Unravel Two
Electronic Arts hat in letzter Zeit viel Kritik einstecken müssen. Der Publisher scheut das Risiko, melkt seine Lizenzen und setzt zur Gewinnmaximierung vermehrt auf langlebige Multiplayer-Spiele statt auf Einzelspielerkampagnen, die nach einmaligem Durchspielen im Regal verstauben. Das behaupten zumindest viele Spieler. Tatsächlich stimmt das nur in Bezug auf EAs große AAA-Produktionen. Unter dem Label EA Originals hat Electronic Arts dagegen nun schon mehrfach bewiesen, dass es auch anders geht: Fe und A Way Out wurden erst dieses Jahr von uns getestet und als spielenswert befunden. Ein weiterer EA-Originals-Titel ist seit der E3 erhältlich. Die Rede ist natürlich von Unravel Two vom schwedischen Entwicklerstudio Coldwood Interactive. Wir haben den Nachfolger des durchaus positiv bewerteten und absolut EA-untypischen Platformers für euch getestet.
Unravel Two beginnt mit einem vorgerenderten Intro-Video auf hoher See. Yarny - das ist unser stummer Hauptprotagonist, der im Grunde nur eine mit roter Wolle umwickelte, wenige Zentimeter große Drahtpuppe mit aufgenähten Knopfaugen darstellt - befindet sich bei grausigem Wetter und starkem Wellengang auf einem Schiff. Von dort stürzt das hilflose Strickmännchen ins Meer und wird schließlich an Land gespült, wo es überraschender Weise auf eine zweite Puppe trifft, die zwischen Algen und Seetang aus einem alten Koffer klettert. Dieses zweite Yarny würde dem ersten zum Verwechseln ähnlich sehen, wäre da nicht die simple Tatsache, dass es abgesehen von minimal anderem Kopfschmuck aus blauer statt roter Wolle besteht.
Couch-Koop
Die beiden betrachten sich gegenseitig und nähern sich einander vorsichtig an. Ein seltsames Licht leuchtet auf und plötzlich sind beide Wollwesen über einen Faden untrennbar miteinander verbunden. Der Spieler kann von nun an entweder zwischen beiden Charakteren hin- und herwechseln, um sie nacheinander durch die sieben Hauptlevel und 20 Bonuslevel des Spiels zu steuern, oder aber auf Knopfdruck dafür sorgen, dass sie miteinander verschmelzen. Praktisch bedeutet letzteres, dass die blauen und roten Figuren zu einem einzigen blau-roten Strickmännchen werden. Diese schlaue Mechanik ist speziell für Einzelspieler äußerst wichtig. Wer das erste Unravel-Spiel kennt, wird an dieser Stelle eventuell eine Augenbraue heben, denn dort gab es nur eine Einzelspielerkampagne. Unravel Two lässt sich allerdings auch im Koop-Modus spielen, wenn auch nur offline. Beim Zocken mit einem Freund oder einer Freundin steuert ein Spieler den roten Yarny, der andere den blauen. Solisten übernehmen dagegen das blau-rote Mischwesen und wechseln nur wenn nötig zwischen den monochromen Gesellen hin- und her.
Partnerarbeit
Dass wir jetzt zwei Yarnys durch die liebevoll gestalteten Level steuern dürfen, wirkt sich nicht nur auf die Spieleranzahl, sondern auch auf das Gameplay aus. Yarny kann wie gehabt laufen, springen und körpereigene Fäden an unterschiedlichsten Gegenständen festbinden, um sich so über Abgründe zu schwingen, an Wänden hochzuklettern oder Dinge zu ziehen. Im Tandem brauchen die Yarnys nun jedoch gar keine Gegenstände oder sonstige Ankerpunkte für ihre Wolle. Anders formuliert: ein Yarny kann das andere absichern. Dieser Koop-Gedanke zieht sich wörtlich wie metaphorisch als roter (beziehungsweise blauer) Faden durch das ganze Spiel und so kommen bei vielen der zum Teil überraschend komplexen Rätseln und Sprungpassagen beide Figuren zum Einsatz. Unser roter Yarny kann sich in einem Level, das einen großen Kinderspielplatz mit Holztürmen, Wippen, Klettergerüsten und andere Dingen beinhaltet, beispielsweise auf die Sitzfläche einer Schaukel stellen, während sich das blaue Yarny an einem Körperfaden von dort herabseilt und schließlich wie ein Pendel hin- und herschwingt, um eine andere Plattform zu erreichen. Dort angekommen können wir dann mit dem blauen Yarny unseren roten Gefährten zu uns hinüberziehen.
Dass die beiden Yarnys miteinander verbunden sind, hat auch zur Folge, dass ihnen und somit uns nie die Wollfäden ausgehen können. Im ersten Spiel war Yarny ständig auf der Suche nach mehr Wolle, um sich weiter und weiter von vorgegebenen Ankerpunkten entfernen zu können. Je weiter wir uns fortbewegten, desto mehr Wolle verlor unser Männchen, desto dünner wurde es. Im zweiten Teil ist dagegen nur noch die Distanz zum anderen Yarny relevant. Insgesamt wird das Spiel dadurch etwas leichter, was nicht jedem gefallen dürfte. Außerdem verliert Unravel 2 dadurch ein Element, das den Vorgänger auszeichnete und zu etwas Einzigartigem machte.
Kleines ganz groß
Eine weitere Neuerung im Vergleich zum ersten Unravel-Spiel ist die Implementierung von Gegnern. Während es in Unravel 1 bereits vereinzelte Vögel und andere Tiere gab, die Yarny gefährlich werden konnten, gesellen sich nun deutlich häufiger dunkle Lichtwesen hinzu, die an bestimmten Stellen durch die Level streifen. Dunkle Lichtwesen? Mir ist bewusst, dass diese Beschreibung paradox klingt, eine bessere fällt mir jedoch nicht ein. Stellt euch formlose, seltsam zuckende, leuchtende Lichtpunkte umgeben von schwarzer Tinte vor. Kommen wir einem von ihnen zu nahe, glüht das gefährliche Etwas rot auf und verschlingt unseren armen Yarny. Ungeachtete dessen ist die Spielewelt von Unravel Two jedoch noch immer sehr putzig und trotz vieler düsterer Gebiete ein wahrer Augenschmaus. Im Bereich der 2D-Platformer gibt es nur sehr wenig Spiele, die mit Unravel Two optisch mithalten können. Die Hintergründe erreichen fast Fotorealismus und so eröffnet sich uns knapp über (oder unter) der Grasnarbe eine faszinierende Welt, wie sie sonst nur Insekten und kleine Tiere sehen dürfen. Skandinavische Wälder und Ortschaften warten ebenso wie Fabrikhallen, Flussläufe, Erdhöhlen und andere hochdetaillierte Gebiete auf uns. Ein alter Leuchtturm dient als Hauptmenü, vergleichbar mit Omas Häuschen im ersten Teil.
Auch akustisch kann Unravel Two voll überzeugen. Die ruhigen, melancholischen Musikstücke unterstreichen wunderbar das Geschehen, die Umgebungsgeräusche sind dezent, aber ebenso passend. Atmosphärisch kann dem Titel so nichts vorgeworfen werden, allerdings hätten die Entwickler sich ruhig eine interessantere Geschichte für ihr Spiel ausdenken können. Einen wirklichen Grund, wieso unsere Yarnys von A nach B wandern, gibt es nicht. An bestimmten Stellen in der Spielewelt tauchen zwar wie auch im Vorgänger die schemenhaften Gestalten zweier Kinder auf, um miteinander und mit der Umgebung zu interagieren, sie können unsere Yarnys jedoch weder hören noch sehen. Es sind nur stumme Erinnerungen, die den jeweiligen Orten anhaften und so lediglich eine kleine und sehr spannungsarme Geschichte erzählen, die anfangs durchaus neugierig macht, dann aber schnell langweilig wird. Hier war der Vorgänger besser.
Fazit:
Unravel Two lebt von seiner Atmosphäre, von dem faszinierenden, liebevoll gestalteten Mikrokosmos, den die Entwickler erschaffen haben. Es ist ein kurzweiliges 2D-Abenteuer für ein oder zwei Spieler mit wenig absoluten Höhen aber auch kaum Schwächen. Der Koop-Multiplayer wird vielen Spielern sehr willkommen sein, für Solisten ist das Hin- und Herwechseln zwischen den Yarnys mit der Zeit jedoch – obwohl absolut zweckmäßig – etwas mühsam. So oder so ist Unravel Two allerdings eine sehr runde Sache und es ist schön, dass EA einen zweiten Teil finanziert hat.