Test

River City Girls Zero

Von Andreas Held am 22.02.2022

Schrödingers Videospiel

River City Girls Zero startet mit einem nett produzierten Anime-Intro, dessen selbstbeschreibender Titelsong ungefähr so beginnt: "Was ist das, ein brandneues Spiel? Naja, irgendwie ja und irgendwie nein". Starten wir nach der irgendwie guten und irgendwie schlechten Einleitungssequenz das eigentliche Spiel, geht es weiter mit einer kurzen Cutscene im Manga-Stil, in der die beiden Protagonistinnen von River City Girls über ein Retro-Videospiel rätseln. Sie haben großes Interesse an dem Klassiker, in dem sie offenbar die Hauptrolle spielen, doch zunächst fehlt ihnen die passende Hardware. Ein seltsames Elektrogerät, das eine der beiden für einen Oktopus-Roboter hält, entpuppt sich jedoch als des Rätsels Lösung: die alte Spielekonsole kann das Modul abspielen und das Bild an einen CRT-Fernseher ausgeben. Haben wir auch diese Sequenz hinter uns gebracht, erfahren wir, was wir hier für 14,99€ eigentlich gekauft haben: Eine emulierte Version des 1994 veröffentlichten und bisher nur in Japan erhältlichen Super-Nintendo-Spiels Shin Nekketsu Koha: Kunio-tachi no Banka.

Kyoko und Misako in 16-Bit

Anders als das Rebranding zu River City Girls Zero vermuten lässt, spielen in dem besagten 16-Bit-Abenteuer zwei männliche Charaktere die Hauptrolle: Kunio und Riki, die westlichen Spielern aus den beiden NES-Spielen River City Ransom und Nintendo World Cup bekannt sein könnten. Ihre beiden Freundinnen Kyoko und Misako stoßen erst nach mehreren Bosskämpfen hinzu und verlassen die Party nach einigen Kapiteln wieder, haben also eher eine Nebenrolle. Während des Gameplays können wir jederzeit mit der Select-Taste zwischen den zwei bis vier spielbaren Figuren hin und her schalten; ein Couch-Coop-Modus, in dem zwei Spieler jeweils eines der beiden Paare steuern, ist ebenfalls enthalten.

Das Spiel selbst folgt einer starren, eher ungewöhnlichen Struktur: Minutenlange Cutscenes wechseln sich ab mit kurzen Gameplay-Sequenzen, in denen wir entweder eine Hand voll kleinerer Gegner oder einen Boss besiegen müssen. Wartet man am Anfang noch darauf, dass das Spiel "endlich richtig losgeht", kommt irgendwann die Erkenntnis, dass sich das Gameplay nicht mehr weiterentwickeln wird. Die Open-World- und RPG-Elemente des NES-Klassikers River City Ransom wurden ersatzlos gestrichen - wer einen auf die 16-Bit-Generation aufgewerteten Nachfolger dieses Spiels erwartet, wird also maßlos enttäuscht sein.

Vielleicht könnte man das verschmerzen, wenn das Kampf-Gameplay von River City Girls Zero dafür auf einem deutlich höheren Niveau liegen würde - doch das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Kämpfe finden in leeren Arenen statt, sodass selbst Grundelemente des Beat'em-Up-Genres wie versteckte Heilungsitems oder verschiedene Waffen einfach komplett fehlen. Die störrische Steuerung gibt euch sehr wenige spielerische Möglichkeiten, mit denen ihr eure Widersacher auf den Asphalt schicken könntet. Die ab und zu auftretenden Motorrad-Levels, die an Road Rash erinnern, sollen für etwas Abwechslung sorgen - sind jedoch ihrerseits so langweilig, dass sie das Gameplay insgesamt kaum aufwerten. Genregrößen wie Battletoads: Double Dragon oder Turtles in Time, die auf derselben Konsole erschienen sind, ist das Abenteuer von Kunio-kun in jeder denkbaren Metrik haushoch unterlegen.

Minimalistische Portierung eines minimalistischen Spiels

Passend dazu hat WayForward für die Switch-Portierung des knapp 30 Jahre alten 2D-Prüglers ebenfalls nur das Nötigste getan. Offenbar erhalten wir im Rahmen des Downloads lediglich eine emulierte ROM mit einem Übersetzungs-Patch. Englischsprachige Spieler bekommen dafür gleich zwei Versionen des Scripts: Eine möglichst getreue Übersetzung des japanischen Originals und eine weitere, die die Dialoge des Spiels modernisieren soll. Im direkten Vergleich ist die Neufassung etwas ausführlicher und somit textlastiger. Ihr Schreibstil erinnert an Marvel-Actionfilme und einige der Sprüche hätten so auch aus der Feder von Claude M. Moyse stammen können.

Während viele Remaster-Versionen älterer Videospiele mittlerweile offen damit werben, dass der Schwierigkeitsgrad im Vergleich zur Originalversion gesenkt wurde, verzichtet River City Girls Zero auf jegliche Vereinfachungen. Nicht einmal Emulator-Features wie die mittlerweile allgegenwärtige Rückspulfunktion wurden eingebaut, um den Titel etwas zugänglicher zu machen. Eine Möglichkeit zum jederzeitigen Speichern von Spielständen gibt es zwar, aber sie ist recht umständlich zu bedienen. Das Original bringt von sich aus einen einfachen Modus mit, allerdings darf hier nicht das komplette Spiel gespielt werden - die Story bricht irgendwann ab und ihr müsst auf der normalen Spielstufe noch einmal von vorne anfangen. Diese befindet sich ab der zweiten Hälfte des Spiels an der Grenze des Machbaren, sodass selbst hartgekochte Spieler etliche Versuche gegen die zahlreichen Endgegner einplanen müssen.

Immerhin: Audiovisuell ist die Emulation von Shin Nekketsu Koha: Kunio-tachi no Banka blitzsauber, allerdings ist bereits bei der Bedienung des Hauptmenüs ein leichter Input Lag zu spüren. Dieser fällt im eigentlichen Gameplay zwar eher weniger auf, aber wenn es auf das richtige Timing ankommt (weil wir beispielsweise heranstürmende Gegner genau im richtigen Moment abwehren müssen), sind entsprechende Manöver zum Scheitern verurteilt. Die Nettospielzeit von River City Girls Zero liegt bei unter zwei Stunden, wird durch die zahlreichen Fehlversuche gegen die Endgegner jedoch ordentlich aufgebläht. Der Wiederspielwert befindet sich leider auf dem absoluten Nullpunkt, da das Spiel streng linear ist, keinerlei versteckte Extras bietet und die beim ersten Spieldurchgang schon lästigen Cutscenes bei weiteren Durchgängen nicht übersprungen und nur minimal beschleunigt werden können.

Fazit:

Die Antwort auf die Frage, ob River City Girls Zero ein brandneues Spiel ist, lautet nicht "irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht" - sondern ganz klar und eindeutig "nein". Ein neues Anime-Intro und eine Cutscene im Manga-Stil ändern nichts daran, dass wir nach wenigen Minuten in die emulierte Version eines knapp 30 Jahre alten Super-Nintendo-Spiels geworfen werden, die abseits einer offiziellen Übersetzung und eines Quicksave-Features keinerlei Neuerungen bereithält. Einerseits ist es natürlich schön, dass wir nun endlich mal eine Retro-Portierung erhalten, die ohne starke Vereinfachungen des Schwierigkeitsgrads auskommt - andererseits bringt dies ausgerechnet in diesem Fall recht wenig, da das Originalspiel Shin Nekketsu Koha: Kunio-tachi no Banka leider ein bestenfalls durchschnittlicher 16-Bit-Titel ist. Spielerisch, technisch und in Sachen Umfang hatten selbst Launch-Titel wie Super Mario World ungleich mehr zu bieten, und direkte Konkurrenten wie Battletoads: Double Dragon oder Turtles in Time sind Kunios Abenteuer haushoch überlegen. Selbst mit seinem eigenen 8-Bit-Vorgänger River City Ransom kann das Beat'em-Up nicht annähernd mithalten, da so viele Features gestrichen wurden, dass am Ende fast nichts mehr übrig blieb. Somit bleibt ein spielerisch banaler 2D-Prügler, den man nur wirklich hartgesottenen Serienfans empfehlen kann. Alle anderen werden sich ordentlich langweilen und sich spätestens dann, wenn sie bereits nach zwei bis drei Stunden den Abspann erreichen, über ihren Fehlkauf ärgern.

Unsere Wertung:
4.5
Andreas Held meint: "Der erste Auftritt von Kyoko und Misako wurde unverändert portiert und ist somit genauso schlecht wie das Original."
River City Girls Zero von WayForward Technologies erscheint für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Arc System Works zur Verfügung gestellt.
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