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Harmony: The Fall of Reverie

Von Robert Emrich am 24.06.2023

Von Don’t Nod, den Machern der viel gerühmten “Life is Strange”-Reihe gibt es endlich wieder etwas neues. Wir haben uns das jüngste Werk, genannt “Harmony: The Fall of Reverie”, einmal genauer angesehen und verraten euch, worauf ihr euch dieses mal freuen könnt.

Von Familien, Bestrebungen und untergehenden Welten

Unsere Geschichte beginnt in der fiktiven Stadt Atina in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft als Polly, die Protagonistin des Spiels, nach Jahren der Abwesenheit wieder in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um das mysteriöse Verschwinden ihrer Mutter zu untersuchen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war zuletzt nicht immer das einfachste und so ist die Aufarbeitung der Jugend ein weiterer Grund für Pollys Rückkehr. Doch in Mamas Wohnung angekommen, bleibt kaum Zeit für weitere Untersuchungen, denn ein geheimnisvolles Amulett, das Polly in der Wohnung findet, beginnt vor ihr leuchtend in der Luft zu schweben ehe es sie durch eine gefüllte Badewanne in eine Paralleldimension zieht. Als wäre das nicht schon merkwürdig genug gewesen, findet sich unsere Heldin plötzlich in einer neuen, unbekannten Welt wieder, in der sie von einer junge Frau namens Seligkeit begrüßt wird. Seligkeit erklärt ihr, dass sie eine menschliche Bestrebung ist und mit anderen Bestrebungen wie Macht, Wahrheit oder Chaos hier in der Dimension Reverie lebt. Mit gewissen göttlichen Kräften ausgestattet, können sie und ihre Kameraden sich unsichtbar in der Dimension der Menschen bewegen, mit denen sie eine symbiotische Beziehung pflegen, um das Überleben beider Völker zu gewährleisten. Denn weder Bestrebungen noch die Menschheit können ohne den anderen überleben. In jeder Generation wird außerdem ein Mensch als Prophet geboren, der in beiden Welten lebt und wenig überraschend ist Polly diese eine Person, die in Reverie als Bestrebung Harmonie die Balance zwischen den Welten halten soll und dafür mit besonderen Kräften gesegnet ist. So kann sie nicht nur zwischen den Dimensionen hin und her springen, sondern auch bis zu einem gewissen Grad in die Zukunft sehen, um die Auswirkungen von Gesprächsverläufen und Entscheidungen bereits im Vorfeld zu sehen. Eine durchaus sinnvolle Fähigkeit, die Polly gut gebrauchen kann, denn sowohl Reverie als auch Brittle, die Dimension der Menschen, liegen im Sterben und es hängt alleine von Polly und ihren Entscheidungen ab, wie sich die Zukunft der beiden Welten entwickelt. 

Wie so oft in Don’t Nods Spielen, liegt der Fokus klar auf der erzählten Geschichte und den beteiligten Charakteren, die mit großer Sorgfalt ausgearbeitet wurden. Dabei lässt sich der Titel nach den Ereignissen des Intros bewusst Zeit, um alles aufzubauen und auch die Figuren fallen nicht mit der Tür ins sprichwörtliche Haus. So stellen sich Freunde und Bekannte von Polly nicht noch einmal bei ihr und damit euch vor, da Polly die Charaktere ja schon kennt. Vielmehr ist es an euch, den Gesprächen aufmerksam zu folgen, um auf diese Weise zu verstehen, in welcher Beziehung die Figuren zueinander stehen. Das fühlt sich manchmal ein wenig an, als wäre man die einzig fremde Person auf einer Party auf der sich sonst alle kennen, doch das Spiel rückt früher oder später mit allen nötigen Informationen heraus und bietet euch für das aktuelle Kapitel in dem ihr euch befindet auch immer die Möglichkeit, bereits erlebte Dialoge noch einmal nachlesen zu können, falls ihr das Gefühl habt, etwas verpasst zu haben. Wie zuvor schon die “Life is Strange”-Spiele mochte auch Harmony: The Fall of Reverie die eine oder andere Untiefe der menschlichen Psyche ausloten und tatsächlich befasst sich das Spiel mit einigen zum Teil nicht ganz leichten Themen. Dabei hält das Spiel, obwohl es euch aufgrund eurer Entscheidungen immer tiefer in den Kaninchenbau eurer Seele führt, aber stets eine gewisse Distanz, sodass euch das Geschehen auf dem Bildschirm auch in traurigen Momenten keinen Schlag in die Magengrube verpasst (ja, ich meine Dich, “The Last of Us: Part 2”-Endkampf). Stattdessen habt ihr die Möglichkeit, die Geschichte, ihre Figuren und deren Motivationen aus allen möglichen Blickwinkeln bewusst und in Ruhe zu betrachten. Auf diese Weise spielt sich der Titel sehr entspannt, schafft es aber nicht einen vergleichbar bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Die Qualen der Wahlen

Spielerisch ist Harmony: The Fall of Reverie eher eine interaktive grafische Novelle als ein tatsächliches Spiel, denn obwohl das Intro eine gute Prämisse für ein Action-Adventure abgeben würde, ist für euch in Sachen Steuerung der Charaktere kaum etwas zu tun. Vielmehr verfolgt ihr die Gespräche der Figuren untereinander und fällt in Schlüsselmomenten Entscheidungen, die den weiteren Verlauf des Spiels beeinflussen. Hierfür steht euch das Mantik-System zur Verfügung, das sich wie ein Baum immer weiter verästelt und bei dem Entscheidungen euch unterschiedliche Wege bieten, um ans Ende des Kapitels zu kommen. Da Polly als Bestrebung Harmonie, über die Fähigkeit verfügt, ein wenig in die Zukunft zu sehen, könnt ihr euch innerhalb der Mantik des aktuellen Kapitels frei bewegen und von zukünftigen Abschnitten in den meisten Fällen den Titel und eine auf einen Satz reduzierte Information zum Inhalt lesen. Außerdem seht ihr, welche Bestrebung ihr durch welche Entscheidung stärkt, was nicht nur Einfluss auf das aktuelle Gespräch oder das Kapitel, sondern auch auf das Ende des Spiels haben kann. So stärkt zum Beispiel eine Antwort, die darauf abzielt möglichst glücklich zu werden, die Bestrebung Seligkeit und es ist an euch zu entscheiden, ob ihr einer der sechs Bestrebungen den Vorzug gebt, oder die Macht durch überlegte Antworten unter den Bestrebungen aufteilt.

Damit ihr aber im Verlauf der Gespräche nicht wahllos zwischen den Bestrebungen hin- und herwechselt, um etwa alle gleich zu stärken, nutzt das System verschieden Mechaniken, durch die zukünftige Punkte abhängig von euren Entscheidungen gesperrt oder freigeschaltet werden. Zusätzlich gibt es hin und wieder Mechaniken, die euch den Blick in die Zukunft für eine Weile unmöglich machen, sodass ihr dann Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen fällen müsst. Das Spiel führt die Regeln nacheinander und ohne Hast ein, schaffte es aber gerade am Anfang stellenweise, uns eher zu verwirren, als die Situation ersichtlich zu erklären, da sich die Regeln, warum etwas verfügbar oder gesperrt ist, zum Teil nur durch Kleinigkeiten unterscheiden. Letztlich erschließt sich das meiste aber früher oder später von selber, zumal das Spiel die Bedingungen für die Freischaltung eines Abschnitts immer sauber auflistet. Außerdem kann das aktuelle Kapitel, bis ihr es abschließt, immer wieder von vorne begonnen werden, wenn euch der erspielte Verlauf nicht gefällt. Wirklich scheitern lässt euch das Spiel also nie. Etwa zehn Stunden dauert es, bis das Ende des Abenteuers erreicht ist und eine der Bestrebungen zum neuen Herz von Reverie aufgestiegen ist. Da es insgesamt sechs Bestrebungen gibt, bietet sich hier für Fans der Geschichte ein gewisser Wiederspielwert, bei dem neue Optionen und Dialoge ausprobiert werden können. Da einige Handlungsabschnitte aber unabhängig von euren Entscheidungen immer wieder auftauchen, ist eine Pause zwischen den Durchläufen ratsam.

Technisch sauber aber nicht perfekt

Für Pollys Geschichte nutzt Don’t Nod nicht die 3D-Engine der “Life is Strange”-Spiele sondern gezeichnete Charaktere und Hintergründe im Zeichentrick-Stil, was auf der Nintendo Switch sehr gut funktioniert und aussieht. Egal ob ihr auf dem Bildschirm der Konsole oder am heimischen Fernseher spielt: Das Bild sieht immer sehr gut aus und die Dialogtexte sind auch auf dem kleinen Bildschirm problemlos zu lesen. Wie es in Zeichentrick-Serien immer mal wieder vorkommt, wurden auch die Animationen der Charaktere während der Animationen immer wieder verwendet, was dem anfänglichen Wow-Effekt mit der Zeit den Wind aus den Segeln nimmt. Das ist wenig überraschend und ändert nichts an der Qualität der Geschichte, doch ein wenig mehr Abwechslung wäre schön gewesen, um das Geschehen auf dem Bildschirm länger frisch wirken zu lassen. Der Soundtrack begleitet euch mit schönen Harmonien durch das Spiel und unterlegt die Handlung passend, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Die ausschließlich englische Synchronisation ist ebenfalls sehr gut geworden und überzeugt dank der Sprecher, denen man ihre Sorgfalt bei der Arbeit anhört. Es ist ein wenig schade, dass die vielen Gedanken von Polly nicht ebenfalls synchronisiert wurden und eine deutsche Synchro wäre für alle, die Probleme mit der englischen Sprache haben, sowieso eine schöne Sache gewesen. Doch die saubere Übersetzung der geschriebenen Dialoge macht das Spiel auch in solchen Fällen für jeden von euch zugänglich. Die Ladezeiten zwischen den einzelnen Abschnitten gehen objektiv gesehen okay und fallen beim ersten Durchspielen nur vereinzelt auf. Bei späteren Durchläufen kann sich das aber ändern, wenn man bekannte Dialoge im Schnelldurchlauf durchdrückt und diese dann länger laden, als sie tatsächlich dauern. 

Fazit:

Harmony: The Fall of Reverie hat es nicht leicht. Als Titel, der von den Machern der “Life is Strange”-Reihe geschaffen wurde und ebenfalls in der Sparte der narrativ-lastigen Spiele eingeordnet werden möchte, muss er sich natürlich dem Vergleich mit den Vorgängern stellen. Doch der durchdachten Geschichte, der schön gestalteten Grafik und der tollen Akustik stehen einige Schwächen gegenüber, durch die das aktuelle Spiel qualitativ nicht an die genannten vorherigen Titel des Studios heranreicht. Dennoch ist das neue Spiel von Don’t Nod kein schlechtes Spiel und Freunde des Genres werden mit Pollys Abenteuer sicherlich viel Spaß haben. Wer mit dem Genre nichts anfangen kann, oder seine Charaktere im Spiel lieber selber steuern möchte, sollte an dieser Stelle aber gewarnt sein. Dennoch kann sich ein Blick über den Tellerrand immer lohnen.

Unsere Wertung:
7.5
Robert Emrich meint: "Gute Kost für Freunde des Genres."
Harmony: The Fall of Reverie von DON'T NOD erscheint am 08.06.2023 für PC und PlayStation 5 und Nintendo Switch und XBox Series. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von DON'T NOD zur Verfügung gestellt.
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1 Kommentar:
Jerry)
Jerry
Am 25.06.2023 um 15:24
Mich schreckt da allein schon die Präsentation ab. Ich mag storylastige Spiele, aber möchte die Charaktere selber steuern können.
2null3)
2null3
Am 25.06.2023 um 16:45
Ja, das Spielprinzip ist da ziemlich kompromisslos. Grundsätzlich steuere ich meine Figuren auch lieber selber.