Test

Onrush

Von Andreas Held am 26.06.2018

Ziellinien waren gestern

Onrush führt uns nach dem ersten Spielstart mit einem interaktiven Tutorial an sein ungewohntes Spielkonzept heran, das sich wie folgt gestaltet: Als Teil eines aus sechs Fahrzeugen bestehenden Teams treten wir gegen ein anderes Team an. Dazu fahren wir zwar im Kreis auf einer Offroad-Strecke entlang, unsere Position ist dem Spiel jedoch egal, in Führung zu liegen kann manchmal sogar hinderlich sein. Stattdessen sollen wir einfach nur unsere Boost-Leiste auffüllen, indem wir langsam fahrende „Fodder Vehicles“ von der Strecke rammen oder große Sprünge absolvieren. Haben wir genug Boost gesammelt und wieder verbraucht, dürfen wir den titelgebenden Rush-Modus einschalten, der unseren Offroader noch etwas stärker beschleunigt als der normale Boost. Und natürlich dürfen wir nebenbei auch versuchen, Fahrzeuge des gegnerischen Teams von der Strecke zu rammen und sie somit zu einer etwa zehn Sekunden langen Auszeit zu verdonnern. Das ist nie von Nachteil: Schließlich kann ein Gegner, der nicht auf der Strecke ist, sein Team in dieser Zeit auch nicht unterstützen.

Wie wir unsere Spielaktionen zu Punkten machen, hängt vom gespielten Modus ab. In „Overdrive“ müssen wir einfach nur unseren Boost einsetzen, um Punkte für unsere Gruppe zu sammeln - das erste Team mit einem hinreichend gefüllten Konto gewinnt die aktuelle Runde. Im Checkpoint-Modus müssen wir Tore durchfahren, um wertvolle Sekunden auf das Zeitlimit zu addieren, das für unser gesamtes Team heruntertickt. In der Disziplin „Switch“ starten wir auf einem Motorrad und müssen nach jedem Crash auf ein schwereres Fahrzeug wechseln, bis wir irgendwann in einem Truck herumfahren - das ist erst einmal von Vorteil, aber die erste Mannschaft, die nur noch mit Trucks unterwegs ist, verliert. Im letzten Spielmodus, „Lockdown“, müssen wir einer der Strecke entlangfliegenden Zone hinterherjagen - befinden sich fünf Sekunden lang mehr Fahrzeuge unseres Teams als gegnerische Boliden in der Zone, geht die Runde an uns.

Bevor wir an den Rennen teilnehmen, wählen wir im Optionsmenü einen von zwölf Rennfahrern und vor jedem Rennen eines von acht Fahrzeugen. Die spielbaren Charaktere sind leider so detailarm gestaltet, dass wir sie häufig nicht einmal in Männlein oder Weiblein einteilen können. Einige der Figuren haben noch nicht einmal ein Gesicht, weil sie grundsätzlich einen Helm tragen. Wiedererkennungswert sieht anders aus - was Overwatch recht eindrucksvoll demonstriert. Die Fahrzeuge sind da schon etwas abwechslungsreicher und stellen uns vor die Wahl aus jeweils zwei Motorrädern, Buggys, Geländewagen und Trucks. Jeder dieser Boliden hat drei verschiedene Spezialfähigkeiten: Manche sind auf Support ausgelegt und verteilen Boost-Pickups oder Schilde an Kollegen, während offensive Boliden uns zusätzliche Möglichkeiten geben, um Gegner über den Haufen zu fahren. Ähnlich wie in Overwatch dürfen wir nach jedem Crash ein neues Fahrzeug wählen, um auf die aktuelle Spielsituation zu reagieren.

Alle für einen, einer für... ein Sechstel?

Bei so viel Teamplay stellt sich natürlich die Frage, wie stark ein einzelner Mitspieler das Ergebnis einer Spielrunde mit seiner spielerischen Leistung überhaupt beeinflussen kann. Vor allem im Einzelspieler-Modus könnte man theoretisch einfach das Gamepad beiseite legen und darauf hoffen, dass die von der K.I. gesteuerten Helfer das schon für einen wuppen. Dieses Problem hat offenbar auch das aus ehemaligen Driveclub-Entwicklern bestehende Entwicklerstudio hinter Onrush erkannt. Folglich steckt uns der Karriere-Modus für jedes Match eine Reihe von Zielen, die wir nur mit eigenem Zutun erfüllen können. Diese optionalen Aufgaben bringen uns zum Teil auch die speziellen Fähigkeiten der acht verschiedenen Fahrzeuge nahe.

Trotz aller guten Ansätze bietet das Spieldesign von Onrush viel Angriffsfläche für Kritik. Denn insgesamt ist der Glücksfaktor auch im Einzelspielermodus immer noch zu hoch. Immer wieder kommen wir in Situationen, in denen wir auch mit einer perfekten Spielweise keine Chance gehabt hätten - beim nächsten Versuch dürfen wir dann trotz einer extrem schlechten Einzelleistung ein von den K.I.-Kollegen getragenes Match gewinnen. Die ständigen Zwangspausen nach Crashes stören vehement den Spielfluss, was besonders dann ärgerlich ist, wenn wir ohne Gegenwehr von einem Gegner ausgeschaltet werden - weil dieser etwa im Rush-Modus von hinten heranrauscht oder im Landebereich einer Absprungrampe auf unser Dach fliegt. Das fällt vor allem im Online-Modus auf, wo ein Großteil der Spieler die Nuancen der einzelnen Spielmodi ignoriert und nur versucht, Fahrer des gegnerischen Teams durch Ramm-Attacken aus dem Spiel zu nehmen. Ansonsten gibt es zum Online-Modus übrigens noch nichts zu sagen, da der Ranked-Modus auch mehrere Tage nach dem Release des fertigen Spiels noch mit „Coming Soon“ markiert ist.

Durchschnittliche Präsentation

Die Einzelspieler-Kampagne ist in unter zehn Stunden durchgespielt - vielleicht noch etwas mehr, wenn wir alle optionalen Ziele erfüllen wollen. Für Langzeitmotivation sollen kosmetische Items sorgen, die unter anderem über Lootboxen verteilt werden (Mikrotransaktionen gibt es in Onrush bisher keine). Das Sammeln neuer Outfits für die blassen Charaktere ist leider nicht sehr motivierend - zumal diese ausschließlich aus alternativen Texturen für die festgelegte Standard-Kleidung bestehen. Etwas mehr Mühe gegeben haben sich die Entwickler bei der Gestaltung der Fahrzeuge, für die nicht nur etliche Lackierungen, sondern auch mehrere verschiedene Karosserien zur Verfügung stehen.

Das Streckendesign ist eher matt und farblos - nur ab und zu bieten knallbunte Graffitis und Ölpfützen einen starken Kontrast zur sonstigen graubraunen Tristesse. Diese ist besonders bei Nacht hinderlich, da die grauen bis dunkelbraunen Landschaften sich kaum vom schwarzen Nachthimmel abheben und es somit sehr schwer fällt, Hindernisse vor dem Zusammenstoß überhaupt zu erkennen. Auch der sehr Dubstep-lastige Soundtrack dürfte nicht jedermanns Geschmack sein. Vor Spielabstürzen sind wir in Onrush ebenfalls nicht sicher - während unseres Tests verabschiedete sich das Spiel während eines laufenden Rennens und wir fanden uns unverhofft im Dashboard der PlayStation 4 wieder.

Fazit:

Onrush setzt voll auf die Twitch-Generation und ist vollgepumpt mit Elementen aus sozialen Netzwerken und der eSports-Szene. Als vergleichsweise alter Hase erlebte ich nach dem Spielstart also erst mal einen ziemlichen Kulturschock, wurde nach einer kurzen Eingewöhnungsphase aber insgesamt sehr gut unterhalten. Das Team hinter Paul Rustchynsky, der zuvor bei Motorstorm und Driveclub tätig war, hat für Onrush ein völlig neues Spielkonzept entwickelt und dieses nicht nur zu Ende gedacht, sondern gleich in Form von vier grundverschiedenen Spielmodi verewigt. Obwohl der Titel natürlich in erster Linie für Online-Duelle zwischen aus menschlichen Spielern bestehenden Teams konzipiert ist, können auch Solisten an der Einzelspieler-Kampagne mit ihren knackigen Zusatzherausforderungen Gefallen finden. Dass sich Onrush tatsächlich neben Overwatch oder Rocket League als die nächste große eSports-Sensation etablieren kann, ist aber nahezu ausgeschlossen. Das zu stark vom Glück abhängige Gameplay, das kaum Möglichkeiten für spielentscheidende Einzelleistungen bietet, hat einfach nicht das Zeug zum Dauerbrenner. Aspekte wie das sehr schlechte Charakterdesign und der unfertige Zustand des Spiels, der sich durch einen noch nicht freigeschalteten Ranked-Modus oder Spielabstürze bemerkbar macht, könnten zudem einige Interessenten wieder vergraulen. Wer diese Schwächen ignorieren kann, bekommt mit Onrush einen durchweg unterhaltsamen und innovativen Arcade-Racer.

Von uns getestet: PlayStation-4-Version

Unsere Wertung:
7.5
Andreas Held meint: "Onrush ist aufgrund seines wirklich neuartigen und solide umgesezten Spielkonzepts definitiv einen Blick wert."
Onrush erscheint für PC und PlayStation 4 und XBox One. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
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1 Kommentar:
Nintendofan)
Nintendofan
Am 28.06.2018 um 11:38
Der Trailer erinnert mich an Excite Truck für die Wii. Da hatte ich damals echt Spaß mit.