A Highland Song
Dass Spiele mittlerweile oft deutlich mehr Wiederspielwert haben als noch vor ein paar Jahren, ist im Grunde genommen ein alter Hut. Prozedural generierte Level, die jeden Versuch oder Durchlauf zu einem einzigartigen Erlebnis machen, gehören in vielen Genres mittlerweile zum guten Ton, wenn sie nicht sogar ein Muss sind, um dafür zu sorgen, dass der Titel nicht schon nach kurzer Zeit mangels Abwechslung wieder deinstalliert wird. Das funktioniert bei einigen Spielprinzipien natürlich besser als bei anderen und gerade das Jump’n’Run Genre ist hier oft zwangsläufig festgefahren, da es zum Spiel gehört, sich bestimmte Sprung- und Bewegungsfolgen zu verinnerlichen, um herausfordernde Parcours bewältigen zu können. Die Entwickler des britischen Indie-Studios Inkle haben sich der Herausforderung, einen narrativen Plattformer mit Wiederspielwert zu schaffen, aber trotzdem einmal gestellt und dabei das uns vorliegende “A Highland Song” geschaffen. Wir haben uns die Kombination zweier eigentlich unvereinbarer Spiel-Konzepte auf der Nintendo Switch einmal genauer angesehen und sind mehrfach auf die gleiche und doch immer andere Reise gegangen.
Über sieben(?) Berge musst du gehn
Die Geschichte eurer Protagonistin Moira ist so gewöhnlich, dass es fast schon wieder etwas besonderes ist: Mit ihrer Mutter zurückgezogen in den schottischen Highlands lebend, schreibt sich die Teenagerin mit ihrem Onkel, der in einem Leuchtturm vor der schottischen Küste sogar noch zurückgezogener lebt, regelmäßig Briefe in denen sich die beiden teils poetisch, teils historisch über ihre Heimat austauschen. Als eines Tages ein Brief erscheint, in dem der Onkel Moira darum bittet, ihn innerhalb von sieben Tagen zu besuchen, lässt sich das Mädchen nicht lange bitten und läuft kurz entschlossen von zuhause weg, im stillen Vertrauen darauf, dass die mysteriöse Aufforderung letztlich den steinigen Weg zur Küste wert gewesen sein wird. Als Spieler seid ihr an dieser Stelle natürlich sogar noch ein wenig ahnungsloser als Moira. Denn anders als die Figur wisst ihr bisher kaum etwas über die Hintergründe und Geschichten der Charaktere, die euch das Spiel im Laufe der Reise nach und nach erzählt. Fast immer lauscht ihr dabei den Überlegungen, Erinnerungen und Selbstgesprächen Moiras, während sie alleine durch die Natur rennt, springt und stolpert und erhaltet so, frei von abenteuerlichen Entwicklungen, einen Einblick in die Seele des Teenagers, die ihre eigenen Probleme und Dramen im Leben hat. Über den zweiten Protagonisten des Spiels, die schottischen Highlands, erfahrt ihr natürlich auch eine ganze Menge und bekommt verschiedene Mythen und Geschichten der Region in Kurzform erzählt. Auf diese Weise schafft das Spiel eine stimmige Atmosphäre und eine emotionale Bindung zu Moira, die ihr während der Reise gut gebrauchen könnt.
Stock und Stein bricht das Bein, aber nicht unsere Motivation
Ähnlich wie die Geschichte liest sich auch das grundsätzliche Spielkonzept auf den ersten Blick beinahe langweilig und wenig innovativ: Ihr startet bei eurem Haus und müsst es in sieben Spieltagen zum Leuchtturm eures Onkels schaffen. Viel Spaß.
Um das Ganze dann aber doch spürbar interessanter zu machen und trotzdem die Balance zwischen Abenteuer und beschaulicher Reise zu wahren, hat sich Incle einige Spielideen überlegt und diese geschickt miteinander verwoben: Zuerst einmal wäre da euer Charakter Moira, die, besonders im Zusammenspiel mit der Landschaft Schottlands, vieles ist, aber keine Superheldin. Wer von euch im realen Leben schon einmal eine Wanderung durch unebenes Gelände abseits von asphaltierten Straßen unternommen hat, kennt die Mühen, die eine 45°-Steigung mit sich bringt, selbst wenn Helden wie Lara Croft oder Nathan Drake sie immer wieder problemlos überwinden können. Für alle uneingeweihten: Es ist nach einer Weile verdammt anstrengend. Ähnlich ergeht es auch Moira, für die Unfälle, aber auch das harsche Wetter der schottischen Berge immer wieder Probleme darstellen. So gilt es, steile Abhänge überlegt hinauf- und hinabzuklettern, tiefe Stürze zu vermeiden und grundsätzlich sorgsam mit eurem Charakter umzugehen. Die digitale Version Schottlands bemüht sich unterdessen, das reale Wetter der Region nachzubilden und lässt euch immer wieder in Stürme, Gewitter und eisige Regionen geraten. Ausgestattet mit einer anfangs durchaus anständigen Lebensleiste, verkürzt sich der Balken mit jedem aufgescheuerten Schienbein jedem geprellten Knöchel und jedem durchwanderten Gewitter immer weiter und kann nur mit einer Rast an einem möglichst geschützten Ort wieder aufgefüllt werden. Da aber jede Pause immer einige Stunden der sieben Tage kostet, die Moira zum Erreichen des Leuchtturmes bleiben, gilt es hier überlegt vorzugehen und zwischen gewonnener Gesundheit und verlorener Zeit abzuwägen. Wer zu lange rastet, verliert wertvolle Stunden des Tages (Nachts muss Moira eh irgendwann zwangsläufig ausruhen), wer sich um seine Gesundheit nicht kümmert, erwacht nach einer Niederlage am nächsten Tag an einem vom Spiel automatisch gesetzten Speicherpunkt und hat ebenfalls Zeit verloren.
Was zunächst nach einer Lose-Lose Situation wirkt, funktioniert in dem Spiel sehr gut und gibt euch, wenn ihr nicht zu sehr trödelt, genug Zeit, um rechtzeitig die Küste zu erreichen. Welchen Weg ihr zu dem Ziel nehmt überlässt das Spiel euch und offenbart hier sein Konzept für den erhöhten Wiederspielwert: Denn die Welt, obwohl statisch gestaltet, besitzt so viele Abzweigungen und Möglichkeiten, dass es ohne mitzuschreiben fast ausgeschlossen ist, bei zwei Durchläufen des Spiels den exakt gleichen Weg zu wählen. Wie in einem Diorama könnt ihr immer wieder die Ebene wechseln, wenn sich euer Pfad mit einem anderen im Vorder- oder Hintergrund kreuzt und euch auf diese Weise dreidimensional durch das 2D-Spiel bewegen. Neben geheimnisvollen Höhlen und Gipfeln, die euch einen Ausblick über das Land bieten finden sich auch immer wieder kleine Hütten und andere Sehenswürdigkeiten mit denen ihr zum Teil wie in einem Adventure interagieren könnt, sofern ihr im aktuellen, oder einem vorherigen Durchlauf den benötigten Gegenstand gefunden habt. Bestimmte Wege werden sich dementsprechend erst bei späteren Durchläufen öffnen und euch weitere Orte freigeben, die Moira alle in ihrem Tagebuch notiert. Auf diese Weise schafft es das Spiel, das eigentlich innerhalb von fünf Stunden durchgespielt werden kann, immer wieder zu motivieren und mit seinem durchdachten Weltdesign für Abwechslung zu sorgen. Kletterpartien werden immer wieder von kurzen Rhythmus-Spielen unterbrochen, in denen Moira ein Reh über Stock und Stein verfolgt und im Rhythmus der Musik über Hindernisse springen muss, um schnell voran zu kommen, ohne sich dabei zu verletzen. Hier findet sich auch einer der wenigen Kritikpunkte des Spiels, denn die Rhythmus-Spiele können zwar oft, aber nicht immer umgangen werden und mit niedriger Gesundheit stellen die immer schneller werdenden Bereiche mit der Zeit eine echte Gefahr für Moiras Lebensbalken dar. Auch die vielen steilen Passagen, die mitunter in Sackgassen enden fordern hin und wieder ihren Tribut und so kann es tatsächlich passieren, dass ihr euch verlauft und es nicht rechtzeitig zu eurem Onkel schafft, was wie immer, wenn man sich verloren fühlt, für ein wenig Frust sorgen kann. Aber auch hier bemüht sich das Spiel darum, euch eine möglichst entspannte Erfahrung zu bieten und läuft nach Ablauf der sieben-Tage-Frist einfach weiter. Ihr kommt dann zwar später als erhofft beim Ziel an und bekommt das richtige Ende des Spiels nicht präsentiert. Moiras (und auch eure Welt) geht deswegen aber noch lange nicht unter und auch verspätet fühlt sich die Einkehr beim Onkel belohnend an. Wer im Anschluss einen weiteren Reise-Versuch unternimmt, wird feststellen, dass die gesammelten Erfahrungen und Gegenstände der vorherigen Reise vieles einfacher machen und man dieselben und alle anderen Wege mit der Zeit immer zügiger und geschickter durchspielt. Eine bessere Methode, um Wiederspielwert, Abwechslung und Motivation in einer statischen Spielwelt zu schaffen, wird sich, die großen AAA-Spiele mal außen vor gelassen, kaum finden.
Eine kleine Warnung
Während sich “A Highland Song” in vielen Bereichen um eine breitgefächerte Zugänglichkeit bemüht, macht der Titel bei der Sprache keine Kompromisse. Moira spricht und denkt im schottischen Dialekt und auch die Untertitel werden euch ausschließlich in dieser Schreibweise angeboten, was das Spiel wunderbar authentisch macht, Spieler aus anderen Teilen der Welt aber immer wieder vor Probleme stellen kann. Dass “Ah dinnae ken” für “I don’t know” (Übersetzt: “ich weiß nicht”) steht, wurde zumindest mir in der Schule nicht vermittelt und wer um die englische Sprache grundsätzlich einen Bogen macht, kann sich den Kauf des Spiels (leider) grundsätzlich sparen. Für Sprachkundige kann sich eine kurze Suche im Internet aber lohnen, um einige der gängigsten Eigenheiten des Dialekts (drei Vokabeln finden sich ja schon da oben) kennenzulernen. Der Rest ergibt sich dann von selbst aus dem Kontext der Dialoge.
Fast immer auf der Höhe
Technisch präsentiert sich das Spiel in seinem ganz eigenen grafischen Stil und mischt natürliche Töne und Farben, um die Schönheit aber auch die Härte der schottischen Landschaft stimmungsvoll einzusammeln. Moira dagegen wirkt in ihren Animationen eher wie einem Studio Ghibli Anime entsprungen und setzt sich mit ihrer bunten Kleidung immer gut erkennbar vom Hintergrund ab. Die Switch scheint bei der Darstellung der weitläufigen Ansichten in einigen wenigen Momenten ins Schwitzen zu kommen, doch in der Regel kommt die Konsole seltener als Moira ins Stolpern, sodass alles immer sauber und flüssig dargestellt wird. Unterlegt wird das Geschehen nicht nur mit der erwähnten stimmigen Synchronisation, sondern auch von einer Mischung aus ruhigen Klängen im regulären Spiel und schwungvollen Folk-Stücken der Bands “Talisk” und “Fourth Moon” während der Rhythmusspiele. Die schlicht gehaltene Steuerung funktioniert ohne Probleme und kann im Menü, so wie einige Aspekte des Gameplays gesondert angepasst werden und auch die Ladezeiten tun sich angenehm zügig hervor. Insgesamt lässt sich das Spiel sowohl mobil auch stationär sehr gut spielen. Auf dem kleinen Bildschirm kann es nur in Höhlen aufgrund der Dunkelheit mitunter ein wenig unübersichtlicher werden. Unspielbar wird es aber nie.
Fazit:
A Highland Song ist, im besten Sinne, ein hinterhältiges Spiel. Mit Versprechungen von großen Augenblicken lockt es euch ans Meer und verschweigt dabei völlig, dass schon der eigentliche Weg dahin die Reise wert ist. Über saftige Wiesen rennend und springend, sich durch düstere Höhlen tastend und in eisigen Stürmen und Gewittern frierend, verfolgt ihr Moira auf ihrer Reise durch eine Welt, die frei von herkömmlichen Gegnern trotzdem voller Abenteuer und Wunder steckt. Dabei lernt ihr nicht nur eure Figur, sondern auch das schottische Hochland mit seinem rauen Klima, der unbezwingbar wilden Natur und den wunderschönen Ausblicken kennen, in einem Spiel, das sich, von einigen Momenten abgesehen, immer wieder großartig spielt. Wer Lust auf einen kurzen Trip in die Natur hat, ohne die gemütliche Couch verlassen zu müssen und der englischen Sprache mächtig ist, kann jederzeit bedenkenlos zugreifen.