Test

Mittelerde – Schatten des Krieges

Von Tim Herrmann am 27.10.2017

Unglaublich, aber wahr: Der letzte Herr-der-Ringe-Film feiert 2018 sein 15-jähriges Jubiläum. Obwohl man die Peter-Jackson-Filme nun also getrost Klassiker nennen darf, erfreuen sich mittelalterliche Fantasy-Epen weiter großer Beliebtheit. Game of Thrones, anyone?

Auch Mittelerde selbst lebt noch, in der Games-Welt. Vollkommen unkonventionell gingen Monolith Productions und Publisher Warner Bros. das Franchise vor drei Jahren an. Mit Mittelerde – Mordors Schatten; einer Art Herr-der-Ringe-Spin-Off mit eigenständigem Spielkonzept. Jetzt geht es weiter: Mittelerde – Schatten des Krieges im Test.

Der Krieg vor dem Krieg

Jeder weiß, wie die Schlacht um Mittelerde ausging, kennt die Ereignisse in den feurigen Kavernen des Schicksalsbergs. Was hingegen im Erzählvakuum zwischen dem Hobbit und der Ringe-Trilogie geschieht, erzählen die Mittelerde-Spiele. Der erste Teil war im Kern eine Rache-Geschichte: Ranger Talion fällt in Mordor ein, um seine ermordete Familie zu rächen. Allerdings ist Talion selbst auch tot, nur am Leben gehalten durch einen magischen Zufall, der ihn mit dem Geist des antiken Elben-Schmiedes Celebrimbor verschmelzen ließ. Der Ranger (mit frappierenden Ähnlichkeiten zu Gondors späteren König Aragorn) gewinnt durch diesen Zufall natürlich übermenschliche Kräfte.

Teil 2 knüpft nahtlos an; nur dass diesmal klipp und klar der ultimative Kampf gegen Sauron ansteht. „Schatten des Krieges“ macht das ganz große Fass auf, legt deutlich mehr Wert auf seine Geschichte, die mit aufwändig inszenierten Zwischensequenzen erzählt wird. Den historischen Rahmen der Tolkien-Saga biegt das Spiel dabei oft so, dass es irgendwie passt. Serienpuristen müssen sich darauf einstellen, dass ihre Versuche, das Spiel in die mittelirdischen Geschichtsbücher hineinzuinterpretieren, wohl irgendwann ins Leere laufen werden. Allein, dass die Monsterspinne Kankra (besiegt am Ende von „Die zwei Türme“ durch Sam Gamdschi) in „Schatten des Krieges“ als sexy Hexe dargestellt wird, spricht da Bände.

Doch für die Geschichte wie für das ganze Spiel gilt: Sie mag nicht hundertprozentig zum Herrn der Ringe passen, sie mag sich nicht vollumfänglich nach Tolkien oder Mittelerde anfühlen. Aber sie macht Laune. Und wie.

Der Mensch im Ork

Das liegt vor allem am Rahmen, den Monolith Productions diesem Spiel gezimmert hat. Im Kern müsst ihr als übermächtiger Krieger die Armee Mordors ausschalten, weitgehend im Alleingang. Diese Armee besteht maßgeblich aus Orks. Buchstäblich tausende von ihnen tummeln sich in den Städten, Festungen oder Ebenen Mordors und planen den Angriff auf Mittelerde.

Hinter den Monstern steckt aber noch eine aufwändig gestaltete, militärtaktisch anmutende Hierarchie und Sozialordnung, in der sich das stinkende Orkvolk organisiert hat: Hauptmänner und Häuptlinge kommandieren die Ork-Bataillone, kontrollieren ganze Stadtteile oder beschützen die direkten Gefolgsleute des dunklen Lords. Wohlüberlegt versetzt ihr der Armee Schläge, indem ihr den Truppen ihre Anführer nehmt.

Erst einmal gilt es, die Hauptmänner aufzuspüren, zum Beispiel mit dem allsehenden Elbenblick. Im zweiten Schritt ist Talions Cleverness gefragt: Er kann einfach drauflosrennen und sich in den Kampf stürzen, ja. Mit Wissen über seine Gegner lässt sich aber viel leiser, effizienter und zielgerichteter arbeiten. Illoyale Gefolgsleute Mordors werden eurem beängstigenden Elbengeist bereitwillig die düstersten Geheimnisse ihrer Befehlshaber verraten, ihre Schwächen und Stärken, ihre Ängste und Resistenzen ausplaudern. Das hilft euch im Kampf später massiv, kann sogar dazu führen, dass ihr mächtige Endgegner mit einem bestimmten Move ausschalten könnt.

Die besondere Leistung der Entwickler: Die Orks sind in den Mittelerde-Spielen nicht nur Schwertfutter. Tatsächlich gelingt das Unmögliche, nämlich den abstoßenden Kreaturen etwas fast Menschliches zu geben; mit der Art, wie sie sprechen, wie sie sich fürchten, wie sie wütend oder jähzornig, ironisch oder hasenfüßig werden. Immer wieder werden euch die Ork-Chefs mit ihrem Verhalten überraschen; manche flüchten, manche trotzen dem Tod, andere kehren mechanisch modifiziert wieder zurück, um erfolglos und fast ein wenig bemitleidenswert Rache zu nehmen. Und sie alle tragen Namen – was sie viel persönlicher macht.

Die Ork-Sozialstrukturen sind so lebendig, dass ganz normale Wald- und Wiesenorks, die euch in einem Gefecht dummerweise erledigen, zum mächtigen Hauptmann aufsteigen und Teil von Saurons Führungszirkel werden. Orks werden befördert oder degradiert, werden stärker, bekriegen sich untereinander, erlangen Legendenstatus oder werden zu eurem ultimativen Erzfeind. So heißt auch das Spielsystem: Nemesis, also Erzfeind. Es gibt hunderte verschiedener Ork-Charaktere, denen ihr im Laufe des Spiels begegnen werdet und die miteinander, mit ihrer Umwelt und mit euch interagieren. Spektakulär werdet ihr einem nach dem anderen das Lebenslicht auslöschen.

Ein Ranger, sie zu knechten …

Apropos spektakulär: Talion und sein Elbengeist sind mit fast unbezwingbarer Macht ausgestattet. In Windeseile sprintet das Duo durch die Welt – erklimmt Gebäude in kürzester Zeit, überwindet Abgründe mit Leichtigkeit. Gigantische Sprünge stellen keine Gefahr da. Wie auch die Kämpfe basiert die Erkundung der Spielwelt auf Schnelligkeit und Kurzweiligkeit, nicht auf Realismus und Herausforderung. Das Spiel belästigt euch nicht mit physikalischen Formalitäten, lässt euch einfach eure Allmachtsfantasien ausleben.

Dazu passt das brillante Kampfsystem. Es basiert auf dem Free-Flow-Fighting-System, das Monolith sich von rocksteady abgeschaut hat –und damit bei der Batman-Arkham-Trilogie, die ebenfalls bei Publisher WarnerBros. erschienen ist. Mit schnellen, flink animierten Hieben und Schwertschwüngen setzt Talion seinen Gegnern zu, kontert dabei Angriffe der zehn, zwanzig Gegner um ihn herum, und variiert mit Ausweichmanövern, Spezialattacken, Finishing Moves, Ergänzungsattacken und Kombo-Reihen. Sukzessiv erlernt er neue (magische) Attacken, die ihn stärker und seinen Kampfstil vielfältiger machen. Aus der Entfernung kann er einen Elbenbogen samt Zeitverzögerung nutzen oder große Ork-Gruppen mit gezielten Schüssen auf explosive Fässer, Wespennester oder Bestienköder ausschalten.

Im späteren Spielverlauf treibt das Ganze noch weitere Blüten: Dann übernimmt der Ranger mit Hilfe seines Elbenfreundes die Kontrolle über einzelne Orks oder ganze Bataillone und befehligt sie im Kampf. Manchmal wird das Spiel so fast zu einer taktisch angehauchten Militärsimulation – aber immer im Rahmen des reinrassigen Action-Gameplays.

Kein Zweifel: Das Kampfsystem ist den Entwicklern erneut exzellent gelungen. Nie hat es sich so nachvollziehbar angefühlt, ganze Ork-Herden dem Erdboden gleichzumachen. Den Spieler begleitet permanent ein wohliges Gefühl von Allmacht, wenn er in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Gegnerreihen weht.

Garstige Orkse

Ein Problem gibt es dabei: Nur die stärksten der Orks sind ernstzunehmende Gegner. Vor dem Rest von Mordors Truppen werdet ihr schnell jeden Respekt verlieren, sie beim Vorbeilaufen kaum noch beachten. Schleichen ist zwar die stilvollere Variante, um einen Kampf vorzubereiten – aber nicht immer unbedingt nötig. Oft genug reicht die Macht des Spielers für plumpe Frontalangriffe. Der Schwierigkeitsgrad ist entsprechend niedrig. Mit gutem, routiniert-flinkem Timing lässt sich jede Aufgabe lösen. Gefährlich wird es nur, wenn immer mehr und mehr Orks anrollen und auf euch einprügeln. Doch auch für diesen Fall gibt es mächtige Flächenangriffe.

Wenn man Mittelerde – Schatten des Krieges einen Vorwurf machen will, dann ist es der, dass es spielerisch nicht sehr vielfältig ist. Zwar gibt es zahllose Spezialaufgaben, Sammelaufträge oder Bonus-Quests in den offenen Welten zu erledigen. Am Ende laufen sie aber konsequent darauf hinaus, irgendwelche Ork-Truppen oder -Anführer spektakulär zu erledigen. Einerseits wird das ermüdend, andererseits macht die Mordor-Formel so viel Spaß und ist so kurzweilig, so perfekt abgestimmt, dass man sich als Spieler immer wieder dabei erwischt, wie man sich „noch einen Hauptmann“ vornimmt. Und dann noch einen. Und noch einen.

Mehr von allem

Bis hierhin hätte der Test sich auch problemlos auf den ersten Teil beziehen können, auf „Schatten von Mordor“. Und das ist bezeichnend. Denn tatsächlich besteht die Hauptleistung von Teil 2 darin, Teil 1 in jeder Hinsicht noch ein wenig zu verbessern. Die Geschichte ist epischer und aufwändiger erzählt. Das Erzfeind-System noch ein bisschen ausgefeilter und persönlicher auf den Spielstil des Spielers zugeschnitten. Zum Beispiel passen sich manche Feinde während eines Kampfes so an, dass sie gegen bestimmte Attacken, die ihr sehr gern benutzt, immun werden.

Die Spielwelten, die nach und nach entdeckt werden wollen, sind noch ein bisschen hochwertiger gestaltet; beispielsweise dürft ihr auch das legendäre Minas Morgul bereisen und bekommt es im späteren Spielverlauf mit den Nazgûl zu tun, fliegenden Drachenreitern.

„Schatten des Krieges“ setzt also überall noch einen drauf und weiß ganz genau, an welchen Schrauben es drehen muss, um noch eingängiger, noch beeindruckender zu werden. Das gilt auch für die erweiterten Multiplayer-Modi, die diesmal auch kompetitive Eroberungsmissionen bereithalten. Dort sollt ihr die Forts eurer Gegner und ihrer Orks einnehmen, natürlich erneut mithilfe epischer Massenkämpfe. Ansonsten bleibt es bei den Multiplayer-Vendetta-Missionen, in denen ihr euch an den Orks rächt, die Freunde aus eurer Online-Kontaktliste ermordet haben.

Bei der Grafik hingegen hat sich wenig getan. Obwohl das Spiel gut aussieht und mit seinen Animationen und Charakter-Designs überzeugt, machen manche Spielfiguren mit Spaghettihaaren und weitgehend ausdrucksloser Mimik keinen so guten Eindruck. Das holt das Spiel mit seiner Vertonung aber mehr als wieder raus: Vor allem die immer wieder eingestreuten Elemente aus der Schwarzen Sprache Mordors oder der Elbensprache geben dem Spiel echten Badass-Charakter.

Fazit:

Wenn ein Spiel es schafft, dass garstige Orks und abstoßende Monster irgendwie menschlich wirken; wenn ein Spiel es schafft, grausamen Todesanimationen einen Touch Ironie zu verpassen; und wenn ein Spiel es schafft, ohne großartige spielerische Variation stundenlang bestens zu unterhalten – dann haben die Game-Designer so einiges richtig gemacht. Bei Mittelerde –Schatten des Krieges ist das so. Zwar fühlt sich der zweite Teil eigentlich genauso an wie der erste, legt aber überall eine Portion drauf. Die Mittelerde-Formel ist in ihrem konzeptionellen Kern mit dem Erzfeind-System brillant, in ihrer spielerischen Ausführung sehr simpel, und in ihrem Ergebnis einfach nur spaßig und höchst unterhaltsam. „Schatten des Krieges“ nimmt sich selbst nicht so ernst und drückt bei seiner epischen Story genau die richtigen Herr-der-Ringe-Knöpfe, um noch als ernsthaftes Spin-Off durchzugehen. Nur eines kann man dem Spiel vorwerfen: dass es sich spielerisch kaum neu erfindet, sondern über die gesamte Spieldauer ständig gleiche oder ähnliche Spielelemente bietet. Nur halt immer besser und besser.

Unsere Wertung:
8.5
Tim Herrmann meint: "Äußerst gelungener Nachfolger, der an nahezu allen Stellen noch verbessert wurde, sich spielerisch aber kaum neu erfindet."
Mittelerde – Schatten des Krieges erscheint für PC und PlayStation 4 und XBox One. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
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2 Kommentare:
SantiagoWinehouse)
SantiagoWinehouse
Am 28.10.2017 um 08:07
Danke für den Test! Werde mir das Spiel in den kommenden Monaten holen. Erstmal Mario ;) und dann wahrscheinlich A.C. -
Hakuo)
Hakuo
Am 28.10.2017 um 09:22
Steht bei mir auch noch an, muss aber erst mal den ersten Teil beenden (wenn ich endlich mal von ff14 loskomme) :D