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„Preis pro Stunde“ - Sinn oder Unsinn?

Von Andreas Held am 27.05.2018

Die Hintergründe

Green Man Gaming ist ein Online-Store für Videospiele. Schon seit 2017 zeigen die Spieleseiten einen Statistikbereich, in dem unter anderem die „Kosten pro Stunde“ aufgezeigt werden. Die Datengrundlage für diese Statistik holt sich GMG über die Steam-API: Wer seinen Steam-Account mit seinem Green-Man-Gaming-Account verknüpft, gibt GMG die Möglichkeit, seine Profildaten von Steam abzufragen. Dazu gehören unter anderem die gekauften Spiele und die mit jedem Spiel verbrachte Zeit. Green Man Gaming ermittelt mit diesen Daten die durchschnittliche Spielzeit, die jeder User in ein bestimmtes Spiel gesteckt hat, und teilt sie durch den aktuellen Verkaufspreis - das Ergebnis heißt „Average Cost per Hour“.

Obwohl sie seit einem halben Jahr existiert, erntet diese Statistik erst jetzt viel Kritik - unter anderem, weil der Publisher „No More Robots“ diese Praxis in einem Tweet als „massively dangerous“ bezeichnete. Schaut man sich das Steam-Profil des Publishers an, findet man dort aktuell genau ein Spiel: Die Downhill-Mountainbiking-Simulation „Descenders“, die zwar insgesamt sehr positiv bewertet wird, aber auch mit ein paar negativen Reviews zu kämpfen hat. Viele dieser Reviews beklagen das schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis des 23 Euro teuren Titels und vergleichen das Rennspiel mit Superflight, das ein ähnliches Spielkonzept für 2,99 Euro umsetzt. Kein Wunder also, dass sich No More Robots an einer „Kosten pro Stunde“-Berechnung stört. „Massiv gefährlich“ ist sie jedenfalls vor allem für den Geldbeutel des Publishers, da man auf Steam sein Geld zurückfordern darf.

Die Argumente der Kritiker

Auch in einigen Fachmagazinen findet man viel Kritik, die aber mit recht dünnen Argumenten unterlegt wird. Unter anderem wird der Hang zu Füllmaterial in Open-World-Spielen, den man vor allem von Ubisoft kennt, als eine negative Konsequenz dieser Mentalität angesehen. Damit dieses Argument Gültigkeit besitzt, müsste man aber erst mal nachweisen, dass diese aufgeblähten Weltkarten tatsächlich etwas objektiv schlechtes sind. Und das dürfte kaum möglich sein: Vielen Spielern macht es wirklich Spaß, dutzende Stunden in einer virtuellen Welt zu verbringen, selbst wenn das Gameplay in dieser Zeit unter einigen Längen leidet. Und wer einfach nur die Story durchspielen und eine kompakte, wenig zeitintensive Spielerfahrung genießen will, wird durch die optionalen Nebenaufgaben in der Regel nicht daran gehindert.

Andere argumentieren, eine derartige vorgekaute Statistik würde die User vom eigenständigen Denken abhalten. Ironischerweise sind es aber genau solche Schlagzeilen wie „Kosten pro Stunde ist eine schreckliche Art, ein Spiel zu bewerten“ (gefunden auf Motherboard.com), die Kunden das selbstständige Denken verbieten wollen - indem sie ihren Lesern vorschreiben möchten, welche Kriterien zur Bewertung eines Spiels akzeptabel sind und welche nicht. Derselbe Artikel führt auch Kunden anderer Medien als Beispiel an, um Videospieler von ihrem angeblichen Falschdenken abzubringen: Bei Kinofilmen würde sich ja auch niemand für die Laufzeit interessieren. Das ist sogar faktisch falsch - viele Kinos in meiner Umgebung haben z.B. für Der Herr der Ringe einen Überlänge-Aufschlag berechnet. Noch eindeutiger ist es bei musikalischen Medien: Singles kosten fünf Euro, EPs etwa zehn Euro und Alben 15 bis 20 Euro. Je weniger Musik man für sein Geld bekommt, desto weniger kostet die Scheibe - das erscheint ja auch absolut logisch.

Kurze Spiele für viel Geld

Gerade für Schüler und Studenten, die nur begrenzt viel Geld zur Verfügung haben und viel Freizeit damit ausfüllen möchten, ist eine derartige Statistik in vielen Fällen nützlich. Auch mir selbst ist es schon passiert, dass ich ein interessantes Spiel aufgrund guter Reviews zum Vollpreis gekauft habe und dann bereits nach wenigen Stunden den Abspann vor Augen hatte. Shadow of Memories für die PlayStation 2 war beispielsweise ein solches Spiel. Mein Ärger darüber, dass in keinem der Reviews die geringe Spielzeit überhaupt angesprochen wurde, war entsprechend groß.

Zur Zeit scheint dieses Problem sogar noch verbreiteter zu sein - in Form eines Phänomens, das ich persönlich mit dem Begriff „Indie-Steuer“ getauft habe. Dieses betrifft eine Gruppe von Spielen, die sehr ähnliche Eigenschaften haben: Ihre audiovisuelle Gestaltung ist ein zentrales Verkaufsargument, sie sind spielerisch eher simpel gehalten, erzählen ihre Story nur in Form von doppeldeutigen Hinweisen, sind extrem kurz - und werden zu einem Preis verkauft, der in keinem Verhältnis zur gebotenen Spielzeit steht. Gone Home, Hellblade: Senua's Sacrifice, Journey oder The Witness sind solche Spiele. Genau diese Titel haben sich aber auch zu absoluten Lieblingen der Fachpresse entwickelt; die im Vergleich zum Verkaufspreis sehr kurze Spielzeit wird dabei oft nicht einmal erwähnt oder die schwammige Aussage, das Spiel sei „eher kurz“, nicht als Kritik gewertet. Kein Wunder also, dass dieselben Redakteure nun sehr scharf auf eine Statistik reagieren, die genau diese Spiele in den Augen vieler Kunden bloßstellt.

Damit stellt sich die Fachpresse jedoch gegen einen großen Teil der Spieler: Green Man Gaming antwortete auf Nachfragen, dass man das „Kosten pro Stunde“-Feature aufgrund von Forderungen aus der Community eingeführt habe. Spiele wie Journey oder Gone Home, die 90 Minuten Spielzeit für 15 Euro verkaufen ohne dafür kritisiert zu werden, sorgten für einigen Unmut - Green Man Gaming legt nun lediglich den Finger in die Wunde. Könnte man die Art und Weise verbessern, wie diese Statistik erhoben wird? Einfach die durchschnittliche Spielzeit aller Käufer heranzuziehen scheint keine sonderlich zuverlässige Methode zu sein, aber schaut man sich die tatsächlich berechneten Werte an, spiegeln diese doch recht akkurat die Realität wider. Ist die Statistik überhaupt sinnvoll? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Für die einen ist sie komplett irrelevant, für andere vielleicht der wichtigste Faktor bei einer Kaufentscheidung. Wer großen Wert darauf legt, für Kaufpreise jenseits der 15 Euro einen entsprechenden Gegenwert in Form einer gewissen Mindestspielzeit zu bekommen, muss sich jedenfalls bestimmt nicht für seine Einstellung schämen - schließlich dürfen wir in einer freien Marktwirtschaft alle selbst entscheiden, wie und warum wir unser Geld ausgeben.

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6 Kommentare:
Buttergebäck)
Buttergebäck
Am 27.05.2018 um 20:07
Kann beide Positionen gut verstehen. Ich denke aber, wir müssen uns damit abfinden dass in allen Bereichen des Lebens mehr und mehr Daten und Statistiken verfügbar werden, mit all den Chancen und Gefahren die das mit sich bringt. Letztlich hat jeder Bürger selbst die Verantwortung, seine eigene Mündigkeit wahrzunehmen und mit dieser Informationsfülle vernünftig unzugehen.

Der Preis-pro-Stunde-Statistik stehe ich trotzdem sehr skeptisch gegenüber. Videospiele sind keine Würste, die man nach Länge oder Gewicht bemessen kann. Ace-Attorney-Spiele sind z.B. gut in einer Woche durchzuspielen, aber danach bemessen, wie lange mir der Inhalt hinterher noch im Kopf herumgeistert und wie sehr mich der Gedanke an das Spielerlebnis auch heute noch berauscht, gehört jedes von ihnen zweifellos zu den "längsten" Spielen die ich je gespielt habe. Wenn man den Leuten also eine Preis-pro-Stunde-Statistik bereitstellt, müsste man diese wenigstens noch durch eine Preis-pro-Qualität-Statistik o.Ä. ergänzen. Das ist zwar subjektiv, aber wie lange man mit einem Spiel verbringt hängt ebenso vom Spieler ab. In der Form wie diese Statistik jetzt existiert setzt sie Entwicklern jedenfall völlig falsche Anreize, ihre Spiele auf Länge zu trimmen.
Enigma22)
Enigma22
Am 28.05.2018 um 11:20
Ich glaube kaum, dass diese immer noch nicht sehr wirkmächtige Statistik für Entwickler auch nur irgendeinen Anreiz für oder gegen ein Spieldesign darstellt.
Ken_Sugisaki)
Ken_Sugisaki
Am 27.05.2018 um 22:07
Sehr schöner Artikel zu einem äußerst interessanten Thema.

Die meisten Reviews geben ja einen guten Überblick ob man ein Spiel spielen wird/sollte oder nicht. Eine Preisempfehlung wird jedoch nicht gegeben. Deshalb nutze ich für einen ähnilchen Überblick Howlongtobeat, da dort die Spielzeiten mit meinen sehr genau übereinstimmten. Dadurch kann ich dann abschätzen, wie viel mir ein Spiel wert ist oder ab wann ich zuschlage.
Enigma22)
Enigma22
Am 28.05.2018 um 11:41
Das Argument der Mündigkeit ist das entscheidende. Die Statistik erhebt doch überhaupt nicht den Anspruch, Spiele in Gänze bewerten zu können. Ob und - wenn ja - bei welchen Spielen einem das Zeit-Kostenverhältnis wichtig ist, bleibt doch immer noch jedem selbst überlassen.

Ich verstehe auch nicht, wieso ein Großteil der Gamer-Community sich immer und immer wieder an Testergebnissen hochzieht. Bei Kinorezensionen ist vollkommen klar, dass es die subjektive Meinung des - im besten Fall erfahrenen - Kritikers/Feuilletonisten ist und niemand regt sich auf. Wenn bei Spieletests "Sound 7/10, Grafik 4/10" steht....was soll mir diese Scheinobjektivität sagen?

Vor diesem Hintergrund bietet eine solche Statistik dem Nutzer einen eindeutigen transparenten Gradmesser, dessen Nutzen er für sich selbst beurteilen kann.
TraxDave)
TraxDave
Am 30.05.2018 um 09:52
Den Preis pro Stunde direkt als Statistik zu veröffentlichen und dann noch als Durchschnitt von Steam-Usern errechnet...ist für mich nicht wirklich aussagekräftig. Hier weiß ich ganz genau, dass es erstens, ein gänzlich anderes Publikum ist, als ich und zweitens, viele Games auf Steam einfach gekauft werden, weil sie dir hinterher geschmissen werden, oder die User, genau dieses eine Spiel Tag für Tag für Tag spielen. Zumindest kommt das dann doch öfter vor.

Dass man die reine Spielzeit zum Durchspielen und womöglich noch die Komplettierungszeit dazu angibt finde ich wiederum gut, so wie es in einigen Reviews gemacht wird. Für mich ist es immer interessant zu erfahren, wie lange das Game dauert. Schon klar, bei Games wie Rocket League, LoL, DotA, CS, COD oder auch BF funktioniert das nicht wirklich. Und dafür sind auch die Statistiken wohl da. Ob die dann genau bei jenen Spielen allerdings nützlich sind, wage ich zu bezweifeln.
Asinned)
Asinned
Am 30.05.2018 um 19:17
Mir ist auch schon aufgefallen dass man in Reviews kaum mehr die Spieldauer lesen kann. Für Spiele die jetzt nicht Day1 gekauft werden, gibt es immerhin howlongtobeat was ich als Kaufinfo nehme.

Bei Preis/Stunde wäre auch interessant Microtransaction miteinzubeziehen.
Matthew1990)
Matthew1990
Am 01.06.2018 um 10:31
Ich finde auch, dass zumindest die Testzeit angegeben werden kann.
Ohne jetzt groß Werbung machen zu wollen, aber in den Nutzerstorys, die ich schrieb, habe ich immer die Stunden angegeben.
Finde ich persönlich auch gerade dafür wichtig, damit Leute auch ein ungefähren Blick sehen, was auf einem zukommt.
Matthew1990)
Matthew1990
Am 01.06.2018 um 10:28
Manche wissen ja, dass auch ich "Kosten pro Stunde" betrachte. Das ist auch völlig okay und spricht ehrlich gesagt nichts dagegen. Es gibt ja einem nur einen Mehrwert der Daten, z.B. Odyssey mit 50Std. und 60€ im Gegensatz zu Breath of the Wild mit 230 Std. und 120€ (Limited Edition + DLCs).
Nach der Berechnung hätte ich für Odyssey 1,12€/Std. und BotW 0,52€/Std. bezahlt.
Das sagt jetzt inhaltlich nichts aus außer, dass BotW entweder günstiger oder länger spielbar ist.
Ob das nun gut oder schlecht ist, sagt es nicht aus, aber genau dafür gibt es dann ja Reviews.
Solche Daten sind halt nicht aussagekräftig. Da kann ich als Beispiel DOOM und Splatoon 2 herziehen: DOOM hätte bei mir 2€/Std. während Splatoon 2 auf 0,07€/Std. runter rechnet. Beides sind Online-Shooter, aber ich hatte mich für Splatoon entschieden. Hätte ich eher DOOM online gespielt, wären die Werte wohl vertauscht.

Daher ist es nicht verkehrt, wenn man sich als zusätzlichen Faktor diese Daten dazu legt, man es aber nicht als Einzelwert stehen lassen darf, sondern immer mit Fließtext. Selbiges macht man ja bei einer ausführlichen Review zu einem Spiel auch: Endwertung + Erläuterung.