Kommentar: Darum habe ich meine PlayStation VR-Brille wieder verkauft
„Eintagsfliege“, „teures Accesoire“, „schlimmer als Microsofts Kinect“ und vor allem: „viel zu teuer“ – den reflexartig vorgebrachten Statements der VR-Verweigerer konnten die Early Adopter, die ersten Käufer von PlayStation VR, relativ wenig Rationales entgegensetzen. Nur eines: ihre ehrliche Begeisterung, ihre Verblüffung, ihre offenen, staunenden Münder.
Weltweit waren die Reaktionen auf den Release von Sonys PlayStation VR-Headset mindestens positiv, wenn nicht gar vereinzelt überschwänglich. Als bestes VR-System auf dem Markt wurde das System gefeiert. Verhältnismäßig günstig und einsteigerfreundlich, hatte PSVR schon zum Launch eine nicht zu verachtende kleine Spielebibliothek aufgebaut. Auch ich bin selten zuvor von einer neuen Technologie so umgehauen worden. Im Oktober des vergangenen Jahres schilderte ich meine ersten Erlebnisse mit VR bei NplusX (Klick).
Mittlerweile ist ein Jahr vergangen. Und der Preis von Sonys VR-Brille deutlich gesunken: Für mindestens 50 Euro weniger als zum Launch bekommt man jetzt ein echtes Starter-Paket mit Kamera, Spielen und Controllern. Faktisch ist PSVR damit 40 Prozent günstiger geworden. Das hat mir zu denken gegeben. Doch VR und ich - diese Liebelei ist vorbei. Schon lange. Bereits Anfang dieses Jahres habe ich mich von PlayStation VR getrennt, nachdem ich die Hardware ziemlich genau drei Monate lang genutzt hatte, allein, mit Freunden, mit verschiedenen Spielen. Die Scheidung ist vollzogen.
Staunen vs. Brechreiz
Es hatte ja alles keinen Sinn. Was nützen sie mir, die eindrucksvollsten visuellen Effekte, die intensivsten Videospielerlebnisse, die ich je hatte … wenn mir nach dem Spielen neben dem Staunen vor allem ein flaues Gefühl im Magen bleibt; und zwar nicht für zehn Minuten, sondern mehrere Stunden. Motion Sickness ist für mich das wichtigste Thema, wenn es um VR-Erlebnisse geht.
Von Spiel zu Spiel waren die Motion Sickness-Symptome bei mir unterschiedlich stark ausgeprägt. Eine Faustregel lässt sich aber identifizieren. Spiele, in denen man einen Spielcharakter mit dem Controller wie in einem klassischen Videospiel durch die Welt bewegt, funktionieren in VR einfach nicht. Das sind zum Beispiel Titel wie Robinson – The Journey oder Scavenger’s Odyssey. Das Gehirn bekommt den Widerspruch zwischen gesehener Bewegung und gefühlter Ruheposition nicht hin. Es wehrt sich, mit Übelkeit.
Titel wie Batman – Arkham VR sind deutlich besser designed. Sie erlauben keine freie Bewegung, sondern funktionieren wie ein Point & Click-Abenteuer. Durch den Mangel an aktiver räumlicher Bewegung wird dem Spieler nicht schlecht. Doch seine Freiheit ist natürlich eingeschränkt. Ein echtes Dilemma. VR ermöglicht die immersivste Darstellung realistischer 3D-Welten, die es je gab. Nur: Bewegen kann zumindest ich mich darin nicht. Das zweite Dilemma: Wenn Entwickler versuchen, normale Spielkonzepte durch Point & Click-Mechaniken für VR fit zu machen, entstehen merkwürdige Zwitter wie die VR-Sequenz in Rise of the Tomb Raider, die einfach unangenehm zu steuern und zu spielen sind.
Natürlich tritt nach einer gewissen Zeit ein Gewöhnungseffekt auf. Meine erste Spielsession mit Robinson – The Journey musste ich nach wenigen Minuten abbrechen, die zweite dauerte schon eine halbe Stunde, die dritte konnte ich dann etwa zwei Stunden ohne akute Beschwerden durchhalten. Ich habe mich durch diese Tage der Übelkeit gekämpft, weil ich den Titel testen musste. Doch ein normaler Spieler muss sich doch fragen: „Ist es mir das wert?“ Für den Konsum eines Entertainment-Produkts, das im Endeffekt nichtmal richtig gut ist, sind mehrere Tage mit magengrippeähnlichen Symptomem ein ziemlich schlechter Deal.
Der Eyetoy-, Kinect- und MotionPlus-Effekt
Dass ich VR nicht richtig genießen kann, dass mein Gehirn damit offenbar inkompatibel ist, ist der eine Punkt. Es gibt aber noch einen zweiten. Es ist nicht absehbar, dass in Zukunft neue Spiele für PlayStation VR erscheinen werden. Sony hat zur Ankündigung eine Reihe kleinerer und größerer PSVR-Titel angekündigt, die zum großen Teil zum Launch erschienen sind. Doch 2017 hat gezeigt: Da kommt nichts mehr, weder gab es wirklich bemerkenswerte Releases noch ebensolche Ankündigungen.
Neue Titel vom Kaliber eines Batman – Arkham VR? Nicht in Sicht. Kein Entwickler, Sony inbegriffen, bemüht sich gerade darum, exklusive, hochkarätige VR-Titel zu entwickeln. Warum auch? Schätzungen zufolge hat Sony 2016 knapp eine Million PSVR-Headsets verkaufen können. Nicht schlecht für den ersten Schlag, keine Frage. Doch Entwickler optimieren ihr Spiel natürlich lieber für die Plattform, auf der potenziell bis zu 50 Millionen Menschen ein Produkt kaufen und spielen können (das wäre dann die PS4), als für eine Plattform, auf der das höchstens eine Million Menschen können (PSVR). Der Preisverfall stützt diese Argumentation nur.
PlayStation VR steht das Schicksal bevor, das so viele Zusatzzubehörteile ereilt hat, die erst spät im Laufe einer Konsolengeneration erschienen sind. Sonys Eyetoy- und Microsofts Kinect-Kamera kennen das Phänomen, Nintendos Wii MotionPlus-Sensor ebenfalls. Sobald nur eine Handvoll Nutzer einer bestehenden großen Plattform die neuen Features nutzen kann, ist der Markt nicht groß genug, um besondere Entwicklungen zu rechtfertigen. Erst wenn die Technologie zusammen mit der Konsole ausgeliefert wird, können Entwickler sich auf die neuen Möglichkeiten verlassen.
Nicht DIE Zukunft, aber EINE Zukunft
Sicherlich werden noch einige Titel mit optionalen VR-Modi auf den Markt kommen, Resident Evil VII ist dafür das beste Beispiel. Doch VR-Erlebnisse sind kaum kompatibel mit herkömmlichen Videospielkonzepten, allein die Motion Sickness-Symptome verhindern direkte Portierungen zwischen den zwei Welten. Jetzt sind die Spieleentwickler der Welt gefragt, Konzepte zu entwickeln, die mit der Technologie funktionieren, ihr großes Potenzial nutzen und ihre großen Schwächen umgehen. Das ist schwierig. Und was schwierig ist, kostet Geld. Was Geld kostet, braucht einen großen Markt. Einen Markt, den es heute noch nicht gibt.
Nach drei Monaten mit PlayStation VR bin ich mir ziemlich sicher: Virtual Reality ist nicht die Zukunft des Mediums Videospiels, auch in zehn Jahren werden wir nicht alle mit Brillen auf dem Kopf spielen. Denn nicht alle Spielkonzepte funktionieren in VR. Virtual Reality ist aber womöglich eine Facette der Zukunft des Gamings. Eine Facette, die bestimmte, sorgfältig designte Erlebnisse ermöglichen kann, die auf normalen Bildschirmen nicht möglich sind. Doch diese Zukunft, so glaube ich, ist heute noch nicht gekommen