#Herzhaft: BioShock
Vorweg: Dieser Text enthält SPOILER !!!!
Ich mag gute Geschichten. Egal, ob in Büchern, Filmen oder Videospielen - eine gute Story kann mich dazu motivieren, Stunden über Stunden lesend, glotzend oder eben spielend auf der bequemen Wohnzimmercouch zu verbringen.
Faszinierende Bücher gibt es zuhauf. Natürlich, denn sie sind praktisch nichts weiter als Geschichten in gedruckter Form. Bei Filmen ist das anders. Es gibt viele Blockbuster, die ihrem Publikum keine komplexe Erzählung bieten können, aber stattdessen mit coolen Effekten, Actionszenen oder anderen Elementen punkten. Und Videospiele? Hier rückt die Geschichte noch weiter in den Hintergrund. Es gibt Spiele, die nicht einmal im Ansatz über eine Geschichte verfügen und dennoch ein Millionenpublikum begeistern. Tetris oder ähnliche Puzzlespiele sind hier gute Beispiele. Aber natürlich gibt es dennoch Games, die durch super geschriebene, einfallsreiche Geschichten bestechen. Viele sogar. Seit einigen Tagen zocke ich Detroit: Become Human und finde die mehrgleisige Erzählung rund um das „Leben“ dreier Androiden völlig faszinierend. Zuvor habe ich, bereits zum zweiten Mal, einige Stunden mit Telltale Games‘ The Wolf Among Us verbracht. Auch hier konnte mich die märchenhafte Geschichte begeistern. The Vanishing of Ethan Carter, Firewatch, Life is Strange, What Remains of Edith Finch… Es gibt viele weitere Beispiele erzählerisch überragender Spiele, aber eine Sache haben diese Titel leider viel zu häufig gemein: Spielerisch sind sie eher… nunja… meh. Nicht zwangsläufig schlecht, aber auch alles andere als überragend. Die Charaktere steuern sich träge, das Gameplay setzt übertrieben häufig auf sogenannte Quicktime-Events. Es ist während dem Spielen jederzeit klar, dass spielerische Elemente bei der Entwicklung eine untergeordnete Rolle einnahmen. Nicht zuletzt sind einige dieser Spiele deshalb auch als „Walking Simulators“ verschrien - eine Bezeichnung, die langweiliges Gameplay mehr als nur suggeriert.
Spiele, die sowohl erzählerisch als auch spielerisch überzeugen können, finden Gamer nicht häufig, aber wenn, dann zumeist im Genre der Rollenspiele. CD Project Reds episches Fantasy-Meisterwerk The Witcher 3: Wild Hunt konnte 2015 unzählige Spieler nicht nur aufgrund der offenen, lebendigen Welt in seinen Bann ziehen. Selbiges galt zwei Jahre später auch für Guerrilla Games' Horizon Zero Dawn. Meine Abneigung gegenüber JRPGs hält mich nicht davon ab zu bemerken, dass auch viele japanische Rollenspiele erzählerisch durchaus etwas auf dem Kasten haben.
Bücher und Filme, Walking-Sims und Rollenspiele - alles schön und gut. Aber was ist mit Shootern? Hin und wieder brauche ich Spiele, in denen es ordentlich kracht; aber lassen sich solche Titel mit guten Geschichten kombinieren? Ein Shooter muss schnell sein, eine präzise Steuerung bieten und unzählige Gegner zum Niedermetzeln vorweisen können. Die Geschichte ist in einem Ballerspiel nebensächlich und lässt sich nicht selten mit „Gute Jungs kämpfen gegen böse Jungs“ zusammenfassen. Überraschende Storywendungen, philosophische Fragen, facettenreiche, mehrschichtige Charaktere - solche Dinge erwartet man von Shootern in der Regel nicht. Gameplay ist hier Trumpf, eine gute Story eigentlich überflüssig. Umso schöner ist es, dass zwei meiner absoluten Lieblingstitel obgleich der Tatsache, dass sie rasante Shooter sind, nicht nur spielerisch, sondern auch erzählerisch zu überzeugen wissen. Aber nicht nur deswegen haben sie sich meiner Meinug nach diesen Herzhaft-Artikel verdient.
Ein atmosphärisches Meisterwerk
Wer Bioshock - egal ob den ersten oder den dritten Teil der Trilogie (den zweiten Teil muss ich hier leider ausklammern) - zum ersten Mal spielt, dem wird innerhalb von Sekunden klar: Ken Levines Serie ist nicht wie andere Shooter. Sie ist einzigartig. Ob Rapture oder Columbia, ob tief unter dem Meeresspiegel oder hoch über den Wolken - die bizarren Schauplätze Bioshocks sind atmosphärisch überragend und ziehen den Spieler tief in ihren Bann.
Im ersten Teil stürzt ein Flugzeug über dem Atlantik ab und nur ein einziger Passagier überlebt. Der Spieler wird auf offener See von einer Mauer aus Flammen und den qualmenden Überresten des Flugzeugs in eine bestimmte, zunächst willkürlich erscheinende Richtung gelenkt. Er sieht einen Leuchtturm, der völlig verlassen aus dem Wasser ragt und begibt sich mangels Alternativen dorthin. Eine Treppe führt in die düstere Tiefe, hinein in ein U-Boot, das zuerst gar nicht als solches zu erkennen ist. Dort zeigt ein Projektor dem namenlosen Hauptprotagonisten und somit uns einen kurzen Film.
„Is a man not entitled to the sweat of his brow?“ fragt die Stimme des exzentrischen Andrew Ryan im Film und antwortet gleich: „'No!' says the man in Washington, 'It belongs to the poor.' 'No!' says the man in the Vatican, 'It belongs to God.' 'No!' says the man in Moscow, 'It belongs to everyone.' I rejected those answers; instead, I chose something different. I chose the impossible. I chose... Rapture.“
Die Projektionsfläche hebt sich und gibt so den Blick auf ein Fenster frei. Hinter der Glasscheibe wartet Rapture, eine Steampunk-Stadt viele Meilen unter der See. Im dritten Teil heißt die Stadt nicht Rapture, sondern Columbia. Wolken ersetzen dort die Wassermassen, einen Leuchtturm gibt es dennoch. Streng genommen sogar mehrere. Unendlich viele.
Rapture ist die Stadt Andrew Ryans, eines mehr oder minder verrückten Milliardärs, der den begabtesten Künstlern und größten Wissenschaftlern einen Ort bieten wollte, wo diese ihre Ideen unabhängig von den limitierenden Regelungen unterschiedlicher Regierungen oder den moralischen Doktrin der Religionen umsetzen konnten.
Als der Spieler Rapture erreicht, ist die Stadt jedoch bereits halb zerfallen. Die Bewohner haben sich zu viel ADAM, eine seltsame Droge, die übermenschliche Kräfte verleiht, in die Adern gespritzt. Viele wurden davon süchtig - ein fataler Fehler, denn wer sich kein ADAM mehr leisten kann, wird von den Entzugserscheinungen wahnsinnig. Als sogenannte Splicer wandeln die Abhängigen dann durch die Stadt, stets auf der Suche nach mehr ADAM, das zunächst aus den Stammzellen von Seeschnecken gewonnen wurde, später aber irrsinniger Weise in den Mägen von kleinen Mädchen - den berühmt berüchtigten Little Sisters - gezüchtet wurde.
Wer Bioshock noch nie gespielt hat (gibt es solche Leute?) sollte anhand dieser kurzen Zusammenfassung bereits erkannt haben, dass die Geschichte ziemlich abgedreht ist, aber wirklich einzigartig wird das Spiel erst durch das Zusammenspiel von Geschichte und Gameplay. In Videospielen gibt es meist keine echte Handlungsfreiheit. Selbst in Titeln wie Detroit Become Human, die Spielern in jeder Situation mehrere Handlungsoptionen bieten, gibt es hier nie eine wirkliche Freiheit. Statt nur einer Option A, bietet uns das Spiel höchstens noch eine zusätzliche Option B, C oder D. Alle möglichen Aktionen werden vom Spiel vorgegeben. Eine Aktion führt zwangsläufig zur nächsten. Wenn mich ein NPC in einem Videospiel bittet, etwas zu tun, komme ich meist nicht umher dieser Bitte zu folgen, wenn ich die Handlung des Spiels vorantreiben möchte. Bioshock macht genau diese fehlende Handlungsfreiheit zu einem zentralen Element der Geschichte. Diese Eigenheit aller Videospiele wird ausgenutzt und dem Spieler zum Ende des Spiels hin mit überraschender Effektivität vor die Nase gehalten.
Tu, was du nicht lassen kannst
Ein Mann namens Frank Fontaine stellt sich dem Spieler in Bioshock bereits früh unter dem Pseudonym Atlas vor. Er hält im Laufe des Spiels über ein Funkgerät ständig Kontakt zu unserem Charakter. Er ist stets freundlich, lenkt uns durch Rapture, scheint uns helfen zu wollen. Seine Bitten beginnt er immer mit denselben Worten: „Would you kindly...“ (zu Deutsch: „Wärst du so freundlich...“).
Als Spieler folgen wir gerne seinen Anweisungen. Er kennt sich in Rapture aus, wir nicht. Er braucht unsere Hilfe so sehr wie wir seine. Außerdem liegt es natürlich in unserem Interesse die Geschichte des Spiels voranzutreiben, um mehr von der Stadt zu entdecken und mit mehr ADAM immer mächtiger zu werden. Tatsächlich ist „Would you kindly...“ allerdings nicht einfach nur eine höfliche Formulierung. Es ist eine Phrase, die lange vor Beginn des Spiels mit Hilfe eines Wissenschaftlers, der sich auf Gehirnwäsche spezialisiert hat, in unser Unterbewusstsein gesetzt wurde. Wenn unser Charakter diese Worte hört, kann er nichts anderes tun, als der jeweiligen Bitte zu folgen. Spätere Flashbacks machen klar, dass unser Charakter auch für den Flugzeugabsturz am Anfang des Spiels verantwortlich ist. Fontaine hat dies vor langer Zeit schon eingefädelt, mit dem ultimativen Ziel seinen Feind Ryan zu töten - mit Hilfe unseres nichtsahnenden Charakters.
Ich komme nicht umher zu schmunzeln, während ich diese Zeilen tippe. Die Entwickler spielen hier mit der mangelnden Handlungsfreiheit des Mediums Videospiele, nutzen diese für ihre eigene Geschichte. Und Bioshock spielt sich zudem auch noch schnell und schnörkellos und sieht selbst heute noch exzellent aus. Grafik, Gameplay und Story; kaum ein anderes Spiel kombiniert diese Elemente so effektiv miteinander. Der erste Teil der Trilogie wurde meiner Meinung nach nicht zu unrecht mit Auszeichnungen überhäuft.
Der dritte Teil - Bioshock Infinite - greift das Thema Handlungsfreiheit noch einmal auf, erweitert es jedoch um einige weitere Elemente. Ich möchte nicht noch ein zweites Spiel spoilern, aber doch zumindest sagen: Infinite zeigt auf, dass manchmal, egal was wir tun, unser Schicksal vordefiniert ist.
Wer Bioshock und Bioshock Infinite noch nie gespielt hat und grundsätzlich etwas mit Shootern anfangen kann, der sollte diese Meilensteine der Videospielgeschichte unbedingt nachholen. Und an Sie, Herr Levine: Chapeau!
Einen vergleichbaren Mix aus guter Story und anspruchsvollem Gameplay innerhalb des Genres bietet mMn Wolfenstein The New Colossus, auch wenn ich BioShock natürlich insgesamt stärker einschätze.
Generell würde ich aber auch sagen, die hier angesprochene Thematik der Story ist bei Bioshock eher das besondere, weil moderne Shooter generell schon eine Story erzählen, also müsstest du mir erst einmal einen zeigen der keine hat. Also jetzt abseits der auf den Multiplayer-Fokussierten.
Und was die ganze Herangehensweise an dieses #Herzhaft angeht: Klar findet man in Rollenspielen und Walking-Sims eigentlich fast immer eine Story, bei diesen Spielen sind die Storys halt (ein) zentrales Spielelement. Dennoch finde ich jetzt nicht, dass Bioshock ein einziges Beispiel auf weitem Flur der Story-armen Tetris verschnitte ist. Ich meine hier gibt es genug die ein The Last of Us feiern (obwohl ich Uncharted 2 ja als bestes Werk von Naughty Dog betrachte) und gegen Deus Ex: Human Revolution - Director's Cut stinkt eh alles ab, nur um mal Beispiele zu nennen.