#Herzhaft: Die Renaissance der Horrorspiele
Für gewöhnlich nutzen wir unsere Herzhaft-Serie, um einzelne Spiel ins Rampenlicht zu rücken; Spiele, die uns aus irgendeinem Grund besonders in der Erinnerung und im Herzen geblieben sind. Ich möchte heute aber die Gelegenheit nutzen, um die Entwicklung eines ganzen Genres zu loben: Horrorspiele.
Bereits seit Mitte der 90er-Jahre darf ich mich mehr oder weniger einen Gamer nennen und so habe ich natürlich einige Konsolengenerationen miterlebt. Jede Generation wurde dabei von anderen Titeln dominiert. Die 2D-Zeit war die Ära der Jump’n‘Runs. Danach wurden Rennspiele und Action-Adventures beliebter, während am PC die Blütezeit der Strategiespiele begann. Zur Zeit der Xbox 360 und PS3 von etwa 2005 bis 2013 waren Shooter erfolgreicher als jemals zuvor, während auf der Wii die sogenannten „Casual-Spiele“ viel Einfluss auf den Markt hatten. Das Portfolio der letzten Konsolengeneration war meiner Meinung nach breit gefächert, aber sah ungeachtet dessen eine wahre Renaissance der Horrorspiele.
Die erste Welle guter Horror- und Gruselspiele gab es während der PS2- und Gamecube-Ära. Noch relativ frische Serien wie Silent Hill oder Resident Evil wurden auf ein neues Level gehoben, während Titel wie Project Zero, Haunting Ground, Forbidden Siren, Eternal Darkness, Rule of Rose oder Obscure erstmals das Licht der Welt erblickten. Dann herrschte in dem Genre aber mehr oder weniger Ebbe. Die Silent-Hill-Serie wurde an neue Entwickler übergeben und konnte fortan nie wieder das Niveau der ersten drei Teile erreichen, Resident Evil wurde actionlastiger und wandte sich zunehmend von den eigenen Wurzeln ab. Dead Space begann stark, schlug dann allerdings denselben Weg ein wie Resident Evil – vermutlich motiviert vom gigantischen Erfolg von Call of Duty und der Gier der Entscheidungsträger bei EA. Wirklich gruselige, atmosphärische Spiele wie Remedys Alan Wake oder Playdeads 2D-Meisterwerk Limbo gab es nur noch selten. Das sollte sich aber in der darauffolgenden Konsolengeneration wieder ändern.
Mit jedem Blick in mein Spieleregal fällt mir immer wieder aufs Neue auf, wie viele wirklich gute Horrorspiele die letzte Konsolengeneration hervorgebracht hat. Ich oute mich – an dieser Stelle sicher wenig überraschend – als Fan solcher Titel. Ich mag gruselige Games mit einem Fokus auf Story und Atmosphäre, und davon gab es in den letzten Jahren wunderbar viele. Alte Gemäuer, übernatürliche Wesen, eine zum schneiden dicke Atmosphäre, spannende und/oder mysteriöse Geschichten – das ist genau mein Ding. Die eher Splatter-lastigen Spiele, die mit viel Blut und Brutalität punkten wollen, interessieren mich in der Regel weniger, aber auch die möchte ich hier nicht ausklammern. Horror ist nicht gleich Horror und Geschmäcker sind bekanntlich unterschiedlich. So oder so war und ist die Auswahl überraschend groß.
Da wären natürlich die allgemein bekannten Genre-Vertreter wie The Last of Us Remastered und The Last of Us Part 2, Days Gone, Dying Light, Dead Rising 3 und 4, The Evil Within 1 und 2, Resident Evil 7 und die Neuauflagen des zweiten und dritten Resident-Evil-Teils, die allesamt trotz Zombi-Apokalypse auch problemlos als Action-Adventures durchgewunken werden können. Auch A Plague Tale: Innocence könnte man hier mit seinen düsteren Rattenschwärmen und Alptraum-Szenen dazuzählen. Ähnliches gilt für die Lovecraft-inspirierten Adventures Call of Cuthulhu und The Sinking City. Daneben finden wir aber noch eine Vielzahl storylastiger (und dafür eher gameplay-arme) Titel wie Until Dawn, The Dark Pictures Anthology: Man of Medan oder diverse Ableger der Walking-Dead-Serie, die sich häufig durch multiple Enden auszeichnen. Bloober Teams Spiele wie Observer, Blair Witch und Layers of Fear schlagen in eine ähnliche Kerbe ein, gehen aber noch einen Schritt weiter und sind im Prinzip Walking-Sims mit Horror-Thematik und beeindruckenden visuellen Effekten. Spiele wie Outlast 1 und 2, Alien: Isolation, Amnesia: Rebirth, Soma, Home Sweet Home oder Maid of Sker sind Survival-Spiele, bei denen Terror und Hilflosigkeit mindestens genauso wichtig sind wie Horror. Sogar im Platformer-Bereich finden wir gruselige Games wie Little Nightmares 1 und 2.
Was haben all diese Spiele gemeinsam? Sie sind richtig gut. Manche natürlich mehr als andere, aber es sind zumindest keine absoluten Nieten dabei. Letztere finden wir selbstredend ebenfalls: Spiele wie Agony, Those Who Remain oder das Bug-Fest Remothered: Broken Porcellain locken keinen Gamer hinter dem Ofen hervor – aber das sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen: Seit Beginn der 8. Konsolengeneration kommen immer mehr qualitativ hochwertige Horrorspiele auf den Markt – ein Trend, der sich auch in der 9. Generation fortzuführen scheint (Resident Evil Village und The Medium lassen grüßen).
Woran liegt das? Da wäre natürlich die simple Tatsache, dass Horrorspiele viel mehr noch als Titel anderer Genres eine ordentliche Technik benötigen. Viel zu lange konnten Konsolen den Ambitionen und Vorstellungen der Entwickler einfach nicht gerecht werden. Starkes Gameplay spielt in Horrorspielen häufig eine untergeordnete Rolle. Stattdessen sind es grafische Spielereien, die neben einem gelungenen Soundtrack Angst und Schrecken erzeugen müssen. Seien wir ehrlich: Der erste Resident-Evil-Teil war anno 1996 kein bisschen gruselig. Das Spiel war zweifelsohne spaßig, aber angsteinflößend? Die Pixel-Zombies sahen aus, als hätte Dr. Frankenstein unheilige Experimente in einem Minecraft-Labor durchgeführt und die Sprachausgabe wird noch heute gerne als Negativbeispiel für Synchronsprecher verwendet. Auf die Technik des bereits vier Jahre früher veröffentlichten Alone in the Dark möchte ich gar nicht erst eingehen, und auch spätere Titel auf dem GameCube und der PlayStation 2 mussten ihre gruselige Atmosphäre häufig mit unheimlichen Geräuschkulissen oder dem übermäßigen Gebrauch von Nebeleffekten und Dunkelheit zum Kaschieren technischer Limitierungen aufbauen. Ein Lösungsansatz waren vorgerenderte Hintergründe und feste Kameraperspektiven, wie sie im Resident-Evil-Remake von 2002 Verwendung fanden, aber solche Spiele hatten ihre ganz eigenen Probleme.
Erst seit einigen Jahren ist es vor allem auch für kleinere Studios möglich, atmosphärisch beeindruckende Spiele herzustellen, ohne dabei auf eine stilisierte Grafik setzen zu müssen. Titeln wie Little Nightmares, Maid of Sker, Amnesia: Rebirth oder Home Sweet Home sieht man nicht an, dass sie von Indie-Entwicklern kommen. Nicht nur große Studios erschaffen heute vollkommen dreidimensionale Welten, die in Sachen Detailgrad und Atmosphäre häufig mit den vorgerenderten Hintergründen von anno dazumal mithalten können, ohne dabei auf eine bessere Steuerung oder Kamera verzichten zu müssen. Der Wald in Blair Witch ist tatsächlich ein Wald mit einzelnen Bäumen und dichtem Gestrüpp, statt einer Wald-Textur auf einer mehr oder weniger glatten Mauer. Das heruntergekommene Hotel in Maid of Sker strotzt ebenso vor Details wie das vergammelte Anwesen der Baker Familie in Resident Evil 7 oder die düsteren Höhlen und Katakomben in Amnesia: Rebirth.
Darüber hinaus hat sich das Publikum für Horrorspiele massiv erweitert. Keiner käme auf die Idee Resident Evil oder The Last of Us als Nischentitel abzustempeln. Während die ersten Horrorspiele einen noch relativ kleinen Bereich des Videospielmarktes bedienten, richten sich ähnliche Spiele heute an ein Millionenpublikum. Little Nightmares 2 hat sich in nur einem Monat mehr als eine Million Mal verkauft. Resident Evil Village wanderte satte 3 Million Mal über echte oder virtuelle Ladentheken – in nur vier Tagen. Horrorspiele waren in den 90er-Jahren nur für einen Nischenmarkt, heute sind sie Mainstream-Produkte. Oder anders formuliert: Horrorspiele sind viel profitabler geworden.
Vor allem Letzteres kommt mir natürlich gelegen. Solange sich die Entwicklung solcher Spiele für die Publisher lohnt, darf ich mich auf weitere gruselige Abenteuer freuen und damit beende ich diesen kurzen Artikel auch. Als ich mit dem Schreiben dieses Textes begann, wollte ich nicht groß analysieren. Ich wollte lediglich meine Freude über bestimmte Entwicklungen zum Ausdruck bringen. Als Redakteur kritisiere ich viel. Heute möchte ich loben, und in dem Sinne: Ein Hoch auf Zombies, Vampire und Werwölfe, leichenblasse Mädchen in Nachthemden, verrückte alte Spinner, verwunschene Herrenhäuser und neblige Wälder. Möge die Renaissance der Horrorspiele kein zu schnelles Ende finden.
Cheers!