Kommentar

Silksong zum Schleuderpreis und alle regen sich auf

Von Nico Zurheide am 10.09.2025

Die Debatte um Hollow Knight: Silksong kocht seit dem Release höher als der Kessel des Moosdruiden in Pharloom. Zwei Punkte stehen dabei im Zentrum: der niedrige Startpreis von rund 19,50 Euro und die kurzfristige Terminverkündung nur zwei Wochen vor Veröffentlichung. Beides hat bei einigen Indie-Entwicklern für Stirnrunzeln gesorgt, bei Spielern jedoch für Jubel. Wer hat recht?

Aus meiner Sicht zeigt Silksong, dass fair bepreiste Prestige-Indies der Branche guttun: Sie erweitern das Publikum, senken Einstiegshürden und können wirtschaftlich trotzdem funktionieren. Vor allem, wenn Reichweite, Mundpropaganda und lange Verkaufszyklen den vermeintlichen Preisnachteil auffangen.

Wie ein Indiespiel die Industrie in Atem hält

Beginnen wir mit der Faktenlage. Team Cherry verkündete den Termin nur knapp zwei Wochen vor Day One. Ein Paukenschlag nach jahrelangem Schweigen. Die Folge war ein branchenweites Zittern: Studios verschoben Releases, Marketingpläne wurden in letzter Minute angepasst (NplusX berichtete). Gleichzeitig bewies der Launch die schiere Marktmacht des Namens. Digitale Stores gerieten unter Druck, Silksong kletterte in die Tops der meistgespielten Steam-Spiele, obwohl es ein Singleplayer-Metroidvania für 20 Dollar ist. Das ist für ein Drei-Personen-Studio historisch und belegt, dass ein niedriger Preis nicht automatisch niedrige Erlöse bedeutet, wenn die Nachfrage explodiert.

Um die Kontroverse einzuordnen, hilft ein Blick auf die Argumente der Kritiker. Einige Indie-Entwickler warnen, Silksongs Preis könne falsche Erwartungen setzen. Wenn das größte Indiespiel des Jahres 19,50 Euro kostet, warum sollte ein kleinerer Titel mehr verlangen dürfen? Der Einwand ist nicht aus der Luft gegriffen. Öffentliche Diskussionen und Forenthreads dokumentieren genau diese Sorge, teils flankiert von prominenten Stimmen aus der Szene, die beispielsweise 40 Euro für angemessener hielten. Diese Debatte ist real, nicht nur lautes Social-Media-Rauschen.

Genauso real sind aber die Effekte eines attraktiven Preises auf Reichweite und Zugang. Ein Preis knapp unter 20 Euro ist für viele Spieler eine emotionale Kaufgrenze und bedeutet Impulskauf statt Wunschlisten-Parkplatz. Was passiert, wenn man das bei einer Marke wie Hollow Knight ansetzt, hat der Launch gezeigt. Gewaltige Concurrency-Peaks und eine enorme Marktdurchdringung über mehrere Plattformen hinweg. Diese Reichweite erzeugt Netzwerkeffekte, die für kleinere Indies dabei sogar positiv sind. Silksong zieht das Metroidvania-Segment ins Rampenlicht, facht die Lust auf das Genre an und führt zu Anschlusskäufen, gerade wenn der „große“ Titel die Gier nach ähnlichen Erlebnissen weckt. Ein Rising-Tide-Argument, das hier nicht nur Theorie bleibt, sondern sich in den Daten ähnlicher Spielstarts spiegelt.

Wirtschaftlich betrachtet ist der Preis also kein Dumping, sondern eine Positionierung. Team Cherry verzichtet auf den Aufschlag, den die Marke locker durchgesetzt hätte und setzt stattdessen auf Volumen, Langlebigkeit und Vertrauensdividende. Hollow Knight hat über Jahre verkauft, getragen von Updates, Ports und Mundpropaganda. Silksong dürfte einen ähnlichen Schweif hinter sich herziehen. Ein niedriger Einstiegspreis maximiert den Funnel und führt zu mehr Erstkäufen, höherer Community-Dichte, mehr Guides, mehr Fan-Kunst, mehr Streams, ..., alles Faktoren, die den sogenannten „long tail“ stabilisieren. Dass schon der Start eine Welle ausgelöst hat, unterstreichen die Meldungen über Store-Ausfälle und Rekordwerte.

Keine Trendumkehr, aber wenigstens Anreger für Debatten

Man kann einwenden, ein Studio dieser Größe könne sich den Goodwill „leisten“, kleinere Projekte aber nicht. Das greift zu kurz. Preis ist nur ein Hebel in der Positionierung. Umfang, Produktionswert, Zielgruppe, Plattformstrategie und Timing sind ebenso wichtig. Niemand erwartet ernsthaft, dass ein Zwei-Stunden-Experiment denselben Preis hält wie ein vierzigstündiges Schwergewicht. Gerade weil Silksong für 20 Euro so viel bietet, schärft es wieder den Blick für das Preis-Leistungs-Verhältnis und macht transparent, warum andere Spiele andere Preise haben dürfen. Die Community ist nicht homogen. Sie versteht Preisdifferenzierung, wenn sie kommuniziert wird.

Dass der Preis intern für Debatten sorgt, ist sogar wünschenswert. Er zwingt alle Beteiligten, Annahmen zu hinterfragen: Wer ist mein Publikum, wie lang ist mein Spiel, welche Plattformen bediene ich, brauche ich höheren Preis oder größere Reichweite? Einige Entwickler haben öffentlich argumentiert, die 20-Dollar-Marke könne künftig als ungesunde Referenz herhalten. Die Antwort darauf kann nicht sein, ein erfolgreiches Gegenmodell zu diskreditieren. Sie muss sein, den eigenen Wert klar zu erklären - durch Demos, transparente Roadmaps, Editionsmodelle, Community-Präsenz und vor allem durch stringente Kommunikation, warum ein Spiel 15, 25 oder 40 Euro kostet. Die Diskussion um Silksong schafft dafür die Bühne und zwingt den Markt vorerst zu nuancierteren Preisnarrativen.

Auch auf der Nachfrageseite spricht viel für die niedrige Einstiegshürde. Communities wie r/Games und r/Metroidvania diskutierten die Preisfrage lebhaft und mit einem Ergebnis, das die Branche selten erlebt. Viele Stimmen baten Team Cherry sogar, mehr zu verlangen, andere argumentierten für den beibehaltenen Preis, weil Zugang wichtiger sei als Margenmaximierung. Dass Fans überhaupt über „zu günstig“ diskutieren, ist bemerkenswert und zeigt, wie sehr Vertrauen und Goodwill die Zahlungsbereitschaft beeinflussen. Diese weichen Faktoren sind Wertschöpfung, keine Wohltätigkeit.

Die eskalierende Überraschungsparty

Bleibt die Frage nach der Fairness gegenüber Kolleginnen und Kollegen mit weniger Strahlkraft. Dass die Kurzfristigkeit des Termins andere Projekte in die Bredouille brachte, ist unbestritten. Zugleich gibt es aber Gegenbeispiele. Studios, die trotz Silksong am selben Tag veröffentlichten, berichten von Sichtbarkeitsschüben, weil sie im Sog mitgeschwommen sind. Das ist keine Garantie, aber es relativiert das Bild der totalen Verdrängung. Markt-Ökosysteme sind komplex und gelegentlich profitieren auch Nachbarn am Release-Kalender, wenn ein Überflieger alle Blicke auf ein Genre lenkt.

Die Kurzfristigkeit war auch Teil der Markenstrategie nach Jahren des Schweigens, und sie funktionierte. Der Medien- und Community-Effekt war unbestreitbar, die Sichtbarkeit gigantisch. Dass ein solches Ereignis Kollateraleffekte erzeugt, ist unschön, aber kein Beleg dafür, dass das Modell schädlich ist. Der Kalender bietet genug Wochen für Ausweichmanöver, und Beispiele zeigen, dass Standhaftigkeit sich lohnen kann. Wer die eigene Nische sauber bespielt, geht nicht zwangsläufig unter, nur weil ein Gigant durchs Genre stapft.

Die Kritik an der kurzfristigen Bekanntgabe trifft einen wunden Punkt. PR-Planung verlangt Vorlauf, gerade für Solostudios. Doch die Branche ist kein fester Sendeplan und Überraschungsreleases sind längst üblich. Wichtig ist, dass sichtbar bleibt, warum Termine rutschen oder gehalten werden und wie man Konkurrenzsituationen moderiert. Der mediale Diskurs rund um Silksong war ruppig, aber er führte auch zu pragmatischen Entscheidungen. Der Effekt ist also nicht einseitig negativ.

Auch die kulturelle Dimension darf man nicht unterschätzen. Ein Indie-Blockbuster zu einem für viele leistbaren Preis ist ein Statement gegen die Erosion von Kaufkraft und für kulturelle Teilhabe. In Zeiten, in denen Vollpreisspiele immer teurer werden und Monetarisierungsebenen stapeln, ist ein klares, niedriges Preisschild eine Einladung. Es senkt die Schwelle für Neueinsteiger in ein komplexes Genre, vergrößert die Community und macht den Diskurs inklusiver. Genau so entstehen nährende Ökosysteme, in denen kleinere Studios später abseits des AAA-Radaus Gehör finden. Ein Blick auf die Wucht des Silksong-Starts liefert Anschauungsunterricht.

Hauptsache Qualität

Man kann Silksong als Ausnahmefall abtun. Man kann aber auch anerkennen, dass es ein Labor für Preisdynamik, Community-Verhalten und Release-Strategie war. Die Daten des Starts, die Reaktionen im Markt und der längerfristige Schweif werden eine Frage beantworten, die seit Jahren im Raum steht: Zahlt sich Fairness aus? Der bisherige Trend legt nahe, dass die Mischung aus niedriger Schwelle und hoher Qualität die beste Marketingkampagne ist, die ein Indiespiel haben kann. Und sie ist skalierbar, nicht 1:1 für jedes Projekt, aber als Prinzip für kluge Positionierung.

Mein Fazit dieses Streits in zwei Sätzen: Die kurzfristige Ankündigung war für einige Entwickler schmerzhaft, aber kein Systemfehler, sondern eine pointierte Markenentscheidung. Der niedrige Preis hingegen ist keine Gefahr, sondern ein Segen. Er erweitert die Zielgruppe, stärkt das Genre, belohnt Vertrauen und zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht gegen, sondern gemeinsam mit den Spielern möglich ist.

Nur registrierte Benutzer können Kommentare verfassen. Jetzt registrieren