Test

Pokémon Legenden: Arceus bricht auf zu neuen Ufern! Ist das Experiment geglückt?

Von Nico Zurheide am 21.02.2022

Wenn man sich die Wertungen und vor allem die Verkaufszahlen des Open-World-Spiels einmal ansieht, wäre es wohl leicht, diese Frage zu bejahen. Legenden: Arceus konnte sich innerhalb der ersten Woche über 6,5 Millionen Mal verkaufen und übertrumpfte mit diesen Zahlen sogar noch Pokémon Schwert & Schild, die inzwischen immerhin hinter der ersten Generationen die erfolgreichsten Editionen der Hauptreihe sind. Wo soll das noch hinführen? Vermutlich (und hoffentlich) dazu, dass Gamefreak das Potenzial des Ablegers erkennt und weitere Legenden-Spinoffs produziert. Denn hier bekamen wir tatsächlich den längst überfälligen neuen Anstrich für die langjährige RPG-Reihe, deren Farbe in den letzten Jahren zusehends abblätterte.

Von Muromachi und Ainu

In Pokémon Legenden: Arceus bereisen wir die Hisui-Region, die genau wie Sinnoh aus Pokémon Diamant und Perle auf Hokkaido basiert, also der nördlichsten der vier großen japanischen Inseln. Dass die Spielwelt nicht einfach Sinnoh genannt wird, liegt daran, dass Legenden einige Jahrhunderte vor der heutigen Zeit spielt. Unser Protagonist bzw. unsere Protagonistin wird zu Beginn der Kampagne vom legendären Pokémon Arceus durch einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge geschleudert und landet schließlich in Hisui zur Muromachi-Zeit (ca. 1330 bis 1575). Um fortan mit dem Protagonisten in Kontakt treten zu können, schenkt Arceus ihm daraufhin eine Art Smartphone, das bei den Bewohnern der Insel allerdings nur mittelmäßiges Erstaunen auslösen kann. Auch sonst sind reale technische Fortschritte nicht unbedingt mit denen aus dem Spiel zu vergleichen, so zückt der hiesige Professor Laven doch öfter mal eine Kamera, um besondere Momente festzuhalten. Von Laven erhalten wir nach einem kurzen Intro auch direkt unser Startpokémon, wobei wir die Wahl zwischen Feurigel, Bauz und Ottaro haben. Die drei Starter stammen ursprünglich nicht aus Hisui, sondern wurden von Laven von seinen Reisen und aus seiner Heimat mitgebracht, die sich höchstwahrscheinlich in Galar verorten lässt, also der Region aus Pokémon Schwert und Schild.

Hokkaido wurde übrigens bereits vor 15.000 Jahren von den Ainu bevölkert, die auch den Großteil der heute bestehenden Ballungsräume gründeten. Noch heute stammen vor allem im Süden der Insel viele Einwohner von den Ainu ab. Aus geschichtlichen und repräsentativen Gründen ergibt es daher auch Sinn, dass die Ainu im Spiel vom Diamant- und vom Perl-Clan repräsentiert werden, deren Mitglieder auch für die Zeit typische Kleidung tragen. Während die beiden Clans die Ureinwohner der Insel repräsentieren und in kleinen Siedlungen mit der Natur im Einklang leben, wird die Besiedlung Hokkaidos durch die Japaner durch die Galaktik-Expedition dargestellt, die ihre Siedlung Jubeldorf in etwa dort gründete, wo sich heutzutage die Großstadt Sapporo und in der vierten Generation Jubelstadt befindet.

Die Galaktik-Expedition hat es sich zur Aufgabe gemacht, Hisui zu erschließen, die Natur für den Menschen zu gewinnen und im Zuge dessen das Zusammenleben der Menschen und Pokémon zu befrieden. Dafür nutzen die Mitglieder der Expedition Pokébälle, um die bislang stets freilaufenden Monster einzufangen. Die Ähnlichkeit zu Team Galaktik aus der vierten Generation ist also rein namentlich und sicher nicht moralisch. Auch das Konzept der Pokémonkämpfe ist für die meisten Menschen zu dieser Zeit noch absolutes Neuland, weshalb wir durch unser Können innerhalb des Forschungstrupps schnell aufsteigen. Durch das Abschließen von Pokédex-Aufträgen, mit denen uns Professor Laven betraut, können wir im Rangsystem der Expedition bis zum 10-Sterne-Mitglied aufsteigen. Dafür müssen wir aber extrem viele Pokémon fangen und auf unterschiedliche Arten bekämpfen.

Gras, Sumpf, Küste, Gebirge, Schnee

Da ist es natürlich vorteilhaft, dass das Fangen von Pokémon die Hauptbeschäftigung in Legenden: Arceus ist. Ähnlich zum Konzept der Naturzone in Pokémon Schwert & Schild laufen die kleinen und großen Monster in Hisui völlig frei herum. Erstmals in der Hauptreihe allerdings muss zum Fangen kein Kampf mehr gestartet werden - wir werfen einfach einen Pokéball auf das -mon und laufen weiter zur nächsten Interaktion. Die Pokémon werden natürlich unterschiedlich auf die Annäherung und den Fangversuch reagieren und während einige friedlich sitzen bleiben und andere die Flucht antreten, greifen uns aggressivere Artgenossen kurzerhand an. Die unterschiedlichen Attacken sind dabei durchaus zielgerichtet und da wir keinen Lebensbalken haben, wird uns schon nach wenigen Treffern schwarz vor Augen. Damit das nicht passiert, können wir den Angriffen entweder durch eine Ausweichrolle entgehen oder eines unserer gefangenen Pokémon aus dem Ball holen, um einen Kampf zu starten und uns damit aus dem Fokus zu nehmen.

Die rundenbasierten Kämpfe wurden für Legenden: Arceus ein wenig überarbeitet und sind nun deutlich schneller abgehandelt als in früheren Ablegern. Das grundlegende Konzept der altbekannten Kämpfe bleibt dabei natürlich bestehen, doch die Attacken richten nun generell mehr Schaden an. Dazu wurde die Wirkung einiger Attacken, wie z.B. Hypnose, abgeändert, sodass ein Pokémon nun prinzipiell immer die Chance hat, anzugreifen. Wichtiger als zuvor ist die Initiative, weil sich die Kampfreihenfolge nun tatsächlich im Verlauf des Kampfes ändern kann. So sorgen hohe Initiativewerte und schnelle Attacken dafür, dass ein Pokémon mehrmals hintereinander agiert, ohne dass der Gegner eingreifen könnte. Passend dazu wurden die Krafttechnik und die Tempotechnik neu eingeführt, wodurch eine einzelne Attacke entweder etwas stärker und langsamer oder etwas schneller und schwächer ausgeführt werden kann, was die Reihenfolge des Kampfes über kurz oder lang verschiebt. Diese Techniken können bei einer Attacke allerdings nur angewendet werden, wenn das Pokémon die Attacke bereits eine gewisse Zeit lang beherrscht.

Neu ist auch, dass wir uns während der Kämpfe weiterhin frei bewegen können. Das Spiel wird dadurch deutlich schneller, denn nach dem Auswählen einer Attacke können wir uns bereits vom Kampf abwenden und weiter zum nächsten Ziel marschieren. Haben wir dagegen keine Lust auf einen Kampf, können wir einfach weglaufen - die Flucht gelingt in Legenden: Arceus garantiert, aber das gegnerische Pokémon könnte uns unter Umständen noch verfolgen und attackieren. Abseits von Pokébällen gibt es noch andere Wurfitems, vor allem Beeren, die uns das Fangen erleichtern, indem sie die wilden Pokémon entweder ablenken oder verärgern. Auch das Anschleichen an begehrte Monster hilft beim Fangversuch, denn überraschte Pokémon lassen sich leichter einfangen. Beeren und Items, die wir für die Herstellung von Pokébällen benötigen, bekommen wir von Bäumen und Erzen, die überall in Hisui verstreut sind. Für den Abbau benutzen wir unsere Pokémon wie Pikmin und schmeißen einfach einen Ball in die jeweilige Richtung. Der Mix aus Fangen, Kämpfen und Looten geht intuitiv und flott von der Hand und kann auch durch die immer neuen Pokémon lange unterhalten.

Die Gesamtspielzeit liegt bei etwa 30 Stunden fürs Abschließen der Story, aber wir können - und müssen - uns natürlich deutlich mehr Zeit nehmen, wenn wir den Pokédex vervollständigen und bis zum höchsten Rang im Forschungstrupp aufsteigen wollen. Den überwiegenden Teil der Spielzeit verbringen wir dabei natürlich in den fünf großen Gebieten von Hisui, die den klassischen Klimazonen zugeordnet werden können: Das Obsidian-Grasland, das Rote Sumpfland, das Kobalt-Küstenland, das Kraterberg-Hochland und das Weiße Frostland bieten unterschiedliche Gebiete und Herausforderungen und beinhalten verschiedene Pokémon. Das Vorkommen der Monster verändert sich dabei mit den Tageszeiten, so sind Geister beispielsweise ausschließlich nachts unterwegs. Neben den aus Diamant und Perle bekannten Wahrzeichen wie den drei großen Seen oder dem alles überragenden Kraterberg finden sich in den weitläufigen Gebieten auch die Siedlungen der beiden Clans sowie zahlreiche Basislager der Galaktik-Expedition, in denen wir Items kaufen, Pokémon austauschen und Professor Laven Bericht erstatten können. Bis auf einen Tempel im Frostland finden sich ansonsten aber quasi keine Spuren menschlichen Lebens. In Hisui befinden sich eben noch Pokémon an der Spitze der Nahrungskette.

Ein Gott braucht keinen Fluxkompensator

Am oberen Ende dieser Kette lassen sich Elite-Pokémon (größere und stärkere Varianten der normalen Pokémon) und die sogenannten Könige finden, die über Teilbereiche der großen Gebiete herrschen und im Grunde eine Weiterentwicklung der Herrscher-Pokémon aus Pokémon Sonne & Mond sind. Die Story des Spiels führt uns zu jedem dieser Könige, die aufgrund des Risses im Raum-Zeit-Gefüge, durch den uns auch Arceus nach Hisui geschickt hat, in Rage geraten sind. Um die Könige wieder zu beruhigen, bekommen wir die Hilfe der Wächter, die entweder dem Diamant- oder dem Perl-Clan angehören. Diese stellen beruhigende Opfergaben her, die wir den wilden Königen in einem actionreichen Kampf reihenweise an den Kopf knallen müssen. Wirklich beruhigend wirkt das zwar nicht, die Kämpfe gegen diese fünf Könige sind aber eine nette Abwechslung zu den rundenbasierten Schlachten, die ansonsten immer geführt werden müssen.

Abseits dieser Kämpfe wird das Looten-und-Leveln-Gameplay durch ein recht geradliniges Crafting-System, ständige Besuche in Jubeldorf, um die Story voranzutreiben, unser Aussehen zu verändern und uns mit Items einzudecken, das Abarbeiten vieler kleiner Nebenquests und Raum-Zeit-Risse aufgelockert. Diese Risse tauchen zufällig in den Regionen auf und sind nur eine begrenzte Zeit lang geöffnet. Bewegen wir uns währenddessen in die durch den Riss herbeigerufene Sphäre, können wir viele seltene Pokémon fangen, die teilweise gar nicht in Hisui oder zu dieser Zeit existieren dürften, etwa Magneton oder alle Evolutionen von Evoli. Außerdem gibt es hier viele Items zu finden, die für bestimmte Entwicklungen benötigt werden. Diese geschehen nun übrigens generell auf Knopfdruck und somit ganz nach unserem Wunsch. Das ist für das Abarbeiten der Pokédex-Aufgaben freilich auch nötig, denn einige Aufgaben der Starterpokémon können wir kaum noch erfüllen, wenn wir diese zu früh entwickeln.

Glücklicherweise müssen wir die Aufgaben nur zum Aufsteigen in der Forschungstrupp-Rangordnung erledigen und nicht, um den Pokédex selbst zu vervollständigen. Denn die letzten Entwicklungen der drei Starterpokémon haben jeweils eine neue Regionalform mit einer neuen Typenkombination erhalten und sind dementsprechend beinahe so aufregend wie komplett neue Pokémon. Insgesamt gibt es hier 19 Hisui-spezifische Regionalformen und sieben gänzlich neue Pokémon, wobei sechs davon Entwicklungen älterer Pokémon sind. Davon abgesehen können wir in Legenden: Arceus hauptsächlich Taschenmonster der ersten und vierten Generation fangen. Fünf der neuen Pokémon bzw. Formen bekommen wir im Verlauf des Spiels außerdem als Reittiere, wodurch VMs abermals ersetzt werden. Damythir, Ursaluna, Salmagnis, Snieboss und Hisui-Washakwil transportieren uns auf Knopfdruck schnell über Land, durchs Wasser, durch die Luft oder steile Abhänge hoch und wechseln beim Übergang von Land zu Wasser praktischerweise automatisch.

Kommen wir noch auf die offensichtlichste Schwäche des Spiels zu sprechen: Die Grafik. Diese wurde bereits nach dem ersten Trailer des Spiels stark kritisiert und ist tatsächlich nicht gerade ein Augenöffner. Die teils überzogene Kritik ist angesichts der Größe des Franchises und dem Aussehen anderer Switch-exklusiven Titel zwar angebracht, wirklich gestört hat uns die Optik von Legenden: Arceus aber nicht. Im Gegenteil nehmen wir lieber einige optische Abstriche in Kauf, wenn dafür die Bildrate so stabil wie in diesem Fall bleibt. Etwas nervig war lediglich das Aufploppen von Bäumen, wenn wir mit Washakwil über die Landschaften geflogen sind. Davon ab aber macht das Spiel trotz der Optik Spaß und kann des Öfteren sogar Momente erzeugen, die stark an Zelda Brot erinnern. Die weiten, sonnenbeschienenen Wiesen, das ruhige Feeling und die spartanische musikalische Untermalung sorgen in beiden Spielen für wunderschöne Momente.

Fazit:

Die ansonsten sehr konservativ handelnden Verantwortlichen der Pokémon Company haben augenscheinlich endlich auf die Wünsche der Fans gehört und Game Freak ein Open-World-RPG entwickeln lassen, in dem wir nach Herzenslust Pokémon fangen und mit ihnen interagieren können. Da die Entwickler über die Jahre immer wieder bewiesen haben, dass sie keine guten Storys schreiben können, ist es tatsächlich ein Segen, dass sich das Spiel hauptsächlich auf das süchtigmachende Gameplay konzentriert. Fangen, Kämpfen, Looten, Leveln und wieder von vorn - mehr möchten wir von einem Pokémonspiel doch gar nicht, oder?

Dennoch wollen wir natürlich auf die Schwächen des Spiels hinweisen - und damit ist nicht die Grafik gemeint. Da die Story so belanglos ist, sind die immer wieder eingestreuten langen Passagen mit Dialogen nur schwer zu ertragen und können gar nicht schnell genug enden. Die umfangreichen Optionen zur Gestaltung des Protagonisten sind leider nur rein optisch, hier wurde also Potenzial für passive oder aktive Buffs liegengelassen. Das Vervollständigen des Pokédex und der Aufstieg in der Forschungstrupp-Rangfolge werden im späteren Spiel immer mehr zu Fleißaufgaben. Und so unterhaltsam das Gameplay auch sein mag, kann es einige Spieler sicher nicht über fünf Gebiete bzw. 30 Stunden lang unterhalten, ohne dabei großartig neue Features einzuführen. Außerdem ist es schade, dass sich einige Pokémon in den Gebieten öfter wiederholen, weil der Erkundung damit ein aufregender Aspekt genommen wird.

Pokémon Legenden: Arceus ist also eine gelungene Neuausrichtung des Franchises mit einem süchtigmachenden Gameplay-Mix - aufgrund einiger Schwächen besteht aber bei hoffentlich kommenden Ablegern definitiv Verbesserungsbedarf.

Unsere Wertung:
8.0
Nico Zurheide meint: "Open World und Pokémon passen perfekt zusammen - bei einer solchen Neuausrichtung entstehen aber zwangsläufig einige Fehler."
Pokémon Legenden: Arceus von Game Freak erscheint für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Nintendo zur Verfügung gestellt.
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5 Kommentare:
Terry)
Terry
Am 21.02.2022 um 10:57
Sehr schöner Test, Nico!
Denios)
Denios
Am 21.02.2022 um 11:45
Nice, werde ich in Bälde auch mal angehen
RickGrimes)
RickGrimes
Am 21.02.2022 um 18:44
Ich nenne das Spiel immer Pokémon lila edition. Wers gespielt hat, wird vermutlich wissen warum. Hat ne Menge Spaß gemacht und mich mehr an Monster Hunter Stories 2 erinnert als an Zelda. Open World ist aber für mich jetzt nicht ganz der passende Begriff. Mit der Wertung gehe ich fast mit, würde Allerdings aufgrund der Technik, der Story und den etwas verschenkten Potenzial ne halbe Note abziehen.
michi1894)
michi1894
Am 21.02.2022 um 19:33
Danke, Nico, für den Test. Dieser spiegelt genau das wieder, was das Spiel wirklich hergibt. Keine überhypte 10er-Wertung aber auch kein frustrierte "ich-bin-nicht-das-schönste-Spiel-der-Welt"-Verriss.
Tobsen)
Tobsen
Am 21.02.2022 um 22:25
Sehr schöner Test und richtig gut nachvollziehbare Wertung.
Ich werde es irgendwann wegen des Hokkaido-Settings holen, aber finde es einfach schade, dass man storymäßig da so gar nichts auf die Kette zu kriegen scheint. Ich checke das gar nicht: Japan ist voller Leute, die wirklich herausragende Romane, Fan Fiction und andere JRPG-Storys schreiben. Verrückte Idee: Warum heuert GF nicht einfach Mal so jemanden an? Man möchte halt heulen.