Test

Wo Long - Fallen Dynasty

Von Michael Prammer am 15.03.2023

Dark Souls in China? Irgendwie schon, aber ganz so einfach lässt sich Wo Long - Fallen Dynasty nicht abspeisen. Warum das so ist, verrät unser ausführlicher Test.

Die Story von Wo Long - Fallen Destiny führt uns ins Mittelalter rund um die drei chinesischen Reiche. Dabei wirkt der Schauplatz zunächst wie eine willkommene Abwechslung zu bereits bekannten Vertretern des Genres, jedoch geraten die wunderschönen Gebiete in den Hintergrund und die Geschichte verkommt schnell zum Beiwerk. Obwohl ihr euren Charakter in einem ordentlichen Editor von Grund auf bis ins kleinste Detail gestalten dürft, bleiben sowohl dieser als auch sämtliche Nebencharaktere über die ganze Hauptstory über leider ziemlich blass. Das ist ziemlich schade, da bei einer üppigen Spielzeit von etwa 50 Stunden gerade eine ordentliche Geschichte zum Gesamtpaket einiges hätte beitragen können.

Drei Chinesen mit dem Kontrabass

So landet euer frisch erschaffener Charakter in einem brennenden Dorf, überseht mit Leichen und überall scheint Chaos zu herrschen. Eine feindliche Invasion durch die sogenannten gelben Turbane hat dieses Massaker zu verantworten und euer Held scheint die letzte Hoffnung der Bevölkerung zu sein. Das Anfangsdorf dient dabei als Tutorial und ihr werdet zunächst mit der Spielmechanik vertraut gemacht. Team Ninja, die bereits mit der Nioh-Reihe das Souls-like-Genre mächtig aufgewirbelt haben, gehen keine Experimente ein und setzen auf die altbekannte Formel. Leichter Schlag, schwerer Schlag, Ausweichen, Blocken – man kennt die typische Abfolge im Leben einer Soulslike-Spielfigur. Mit perfektem Timing wird zudem gekontert, was für das Kampfsystem elementar wichtig ist. Feinde werden dadurch in eine Art Schockstarre versetzt und können im Anschluss nach allen Regeln der Kunst vermöbelt werden.

Im Umkehrschluss kann ein falscher Block oder zu hastiges Einprügeln auf den Gegner dazu führen, dass selbiger euch auf dem falschen Fuß erwischt und euch ordentlich einschenkt. Anders, als in From-Software-Vertretern gibt es nämlich keinen Ausdauerbalken, sondern eine sogenannte Moral-Funktion. Trefft ihr euren Feind mehrmals, färbt sich der Balken des Gegenüber von Gelb in Rot und schließlich kommt dieser aus dem Gleichgewicht und ihr dürft einen schweren Treffer landen. Andersherum habt auch ihr eine solche Leiste. Diese fungiert in zwei Richtungen und kann euch einen Vorteil verschaffen, wenn ihr besonders effektiv gekämpft habt, jedoch ebenfalls euer Gleichgewicht stören, steckt ihr zu viele Treffer ein. Dann darf nämlich euer Feind starke Treffer austeilen und ihr segnet schnell das Zeitliche. 

Ein „Türsteher“ als Spielöffner

Zugegeben, die erste halbe Stunde im Spiel werdet ihr kaum Probleme haben und Wo Long als netten Sonntagsspaziergang wahrnehmen. Was dann allerdings kommt, ist schon im wahrsten Sinne des Wortes ein harter Brocken. Und an der Stelle müssen wir uns über Designentscheidungen unterhalten, welche nicht für Jedermann nachvollziehbar sind. Der erste richtige Boss im Spiel kann nämlich für einige Spieler die Entscheidung mit sich bringen, ob sie das Spiel fortsetzen, oder eben nicht. Denn dieser Gegner muss für euren weiteren Spielfortschritt zwingend aus dem Weg geräumt werden und es gibt keine Hilfe. Weder von einem CPU, was in beinahe dem kompletten Abenteuer der Fall ist, noch von einem menschlichen Mitspieler via Online-Modus, worauf wir später noch kurz eingehen. Fakt ist: Der erste Boss in Wo Long ist so dermaßen schwierig, dass nicht wenige, bitterböse Flüche während des Tests über meine Lippen gegangen sind. Das Spiel möchte an dieser Stelle von seinen Spielern, dass schon sehr früh die Mechaniken des Titels komplett verinnerlicht werden. Wer übt, wer sich mit dem Prinzip vertraut macht und wer bereit ist, digitale Schmerzen durch Fehler zu akzeptieren, der wird auch Erfolg haben. Doch wieviele Spieler werden alleine wegen dieser Entscheidung schon früh die Flinte ins Korn werfen? Das ist die große Frage.

Fakt ist auch: nach dem Boss wird das Spiel erst einmal merklich einfacher. Das hat verschiedene Gründe und manche davon lassen sich im Spiel beeinflussen. Widmen wir uns zunächst dem Moral-System. Sowohl euer Held, als auch sämtliche Gegner, verfügen über ein bestimmtes Moral-Level. Dabei beginnt in jedem Gebiet die Moral bei „0“ und wird durch erfolgreich ausgeführte Attacken und besiegte Gegner gesteigert. An sogenannten Standarten, dem Pendant zu From Softwares Leuchtfeuer, wird der Moral-Rang sogar gefestigt, da dieser auch wieder sinken kann. Das geschieht, wenn fiese Attacken eingesteckt werden müssen oder die Verteidigung bricht. An den bereits erwähnten Standarten, welche nicht nur als Check-Points für Level-Ups, etc. dienen, wird der vorhandene Moral-Rang meistens sogar leicht erhöht und ihr fallt nicht mehr darunter. Eure Gegner haben ebenfalls dieses System und ihr könnt bereits erkennen, wie stark ein Gegenüber sein könnte oder eben nicht. Demnach liegt es an euch, bereits erkundete Gebiete nochmals abzugrasen, um den eigenen Rang zu steigern, um sich das Leben zu erleichtern. Dies funktioniert übrigens theoretisch auch schon vor dem ersten Boss, lässt diesen in der Praxis allerdings relativ kalt.

Wo Long greift euch aber noch mit weiteren Hilfsmitteln unter die Arme. Heiltränke, von denen zu Beginn drei in eurem Inventar anzutreffen sind, dürfen aufgewertet werden und helfen ungemein, wenn doch mal ein harter Treffer kassiert wurde. Außerdem werden mit dem Ende des ersten Bosses mächtige Fähigkeiten freigeschaltet, die ihr zwar zunächst mittels Spezial-Leiste auffüllen müsst, dann allerdings mächtige Dämonen entfesseln könnt, welche locker eine kleinere Gruppe an Gegnern gleichzeitig vom Bildschirm fegt. Die bereits erwähnten Helfer, welche entweder der CPU entspringen und in beinahe jedem Gebiet automatisch unterstützen oder menschliche Spieler, mit deren Hilfe sogar das komplette Spiel im Koop-Modus durchgespielt werden könnte, sind noch einmal mehr eine Erleichterung durch das doch sehr anspruchsvolle Rollenspiel. Gerade das Moral-System und der durchdachte Online-Modus wirken etwas frischer und durchdachter, als die Souls-Formel der From-Software-Kollegen und machen das Spielgeschehen dynamischer, abwechslungsreicher und bringen frischen Wind ins Genre. Leider trifft sich nicht immer ein Online-Freund in der Nähe eines Bosses und die KI stellt sich bei eben diesen harten Brocken teilweise als unbrauchbar dar. Ist ein Freund zur Stelle, kann dieser via Code direkt ins Spiel geholt werden - sehr gut gelöst!

Viel zu sammeln – viel zu tun

Wo Long setzt auf eine große Anzahl an Hieb- und Stichwaffen aus dem Arsenal fernöstlicher Kampfkunst. Aber auch die Zauberei kommt nicht zu kurz und so bedient man sich der unterschiedlichen Elemente der Natur, um diese im Spiel unterzubringen. Feuer, Wasser, Holz, Blitz, Erde stellen die unterschiedlichen Sparten dar, mit denen auch der Charakter-Level aufgewertet wird. Je nachdem skaliert auch die dazugehörige Waffe. Und je nach Talentbaum, welcher jedes Element mit sich bringt, werden verschiedene Fähigkeiten aufgewertet. Gesundheit, Blockfähigkeit, Tragelast oder Angriffstärke - es liegt an euch, auf welchen Fokus ihr eure Attribute legen wollt. Und dementsprechend natürlich auch die Zauber. Dabei ist es wichtig, immer mal wieder ein Zauber jeder Sorte mitzuleveln, da euch im Laufe des Spiels auch mal ein Gegner mit eben dieser Schwäche über den Weg laufen könnte. Vernachlässigt ihr zum Beispiel komplett das Feuer-Attribut und trefft auf einen starken Gegner, der anfällig für Feuerschaden ist, könnte eben jener ein großer Vorteil sein.

Was Wo Long etwas großzügig ausgelegt hat, ist das Inventarsystem. Dieses scheint schier endlos und kennt einfach keine Grenzen. Schon nach wenigen Spielstunden scheint unser Spieler mehrere komplette Ausrüstungssets im Repertoire zu haben, nebst unterschiedlichster Waffen, mit denen man locker mehrere Museen schmücken könnte. In jedem Gebiet gibt es einen Händler, bei denen nicht benötigte Utensilien verkauft werden können und im späteren Spielverlauf lassen sich Kleidungsstücke und Waffen sogar in Einzelteile zerlegen. Allerdings verliert man schnell den Überblick, wenn man nicht ständig sein Inventar aufräumt, da einfach nahezu jeder einzelne Gegner etwas fallen lässt. Denn abseits der ohnehin schon groß geratenen Haupthandlung gibt es genug zu tun. Dank unterschiedlicher Nebenmissionen, welche zwar meist das Wiederbereisen bereits bekannter Gebiete voraussetzen, verfügt der Titel über einen enormen Umfang. Wirklich lohnen tun sich diese Nebenaufgaben allerdings kaum und nur Spieler, die auf viel Erfahrung aus sind oder ein paar Extrarunden drehen wollen, schauen sich diese Bonus-Ausflüge an. Das ist durchaus etwas schade, hier zeigt die Genre-Konkurrenz wie es besser geht.

Soulslike-Spiele haben seit jeher das Problem, dass sie nicht unbedingt als „Schönheiten“ gelten. Und auch Wo Long - Fallen Dynasty ist nicht der größte Augenschmaus, den es beispielsweise auf PlayStation 5 zu bestaunen gibt. Der Titel wirkt optisch gesehen wie ein überdurchschnittlicher PS4-Titel, mehr aber auch nicht. Lediglich die Bosskämpfe sehen imposant aus, sind toll in Szene gesetzt und kitzeln ein wenig Power aus dem System heraus. Was allerdings gar nicht so hübsch ist, zeigt sich in der Performance. Gelegentliche Ruckler überschatten das eigentlich relativ flüssige Gameplay und hin und wieder „ploppen“ Gegenstände, Gebäude oder Gegner in naher Ferne auf, was einfach unzeitgemäß wirkt. Hier scheint es fast so, als würde dem Spiel etwas Feinschliff fehlen und es wäre wünschenswert, wenn dies mit einem Patch nachgeholt werden würde. Die musikalische Untermalung ist dagegen einsame Spitze und fügt sich bestens in die düstere Stimmung ein. 

Noch ein paar Worte zum Balancing: Bereits der erste richtige Boss kann über Freude oder Leid des gesamten Spiels beitragen. Ich persönlich halte die Entscheidung, einen derart schwierigen Brocken an der Stelle zu platzieren für absolut fragwürdig. Der Spieler zahlt (wenn nicht im Microsoft Gamepass) 70€ für ein Videospiel, welches er unter Umständen nach einer halben Stunde nie wieder anrührt. Klar, wer ein Soulslike-Spiel kauft, weiß eigentlich, was ihm blüht. Aber danach kommen eben mindestens vier Bosse, die gar nichts auf dem Kasten haben und selbst die Bosse danach schafft man spätestens mit einem oder zwei menschlichen Begleitern. Hier sollten sich die Entwickler wirklich hinterfragen, ob das in dieser Form wirklich Sinn macht, denn eigentlich sollte ein Videospiel eine gesunde Lernkurve haben, sodass der Spieler sich nach und nach in die Thematik und ins Kampfsystem "hineinfuchsen" kann. In Wo Long bleibt dafür keine Zeit. Und ich kann mir gut vorstellen, dass nicht wenige Spieler frustriert das Gamepad zur Seite legen und lieber etwas anderes tun, als sich stundenlang von einem Boss „demütigen zu lassen“.

FAZIT:

Wo Long – Fallen Dynasty ist ein absolut toller Vertreter des Soulslike-Genres geworden. Das Setting verspricht frischen Wind, die Aufmachung sorgt für Abwechslung und die Entwickler haben sich genug Ideen einfallen lassen, um den Titel deutlich von anderen Spielen im Segment abzuheben. Damit komme ich auch gar nicht auf die Idee, das Spiel als „chinesisches Dark Souls“ oder Nioh 3 abzustempeln. Im Gegenteil – hier wurden dank des tollen Moralsystems, dank der gigantischen Spieldauer von über 40 bis 50 Stunden (je nach Anzahl der Nebenmissionen) und dank des flotten und motivierenden Kampfsystems ein völlig neues Erlebnis geschaffen. Getrübt wird das Gesamtpaket durch die belanglose Geschichte, die im Grunde eine Menge Potential mit sich bringt, leider aber nie richtig aufblühen kann. Außerdem ist die technische Seite nicht ganz sauber umgesetzt. Und über die Balancing-Probleme, gerade zum Thema „erster Boss“ muss jeder selbst wissen, wie er damit umgeht. Unter dem Strich bekommen wir einen sehr gelungenen Titel, der Fans des Genres auf jeden Fall glücklich machen dürfte.

Unsere Wertung:
8.0
Michael Prammer meint: "Für Fans des Genres durchaus ein Pflichtkauf, auch wenn einige Designentscheidungen dem Spiel schaden."
Wo Long - Fallen Dynasty von Team Ninja erscheint am 03.03.2023 für PC und PlayStation 4 und PlayStation 5 und XBox One und XBox Series. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Tecmo Koei Holdings zur Verfügung gestellt.
Nur registrierte Benutzer können Kommentare verfassen. Jetzt registrieren
1 Kommentar:
Asinned)
Asinned
Am 21.03.2023 um 14:40
Werde skippen weil Team Ninja anscheinend wieder nicht an das gebiale Leveldesign von FS dran kommt und man wieder mit Loot zugeschissen wird. Das hat mit bei Nioh 1 &2 schon nicht gefallen. Auch war Story nicht motivierend und das Spiel für die geringe Abwechslung viel zu lang. All das scheint wieder zuzutreffen weshalb es für mich dann doch wie ein Nioh 3 klingt. Die Games kommen ja echt gut überall weg, umso seltsamer dass ich als großer Souls Fan leider nichts damit anfangen kann :/