Test

The Last Guardian

Von Lars Peterke am 12.12.2016

Fumito Ueda gehört zu den anerkanntesten Game-Designern Japans. Das hat vor allem zwei Gründe. Sie heißen: ICO und Shadow of the Colossus. Wird The Last Guardian der dritte? Unser Test.

ICO und Shadow of the Colossus waren brillante Videospiele, die aufgrund ihrer besonderen Machart noch heute als Lehrbeispiele gelten, aus der Masse herausstechen und den Sprung aus dem Medium Videospiel hinein ins Popkulturelle schafften. Dementsprechend ungeduldig warteten Fans und Verehrer seit der Ankündigung auf die Veröffentlichung von Fumito Uedas drittem Werk "The Last Guardian". Das Problem: Diese Ankündigung ist inzwischen über sieben Jahre her. 

Ein ICO im Federkleid

In The Last Guardian schlüpft der Spieler in die Rolle eines kleinen Jungen, der ohne Erinnerungen in einer Höhle erwacht und den Weg zurück in sein Dorf finden muss. Bei aller Hilflosigkeit hat der Junge glücklicherweise aber einen sehr hilfreichen Begleiter: die Kreatur Trico, eine Art riesiger Hund, jedoch mit zwei Leuchtenden Hörnern, einem Federkleid anstelle des Fells und Flügeln. Ein Entkommen gibt es nur gemeinsam, Kind und Kreatur müssen in jeder Spielsituation entweder direkt zusammenarbeiten oder sich gegenseitig den Weg ebnen. 

Die Gameplay-Prämisse ist also mehr als Interessant. Allerdings lässt sich Trico nicht direkt vom Spieler steuern. Erst im späteren Spielverlauf ist es dem Jungen möglich, Trico Befehle zuzurufen. Im Gegenzug ist die kontrollierbare Spielfigur aber klein genug für schmale Öffnungen, clever genug für Schalter-Mechanismen und allen voran ein echter Klettermaxe. Somit fühlen sich locker 75 Prozent des Gameplays von The Last Guardian an wie eine Fortsetzung von ICO. Darüber hinaus kann der Spieler jederzeit auf den großen Trico hinaufklettern und so etwa höher gelegene Areale erreichen. Eine Prise Shadow of the Colossus fügt Ueda also ebenfalls hinzu, sodass ein Großteil der Spielmechaniken in The Last Guardian eigentlich ein alter Hut sind. Lediglich die Dynamik ist anders, da der Koloss in diesem Fall nicht Feind, sondern Freund ist.

Achterbahn der Gefühle

Zum Spielbeginn findet man Trico als eine hilflos angekettete, von Speeren durchbohrte Kreatur vor, die genauso misstrauisch wie bedürftig ist. Die ersten Hilfeversuche gestalten sich mehr als schwierig und die recht ungelenke Steuerung tut dem Spieler dabei keinen großen Gefallen. Bereits jetzt wird klar: hier geht es nicht um das Spiel selbst, sondern das gesamte Drumherum; die Anfangs undurchsichtige Handlung, die Atmosphäre und allen voran die Beziehung des Spielers zu seinem Begleiter Trico. Für Ueda ist das Gameplay nur eine notwendige Mechanik, die er anwendet, um den Spieler auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle schicken zu können. 

So ist die etwas ungelenke Steuerung auch so gewollt. The Last Guardian will kein schnelles Spiel sein. Der Spieler wird zur Ruhe gezwungen und soll sich Zeit lassen. Jede Interaktion in der Spielwelt soll Gewicht haben, während man selbige auf sich wirken lässt. Das mag für manche Spieler störend wirken, wenn man zuletzt Titel wie Uncharted oder Assasins Creed gespielt hat, trägt im Endeffekt aber zur beabsichtigten Stimmung bei.

Damit der Spieler eine Bindung zu seinem Gefährten aufbauen kann, lässt Ueda ihn über einen recht überschaubaren Zeitraum von ungefähr acht Spielstunden allerhand Rätsel lösen und Kletterpartien überwinden. Diese sind fast immer filigran in die Spielumgebung eingebunden und wiederholen sich - wenn überhaupt - nur mit einem eingebauten Twist. Darüber hinaus muss der Spieler je nach Spielsituation auch viel mit Trico direkt interagieren, etwa um ihn zu füttern oder nach einem nervenaufreibenden Kampf streicheln. Und das Konzept geht auf. Am Ende des Spiels spürt man als Spieler definitiv eine besondere Bindung zu seinem neuen Freund, wie es auch bei einem echten Haustier der Fall wäre. Das klappt besonders gut, sobald das erste Mal Gegner auf den Plan treten. Hier ist der Junge unabdingbar auf Tricos Mithilfe angewiesen. 

Bei den Gegnern handelt es sich um mysteriöse Soldaten in massiven Rüstungen, die jedoch keinen Körper zu haben scheinen. Sie versuchen den Jungen zu greifen und zu speziellen Türen zu schleppen. Das führt genau wie bei zu heftigen Stürzen zu eurem Ableben, doch Checkpoints sind großzügig platziert. Was zählt ist die Reise als Ganzes, und jeder soll sie genießen können. Auf dieser Reise seid ihr übrigens immer allein. Nur hin und wieder kommentiert das ältere Ich des Jungen das Geschehen in der Form des Geschichtenerzählers. Hinweise auf die Handlung und die Umstände, die den Jungen und Trico überhaupt erst zusammenbrachten, werden gekonnt subtil gestreut und erst spät im Spiel vollends aufgelöst.

Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind

The Last Guardian sollte ursprünglich für die PS3 erscheinen, wurde dann aber lange verschoben und schließlich für die PS4 neu angekündigt. Warum dies so ist, kann der Spieler schon nach der ersten Spielstunde vermuten. Trotz aller Fabelhaftigkeit wirkt The Last Guardian von der ersten Minute an hochplausibel. Das liegt vor allem daran, dass Trico wohl zu den aufwendigsten Charakteren der Videospielgeschichte zählt. Tausende Animationen sorgen dafür, dass sich das ungewöhnliche Tier immer perfekt in die verschiedenen Spielumgebungen einfügt, die gleichzeitig ebenfalls mit Sorgfalt handgemacht sind, damit die Rätsel so funktionieren können, wie sie es eben tun.

Neben der bloßen Animation verfügt Trico über eine clevere KI, die sich auch selbstständig zurechtfindet. Obgleich nicht selbst steuerbar, ist Trico der eigentliche Star des Spiels. Das wird dem Spieler auch unmissverständlich klar gemacht. Ruht der Controller auch nur für wenige Momente, beginnt die Kamera damit, Trico zu fokussieren. Glücklicherweise ist die KI clever genug um zu verstehen, was der Spieler wohl vorhat. Obgleich man auf die KI angewiesen ist, wird man nur selten verärgert, weil man etwa zu lang auf bestimmte Aktionen des vierbeinigen Freundes wartet. Einzig das Erteilen von Kommandos an Trico ist mangels umfassender Erklärungen anfangs mühsam. Auch dieser Umstand fügt sich aber perfekt in das Spielgeschehen ein. So erlernt man im Verlauf des Abenteuers selbstständig, wie die Kommandos wirken und erhält dadurch das Gefühl, dass die später innige Beziehung zu Trico auch direkte Auswirkungen auf das Gameplay hat.

Viel Arbeit ist also in das Verhalten und die Optik von Trico geflossen. Davon ab kann das Spiel seine Herkunft aber nicht wirklich gut verstecken. Über weite Teile sieht The Last Guardian aus wie ein HD-Remaster eines PS3-Spiels. Texturen, Levelgeometrie und Polygone zeugen an einigen Stellen von der langen Entwicklungszeit. Einzig an der Weitsicht der Spielumgebungen, einigen Lichtspielereien und der Inszenierung der wenigen Zwischensequenzen lässt sich erkennen, dass hier eine Konsole der aktuellen Generation am Werk ist. An der Kameraführung und der Steuerung haben die Entwickler über die Jahre zwar geschraubt, die Resultate sind aber natürlich nicht perfekt, da alles auf Basis der hauseigenen und inzwischen etwas betagten Spiel-Engine läuft. Hier wurde man über die Jahre hinweg von anderen Studios überholt. Das ist dank der herausragenden Art Direction aber schnell vergessen, etwa wenn sich der Spieler umdreht und sieht, wie sich Trico hinter ihm durch die Gänge der Ruinen vorantastet, Steine dabei von den Fassaden bröckeln und die Augen des Wesens magisch funkeln.

Akustisch verzichtet man über weite Teile des Spiels komplett auf Musik, um vollen Fokus auf das Schnauben, Heulen, Kratzen und Tabsen von Trico sowie die Kommunikation des Jungen mit ihm zu legen. Nur in Kämpfen, Zwischensequenzen und prägnanten Momenten setzen behutsam verträumte oder dramatische Orchester-Arrangements höchster Güteklasse ein, um den Spieler zu verwöhnen.

Fazit:

The Last Guardian ist rein objektiv betrachtet sicherlich kein fantastisches Videospiel und nicht für jeden Spielertyp geeignet, wohl aber ein durch und durch fantastisches Erlebnis. Fumito Ueda erschafft zum nunmehr dritten Mal eine atmosphärisch ungemein dichte Welt und erzählt in ihr auf behutsamste Weise eine zauberhafte Geschichte von Freundschaft und Vertrauen, die den Spieler bis zu ihrem Ende mitreißt und es danach schafft, noch lange nachzuwirken. Aus diesem Grund ist der Titel ganz klar jedem Spieler ans Herz zu legen, der am eigenen Leib erfahren will, wieso Videospiele aus erzählerischen Gesichtspunkten das aktuell spannendste Medium sind. Einzig auf technischer Seite nagt der Zahn der Zeit an diesem fantastischen Abenteuer, was glücklicherweise durch die stilistische Präsentation kompensiert wird.

Unsere Wertung:
9.0
Lars Peterke meint: "The Last Guardian erzählt eine der zauberhaftesten Geschichten der aktuellen Videospiel-Generation."
The Last Guardian erscheint für PlayStation 4. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
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2 Kommentare:
Farbi11)
Farbi11
Am 12.12.2016 um 19:15
Macht ihr vielleicht noch einen Retrotest zu ICO und Shadow of The Colossus? Oder hat jemand Lust eine Nutzerstory zu schreiben?
Samus_Aran)
Samus_Aran
Am 12.12.2016 um 21:54
Auf YouTube gibt es auf dem Kanal von DigitalFoundry eine Retro Revisited Reihe zu den Spielen. Vielleicht wäre das was für dich :)
RickGrimes)
RickGrimes
Am 12.12.2016 um 22:11
Da ich mir nicht sicher war ob dieses Spiel etwas für mich ist habe ich mir mal ein paar lets plays angeguckt. Trico ist ja schon verdammt cool und erinnert wirklich an ein "Haustier" wie er sich bewegt und reagiert ist schon bemerkenswert. Jedoch gefällt mir das Spielkonzept nicht so wirklich, ist ja mehr so eine art Coop-Spiel mit nem NPC. Vielleicht irgendwann mal wenns günstig zu haben ist, aber interessant ist es auf jeden Fall.