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#Herzhaft: Papers, Please!

Von Andreas Held am 17.01.2018

Ein Spiel wie kein anderes

Papers, Please! präsentiert sich, wie viele andere Indie-Spiele auch, als Ein-Mann-Projekt. Es stammt aus der Feder von Lucas Pope, der eigentlich einen Traumjob hatte: Er durfte bei Naughty Dog an Uncharted und seinem sehr erfolgreichen Nachfolger mitentwickeln. Doch nach zwei Spielen hatte Pope offenbar genug von der AAA-Industrie und wollte seine eigene Vision umsetzen. Warum er sich dafür selbstständig machen musste, wird schnell klar: Papers, Please! behandelt harte politische Themen und verfolgt ein überhaupt nicht massentaugliches Spieldesign, dem wohl kein Publisher-Gigant der Welt grünes Licht geben würde.

Ihr beginnt das Spiel im kommunistischen Arstotzka, dessen Regime euch samt Familie in die Grenzstadt Grestin zwangsversetzt hat. Dort arbeitet ihr von nun an als Inspektor, der den Grenzübergang überwachen und die Papiere der Einreisenden kontrollieren muss. Wenn sich Papers, Please! in irgendein existierendes Genre einreihen lassen müsste, könnte es im weitesten Sinne als Puzzle-Spiel durchgehen. In akribischer Arbeit müsst ihr die Dokumente aller Einreisenden überprüfen und dabei die fast täglich wechselnden, immer drakonischer werdenden Vorgaben des Ministeriums einhalten.

Effektives Spieldesign...

Das klingt alles erst einmal ziemlich langweilig und einfach. Schließlich müssen wir ja einfach nur jeden einzelnen Punkt der vorgelegten Papiere überprüfen und abhaken - oder? Tatsächlich gestaltet sich der Spielverlauf deutlich schwieriger. Das liegt zum einen am äußerst cleveren Spieldesign und den unzähligen Wegen, mit denen Papers, Please! versucht, ungültige Dokumente am Spieler vorbeizuschmuggeln. Zum anderen aber auch daran, dass wir - obwohl wir offensichtlich als Staatsbeamter arbeiten - strikt nach Leistung entlohnt werden. Die Regierung zahlt uns fünf Dollar pro Einreisendem, den wir korrekt abgefertigt haben.

Wenn ihr zu langsam arbeitet, reicht das Gehalt nicht zur Deckung des Lebensunterhalts. Jeden Abend müssen Miete, Heizkosten und Lebensmittel bezahlt werden. Könnt ihr das nicht, sterben die im Apartment lebenden Familienmitglieder und es winkt irgendwann ein Game Over in Form der Obdachlosigkeit. Also müsst ihr bei der Arbeit darauf achten, eine bestimmte Quote zu erfüllen - doch je schneller ihr Einreisende abfertigt, desto größer ist die Gefahr, irgendetwas zu übersehen. Wenn ihr falsch entscheidet, erhaltet ihr Abmahnungen - bis zu zwei davon könnt ihr euch pro Tag erlauben, danach winken immer höher werdende Geldstrafen. Und diese stellen eine sehr reale Gefahr dar, denn es dürfte selbst geübten Spielern mitunter schwer fallen, schnell genug und gleichzeitig fehlerfrei zu arbeiten.

Im Rahmen eures Jobs müsst ihr immer wieder Entscheidungen treffen, die sich zum Teil auf den Verlauf der Story auswirken. Immer wieder sollt ihr über Einzelschicksale verfügen, indem ihr die Vorgaben der Behörden gegen die persönlichen Bitten der Einwanderer abwägt. Größere Einflüsse hat die generelle Gesinnung des Spielers, für die man sich möglichst früh im Spiel entscheiden und diese dann auch konsequent beibehalten sollte. Wenn ihr den loyalen Schoßhund des Regimes spielt, einen Staatsstreich unterstützt oder in ein anderes Land abhaut, könnt ihr eines der (verhältnismäßig) guten Enden freischalten. Fast jede andere Vorgehensweise endet früher oder später in eurer Exekution.

...noch effektiveres Storytelling

Dass Papers, Please! von der internationalen Fachpresse so viel Aufmerksamkeit bekam, liegt in erster Linie an seiner Erzählweise und den moralischen Entscheidungen, die immer wieder gefällt werden müssen. Rational denkende Spieler werden natürlich wissen, dass es sich bei den im Spiel auftretenden Figuren um animierte Pixel handelt. Sie sollten daher nur wenige Hemmungen davor haben, genau diejenigen Entscheidungen zu treffen, die aus spielerischer Sicht am sinnvollsten sind. Aber: Um seinen Spielstil wirklich zu optimieren, müsste man beispielsweise seine Familie möglichst früh sterben lassen, um die täglichen Ausgaben zu senken und das Risiko eines Bankrotts zu verringern. Doch wer zieht das ernsthaft durch?

So erwischte ich mich durchaus dabei, wie ich gerade sehr lange darüber nachgrübelte, ob ich meiner Familie nach Feierabend noch etwas zu essen kaufe - oder sie hungrig ins Bett gehen lasse, weil das Gehalt nach einem vermurksten Tag eben nicht für Miete, Heizung UND Essen reichte und die recht dünnen finanziellen Rücklagen hätten angezapft werden müssen. Außerdem lernte ich sehr schnell, dass mich ein abgelehnter Reisender nicht gefährden kann, da ich den Fehler in seinen Dokumenten ja gefunden hatte und mir somit sicher sein konnte, richtig entschieden zu haben. Wenn ich jemanden über die Grenze lasse, mache ich mich hingegen verwundbar für eine Abmahnung, da ich etwas übersehen haben könnte - mein Blick wandert dann für ein paar Sekunden nervös zu dem Nadeldrucker, dessen Betriebsgeräusch mich sofort wissen lässt, dass ich wieder einmal Mist gebaut habe.

In der Folge ärgerte ich mich massiv über jeden einzelnen Vortretenden, der mir augenscheinlich gültige Dokumente präsentieren konnte, da es für mich immer ein Risiko darstellte, ihn durchzulassen. Der "Abgelehnt"-Stempel entsprach hingegen jedes Mal einem Erfolgserlebnis, obwohl eine verweigerte Einreise für die betroffene Person natürlich harte Konsequenzen haben würde und es somit moralisch richtig wäre, möglichst viele Personen ins Land zu lassen. Diese Spielmechanik zeigt also eindrucksvoll, wie stark der Selbsterhaltungstrieb die eigene Gedankenwelt beeinflussen kann und dass sich die Allermeisten vermutlich einem totalitären Regime fügen würden - egal, wie unethisch dessen Forderungen auch sein mögen.

Entertainment statt Edutainment

Aber keine Sorge: Papers, Please! ist kein politisch motiviertes Lehrstück, sondern vordergründig immer noch ein Videospiel, das in erster Linie unterhalten möchte. Somit scheute sich Lucas Pope auch nicht, die bedrückende Atmosphäre des Spiels immer wieder durch seinen sehr cleveren Humor aufzulockern. Das äußerst herausfordernde Gameplay wiederum schreckt nicht davor zurück, dass unaufmerksame und ungeduldige Spieler durch die Komplexität der Dokumentenstapel und die Spitzfindigkeit der aufzudeckenden Widersprüche schlichtweg überfordert sein könnten. Mit einer Spielzeit von etwa vier Stunden eignet sich Papers, Please! perfekt für ein Durchspielen in einer einzelnen Spielsitzung und motiviert zu zusätzlichen Durchgängen, die dank der zufallsgenerierten Papiere immer herausfordernd bleiben. Papers, Please! zeigt, wie ein Indie-Titel im Idealfall auszusehen hat, indem es ein innovatives Spielkonzept, das sich kein AAA-Publisher jemals zutrauen würde, meisterhaft umsetzt und mit einfachen Mitteln dafür sorgt, dass es trotz der zweckmäßigen optischen Präsentation absolut spielenswert bleibt.

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1 Kommentar:
Pogopuschel)
Pogopuschel
Am 17.01.2018 um 22:29
Ist das Spiel wirklich sooo bekannt? ^^
Ich glaub zwar den Namen schon gehört zu haben, wusste aber nichts mit dem Titel anzufangen, bevor ich hier gelesen hab. Hört sich allerdings wirklich sehr interessant an und ich denke, dass mir das Spiel jetzt in Erinnerung bleiben wird. Könnte mir vorstellen, es irgendwann mal nachzuholen.