Test

Alone in the Dark

Von Jeremiah David am 19.03.2024

Lange ist’s her: Im Jahr 1992 veröffentlichte Infogrames (heute Atari) ein Computerspiel mit dem Titel „Alone in the Dark“ und erfand damit praktisch das Survival-Horror-Genre. Das Spiel erzählt die Geschichte des Privatdetektivs Edward Carnby, der für einen Antiquitätenhändler im düsteren Derceto-Anwesen in den Sümpfen von Louisiana ein altes Klavier suchen soll. Im Herrenhaus trifft er auf Emily Hartwood, die dort den Suizid ihres Onkels Jeremy Hartwood untersuchen will und in dem eben erwähnten Klavier einen Hinweis vermutet, der darauf hindeuten könnte, dass sich Jeremy womöglich nicht freiwillig erhängt hat.

1993, 1994, 2001 und 2008 erschienen diverse Nachfolger, die die Story mehr oder weniger erfolgreich weitererzählten. Das 2008 veröffentlichte „Alone in the Dark“ (trotz fehlender Zahl im Titel eigentlich der fünfte Teil der Reihe), spendierte der Serie erstmals eine dynamische Kamera und setzte einen starken Fokus auf Action statt Horror, was von Fans mit mäßiger Begeisterung aufgenommen wurde und der Serie ein vorläufiges Ende bescherte. Jetzt, im Jahre 2024, erscheint zum dritten Mal ein „Alone in the Dark“, diesmal allerdings nicht als Fortsetzung, sondern als Reboot. Publisher ist THQ Nordic als Teil der Embracer-Group; als Entwickler zeichnet sich Pieces Interactive verantwortlich. Wir haben das Reboot für euch getestet und verraten euch nachfolgend gerne, ob es sich gelohnt hat der altehrwürdigen Serie neues Leben einzuhauchen.

Edward und Emily

Was hat sich seit 1992 getan? Viel. Fangen wir mit der Story an: Edward Carnby (verkörpert von David Harbour) und Emily Hartwood (gespielt von Jodie Comer) sind nach wie vor die Protagonisten, und das Derceto-Anwesen im Hinterland von Louisiana dient noch immer als Kulisse für die Neuauflage des Horror-Klassikers, abgesehen davon hat sich die Geschichte des Spiels jedoch in etlichen Aspekten verändert. Als Privatdetektiv, der sich auf paranormale Phänomene spezialisiert hat, ist Edward neuerdings im Auftrag von Emily unterwegs, die sich Sorgen um ihren Onkel macht. Von einem Selbstmord ist keine Rede, allerdings wurde Jeremy aufgrund verschiedener Psychosen in das Derceto-Anwesen gebracht, von wo aus er seiner Nichte einen rätselhaften Brief zukommen hat lassen. In dem Brief behauptet er, das Personal und die Patienten seien Kultmitglieder und er selber würde von einem Schattenmann verfolgt werden.

In dem Anwesen angekommen, finden Edward und Emily rasch heraus, dass Jeremy seit einiger Zeit vermisst wird. Die anderen Bewohner der Derceto Manor – allen voran der exzentrische Dr. Gray – präsentieren sich als äußerst seltsame Zeitgenossen, weshalb die Neuankömmlinge beschließen, so lange im Herrenhaus zu bleiben, bis sie Jeremy gefunden haben. Als Spieler schlüpfen wir dazu in die Rolle von entweder Edward oder Emily, sind nachfolgend jedoch größtenteils solo unterwegs – klar, sonst wären wir ja nicht alone in der titelgebenden Dunkelheit.

Für weite Strecken weiß die bizarre Story um okkulte Praktiken gut zu unterhalten, es sollte jedoch niemand eine erzählerische Meisterleistung erwarten und einige Dialoge sind inhaltlich trotz kompetenter Synchronsprecher etwas verrückt bis vollkommen lächerlich. Mehr als nur etwas seltsam erscheint zudem, dass Edward und Emily nie effektiv zusammenarbeiten. Hin und wieder begegnen sie zwar einander, sprechen aber kaum über das, was sie herausgefunden haben und scheinen ganz allgemein wenig Interesse am Schicksal des jeweils anderen zu haben; Blutflecken in der Kleidung oder Schrammen im Gesicht werden dann einfach ignoriert.

Indiana Jones und der Fluch von Silent Hill

Spielerisch präsentiert sich das neue Alone in the Dark als Abenteuer- und Rätselspiel mit phasenweise überraschend geringem Horroranteil. Mit seinem hellen Hemd, seiner dunklen Weste und seinem Lederhut erinnert Edward Carnby fast ein wenig an Indiana Jones, erst recht, wenn er durch alte Gräber oder gar eine ägyptische Tempelanlage schleicht, diverse Fallen umgehen und verschiedene Denksportaufgaben lösen muss. Allerdings ist er nicht annähernd so agil wie der berühmte Archäologe. Edward und Emily können nur an vorgegebenen Stellen an Leitern hochklettern oder über Hindernisse hinwegsteigen. Den größten Teil des Spiels verbringen beide damit, Gegenstände zu suchen und wie in einem Point-&-Click-Adventure an bestimmten Orten einzusetzen, um neue Räume zugänglich zu machen oder Codes für einen Talisman zu finden. Wer möchte, kann das Spiel dabei auf "altmodische" Art und Weise zocken, oder aber "moderne" Hilfestellungen in Anspruch nehmen. Letztere lassen sich im Hauptmenü an- und ausschalten und betreffen vor allem die Karte, die dann zum Beispiel anzeigt, welche Türen sich öffnen lassen und in welchen Räumen noch Gegenstände zu finden sind.

Das Derceto-Anwesen gleicht in seinem Aufbau und Detailreichtum dem Herrenhaus aus Resident Evil, ist jedoch viel bunter gestaltet und Zombies suchen wir dort meist vergeblich. Wenn wir als Edward oder Emily die vielen schön gestalteten Patientenzimmer, den Dachboden, den Salon, den Keller, Dr. Grays Büro oder die Außenanlagen erkunden, können wir uns trotz untoter Gegner in der Regel sehr sicher fühlen. Wie kann das sein? Nun, wie in Silent Hill verfärben sich hin und wieder die Wände des Anwesens und eine „Fäulnis“ zieht mit Schlingpflanzen, Wurzelwerk, Sumpfwasser und dichtem Nebel über alles herein. Die häufig sehr plötzlichen Übergänge von einer Welt in die andere können zugegebenermaßen ziemlich cool sein, die Zweiteilung der Spielewelt raubt dem Titel jedoch einiges an Spannung, denn Gegner greifen uns ausschließlich in der von der Fäulnis heimgesuchten Welt an. In der Praxis heißt das, dass Gegner im Derceto so gut wie gar nicht auftauchen und wenn, dann mit einem Tapetenwechsel erst angekündigt werden.

Die allermeisten Gegner warten in Gebieten außerhalb des Derceto-Anwesens auf uns. Diese erreichen wir mit dem oben erwähnten Talisman und Koordinaten, die uns etwa in ein französisches Viertel, einen Sumpf oder ein Hafengebiet führen, wo wir mit einem Revolver, einer Schrotflinte, einem Maschinengewehr oder einer Leuchtpistole gegen eine überschaubare Auswahl an bizarren Wesen vorgehen. Edward und Emily können neben den Schusswaffen noch Alltagsgegenstände, wie eine Schaufel, einen Vorschlaghammer oder ein Paddel im Kampf einsetzen oder zufällig in der Gegend herumstehende Flaschen auf Feinde werfen. Wenn die Flaschen mit Alkohol gefüllt sind, werden Gegner entflammbar, was speziell bei Gruppen hilfreich sein kann. Grundsätzlich steuert sich unser Protagonist allerdings etwas träge, bedingt auch durch die Tatsache, dass er oder sie beim Nachladen einer Waffe oder beim Verwenden eines etwas fantasielos betitelten "Getränks" zur Regeneration der Lebensenergie nicht mehr rennen kann. Vor allem während zwei Bosskämpfen ganz am Ende des Spiels fällt die mittelprächtige Steuerung negativ auf.

Es ist übrigens völlig unerheblich ob wir mit Edward oder Emily spielen, weil sich beide trotz ihrer sehr unterschiedlichen Statur identisch steuern und dieselben Waffen verwenden können. Wer jedoch alle Sammelitems - sogenannte Lagniappes - finden möchte, muss die Story erst mit einem und dann mit dem anderen Charakter beenden, weil es für Edward und Emily trotz gleicher Hauptstory jeweils eigene Levelpassagen gibt. So verdoppeln die Entwickler auch mehr oder minder geschickt die Spielzeit, die ohne den zweiten Play-Through bei relativ kurzen sieben bis acht Stunden liegt.

Technisch präsentiert sich Alone in the Dark als zweischneidiges Schwert. Etliche Innenräume sind sehr schön gestaltet und gefallen mit vielen kleinen Details, die Außengebiete sind aber nicht auf demselben Niveau. Feuer- und Wassereffekte sehen aus, als wären sie der Xbox360/PS3-Ära entsprungen, und gleiches gilt auch für sämtliche Charaktere, die nicht Edward oder Emily heißen. Moderne Spielereien wie Subsurface-Scattering für eine realistischere Hautdarstellung, oder Glanz- und Partikeleffekte werden entweder nur sehr dezent oder gar nicht eingesetzt, wodurch so manche Figur oder Umgebung altbacken erscheint. Animationen sind zudem etwas hölzern, und wir wollen auch nicht verschweigen, dass wir mit unserem Charakter zwei Mal an einem unsichtbaren Hindernis in der Spielewelt hängengeblieben sind und daraufhin den letzten Speicherstand neu laden mussten. Ebenfalls erwähnenswert: Eine schlechte Übersetzung macht ein Rätsel im Hafengebiet für deutsche Spieler nahezu unlösbar (Edit 21.03.2024: Ein Patch hat dieses Problem behoben). Nur mit Hilfe einer vom Publisher bereitgestellten Komplettlösung konnten wir an dieser Stelle den Code für einen Safe herausfinden.

Fazit:

Alone in the Dark macht nichts furchtbar schlecht - im Gegenteil: Die Story rund um die fantasievollen Charaktere in Derceto ist in Ordnung, das Herrenhaus ist sehr detailliert, die düstere Anders-Welt recht atmosphärisch. Die Rätsel sind größtenteils unterhaltsam und sogar das simple Kampfsystem kann trotz der wenig ambitionierten Steuerung Spaß machen. Das Problem ist nur, dass es auch nichts wirklich herausragend macht und die direkte Horror-Herrenhaus-Konkurrenz in fast allen Belangen besser ist. Die Resident-Evil-Teile sind spielerisch und technisch deutlich überlegen, Tormented Souls bietet bessere Rätsel und eine noch dichtere, packendere Atmosphäre. Qualitativ bewegt sich Alone in the Dark eher auf dem Niveau von Spielen wie Call of Cthulhu oder Maid of Sker. Hinsichtlich der Story setzen alle auf B-Movie-Trash und nehmen sich so nicht viel.

Mit anderen Worten: Alone in the Dark ist kein schlechtes Spiel, aber weit vom Genre-Thron entfernt. Wer in das Genre hineinschnuppern möchte, sollte woanders anfangen. Wer die Alternativen jedoch bereits gespielt hat und mehr Survival-Horror möchte, bekommt ein solides, kurzweiliges Abenteuer vorgesetzt.

Unsere Wertung:
7.5
Jeremiah David meint: "Nicht überragendes, aber sehr solides Survival-Horror-Spiel mit Fokus auf Rätseln und Erkunden."
Alone in the Dark von Pieces Interactive erscheint am 20.03.2024 für PC und PlayStation 5 und XBox Series. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von THQ Nordic zur Verfügung gestellt.
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