Test

Pokémon: Let’s Go, Pikachu! & Evoli!

Von Mark Schäfer am 24.11.2018

Aus alt mach neu 

Als vor über 20 Jahren die ersten beiden Editionen der Pokémon-Hauptreihe erschienen, hatte wohl kaum jemand mit dem überragenden Erfolg der kleinen Taschenmonster gerechnet. Seitdem sind sie aber aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken und haben die Welt mehr oder weniger im Sturm erobert. Dutzende Nachfolger, Spin-Offs, Serien, Kinofilme, Sammelkarten, Merchandise und vieles mehr sollten folgen. Dabei blieb die Hauptreihe, die zuletzt mit den Rollenspielen Ultrasonne & Ultramond (zum NplusX-Test) auf dem Nintendo 3DS fortgesetzt wurde, ihren Wurzeln stets treu. Mit jeder Generation wurden neue Elemente, neue Regionen und vor allem neue Pokémon eingeführt, die es zu fangen und zu trainieren galt. Pokémon: Let’s Go macht nun vieles anders, und ist doch gleichzeitig ein Schritt zurück zu den Anfängen der Reihe.

Wie von der Pokémon-Reihe gewohnt, erscheinen mit Let’s Go, Pikachu! und Let’s Go, Evoli! gleich zwei Versionen des inhaltlich fast gleichen Spiels. In beiden Titeln übernehmt ihr die Rolle eines jungen, motivierten Trainers, der mit Pikachu bzw. Evoli gerade sein erstes eigenes Pokémon gefangen hat. Mit dem Ziel, der beste Pokémon-Trainer aller Zeiten zu werden, erkundet er die Region Kanto, kämpft gegen Arenaleiter, fängt Pokémon und vereitelt die bösen Machenschaften des Team Rocket. Das klingt vertraut? Ist es auch. Denn bei Pokémon: Let’s Go handelt es sich um eine Neuauflage der nun 20 Jahre alten Gelben Edition für den Game Boy. Fast könnte man sogar meinen, Entwickler Game Freak habe das Original in einen leistungsstarken 3D-Transformator geworfen und das Ergebnis auf ein Switch-Modul gespeichert, denn die Vorlage aus 1998 wurde recht penibel beibehalten: jeder Strauch, jedes Gebäude und jedes Grasbüschel findet genau dort seinen Platz, wo es auch vor 20 Jahren schon war. Dabei entstand einerseits ein optisch wirklich schönes Pokémon-Spiel, bei dem insbesondere die Arenen und Städte zu überzeugen wissen, anderseits ist es aber auch ein kleiner Rückschritt in alte Muster. Die gesamte Welt, insbesondere die Routen und Höhlen, wirken fast wie mit einem Baukasten erstellt und bieten nur wenig Vielfalt. Auch die isometrische und statische Kameraperspektive wirkt altbacken, wurde sie doch bereits mit den letzten 3DS-Ablegern etwas aufgefrischt. Trotzdem sind die beiden Let’s-Go-Editionen die bis dato schönsten Pokémon-Ableger und wurden mit zahlreichen weiteren Details optimiert. Zwei größere Gameplay-Änderungen sorgten allerdings schon bei Ankündigung des Spiels für viel Aufregung.

New is always better(?)

Denn Ähnlichkeiten zu Pokémon GO, dem Smartphone-Spiel, das 2016 sämtliche Downloadrekorde knackte, sind nicht nur im Namen zu finden. Pokémon: Let’s Go übernimmt zwei Konzepte seines „kleinen Bruders“ und bricht daher mit einer langen Tradition der Pokémon-RPGs: wilde Pokémon sind nun stets auf der Oberwelt sichtbar und können (bis auf wenige Ausnahmen) nicht mehr bekämpft werden. Stattdessen werden sie, genau wie in Pokémon GO, direkt mit einem Pokéball gefangen. Dafür wird mit dem Joy-Con eine Wurfbewegung ausgeführt und schon fliegt der virtuelle Ball auf das Pokémon. Je nach Präzision des Wurfs wird man mit einem gut, großartig oder einfach fabelhaft belohnt, was die Chance, das Pokémon zu fangen, steigert. Auch Beeren, die für eine zusätzliche Erhöhung der Fangwahrscheinlichkeit, zusätzliche Items oder eine Beruhigung der wilden Pokémon sorgen, sind vorhanden.

Zum Großteil funktioniert dieses Fangsystem gut. Selten, besonders wenn ein Pokémon sich zur Seite bewegt, ist es aber schwieriger, präzise Wurfbewegungen auszuführen. Wer dem Gefühl eines Pokémon-Trainers dagegen noch näherkommen möchte, greift zum separat erhältlichen Pokéball Plus. Gefangene Pokémon können via Bluetooth auf ihn übertragen werden, um unterwegs Erfahrungspunkte zu sammeln. Er übernimmt außerdem die Funktion eines Pokémon GO Plus, um unterwegs PokéStops in Pokémon GO zu drehen und Pokémon zu fangen. Mit seinem klickbaren Analogstick sowie zusätzlichem Knopf auf der Oberseite lässt sich jedoch auch Let’s Go komplett steuern. Das klingt zunächst so ungewöhnlich wie es aussieht. Aber auch die normale Steuerung via Joy-Con ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Das ganze Spiel wird einhändig und mit nur einem Joy-Con bedient, egal ob links oder rechts. Eine mehr traditionelle Steuerung ist nur mobil mit angedockten Joy-Con möglich. Dabei ändert sich auch das Fangsystem leicht: Pokébälle werden nun per Knopfdruck geworfen und durch kleine Drehungen der Switch wird der Fokus auf das Pokémon gelenkt. Das gleiche System hätte auch mit dem Pro Controller im TV-Modus umgesetzt werden können, jedoch ist man hier an die Joy-Con-Steuerung gebunden.

Trotz dieser doch drastischen Gameplay-Änderung hat man während seiner Reise durch Kanto nicht das Gefühl, zu wenig Kämpfe zu absolvieren. Die zahlreich verteilten Trainer auf den Routen zwischen den einzelnen Städten geben einem viel zu tun und sorgen außerdem für das nötige Kleingeld, um seine Fangtasche stets gut mit Pokébällen gefüllt zu halten. Gleichzeitig nimmt es dem Spiel aber eine gewisse Spannung. Hohes Gras sowie Höhlen stellen nun keine Gefahr mehr dar, da wilden Pokémon jederzeit ausgewichen werden kann. Trotzdem werdet ihr euch immer wieder auf sie stürzen, denn das neue Fangkonzept macht durchaus Spaß und ist vor allem für Erfahrungspunkte notwendig. So war es bisher der Fall, dass die eigenen Pokémon durch die Teilnahme an Kämpfen gegen Trainer oder wilde Pokémon Erfahrungspunkte sammelten. Seit den 3DS-Editionen X & Y selbst dann, wenn das wilde Pokémon vor Kampfende gefangen wurde. In Pokémon: Let’s Go entfällt die Kampfkomponente gegen wilde Pokémon jedoch, sodass nun schon das Fangen zum Sammeln von Erfahrung genügt. Davon profitiert diesmal gleich das gesamte Team bestehend aus maximal sechs Pokémon. Das erleichtert das Leveln ungemein und ermöglicht es, auch ein ganzes Team schwacher Pokémon gleichzeitig zu trainieren. Die Höhe der Erfahrungspunkte ist abhängig von Faktoren wie dem Level, dem Seltenheitsgrad oder der Anzahl der Fangversuche. Den Überschuss an gefangen Pokémon könnt ihr anschließend zu Forschungszwecken an Professor Eich schicken, der euch Belohnungen in Form von Bonbons zur Steigerung der Statuswerte eurer Taschenmonster zurückschickt.

Der Teufel steckt im Detail

Abseits der beiden großen Gameplay-Änderungen verbessert Pokémon: Let’s Go auch noch einige kleine Details. So wurden die seit der siebten Generation veralteten VMs wie Zerschneider und Surfer durch die neuen geheimen Techniken ersetzt, die keinen Attacken-Slot mehr belegen und allesamt von eurem Starter-Pokémon erlernt werden können. Die Item-Verwaltung samt Pokémon-Box ist nun komplett in den Beutel verlagert worden, wodurch selbst das aktuelle Team jederzeit ausgetauscht werden kann - eine sinnvolle Lösung. Trotzdem verschenkt Let’s Go auch Potential. Durch den Fokus auf die Gelbe Edition haben die Entwickler auch die Anzahl der Pokémon, die mittlerweile auf stolze 809 angewachsen ist, auf die ursprünglichen 151 sowie einige ihrer aus Sonne und Mond bekannten Alola-Formen und Megaentwicklungen beschränkt. Pokémon-typisch sind davon jeweils 15 exklusiv in der Pikachu- und in der Evoli-Version zu finden. Erstmals seit HeartGold & SoulSilver kann jedes dieser Pokémon zum Begleiter ernannt werden und folgt euch auf Schritt und Tritt. Auf besonders großen Pokémon wie Arkani oder Glurak kann sogar geritten bzw. geflogen werden. Das ersetzt wie schon in Sonne & Mond das Fahrrad und sorgt für eine schnellere Fortbewegung. Accessoires und Outfits sind dagegen auf die Partner-Pokémon Pikachu und Evoli beschränkt. Im Partnerlook als Matrose auf die M.S. Anne? Kein Problem. Accessoires wie Brillen, Hüte oder Frisuren für Pikachu und Evoli runden den Look der süßen Taschenmonster ab. Einen Einfluss auf die Fähigkeiten oder Werte der Pokémon haben diese Details aber nicht.

Ärgerlicher als die Beschränkung auf 151 Pokémon ist jedoch verlorengegangener Content. Die aus Pokémon Blattgrün und Feuerrot bekannten Sevii Eilande schafften es nicht in die Neuauflage. Auch die in Fuchsania City angesiedelte Safari-Zone, in der seltene Pokémon wie Kangama, Sichlor oder Pinsir zu fangen waren, wurde ersetzt. Umso größer ist aber die Freude, wenn man diesen Pokémon im normalen Abenteuer begegnet. Anstelle der Safari-Zone tritt der GO Park, in welchem ihr eure in Pokémon GO gefangenen Monster per Bluetooth übertragen und anschließend fangen könnt. Für aktive Pokémon-GO-Spieler eine tolle Sache, die technisch gut funktioniert, für alle anderen aber leider ein kleiner Einschnitt ins Spiel. Mit Ausnahme der beiden neuen Pokémon Meltan und Melmetal lassen sich aber auch über den GO Park nur die ersten 151 Pokémon inklusive ihrer Alola-Formen übertragen.

Nach und nach erkundet ihr im Spiel also die verschiedenen Städte Kantos und fordert Trainer wie Arenaleiter zum Kampf heraus. Zumindest im normalen Story-Verlauf gestalten sich diese Kämpfe aber zumeist relativ einfach. Besonders das eigene Starter-Pokémon ist sehr stark und kann teilweise Spezialattacken erlernen, die nicht seinem Typ entsprechen. Noch einfacher wird es, wenn ihr einen zweiten Spieler zu Hilfe holt. Dieser kann jederzeit durch Schütteln des zweiten Joy-Con ins Spiel gerufen werden und dann separat auf der Oberwelt gesteuert werden. In Kämpfen schickt er ein zweites Pokémon in den Kampf, aber auch beim Fangen kann dadurch ein zweiter Pokéball geworfen werden. Das erhöht nicht nur die Fangwahrscheinlichkeit, sondern auch die Erfahrungspunkte, die anschließend verteilt werden. Auch wer darauf gehofft hat, online würdige Gegner zu finden, wird enttäuscht. Die Onlinefunktionen des Spiels sind stark limitiert und erfordern auf beiden Seiten die Eingabe eines dreistelligen Link-Codes. Stimmen die Codes überein, werden zwei Spieler für einen Kampf oder Tausch miteinander verbunden. Auch eine Tauschplattform, in der Pokémon angeboten werden können, gibt es nicht. Gedacht ist das System also eher für Freunde, die vorher einen gemeinsamen Code absprechen.

Eine größere Herausforderung erwartet den Spieler erst nach Abschluss der Story in Form der Meistertrainer. Diese 153 Trainer haben sich in ganz Kanto verteilt und sind Meister jeweils eines Pokémons, das mindestens Level 65 erreicht hat. Herausgefordert werden können sie nur mit dem gleichen Pokémon. Safcon gegen Safcon auf Level 65? Das wird ein spannender Kampf. Viel zu tun also, wenn man wirklich der Meistertrainer aller Pokémon werden möchte!

Fazit:

Pokémon: Let’s Go, Pikachu! & Evoli! schaffen den Spagat zwischen der klassischen Pokémon-RPG-Reihe und Pokémon GO. Das neue Spielkonzept, in dem Pokémon frei durch das hohe Gras laufen und nur noch gefangen statt bekämpft werden können, funktioniert gut und macht unerwartet viel Spaß. Für Neulinge bietet es eine gelungene Einführung in die Pokémon-Welt und langjährige Fans erleben ihr erstes Pokémon-Abenteuer aus der Kindheit in neuer Pracht. Wenn auch mit einigen Einschränkungen.

Unsere Wertung:
8.0
Mark Schäfer meint: "Pure Nostalgie für Fans gespickt mit vielen Details und spaßigem Fangsystem."
Pokémon: Let’s Go, Pikachu! & Evoli! erscheint für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet.
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1 Kommentar:
NXPro)
NXPro
Am 24.11.2018 um 23:11
Ein guter und solider Einstieg von Pokemon auf einer Konsole!

Gespannt bin ich aber auf das "neue" Pokemonspiel 2019. Da darf sich dann auch gerne mehr getraut werden.