
Drag x Drive
Für die meisten Spieler sind die Titel, mit denen Nintendo zum Start einer neuen Konsolengeneration die neuen Funktionen der jeweiligen Plattform bewirbt, mittlerweile Usus: “Wii Sports” (Wii), “Nintendo Land” (Wii U), und die beiden Titel “1, 2, Switch” und “Arms” für die Switch wurden zeitgleich mit oder kurz nach der Veröffentlichung der Konsolen auf den Markt gebracht und konnten oft überzeugend, aber nicht immer begeisternd zeigen, was die neue Hardware so alles auf dem Kasten hat. Denn während uns Spiel wie “Wii Sports” teilweise jahrelang immer wieder zu einer Partie Bowling oder Tennis verlocken konnten, wurden andere Werke aufgrund ihres mangelnden Umfangs oder der nicht zu Ende gedachten Konzepte schnell zu einem Schattendasein im heimischen Regal verbannt. Für die im Juli erschienene Switch 2 schickt Nintendo jetzt wieder zwei Titel ins Rennen: Die interaktive Anleitung “Nintendo Switch 2 Welcome Tour” erschien zeitgleich mit der Konsole, während jetzt Drag x Drive nachgereicht wird, das euch anhand eines Rollstuhl-Basketball Matches die neue Maus-Funktionalität der Joy-Cons näher bringen soll. Warum diese Idee interessant und stellenweise auch spaßig ist, aber trotzdem nicht zu Nintendos Sternstunden zählt, erfahrt ihr hier.
Rollen bis die Schenkel glühen
Spielerisch lässt sich Drag x Drive am besten mit einer Mischung aus Rollstuhl Street Basketball und Epics “Rocket League” vergleichen: Zwei Teams mit jeweils drei Spielern versuchen in Matches, die drei Minuten dauern, so viele Bälle wie möglich im Korb der gegnerischen Mannschaft zu versenken. Soweit so bekannt. Die große Besonderheit im Gameplay ist die Kontrolle eurer Spielfigur, die der Steuerung eines Rollstuhls nachempfunden wurde: Indem ihr die Sensoren des linken oder rechten Joycons über eine beliebige Oberfläche, wie eine Tischplatte oder auch eure Hosenbeine schiebt, treibt ihr das linke oder rechte Rad des Rollstuhls eures Charakters an, sodass ihr durch den Einsatz beider Controller gleichzeitig nach vorne beschleunigt und mit dem Einsatz eines Joycons Kurven fahrt. Mit den ZL und ZR Tasten können die Räder einzeln gestoppt werden, was in Kombination mit dem Anheben eines oder beider Joycons für verschiedene Tricks wie Ollies und das Fahren auf einem Rad verwendet werden kann. Halfpipes am Spielfeldrand lassen euch sogar noch höher springen und verschiedene Tricks und sogar Dunks ausführen. Ohne den Einsatz der Bremsen hebt eure Figur ihre Arme und ahmt die Bewegungen nach, die ihr mit dem Controller macht, sodass ihr Mitspielern für einen Pass zuwinken oder auch einfach nur in die digitalen Hände klatschen könnt. Und mit dem Ball in der Hand und in der Nähe des gegnerischen Korbes werft ihr den Ball mit einer tatsächlichen Wurfbewegung (achtet auf angelegte Handgelenkschlaufen), während ein Pass zu anderen Spielern durch das zeitgleiche Drücken der beiden Tasten Z und R relativ mühelos erledigt werden kann.
Was sich hier vielleicht ein wenig umständlich liest, spielt sich im Verlauf der Partien erstaunlich intuitiv und wird durch Features wie das neue HD Rumble, das sogar das Rollen über unterschiedliche Bodenbeläge simuliert, noch weiter in Szene gesetzt. Dennoch zeigten sich hier in den ersten Minuten einige der Probleme, mit denen ihr in dem Titel zumindest am Anfang unter Umständen zu kämpfen habt: Da wäre zum einen das rein logistische Problem, dass die Sensorseiten der Controller auf der Fläche liegen müssen und ihr die Joycons in einer ungewohnte Haltung greifen müsst, in der unter Umständen auch noch die Thumbsticks im Weg sind. Dazu kommt die physische Anstrengung, die mit den zum Teil hektischen Bewegungen einher geht, die für eine schnelle Fahrt über den Platz nötig sind. Verschiedene Besucher der Switch 2 Experience berichteten nach dem Anspielen des Titels von leichten Schmerzen in den Armen und ob die für viele Spieler ungewohnten Bewegungen oder der seltsame Griff die Ursache waren, können wir nur vermuten. Einen großartigen ersten Eindruck vermittelt das Spiel aber nicht, wenn man sich wild über die Oberschenkel reibt und immer wieder unvermittelt und an ein verlorenes Mitglied einer Laola-Welle erinnernd die Hände in die Luft wirft, die sich seltsam um die Joycons krallen. Mit der Zeit und nach etwas Übung und Eingewöhnung hatte ich während des Tests aber schnell keine Probleme mehr und konnte mich vor meinem Fernseher auf einem Stuhl sitzend gut der Immersion des Titels hingeben.
Dass die Matches ziemlich anstrengend sein können, ist natürlich auch Nintendo bewusst geworden und so liegen zwischen den einzelnen Partien immer ein paar Minuten Pause, in denen ihr entweder eure Arme ein wenig ausruhen, oder an einem der beiden Minispiele teilnehmen könnt, zu denen das Spiel unregelmäßig aufruft. Außerdem habt ihr in den Pausen Gelegenheit, euch für spätere Spiele auswechseln zu lassen, um vom Spielfeldrand aus zuzugucken oder alleine ein wenig zu trainieren. Die virtuelle Halle, in der sich immer zwei Spielfelder befinden, bietet alle möglichen kleinen Übungen, um den Umgang mit der Steuerung immer weiter zu trainieren. Und für Spieler, denen das nicht reicht, gibt es die Möglichkeit, gegen Bots in neun Schwierigkeitsstufen anzutreten, um in authentischen Matches immer besser zu werden. Wie viele andere Sportspiele hat auch Drag x Drive durch seine vielen Tricks, die auch während der Matches sinnvoll eingesetzt werden können, ein relativ hohes Skill-Ceiling und ist dementsprechend leicht zu erlernen, aber schwer zu meistern. Spiele gegen andere Menschen sind auf dem Weg zum Profi dementsprechend unerlässlich, machen aber ein anderes Problem des Titels deutlich. Denn ihr könnt entweder gegen zufällige fremde Menschen aus der ganzen Welt oder mit euren Freunden spielen, aber nicht mit Freunden gegen zufällige fremde Spieler antreten. Eine nachvollziehbare Designentscheidung, um einzelne Spieler nicht zu verprellen, die auf der anderen Seite aber die kompetitiven Ansätze, mit denen der Titel mit Spielen wie Rocket League hätte gleichziehen können, massiv untergräbt. Ein dritter Spielmodus, in dem sich feste Teams gegeneinander messen können, wäre hier in jedem Fall sinnvoll, zumal die komplett zufälligen Spiele während meines Tests oft in spaßigem, aber wenig strukturiertem oder kooperativem Chaos endeten.
Von möglichen moralischen Graustufen …
Ein weiteres recht interessantes und auch komplexes Thema sind die Gefährte, in denen die Spielfiguren sitzen und die Art, wie diese einsetzt und beworben werden. Grundsätzlich ist es natürlich toll, dass sich Nintendo an das Thema herangewagt hat und es sich nicht mit einem anderen Spielkonzept leicht gemacht hat, bei dem die Inklusion und Repräsentation des Sports vielleicht weggefallen wäre. Aber auf der anderen Seite bezeichnet Nintendo die Gefährte der Spieler immer nur als “rollstuhlähnlich” (oder “vehicle” im englischsprachigen Raum), weswegen sich der Konzern die Frage gefallen lassen muss, ob sie mit diesen Bezeichnungen mögliche Klagen oder Imageschäden bereits im Vorfeld unterbinden wollten, oder aber den Sport für ihre Spieler “cooler” machen möchten. Da Spiele uns in der Regel ein Erlebnis oder Gefühl vermitteln wollen, das uns im Alltag fehlt, wäre die letztgenannte Option rein marketingtechnisch zwar nachvollziehbar, der ursprünglichen Idee, sofern diese je so bestand, würde Nintendo damit aber keinen besonderen Gefallen tun. Dementsprechend gibt es auch hier noch ein gewisser Nachholbedarf - wenn auch nicht beim Spiel selber.
… und tatsächlichen Graustufen
Ähnlich wie beim Spielkonzept geht Drag x Drive auch optisch eigene Wege. Während andere kompetitive Spiele wie Splatoon oder Rocket League viel mit Farben arbeiten, präsentiert sich der Rollstuhlbasketball-Court so grau, dass man in den ersten Minuten am liebsten das Bild des heimischen Fernsehers nachjustieren möchte. Hinter der auf den ersten Blick tristen Grafik steckt aber ein Plan, der in den laufenden Matches Sinn ergibt: Dadurch, dass ihr nicht steht und euch auch nicht so agil bewegen könnt, wie die Spieler in anderen Basketball-Spielen, steckt ihr mehr Aufmerksamkeit in die Steuerung eures, wir nennen das Kind jetzt mal beim Namen, Rollstuhls. Auf einem extrem bunten Spielfeld wäre es nicht gerade leicht, den Überblick über den Ball und alle Gegen- und Mitspieler zu behalten. Da das Spiel hier aber Ball (gelb), Gegenspieler(rot) und Mitspieler(blau) farblich klar trennt und sauber umrandet, habt ihr im Spielgeschehen auch in der größten Hektik fast immer alles Wichtige im Blick. Für ein paar farbliche Nuancen sorgt der Charakter Editor, mit dem ihr das Aussehen eurer Figur und ihres Rollstuhls mit unterschiedlichen Farben und Materialien individualisieren könnt. Doch auch diese farblichen Anpassungen ändern kaum etwas an der Übersichtlichkeit der Grafik, die auf der Switch 2 natürlich butterweich läuft. Auch die Verbindung zu den Servern des Spiels lief durchgehend gut und selbst bei Mitspielern mit einer mäßigen Verbindungsqualität kam es zu keinen Abbrüchen. Hier hat sich nun, nach Jahren, in denen Nintendos Infrastruktur oft ein wenig belächelt wurde, einiges getan. Akustisch macht der Titel keine großen Experimente und liefert einen für Sportspiele üblichen Soundtrack ab. Verschiedene Hinweistöne unterlegen Aktionen wie getroffene oder auch verpatzte Korbwürfe, was, wie die Farbgebung, ebenfalls dabei hilft, zu jeder Zeit den Überblick zu bewahren.
Fazit:
Um es mal ganz ehrlich auf den Punkt zu bringen: Drag x Drive ist kein Titel, der die Herzen der Massen durch seinen ersten Eindruck im Sturm erobert. Die graue Grafik, das ungewohnte Spielkonzept und die teils albernen, teils anstrengenden Bewegungen, die für die Steuerung eures Charakters notwendig sind, können im ersten Moment tatsächlich abschreckend wirken, sodass es verständlich ist, wenn ihr dem Titel erst einmal mit einer gewissen Skepsis begegnet. Lässt man sich aber erst einmal auf das Spiel und seine Mechaniken ein, verblassen viele der Kritikpunkte im Hintergrund der Action, die auf dem Court stattfindet. Die Farbgebung verschafft einen sehr guten Überblick, die Steuerung eures Rollstuhls funktioniert nicht nur ausgezeichnet sondern trägt auch noch zur Immersion des Titels bei und die Geschwindigkeit mit der die Partien ablaufen zeigt, dass es keinen Unterschied macht, ob ihr mit dem (virtuellen) Ball über den Platz rollt oder rennt. Wichtig ist der Spaß und den macht Drag x Drive in jedem Fall. Einzig der Mangel an kompetitiven Modi, die es euch zum Beispiel ermöglichen, in einem Team mit Freunden gegen andere Teams anzutreten, ist ziemlich schade und hindert den Titel daran, für Switch-Spieler eine ernsthafte Alternative zu Rocket League zu werden. Wenn Nintendo hier aber noch ein wenig Inhalt in Form von weiteren Modi nachliefert, wird aus dem Spiel, das sich aufgrund der geforderten 20 Euro auch so schon für Freunde von kurzweiligen Sportspielen lohnt, für eben jene Spielergruppe fast schon ein Pflichtkauf.
