Xenoblade Chronicles 2
Grüße aus Arcadia
Ein schier endloser Ozean aus Wolken, der von der Oberfläche aus betrachtet wie eine weiße Wüste aussieht. In seiner Mitte der Weltenbaum Yggdrasil, auf dessen Krone sich das Paradies Elysium befindet. Elysium war einst die Heimat der Menschheit, doch die Menschen verärgerten den Architekten und wurden auf die Oberfläche verbannt. Aus Mitleid sandte der Architekt die Titanen, mehrere Meter bis viele Kilometer große Kreaturen, die den Menschen als Wohnraum dienen sollten. Viele hundert Jahre lang ging das gut - doch nun sterben plötzlich viele der Titanen. Warum?
Das ist eine gute Frage, die zunächst nicht weiter behandelt wird. Stattdessen übernimmt der Spieler die Kontrolle über den Jugendlichen Rex, der als Salvager arbeitet und im Wolkenozean nach versunkenen Schätzen taucht. Zu Beginn des Spiels erhält er ein lukratives Jobangebot, das ihn in einen Komplott um ein kriegerisches Imperium, eine Terroristenvereinigung und eine mächtige Waffe verwickelt. Das klingt erst einmal vielversprechend, aber die Story ist insgesamt - wie schon bei den beiden Vorgängern - nicht das Glanzlicht des Monolith-RPGs. Sie legt zu Beginn ein Fundament mit viel Potential, geht dann aber nicht mehr weiter auf die angesprochenen Punkte ein und macht stattdessen immer neue Story-Äste auf, lässt also insgesamt eine klare Richtung vermissen. Das Abenteuer wird weitestgehend von der erneut sehr kreativen und stimmigen Spielwelt getragen.
Die Charaktere können in Xenoblade Chronicles 2 hingegen schon eher überzeugen als in den Vorgängern. Die englische Sprachausgabe ist wieder einmal "very british", was jedoch kein Kritikpunkt sein soll - die markigen Akzente verleihen den Figuren klare und willkommene Kanten. Eine japanische Tonspur mit lokalisierten Untertiteln soll über einen kostenlosen Day-One-DLC angeboten werden. Der Soundtrack kehrt stilistisch zu den Klangfarben zurück, die Monolith mit seinem Wii-Titel etabliert hat, was die vielen Gegner des Sawano-Soundtracks von Xenoblade Chronicles X sicherlich freuen dürfte. Das Gesamtwerk aus Story, Charakteren, Spielwelt, Sprachausgabe und Musik macht das erste exklusive Switch-RPG zu einer wirklich lohnenswerten Spielerfahrung und tröstet darüber hinweg, dass sich eine reine Inhaltsangabe der Story oder ein simples Transkript der Dialoge eher langweilig lesen würden. Abgerundet wird dieser Gesamteindruck von einem gewohnt riesigen Umfang - die große und mit vielen Extras vollgepumpte Spielwelt und zahlreiche Sidequests beschäftigen euch weit über die Hauptstory hinaus.
Ein Kampfsystem, so vielschichtig wie eine Lasagne
Spielerisch hält Monolith an seinem nicht ganz unumstrittenen Action-Kampfsystem fest, das stark an Final Fantasy XII erinnert. Sobald ihr einen oder mehrere Gegner in einen Kampf verwickelt, beginnt der von euch gesteuerte Protagonist, diese automatisch anzugreifen. Mit der Zeit laden sich auf diese Weise sogenannte "Arts" auf - stärkere Offensivaktionen, die diverse Zusatzeffekte haben und sogar Heiltränke erscheinen lassen können, welche ihr dann aufsammeln dürft. Diese Arts laden wiederum die vierstufige "Blade Special"-Leiste auf, die euch verschieden starke Elementar-Angriffe auslösen lässt. Verbindet ihr ausreichend starke Specials mit den richtigen Element-Attributen zu einer "Blade Combo", steht an deren Ende eine mächtige Superattacke, die einen Element-Orb beim Gegner erscheinen lässt, der gewisse Aktionen eures Widersachers blockieren kann. Zu guter Letzt könnt ihr mit einer voll aufgeladenen "Party"-Leiste eine "Chain Attack" auslösen, und je mehr Orbs um euren Kontrahenten herumfliegen, desto länger und stärker fällt diese Angriffskette letztendlich aus.
Das klingt erst einmal ungeheuer Komplex, und tatsächlich dauerte es bei unserem Test etwa 20 bis 30 Spielstunden, bis wir alle HUD-Einblendungen verstanden hatten und alle spielerischen Möglichkeiten des Kampfsystems effizient ausschöpfen konnten. Der große Haken bei all dieser Komplexität ist jedoch: Sie beschränkt sich ausschließlich auf den offensiven Teil der Auseinandersetzungen. Die zahlreichen Aktionen helfen euch dabei, eure Gegner schneller zu besiegen - aber sie sind für das Überleben nur selten wichtig. Gegen schwächere Gegner reicht es aus, einfach nur diejenigen Arts und Specials einzusetzen, die die Lebenspunkte der Party-Mitglieder wiederherstellen. Wenn ihr dann noch die defensiveren Rollen den KI-Begleitern zuteilt und im Erfahrungslevel ein paar Stufen über den Gegnern liegt, könnt ihr im Prinzip das Gamepad zu Beginn eines Kampfes beiseite legen, zwei Minuten lang irgendwas anderes machen und später wiederkommen. Dann werdet ihr wahrscheinlich feststellen, dass in der Zwischenzeit alle Gegner von der KI automatisch besiegt wurden. Spätere Bosskämpfe lösen dieses Problem, indem sie den Obermotz mit der Zeit enorm verstärken - diese Kämpfe lassen sich dann nur mit effektiven Offensivaktionen schnell genug gewinnen.
Wer sich wirklich fordern will, muss von einem Workaround Gebrauch machen, mit dem die Entwickler einen einstellbaren Schwierigkeitsgrad ersetzen wollen. Erfahrungspunkte, die ihr für das Absolvieren von Haupt- und Nebenquests erhaltet, werden den Party-Mitgliedern nicht mehr sofort zugeteilt, sondern landen zunächst in einem Bonus-Pool, den ihr dann im Rahmen einer Hotelübernachtung einsetzen dürft. In dem Tutorial, das euch diese Spielmechanik erklärt, werdet ihr darauf hingewiesen, dass ihr auf das Verteilen dieser Erfahrungspunkte verzichten könnt, wenn ihr euch das Spiel etwas schwieriger machen wollt. Haltet ihr euch daran, wird Xenoblade Chronicles 2 ab der Mitte des dritten Kapitels tatsächlich deutlich fordernder. Wer das Level seiner Charaktere konsequent erhöht wird hingegen innerhalb der Hauptstory kaum würdige Gegner finden und muss sich an den extrem starken Kreaturen messen, die in der weitläufigen Spielwelt herumlaufen und nur mit sehr viel Training besiegt werden können. Da es in Xenoblade Chronicles 2 jedoch kein Bestiarium mehr gibt, fällt die Motivation zur Monsterjagd relativ gering aus.
Zwischen Pokémon und Loot-Boxen: Die Blades
Die größte Neuerung in Xenoblade Chronicles 2, die wahrscheinlich die Skells aus dem Wii-U-Vorgänger ersetzen soll, sind die Blades. Blades sind intelligente Wesen, die ihre organischen "Besitzer" im Kampf unterstützen. Einige von ihnen nehmen als vollwertige Charaktere an der Story teil, andere werden nur aus vorgegebenen Standard-Modellen und Namen zufallsgeneriert. Jeder Charakter kann sich prinzipell mit Dutzenden Blades verbünden, bis zu drei Stück davon im Kampf ausrüsten und je nach Kampfsituation zwischen ihnen wechseln. Das gemeinsame Kämpfen mit den Blades erhöht das gegenseitige Vetrauen; eine ständig wachsende Ressource, die - anders als im echten Leben - nicht wieder verspielt werden kann. Dies wiederum schaltet kleine Herausforderungen auf einem Skill-Baum frei. Erfüllt ihr diese, bekommen die Spezialattacken des Blades nützliche Zusatzeffekte oder ihr schaltet passive Skills frei, die euch im Kampf einen Vorteil verschaffen und zum Öffnen von Türen oder Schatztruhen benötigt werden.
Einige vordefinierte Blades bekommt ihr im Laufe der Story automatisch. Andere erhaltet ihr, indem ihr spezielle Kristalle aktiviert. Meistens gibt euch das Spiel dann einen der zufallsgenerierten Standard-Blades, was ungefähr einer Niete an der Losbude enstpricht. Viele der insgesamt über 30 verschiedenen einzigartigen Blades lassen sich jedoch nur mit Losglück beim Benutzen der Kristalle freischalten. Außerdem erhält der Charakter, der sich mit einem Blade verbündet hat, bei jeder Erfüllung einer auf dem Skill-Tree vermerkten Aufgabe einen Bonus auf einen von vier Statuswerten. Hohe Levels in diesen Werten erhöhen eure Chancen, bessere und seltene Blades zu erhalten. Wer alle Blades sammeln und vollständig trainieren will kann froh sein, wenn er das in einigen 100 Stunden schafft.
Pünktlicher Release, fehlende Nintendo-Qualität
Xenoblade Chronicles 2 war schon immer für 2017 angekündigt, doch die meisten Fans sind eher überrascht darüber, dass der Titel tatsächlich noch in diesem Jahr erscheint. Das liegt zum Teil sicherlich daran, dass Monolith den Wii-U-Vorgänger erst vor gut zwei Jahren in die japanischen Regale stellte und der weltweite Release des Sequels somit nach einer ungewohnt kurzen Zeit erfolgt. Das geht leider auf Kosten des Feinschliffs, der in Xenoblade Chronicles 2 noch an vielen Ecken fehlt.
Neben dem Bestiarium haben wir auch eine Oberweltkarte vermisst - das Reisen zwischen den verschiedenen Titanen ist nur über das Schnellreisesystem möglich. Wie es die Charaktere auf einen anderen Kontinent schaffen, wenn ihnen storybedingt eigentlich gar kein Schiff zur Verfügung stünde, lässt das Spiel offen - was der Glaubwürdigkeit des Abenteuers leider ein bisschen abträglich ist. Ähnlich unangenehm sind kleinere Löcher in der Story - die Spielregeln im Hinblick auf die Blades drehen sich die Story-Autoren oft so zurecht, wie sie sie gerade brauchen, und das Verhalten bestimmter NPCs ist nicht immer logisch nachvollziehbar.
Auch die technische Seite des Spiels bringt uns leider zu dem Schluss, dass Xenoblade Chronicles 2 ein paar zusätzliche Monate Entwicklungszeit durchaus gutgetan hätten. Immer wieder kommt die Engine durch verwaschene und verpixelte Texturen, Framerate-Einbrüche in Verbindung mit Zeitlupeneffekten oder Grafikfehler in Verlegenheit. Besonders sauer sind uns während der Testphase einige Audio-Probleme aufgestoßen: Ab und zu gibt es, vor allem während der Kämpfe, Aussetzer in der Hintergrundmusik. Andernorts knistert bei vertonten Dialogszenen die Sprachausgabe. Während einer besonders aufwändigen Cutscene setzte die Tonspur sogar komplett aus: Die Hintergrundmusik war nur noch zur Hälfte der Zeit zu hören, die Sprachausgabe kaum mehr verständlich, Bild und Ton liefen mehrere Sekunden weit auseinander. Die Soundprobleme scheinen auszubleiben, wenn wir Xenoblade Chronicles 2 vor dem Aktivieren des Schlafmodus der Switch-Konsole über das Home-Menü beenden und beim nächsten Mal neu starten. Gut möglich also, dass es sich bei unseren Beobachtungen um einen seltenen Einzelfall handelt. Ansonsten hätten die Entwickler natürlich noch die Möglichkeit, die Engine durch einen Day-One-Patch zu stabilisieren.
FAZIT:
Anfang 2017 kam EA in Verruf, als Mass Effect Andromeda auf die Käuferschicht losgelassen wurde. Das Spiel spaltete Fans des Franchise in zwei Lager: Diejenigen, die sich an den Schwächen in Story und Technik aufhingen und auf der anderen Seite diejenigen, die unter den ganzen Makeln immer noch ein sehr gutes Spiel erkennen wollten. Xenoblade Chronicles 2 könnte die Community ähnlich stark spalten. Das JRPG ist zwar deutlich ausgereifter als EAs Großproduktion, da die technischen Bugs rein kosmetischer Natur sind und fast nie das Gameplay beeinträchtigen - den Feinschliff, den wir von Nintendo eigentlich gewohnt sind, bringt Xenoblade Chronicles 2 jedoch nicht mit. Gleichzeitig bekommen Genrefans dank eines unterhaltsamen Kampfsystems mit viel Spieltiefe, starker Charaktere, einer faszinierenden Spielwelt, eines herausragend guten Soundtracks und des gigantischen Umfangs aber einen echten Leckerbissen, der sich direkt hinter Persona 5 als zweitbestes JRPG des Jahres 2017 einreihen darf. Xenoblade Chronicles 2 macht am meisten Spaß, wenn wir auf der Suche nach Sidequests oder versteckten Schätzen durch die weitläufigen, sehr fantasievoll gestalteten Kontinente streifen und die sympathischen Charaktere mit ihren kernigen britischen Akzenten über das Monster schimpfen, das sie gerade umgehauen hat. Wer akzeptieren kann, dass Xenoblade Chronicles 2 vor allem aus technischer Sicht nicht perfekt ist, darf 2017 nach Breath of the Wild und Super Mario Odyssey noch einen dritten, wirklich guten Switch-Exklusivtitel genießen.
- Die Story von XCX ist wirklich nicht geil. Doch XC hat doch eine sack starke Story, es ist sogar eines der wenigen Spiele mit überaschenden Wendungen. Klar kündigen sich diese im Spielverlauf an, aber es ist nicht so liniar, dass man schon beim einschalten weiß, wie es endet.
Ist die Story also so linear wie XCX oder hat es noch ein paar tolle Twists? + Gibt es ein klares Ende wie in XC oder ist es eher nur halb erzählt wie in XCX?
Ob es "tolle Twists" und ein "klares Ende" hat, ist ja eher subjektiv. Die Antwort die ich dir darauf geben würde muss sich nicht unbedingt mit der Meinung decken, die du dir beim Spielen selbst bilden würdest.
Also versuche ich es mal neutral: Ja, es gibt Twists. ^^;
Ich finde es Schade, dass der Tester sich zur Geschichte des Spiels nicht klar genug positioniert und stattdessen auf die Charaktere und Spielwelt ausweicht. Zumindest hört es sich für mich nicht nach einem Epos an.
"Sie legt zu Beginn ein Fundament mit viel Potential, geht dann aber nicht mehr weiter auf die angesprochenen Punkte ein und macht stattdessen immer neue Story-Äste auf, lässt also insgesamt eine klare Richtung vermissen."
Das hört sich stark nach DLC an. Da war ja noch was mit Story...
Der Kauf einer Switch hat sich in diesem Jahr scheinbar erledigt. Schade Monolith Soft! Gerade von euch habe ich soviel gehalten.