Gran Turismo Sport
1989 wurde die Berliner Mauer abgerissen. Was diese Information mit Gran Turismo zu tun hat, weiß ich auch nicht. Aber sie ist das Erste, was ich von dem Spiel sehe, noch bevor ich in mein erstes Auto steige - in Form eines kurzen Artikels vor einem Originalfoto. Sie zeigt, dass Gran Turismo von einem Entwickler stammt, der durchaus mit Hideo Kojima vergleichbar ist: Kazunori Yamauchi ist ein exzentrischer Perfektionist, dessen skurrile Ideen das Spieldesign von Gran Turismo prägten und etwa dafür sorgten, dass wir in Gran Turismo 6 eine Slalomstrecke auf dem Mond bezwingen mussten. Und dessen Perfektionismus dafür verantwortlich ist, dass er in den letzten vier Jahren kein einziges Spiel veröffentlichen konnte - vier lange Jahre, in denen Microsoft seinen Fans nicht nur Forza 6 und 7, sondern obendrein noch Forza Horizon 2 und 3 präsentieren konnte. Selbst Gran Turismo Sport ist eigentlich kein fertiges Spiel, sondern nur ein Meilenstein auf dem Weg zu Gran Turismo 7, das vielleicht irgendwann mal erscheint. Oder auch nicht.
Gran Turismo Portable 2
Die wichtigste Information vorweg: Gran Turismo Sport ist ein Multiplayer-Only-Titel. Unter dem täuschend benamten Menüpunkt „Kampagne“ finden sich lediglich einige Fahrprüfungen. Von denen gibt es zwar viele Dutzend, aber sie sind - mit einigen Ausnahmen im späteren Spielverlauf - so kurz, dass sie kaum länger dauern als die Ladezeit, die man vor jedem der spielerischen Amuse-Gueules abwarten muss. Ansonsten dürfen wir noch im Arcade-Modus Einzelrennen gegen die KI fahren. Diese unterliegt einem Rubberband-Effekt, den uns Polyphony Digital sogar ganz offen präsentiert, ohne dabei rot zu werden. Schalten wir ihn aus, ist die KI selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad uneinholbar. Schalten wir ihn ein, werden vor uns fahrende Kontrahenten geradezu lächerlich langsam, nur um dann in der nächsten Kurve gleich wieder an uns vorbeizurauschen. Es bleibt dabei: Wer keinen PS-Plus-Account besitzt, braucht über die Anschaffung von Gran Turismo Sport nicht einmal nachzudenken.Auch im Hinblick auf die Anzahl der Strecken und Fahrzeuge hinkt Gran Turismo Sport weit hinter der diesjährigen Konkurrenz hinterher. Nach Abzug aller Rückwärts-Versionen, langweiliger Ovale (von denen es gleich drei Stück gibt) und der bei den Fans nicht sehr beliebten Offroad-Strecken bleiben noch etwa 15 Kurse übrig. In dieser Auswahl fehlen sowohl beliebte reale Strecken als auch ikonische Rundkurse aus dem Gran-Turismo-Franchise - Circuit de la Sarthe, Spa Franchorchamps, Deep Forest Raceway und Grand Valley Speedway tummeln sich allesamt auf der Vermisstenliste. An ihrer Stelle stehen recht viele Neuzugänge und Nachbildungen realer Strecken, die sonst eher selten zu sehen sind. Und natürlich die obligatorische Nordschleife.
Ideenklau bei Splatoon
Wer nun erwartet, dass Gran Turismo Sport wegen seines Online-Fokus zumindest diesen einen Aspekt des Spiels dann auch herausragend gut umsetzt, muss ebenfalls enttäuscht werden. Stattdessen setzt der Sport-Modus die gleichen seltsamen Restriktionen um, über die Splatoon-Spieler seit Jahren meckern: In einer täglich wechselnden Rotation sind genau drei Strecken wählbar, die vom Server vorgegeben sind. Ihr könnt auch nicht einfach in ein Rennen hineinhüpfen, sondern müsst - teilweise über eine Viertelstunde lang - auf festgelegte Startzeiten warten und euch in dieser Zeit mit dem Qualifying beschäftigen. Ab dem 04. November könnt ihr darüber hinaus an Online-Turnieren teilnehmen, die sich über mehrere Wochen erstrecken. Die meisten Spieler werden sich wohl lieber in den inoffiziellen Lobbies tummeln, die freier gestaltet werden dürfen, letztendlich aber nichts anderes bieten als das, was man in anderen Rennspielen zusätzlich zu einer vollwertigen Einzelspieler-Kampagne und deutlich mehr Strecken und Fahrzeugen bekommt.Was Gran Turismo also bleibt, ist seine herausragend gute Fahrphysik. Diese spielt - zumindest auf Konsolen - in einer eigenen Liga: Die Entwickler schaffen es, das Fahrverhalten der verschiedenen Bauarten so detailliert nachzubilden, dass jeder Wagen seine ganz eigene "Persönlichkeit" mitbringt. Das Untersteuern von frontgetriebenen Mittelklasse-Fahrzeugen ist in Gran Turismo Sport genauso zu spüren wie die kaum vorhandene Kontrollierbarkeit PS-starker Sportwagen oder die Agilität leichter und leistungsstarker Rennboliden. Selbst mit dem Dual-Shock-Controller liefert Polyphony Digital ein Fahrgefühl, das man in dieser Qualität von keinem anderen Rennspiel bekommt - knallharte PC-Simulationen wie iRacing oder Automobilista mal ausgenommen. Lediglich die Kollisionen sind nach wie vor etwas lächerlich: Wer mit Vollgas gegen eine Wand fährt, prallt mit einem leisen "Ditsch" etwa einen Meter weit von ihr ab und bleibt dann stehen. Das ist vermutlich eine bewusste Design-Entscheidung, damit Online-Rennen nicht allzu chaotisch werden. Kritisieren darf man es trotzdem.
Auch technisch muss sich Gran Turismo Sport nicht verstecken. Zwar fehlen dem Titel echte Grafikblender-Strecken (die Autobahn in Tokyo ist in dieser Hinsicht eher enttäuschend), dafür sehen alle Rundkurse konstant gut aus und laufen mit einer flüssigen Framerate über den Bildschirm. Ein Makel ist hier wiederum das hoffnungslos zugekleisterte HUD, was vor allem deshalb ärgerlich ist, weil die sonst eigentlich übliche Funktion zur Deaktivierung einzelner Elemente fehlt. Wir bekommen lediglich die Möglichkeit, eine Light-Version auszuwählen oder das HUD ganz abzustellen - aber selbst das abgespeckte HUD ist noch viel zu sperrig und vor allem die mitten auf dem Bildschirm eingeblendete Rundenzeit ist einfach störend. Akustisch bekommen wir neben den gewohnten Motoren-Sounds einen lizenzierten Soundtrack, in dem auch der unter Gran-Turismo-Fans bekannte Rockmusiker daiki kasho wieder mit mehreren Stücken vertreten ist. Die Musik fällt während der Rennen kaum auf und kann bei Bedarf ganz abgestellt werden.