Vorteile wählen, darunter auch das Aufkleben von permanenten Stützpunkten für eure Charaktere. Im Verlauf des Spiels wird euer Spielplan so immer individueller. Die beiden Autoren Leacock und Daviau verstehen es ausgezeichnet, einen gelungenen Mix aus Strategie und Glück zu erzeugen und der Schwierigkeitsgrad ist von Beginn an angenehm hoch. Jede Entscheidung sollte gut durchdacht und im Zweifel auch gerne diskutiert werden.

Die Story ist dabei im ersten Teil zwar noch eher zweckmäßig, sollte aber allemal genügen, um so sehr eure Neugier zu wecken, dass ihr unbedingt weiterspielen wollt. Nach eurer letzten Partie wird dann abgerechnet und je nachdem wie sehr die Seuche gewütet hat und wie gut ihr euch geschlagen habt, bekommt ihr entsprechend viele Punkte. Mehr Belohnungen könnt ihr auch nicht erwarten, zumindest nicht bis ihr mit dem zweiten Teil beginnt, der ganze 70 Jahre nach der Handlung der ersten Season ansetzt.

Übrigens: Das Grundspiel Pandemie wurde bereits als Videospiel umgesetzt, konnte uns in unserem Test aber eher mäßig überzeugen.

Pandemic Legacy: Season 2 (2017)

Der große zeitliche Abstand lässt es schon vermuten: Die zweite Staffel geht davon aus, dass es im ersten Teil nicht geschafft wurde, die Pandemie rechtzeitig einzudämmen. Große Teile der Menschheit wurden ausgerottet und die Zivilisation, wie wir sie kennen, existiert nicht mehr. Auch ein Großteil des Wissens über Technologien und unsere Welt ging dabei verloren und so starten wir mit einem Spielbrett, dass nur einige Gebiete rund um den Atlantischen Ozean abbildet. Die restliche Welt ist unseren neuen Charakteren noch gänzlich unbekannt. 

Das Spielprinzip bleibt im Vergleich zum Vorgänger grundsätzlich unverändert, ihr habt weiterhin vier Aktionen pro Zug zur Verfügung und zieht anschließend Handkarten. Da ihr das zu diesem Zeitpunkt im ersten Spiel aber schon zwölf bis 24 Mal so gespielt habt, gibt es natürlich auch noch einige Veränderungen. Die größte ist direkt offensichtlich: Ihr müsst nun nicht mehr Heilmittel entwickeln, sondern neue Gebiete der Erde erkunden und entdeckte Städte an euer Versorgungsnetz anschließen. Die Seuche existiert zwar weiterhin, ihr könnt ihrer Verbreitung aber durch die Verteilung von Versorgungswürfeln entgegenwirken. Der Virus erreicht eine Stadt erst dann, wenn sie nicht mehr versorgt ist. 

Der spannendste Aspekt der zweiten Staffel ist sicherlich die Entdeckung neuer Teile der Erde und das meist vollkommen euch überlassene Anschließen der neuen Städte - viel individueller kann ein Spielplan wohl kaum werden. Gleichzeitig wird die Story des ersten Teils aufgegriffen, im Vergleich zum Vorgänger ist wohl auch deutlich mehr Arbeit in das Schreiben der Geschichte geflossen. Spannende Twists und die Beschreibung von euch bestens vertrauter Entscheidungen sorgen dafür, dass ihr so schnell wie möglich weiterspielen wollt. Dabei habt ihr aber trotzdem noch deutlich mehr Freiheiten als in der ersten Season - wann ihr welche Gebiete erkunden wollt ist größtenteils euch überlassen. Dieser non-lineare Ansatz genügt eigentlich schon, um Season 2 ausreichend vom Erstling abzuheben.

Nicht nur die Story ist stärker, auch andere Aspekte des Spiels ergeben vor dem Hintergrund eines realen Szenarios einfach mehr Sinn als noch in der ersten Season. Ihr habt beispielsweise nur ein begrenztes Kontingent an Versorgungswürfeln und mit dem Anschließen neuer Städte müsst ihr die vorhandenen Ressourcen logischerweise breitgefächerter aufteilen. Das Spiel nimmt zwar an Komplexität stetig zu, doch damit es nicht zu schwierig wird, bekommt ihr auch immer wieder nette Vorteile für eure Charaktere. Das soll aber nicht heißen, dass es euch leicht gemacht wird, auch in der zweiten Season werden Diskussionen und reifliche Überlegungen wohl wieder an der Tagesordnung stehen.

Pandemic Legacy: Season 0 (2020)

Für das vorerst letzte Spiel der Reihe haben sich die Macher etwas mehr Zeit gelassen - nicht zuletzt auch aufgrund der Corona-Pandemie - und das Setting für noch mehr frischen Wind wieder um einige Jahre zurückgesetzt, und zwar in das Jahr 1962. Season 0 ist also als Prequel zur ersten Staffel konzipiert, im Mittelpunkt der Story stehen dabei natürlich der Kalte Krieg und die Konfrontationen zwischen den verschiedenen Ideologien. Die Städte auf dem Spielplan sind entweder den Alliierten, den Kommunisten oder der neutralen Fraktion zugehörig und wie bereits im ersten Teil jeweils einem von fünf Gebieten zugeordnet. 

Das Virus existiert hier natürlich noch nicht, daher können die Städte nun in drei Stufen von den Sowjets überwacht werden, statt Infektionsstufen zu bekommen. Das Ergebnis für einen in einer solchen Stadt startenden Charakter bleibt gleich: Er verliert einen Tarnungspunkt und bekommt eventuell einen Nachteil - oder stirbt sogar und scheidet somit ganz aus dem Spiel aus. So ein Tod ist zwar schlimm und kann auch viele der nur einmalig verfügbaren Vorteile mit sich reißen, der Spieler kann aber natürlich weiterhin mitmachen. Waren es in den vorherigen Spielen noch entweder feste Rollen oder einfach weitere individualisierbare Charakterkarten, bekommt jeder Spieler hier einen eigenen Reisepass mit drei verschiedenen Identitäten für die drei Ideologien dieser Welt. Diese werden nach und nach freigeschaltet und können beliebig mit Verkleidungen bestickert werden, was euch eine echte Verbundenheit zu euren Identitäten aufbauen lässt.

Doch nicht nur die groben Details wurden für das Prequel geändert, auch das Drumherum und das eigentliche Gameplay erfuhren einige Verfeinerungen, Verbesserung und natürlich Veränderungen, um dem neuen Setting gerecht zu werden. Abgesehen von den Grundregeln, die auch hier wieder bestehen, bekommt ihr hier also ein wirklich neues Spiel, das dazu noch die beste Story der Reihe vorweisen kann. Ihr als Agenten der CIA reist in der Welt herum und müsst eine sowjetische Verschwörung rund um ein rätselhaftes Virus entschlüsseln. Dabei haben nicht nur eure Taten und euer Spielglück einer Partie in späteren Spielen Konsequenzen, auch verschiedene Fragebögen der CIA, die in eurer Personalakte hinterlegt werden, können im Verlauf der zwölf Monate noch für einige Gameplay-Twists sorgen.

Da ihr hier in eurer Reisefreiheit etwas eingeschränkt seid und zumindest anfangs immer nur einen Spion aus einer Stadt entfernen könnt, ist der Fokus des Spiels leider die meiste Zeit darauf gelegt, die bedrohten Städte von sowjetischen Spionen zu befreien. Für die Erfüllung der oft umfangreichen Aufträge bleibt euch dabei nicht immer Zeit, aber das ist auch so gewollt. Hier kommt ihr nämlich auch in den nächsten Monat, wenn ihr nur zwei oder einen von drei Aufträgen erfolgreich abgeschlossen habt. Vor allem bei der Eindämmung der Feldversuche mit dem neuartigen Virus werdet ihr euch früher oder später geschlagen geben müssen, aber diese starke Lenkung der Geschehnisse ist nun mal nicht unüblich für ein Prequel und lässt sich schlecht vermeiden.

Insgesamt ist der aktuelle Teil sicherlich das beste Spiel der Reihe, immerhin konnten Leacock und Daviau aus den beiden Vorgängern und ihren Fehlern lernen. Vor allem das Drumherum passt hier einfach perfekt und macht das ohnehin schon geniale Spielprinzip noch eine Spur unterhaltsamer. Unsere Spielgruppe jedenfalls kann gar nicht mehr von Season 0 loskommen - gerade auch weil es wieder mal den perfekten Spagat aus Anspruch und Spaß hinbekommt.

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Habt ihr schon Erfahrungen mit Legacy-Spielen? Oder sogar mit der Pandemic-Reihe? Und welcher Klassiker würde sich für diesen Ansatz gut anbieten? Lasst es uns wissen!

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