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Master Detective Archives: Rain Code

Von Andreas Held am 10.07.2023

Wenn große Namen an einem Videospiel mitarbeiten, bedeutet das noch lange nicht, dass das Endprodukt zu einem guten Spiel wird. Diese Lektion mussten Visual-Novel-Fans 2021 lernen: Damals veröffentlichten Kazutaka Kodaka, der Kopf hinter der Danganronpa-Serie, und Kotaro Uchikoshi, der bei der Zero-Escape-Serie federführend war, das erste Spiel ihres gemeinsamen Studios Too Kyo Games. World's End Club wollte eine Mischung aus einer klassischen Visual Novel und einem Puzzle-Platformer sein, aber letztendlich fielen beide Elemente bei den Fans durch. Mit Master Detective Archive: Rain Code veröffentlicht das Studio nun ein deutlich ambitionierteres Projekt, das bereits 2016 (also noch vor dem Release von Danganronpa V3) bei Spike Chunsoft, dem früheren Arbeitgeber von Kodaka und Uchikoshi, in seine Planungsphase startete.

Eine unfreundliche Begrüßung

Unmittelbar nach dem Spielstart erscheint eine Warnmeldung, die behauptet, dass die Verbreitung von Gameplay-Videomaterial zu Rain Code vom Gesetz streng untersagt sei. Das ist so nicht richtig. Die Legalität von kommentierten Live-Streams oder Let's Plays von Videospielen wird zwar seit Jahren kontrovers diskutiert, aber fest steht, dass zumindest unter bestimmten Voraussetzungen eine Weiterverbreitung von urheberrechtlich geschützten Inhalten definitiv erlaubt ist - in Deutschland gab es entsprechende Gerichtsurteile etwa zu der Fernseh-Show Kalkofes Mattscheibe, in den USA fallen entsprechende Gesetze unter den Begriff "Fair Use". Mit dieser Nachricht macht uns der Publisher also noch vor dem Spielstart klar, dass er gegen geltendes Recht verstoßen wird, um seine persönlichen Interessen durchzusetzen und sämtliche Videoaufnahmen seines Spiel aus dem Internet löschen zu lassen - ein Machtmissbrauch, der für betroffene Content Creators existenzbedrohende Folgen haben kann. Sollte man Rain Code deswegen boykottieren? Wir haben zumindest darüber diskutiert.

Umittelbar nach dem Titelbildschirm werden wir ähnlich unfreundlich von einem selbstverliebten Geisterwesen empfangen, das uns nach einer vermeintlichen Wahl des Schwierigkeitsgrads in die Hauptstory entlässt. Dort erwacht Yuma Kokohead in der Besenkammer eines Bahnhofs. Wie so viele Protagonisten japanischer Geschichten hat er sein Gedächtnis verloren, jedoch offenbar irgendeine Verbindung zur World Detective Organization, die sich mit der Aufklärung ungeklärter Geheimnisse befasst. Er folgt der Einladung dieser Organisation zu einem Zug, der ihn zu einer Stadt bringen soll, die sich als einzige dem Einfluss der Weltregierung entzieht und stattdessen unter der Kontrolle des Großkonzerns Amaterasu steht. Im Zug trifft er auf sein Team aus fünf Meisterdetektiven, von denen jeder eine übernatürliche Fähigkeit mitbringt, die ihm oder ihr bei der Ausübung des Berufs hilft: Aphex kann sämtliche Lebewesen in seinem direkten Umkreis wahrnehmen, sodass sich niemand vor ihm verstecken kann; Zilch kann die Kontrolle über vierbeinige Tiere übernehmen und mit dieser Tarnung Ziele ausspähen. Yuma selbst hat keine eigene Superkraft, erhält jedoch früh im Spiel die Fähigkeit, die Kräfte anderer Detektive mitzubenutzen, sofern er sich in unmittelbarer Nähe zu ihnen befindet.

Phoenix Wright trifft Persona

Nach zwei langen Einleitungskapiteln dürfen wir uns irgendwann relativ frei in Kanai Ward bewegen. Die Stadt ist seit drei Jahren von einer dichten Wolkendecke überhangen, aus der es durchgängig regnet, und hat seitdem kein Tageslicht mehr abbekommen. Nicht zuletzt aufgrund der auffallend guten Musik erinnerte mich Rain Code öfters an verregnete Abende in Persona 5, während das Setting natürlich eher an Midgar und die Shinra Corporation aus Final Fantasy VII erinnert. Tatsächlich können wir beim Erforschen der futuristischen Metropole ein paar Sidequests und Collectibles finden, die aber nur einen sehr kleinen und unwichtigen Teil des Spiels ausmachen. Die meiste Zeit sind wir also damit beschäftigt, von einem Quest-Marker zum nächsten zu laufen, um den nächsten Mordfall aufzuklären. Dabei werden alle wichtigen (und auch ein paar unwichtige) Items mit auffälligen Markierungen hervorgehoben, was zusammen mit dem linearen Aufbau dafür sorgt, dass Rain Code eher als Visual Novel und nicht als Adventure gesehen werden sollte.

Am Ende jedes Kapitels verwandelt sich die Todesgöttin Shinigami in ihre Succubus-Form und transportiert Yuma in ein Paralleluniversum, wo sich die ungelösten Rätsel als eine von Elefanten getragene Pyramide manifestiert haben. Ausgerüstet mit dem Schwert der Wahrheit kämpft Yuma in diesen Palästen gegen die Qs und Mystery Phantoms und beantwortet Multiple-Choice-Fragen, die erscheinen, wenn Shinigami mit ihrer Sense den Hals des Protagonisten durchschneidet. In den immer wieder stattfindenden Reasoning Death Matches müsst ihr den auf euch zufliegenden Textpassagen entweder ausweichen oder sie, falls ihr sie widerlegen könnt, mit eurem Schwert zerschlagen. Wenn das alles nun ziemlich seltsam klingt, liegt das daran, dass Rain Code ein seltsames Spiel ist - eine Einstufung, die Kodaka-san zweifelsfrei als Kompliment wahrnehmen würde. Er hat sich von Spike Chunsoft abgesetzt, um seine eigene Firma zu gründen und mehr kreative Freiheiten zu haben. Das Ergebnis haben wir nun vor uns.

Trotz seiner Abgedrehtheit bleibt Rain Code immer sehr einfach. Auch bei komplexeren Fragestellungen habt ihr in der Regel nur sehr wenige Auswahlmöglichkeiten und falsche Antworten werden kaum bestraft, sodass ihr im Notfall auch durch simples Durchprobieren aller Optionen zum Ziel kommt, was aber nur selten nötig sein sollte - nicht zuletzt deshalb, weil euch oft bereits nach der ersten falschen Antwort die Lösung praktisch vorgesagt wird. Wer es sich noch leichter machen möchte, kann im Laufe des Spiels verschiedene Skills erlernen und ausrüsten, die euch bei den Quiz-Einlagen weitere Hilfestellungen bieten. Letztendlich ist Rain Code aber so einfach, dass dieses Skill-System eigentlich keinen praktischen Nutzen hat.

Komplexe Mordpläne und exzentrische Charaktere

Dass Rain Code aus der Feder von Kazutaka Kodaka stammt, dürfte Fans des Danganronpa-Autors an allen Ecken auffallen. Typisch sind zum Beispiel die übertrieben komplexen Mordpläne der Antagonisten, aufgrund derer die Tatorte nicht selten einer Rube-Goldberg-Maschine gleichen. Ebenfalls typisch sind die exzentrischen und überzeichneten Charaktere, zu denen sich nur schwer eine Bindung aufbauen lässt, da leider die wenigsten von ihnen wirklich sympathisch sind. Dadurch fehlt die menschliche Komponente: In der Ace-Attorney-Serie brennen wir dafür, eine Maya Fey oder eine Gina Lestrade vor dem Richter zu bewahren, was nur durch eine lückenlose Aufklärung der Fälle möglich ist. In Rain Code fehlt diese Motivation.

Eine Ausnahme gibt es jedoch: Shinigami, das Geisterwesen aus dem Intro, entwickelt sich mit der Zeit zum eigentlichen Star des Spiels. Die Todesgöttin ist selbstverliebt, empathielos, sadistisch und hat die Persönlichkeit eines eGirls, das auf OnlyFans ihr gebrauchtes Badewasser verkauft. Gleichzeitig ist sie aber auch eine treue und verlässliche Begleiterin, die Yuma fast bedingungslos unterstützt und ihn immer wieder vor den Machenschaften von Amaterasu in Schutz nimmt. Ihre englische Synchronsprecherin ist Anjali Kunapaneni, die auch schon Rollen in großen Franchises wie Fate/ oder Genshin Impact hatte, und in Rain Code eine der besten Performances abliefert, die ich je in einem Videospiel gehört habe. Sie bringt die komplexe, eigentlich schon in sich widersprüchliche Persönlichkeit von Shinigami genau auf den Punkt und verstärkt somit die Hassliebe, die wir dieser Figur gegenüber offenbar empfinden sollen.

Auch an vielen anderen Punkten ist Rain Code überaus ambitioniert, sodass dem Titel seine lange Entwicklungszeit von sieben Jahren im positiven Sinne angemerkt werden kann. Vor allem bei den zahlreichen Charakterdesigns hat sich das Team offenbar sehr viel Mühe gegeben. Kanai Ward überzeugt mit seiner stimmungsvollen Gestaltung und unzähligen Details, die der Spielwelt Leben einhauchen. Der Umfang darf sich ebenfalls sehen lassen und es wird schnell ersichtlich, dass wir mit der ausführlichen Story dutzende Stunden lang beschäftigt sein werden. Leichte Abzüge gibt es bei der Technik, denn die Ladezeiten sind selbst für Switch-Verhältnisse auffallend lang und es stört die Atmosphäre des Spiels, wenn eine spannende Szene plötzlich durch einen 20-sekündigen Ladebildschirm unterbrochen wird. An einer Stelle ist ein Charakter, dem wir folgen sollten, eine knappe Minute lang einfach stehen geblieben, sodass es im Spiel nicht weiterging. In der Story finden sich ab und zu kleine Logiklöcher, die vor allem deshalb negativ auffallen, weil Rain Code ansonsten sehr darauf bedacht ist, auch die kleinsten Details ausführlich und schlüssig zu erklären.

FAZIT:

Fans von Danganronpa, der Ace-Attorney-Serie oder sonstigen Kriminalromanen in Visual-Novel-Form sollten sich Rain Code auf jeden Fall auf ihre Einkaufsliste setzen. Mit dem ambitionierten Adventure konnte Kazutaka Kodaka mühelos an die Klasse seiner früheren Titel anknüpfen und ein Spiel veröffentlichen, das ambitioniert genug ist, um sich innerhalb seines Genres problemos zur AAA-Riege zählen zu dürfen. Natürlich hat Rain Code auch ein paar Ecken und Kanten: Die exzentrischen Charaktere, der niedrige Schwierigkeitsgrad oder der fast ausschließlich an männliche Spieler gerichtete Fan-Service sind zwar keine zwingenden Minuspunkte, aber doch Aspekte, an denen man sich stören könnte. Wer damit kein Problem hat oder sich zumindest damit abfinden kann, bekommt mit Rain Code eine stimmungsvolle, spannende und sehr umfangreiche Visual Novel.

Unsere Wertung:
8.5
Andreas Held meint: "Erstklassiger Kriminalroman in Visual-Novel-Form mit exzentrischen Charakteren und einfach gehaltenen Rätsel-Einlagen."
Master Detective Archives: Rain Code von Too Kyo Games erscheint am 30.06.2023 für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Spike Chunsoft zur Verfügung gestellt.
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