Test

Locomoto

Von Robert Emrich am 11.07.2025

Wann habt ihr euch bei einem Spiel zuletzt so richtig entspannt? Die Frage klingt vielleicht zuerst einmal seltsam, da wir in der Regel Unterhaltung mit Entspannung verbinden. Aber tatsächlich bringt das eine nicht immer das andere. Denn wer sich in einem Horrorspiel durch die Dunkelheit tastet, in einem Shooter turmhohe Monster zerlegt oder mit 300 km/h über eine Rennstrecke rast, hat (hoffentlich) Spaß, erreicht in der Regel aber keinen Zustand der tatsächlichen physischen Entspannung.

An dieser Stelle hat das Genre der Cozy-Games dann seinen großen Auftritt. Spiele, die bewusst darauf ausgelegt sind, euch mit einer lockeren Atmosphäre zu unterhalten, ganz ohne Hektik oder sonstigen Druck, sodass sie beinahe danach schreien, relaxed auf einer Couch mit einer Tasse heißer Schokolade erlebt zu werden. Populäre Beispiele wie Animal Crossing oder Stardew Valley lassen euch dabei euer eigenes Zuhause gestalten, während euch das vorliegende Locomoto zum Lokomotivführer eurer eigenen kleinen Eisenbahn in einer Welt voller anthropomorpher Tiere macht. Ob das neben der versprochenen Entspannung auch noch Spaß macht, haben wir uns für euch einmal angesehen.

Tschuut! Tschuuuuuut!

Alles beginnt in einer dunklen Nacht. Zusammen mit eurem Freund Finley schleicht ihr euch auf den Schrottplatz des alten McGruff, springt in eine rostige Eisenbahn und fahrt los. Ob ihr das jetzt, wie von Finley erzählt, macht, um die neue Bürgermeisterin zu beeindrucken, oder einfach nur weil ihr es könnt, ist im Grunde genommen Nebensache. Wichtig ist nur das Gefühl der Freiheit und des Abenteuers, das euch ein Leben auf den Schienen bietet. Und so geht es in Locomoto auch kaum um die Geschichte eures Charakters, als vielmehr um die der Welt, in der ihr euch bewegt und die mit jedem besuchten Bahnhof ein kleines Stückchen größer wird. Der neben der Welt stetig wachsende Pool aus Charakteren, die euch immer mal wieder um Hilfe bitten oder mit eurer Bahn reisen möchten, tut sein Übriges. Und so nehmt ihr im Verlauf der knapp 25 Stunden, die das Spiel dauert, spür- und sichtbaren Einfluss auf die einzelnen Gebiete, ohne dass euer Charakter dabei irgendeine Form der persönlichen Entwicklung durchläuft. Das mag auf den ersten Blick langweilig erscheinen, gibt euch aber die Möglichkeit, die Welt ungebunden erleben und entspannt genießen zu können, ohne einem roten Faden hinterherjagen zu müssen.

Alles einsteigen!

Bevor die Reise aber losgeht, schickt euch das Spiel zuerst einmal in den Charaktereditor. Der ist angenehm umfangreich und lässt euch aus einer Vielzahl von Ohren, Nasen, Fellmustern und Schwänzen alle möglichen (und unmöglichen) Tiere erstellen, die ihr als Lokführer schon immer mal spielen wolltet. Dabei seid ihr aber nie auf etwas festgelegt, Aussehen und Kleidung lassen sich an Kleiderschränken und Fotokabinen nachträglich beliebig ändern.

Wenn ihr mit eurem Aussehen zufrieden seid und das kurze Intro absolviert habt, in dem euch die grundlegende Steuerung erklärt wurde, könnt ihr euch daran machen, nach und nach immer mehr Bahnhöfe zu bereisen und damit weitere freizuschalten. Die Kontrolle des Zuges ist dabei recht minimalistisch gehalten: Nachdem ihr auf der Karte ein Ziel ausgewählt, den Ofen mit Kohle befeuert und die Bremse gelöst habt, fährt euer Zug automatisch zu seinem Ziel, sodass ihr die Fahrt genießen oder euch auf andere Dinge konzentrieren könnt. Der fehlende Umfang bei den Kontrollen des Zuges macht auch deutlich, dass sich Locomoto nicht als Eisenbahn-Simulator versteht, zumal die Reisen zwischen den Stationen in der Regel ohnehin nicht lange dauern. Oft vergehen nur ein bis zwei Minuten, ehe der Zug im Zielbahnhof einfährt. Länger dauert es nur, wenn ihr mit der Bahn bewusst eine größere Entfernung zurücklegen wollt.

Am Ziel angekommen, erwarten euch jeweils unterschiedliche, in sich geschlossene Gebiete, die mit viel Sorgfalt gestaltet wurden und meistens nicht besonders groß sind, sodass ihr sie in zehn bis 15 Minuten locker erkunden und dann weiterreisen könnt. Einwohner, denen ihr dabei begegnet, versorgen euch immer wieder mit kleinen Aufgaben, die euch in den meisten Fällen neue Kleidung oder Baupläne für euren Zug, hin und wieder aber auch neue Wagons oder Werkzeuge bringen, sodass eure Eisenbahn, so wie ihr und auch die Spielwelt, mit der Zeit äußerlich immer edler wird. Bei der Inneneinrichtung der Züge könnt ihr euch beliebig austoben und nach und nach auf einen reichhaltigen Katalog von Bauplänen zugreifen, mit denen ihr alle möglichen Sitze, Tische, Regale, Lampen und andere Dekoelemente herstellen könnt, um euren Passagieren die Fahrt zu verschönern. Ob ihr eure Gäste auf harten Holzbänken oder in flauschigen Polstersitzen durch die Gegend fahrt, überlässt euch das Spiel aber zu jeder Zeit frei und auch die Fahrtdauer hat keinen Einfluss auf das Befinden der Charaktere. Nachdem ihr ihnen einen Sitzplatz zugewiesen habt, warten sie einfach geduldig auf die Ankunft an ihrem Ziel und belohnen euch dort angekommen mit einem Jeton, den ihr gegen Ressourcen eintauschen könnt, um mit diesen weitere Innenausstattung herzustellen. Weitere Chips lassen sich nebenbei mit Aktivitäten wie dem Ausliefern von Paketen oder dem recyclen von Müll verdienen, während euch einige Gebiete die Möglichkeit geben, Ressourcen mit Spitzhacken und Äxten einfach direkt abzubauen.

Der sich auf diese Weise entwickelnde Spielzyklus, in dem ihr kreuz und quer durchs Land fahrt, Passagiere und Waren befördert, kleine Aufgaben erfüllt und euren Zug immer weiter anpasst, entwickelt schnell einen Sog, in dem wir uns im Verlauf des Tests hervorragend verlieren konnten. Immer wieder taucht irgendwo noch eine Kleinigkeit auf, die erledigt werden möchte und da euch das Spiel nie hetzt, euch aber für erledigte Aktionen durch Gegenstände und Veränderungen in der Welt immer wieder belohnt, macht es einfach Spaß, mit dem Zug eine kleine Runde zu drehen, selbst wenn ihr vielleicht gerade nur wenig Zeit im realen Leben habt.

Da muss mehr Druck auf den Kessel!

Technisch überzeugt Locomoto die meiste Zeit über, auch wenn in den meisten Bereichen noch Luft nach oben vorhanden ist. Das wird besonders auf der Switch2 deutlich, auf der das Spiel erwartungsgemäß ein wenig schneller lädt und flüssiger läuft, einzelne Texturen aber trotzdem unscharf bleiben, während Büsche und andere Elemente in der Spielwelt immer wieder verspätet dargestellt werden. Obwohl diese kleinen Fehler im Spiel nie stören und auf der älteren Hardware der Switch auch verzeihbar sind, könnte ein wenig zusätzliche Optimierung in Form eines Patches den Eindruck auf der neuen Konsole deutlich verbessern. Auch akustisch geht das Spiel in Ordnung. Die Dialoge der Charaktere wurden in keiner Sprache vertont, dafür aber sauber übersetzt und der Soundtrack, der das Spiel durchgehend mit ruhigen Synthie-Beats begleitet, ist gerade variabel genug, um durch seine Wiederholungen nicht zu stören. Die einfache Steuerung funktioniert sehr gut und lässt keine Wünsche offen und auch die häufigen Ladebildschirme, die beim Verlassen und Erreichen eines Bahnhofs kommen, laufen angenehm zügig durch. Im Verlauf unseres Tests ist das Spiel gelegentlich abgestürzt. Da aber bei jedem Ladebildschirm auch automatisch gespeichert wird, haben wir in diesen Fällen selten mehr als ein paar Minuten Spielfortschritt verloren. Wirklicher Frust, der ansonsten ja auch den Cozy-Aspekt empfindlich gestört hätte, kam dementsprechend nie auf.

FAZIT:

Locomoto ist ein süßes kleines Cozy-Spiel, das nach einem harten Tag zu ein paar entspannten Spielstunden auf der heimischen Couch einlädt und sich im Prinzip als Animal Crossing auf Schienen beschreiben lässt. Ein Vergleich, der in dem Genre einem Ritterschlag gleichkommt. Dass das Spiel dann aber doch nicht ganz an die Qualität des anderen Titels herankommt, liegt vor allen Dingen an dem fehlenden technischen Feinschliff und dem endlichen Umfang, der bei dem geforderten Preis aber grundsätzlich in Ordnung geht. Auch die Idee, zur Abwechslung mal einen Zug, statt des in dem Genre sonst so gerne genutzten Bauernhofes zu verwenden gefällt sehr gut und so sollte der Titel nur jene unter euch enttäuschen, die eine vollwertige Eisenbahn-Sim oder actionreichere Spiele bevorzugen. Wer aber nicht nur Unterhaltung, sondern auch Entspannung beim Spielen sucht, kann hier gerne zugreifen.

Unsere Wertung:
8.0
Robert Emrich meint: "Perfekt für eine kleine Auszeit von den Mühen des Alltags."
Locomoto von Green Tile Digital erscheint am 26.06.2025 für PC und Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Amplifier Studios zur Verfügung gestellt.
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