Test

Horizon Forbidden West: Der große PlayStation-Exklusivtitel auf dem Prüfstand.

Von Jeremiah David am 25.02.2022

Anno 2017 lieferte Entwicklerstudio Guerrilla Games mit Horizon Zero Dawn einen echten Überraschungshit ab. Dem Team, das Gamer nur als Entwickler der Killzone-Reihe kannten, trauten im Vorfeld viele Spieler kein Open-World-Spiel zu – erst recht nicht mit einer weiblichen Hauptfigur. Die ersten Trailer und Screenshots konnten zwar technisch überzeugen, ließen mit ihren skurrilen Roboterdinosauriern jedoch auch Einige skeptisch zurück. Inzwischen wissen wir: Horizon Zero Dawn zählt zu den besten PS4-Titeln und Guerrilla Games zu den talentiertesten Entwicklerteams, die unter der Flagge der PlayStation Studios segeln. Ziemlich genau fünf Jahre sind seit dem Release von Horizon Zero Dawn vergangen. Jetzt ist die rothaarige Heldin Aloy zurück und wir haben ihr neustes Abenteuer für euch getestet!

Auf in den Westen!

Die Story von Horizon Forbidden West beginnt praktisch da, wo The Frozen Wilds, also der DLC des ersten Teils, aufhört. Ein kurzes Intro-Video fasst die Ereignisse aus Horizon Zero Dawn zusammen, geht jedoch kaum ins Detail. Wer den ersten Teil und den DLC selbst gespielt hat, hat nicht nur hinsichtlich der Story Vorteile. Guerrilla Games scheint allgemein davon auszugehen, dass die meisten Spieler Aloy nicht zum ersten Mal steuern und verzichtet daher am Anfang des Spiels auch auf langatmige Tutorials. Neulinge werden praktisch ins kalte Wasser geschmissen und müssen lediglich mit einigen Infotexten und kurzen Erläuterungen zur Steuerung zurechtkommen, wobei bestimmte Angriffe später auch in einer Arena geübt werden können. Tatsächlich ist dieser Ansatz vermutlich nicht verkehrt, denn im Rahmen der Play-at-Home-Aktion gab es Zero Dawn auf der PlayStation 4 im letzten Jahr gratis und im PlayStation Store war der Teil auch vorher schon regelmäßig für 10 Euro oder weniger zu haben.

Aber zurück zur Story: Rund ein halbes Jahr nach dem Ende des ersten Teils zieht eine schreckliche, rote Plage über die post-postapokalyptische Spielwelt von Forbidden West und befällt Flora und Fauna gleichermaßen. Auch den Menschen wird diese Seuche zur Bedrohung. Um die Plage aufzuhalten, muss Aloy eine Kopie von GAIA finden. GAIA ist das KI-gesteuerte Terraformingsystem, das nach dem "Day Zero" vor über tausend Jahren die Erde wieder bewohnbar machen sollte. Es besteht aus verschiedenen Subroutinen mit jeweils unterschiedlichen Funktionen. Hades, eine zerstörerische Subroutine, die eigentlich als besiegt galt, aber tatsächlich von einem Mann namens Sylens gestohlen wurde, scheint irgendwie mit der roten Plage zu tun zu haben. Aloy ist die einzige Person auf der Erde, die Hades aufhalten und GAIA wieder herstellen kann, weil sie allein bestimmte Bunker der Alten zu betreten vermag. Das liegt daran, dass sie das Erbgut von Dr. Elisabet Sobeck, der brillanten Wissenschaftlerin hinter Projekt Zero Dawn, in sich trägt.

Die Kopie GAIAs mit ihren verschiedenen Teilen ist im "verbotenen Westen" zu finden, der Weg dorthin ist aber selbstredend mit zahlreichen Hindernissen gespickt. Das Gebiet gilt nicht grundlos als verboten. Viele Robotertiere und -dinosaurier stellen sich Aloy und einigen Verbündeten wie Erend oder Varl in den Weg, aber auch menschliche Gegner gibt es zahlreiche. Der Westen wird von unterschiedlichen, feindseligen Stämmen bewohnt, die alle ihre eigenen Probleme haben. Die Tenakth, die gleich an der Grenze zum Gebiet der Carja leben, befinden sich beispielsweise mitten in einem Bürgerkrieg. Außerdem gibt es noch eine mysteriöse Gruppierung, die GAIA vor Aloy finden und die rothaarige Heldin aus dem Weg räumen will. 

Die Story von Forbidden West ist nicht schlecht geschrieben, aber mehr Mittel zum Zweck und kann mit der des ersten Teils zweifelsohne nicht mithalten. Die wichtigsten Fragen rund um die Spielwelt und Aloys Herkunft wurden in Horizon Zero Dawn schlicht und einfach bereits beantwortet, außerdem verliert sich die Hauptstory des zweiten Teils etwas zu häufig in irgendwelchen Sci-Fi-Begriffen, die interessanter klingen als sie es tatsächlich sind. So müssen vor allem die gut geschriebenen Dialoge zwischen Aloy und den vielen bunten NPCs sowie deren zwischenmenschliche Beziehungen die Geschichte tragen.

Im Westen nichts Neues?

Wer Horizon Zero Dawn gespielt hat, wird sich nicht nur aufgrund der Story und einigen bekannten Gesichtern im verbotenen Westen gleich heimisch fühlen. Die Landstriche ähneln denen aus Teil 1 stellenweise sehr, außerdem hat sich am Gameplay grundsätzlich nicht viel verändert. Viele Elemente erinnern nach wie vor an die bekannte Ubisoft-Formel, die in Serien wie Assassin's Creed, Far Cry oder Watch Dogs wiederholt zum Einsatz kam. Die große Karte ist gespickt mit Symbolen, die nach und nach abgegrast werden wollen. Die Map ist allerdings nicht gleich von Beginn an komplett einsehbar. In Assassin's Creed und Co müssen die Helden auf Türme klettern, um sich einen Überblick über das Terrain zu verschaffen und neue Kartenteile freizuschalten. Statt auf Türme klettert Aloy auf Langhals-Roboter. Feindliche Basen können erobert und Tiere gejagt werden. Mit den Tierhäuten und Knochen wird mittels eines Crafting-Systems neue Ausrüstung hergestellt oder bestehende verbessert. In Städten und Lagern warten Händler, die neue Kleider, Waffen oder Munition verkaufen. Im ersten Teil fühlte sich zumindest das ausgeklügelte Kampfsystem wirklich neu an, der zweite Teil verliert aber natürlich diesen Vorteil. Zum Bekämpfen der Roboter, die stets eigene Schwachstellen haben, stehen für Fernangriffe wieder ein Bogen mit verschiedenen Pfeilen und eine Handvoll anderer, mehr oder weniger primitiver Schusswaffen zur Verfügung, von denen die allermeisten bereits aus Teil 1 bekannt sind. Im Nahkampf greift Aloy auf einen Speer zurück, außerdem kann sie wie gehabt Bomben werfen und Fallen aufstellen. Immerhin gibt es mehr als zwanzig neue Roboterarten, von denen selbst die kleineren nun mehr Gefahr ausstrahlen, weil sie Aloy mit Impulsangriffen und Geschoßen auch aus der Ferne attackieren können.

Trotz all dieser Gemeinsamkeiten wäre es jedoch vermessen, Horizon Forbidden West mangelnde Neuerungen vorzuwerfen. Uns wird hier definitiv mehr als nur neue Gebiete und neue Roboterarten geboten. Guerilla Games hat sich einige Kritikpunkte von Zero Dawn offensichtlich zu Herzen genommen und mit dem Feedback der Fans am Gameplay gefeilt. Während Aloy im ersten Teil noch auf auffällig markierte Vorsprünge und Leitern angewiesen war, um an zerklüfteten Felswänden oder überwucherten Ruinen hochzuklettern, ist sie nun deutlich flexibler unterwegs. Mit einer Art Enterhaken kann sie höher gelegene Punkte erreichen. Mit dem Zugwerfer vermag sie Gegenstände zu sich herzuziehen oder Wände einzureißen. Manche Felsen kann sie fast wie Link in The Legend of Zelda: Breath of the Wild erklimmen. Zwar benötigt sie noch immer fixe Punkte zum Festhalten, diese werden aber nur noch bei aktiviertem Fokus ein Gerät, mit dem sie ihre Umgebung scannen kann eingeblendet. In der Praxis erinnert das Prozedere an eine Art Cyber-Bouldern.

Am Kopf eines Langhals oder am Gipfel eines Felsens angekommen, kann Aloy einfach von dort abspringen, um mit einem Schirm durch die Lüfte zu gleiten. Und nicht nur an Land und in der Luft ist Aloy eleganter unterwegs als je zuvor. Erstmals darf sie auch unter Wasser tauchen, um wunderschöne Welten voll glitzernder Fische und bunter Unterwasserpflanzen zu entdecken.

Das Kampfsystem ist weitestgehend das alte, eine Neuerung gibt es aber auch hier: Aloy kann jetzt sogenannte Mut-Stöße ausrüsten und eine aufgefüllte Mut-Stoß-Leiste vorausgesetzt während eines Scharmützels einsetzen, um vorübergehend beispielsweise mehr Schaden zu verursachen oder mehr Treffer einstecken zu können. Im Fähigkeitenbaum lassen sich verschiede Mut-Stöße mit mehreren Effektivitätsstufen freischalten. 

Größer, weiter, besser

Ganz allgemein gilt: Abgesehen von der Story fühlt sich fast jeder Teil von Forbidden West größer und besser an als noch in Zero Dawn. Das zeigt sich natürlich auch in der Optik, die trotz fehlendem Ray-Tracing mit zum Besten gehört, was aktuelle Konsolen zu bieten haben. Auf der PS5 haben wir die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Modi: Der Grafikmodus bietet eine 4K-Auflösung und 30fps, der Performance-Modus 60fps bei einer etwas reduzierten Auflösung von 1800p. So oder so strotzen die weitläufigen Gebiete nur so vor Details, die in unseren verkleinerten Screenshots leider nur schlecht eingefangen werden können. In Bewegung auf einem großen 4K-Fernseher sieht Horizon Forbidden West stellenweise atemberaubend gut aus. Wenn der Wind sanft über eine Steppenlandschaft gleitet, bewegen sich tausende Gräser; Blätter und Pollen tanzen in der Luft. Moospolster sehen so flauschig aus, dass man sich am liebsten gleich hineinlegen würde. Die rote Plage mag für die Pflanzen- und Tierwelt im Spiel nicht schön sein, beeindruckt optisch aber mit filigransten Partikeleffekten. An den Stränden meint man, jedes Sandkorn erkennen zu können, während die Sonne durch das seichte Meereswasser hindurch wunderschöne Muster auf den Boden malt. Innerhalb der unterirdischen Bunkeranlagen hängt der Staub der Jahrhunderte wie Nebel über dem Boden und die Maschinen der Alten rosten langsam vor sich hin. Dort, wo Letztere vor Korrosion geschützt sind, wurden beste Metall-Shader eingesetzt, um allem einen düsteren Sci-Fi-Look zu verpassen. Kurzum: So schön sah ein Open-World-Spiel noch nie aus.

Bemängeln könnte man höchstens, dass Landstriche mit vielen Gräsern und Bäumen unnatürlich scharf wirken, so als hätten die Entwickler einen zu starken Schärfefilter über das Bild gelegt. Wer genau hinschaut, erkennt manchmal außerdem eine eigenartige Form von Kantenflimmern beziehungsweise -leuchten, wenn im Spiel Tiefenschärfe zum Einsatz kommt.

Am meisten haben sich die Personen im Spiel verändert. Die kleinen und größeren Ortschaften sind nun lebendiger, und während die vielen NPCs zwar noch immer keine festen Tagesabläufe haben, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit der gleichen Aufgabe nachgehen, wurden sie optisch deutlich lebensechter umgesetzt. Man merkt, dass sich Guerrilla Games besonders viel Mühe beim Ausarbeiten der Gesichter gegeben hat. Keine zwei Charaktere sind gleich. Viel Aufwand muss außerdem in die Mimik der Personen geflossen sein, was sich in den glaubwürdigsten Gesichtsausdrücken seit The Last of Us Part 2 zeigt.

Die vielen Cut-Scenes sind zudem dank dynamischeren Kamerafahrten um einiges cineastischer als noch im ersten Teil, und auch die wunderbare Akustik mit sehr schönen 3D-Effekten und der Einsatz von haptischem Feedback mittels dem Dual-Sense-Controller tragen ihren Teil dazu bei, die Spielwelt lebendig werden zu lassen.

Fast unverändert sind derweil die Schwierigkeitsgrade - mehr oder weniger. In Horizon Zero Dawn gab es zunächst vier Schwierigkeitsgrade, via Patch wurden jedoch zwei weitere nach dem Release noch hinzugefügt. In Forbidden West stehen von Anfang an sechs Schwierigkeitsgrade zur Auswahl, wobei fünf davon vordefiniert sind und von einem ultra-leichten "Story-Mode" bis hin zu einem bockschweren Mode für besonders anspruchsvolle Kämpfer reichen. Der sechste, benutzerdefinierte Mode bietet Spielern die Möglichkeit, bestimmte Einstellungen individuell vorzunehmen, um sich so einen eigenen Schwierigkeitsgrad zu basteln.

Fazit:

Horizon Forbidden West erfindet das Rad nicht neu. Das zu erwarten wäre allerdings auch nicht fair, schließlich handelt es sich hier nicht um eine neue IP, sondern um die Fortsetzung eines großartigen Action-Adventures. Die Entwickler haben sich aber sichtlich Mühe gegeben, am Gameplay zu feilen und die Präsentation noch bombastischer zu gestalten. Schon im ersten Teil war das Gameplay rund um das komplexe Kampfsystem über jeden Zweifel erhaben, jetzt ist es sogar noch ein klein wenig besser. Technisch ist Horizon Forbidden West außerdem eine absolute Wucht. Das entschädigt auch für die etwas zweckmäßige Hauptstory, die mit ihren 25 bis 30 Stunden Spielzeit nie die erzählerischen Höhen von Horizon Zero Dawn erreicht, aber immerhin die ein oder andere coole Szene mit sich bringt. Mit anderen Worten: Horizon Forbidden West ist nicht perfekt, aber ein mehr als würdiger Nachfolger eines erstklassigen Action-Adventures, und die meisten Gamer werden mit Wonne dutzende Stunden in das Spiel stecken, um mit Aloy auch nach dem Beenden der Hauptstory noch die verschiedenen Stämme zu besuchen, Roboter zu erlegen und selbst den letzten Winkel des verbotenen Westens zu erkunden.

Wir bedanken uns bei Sony für die freundliche Bereitstellung des Testmusters.

Unsere Wertung:
9.0
Jeremiah David meint: "Horizon Forbidden West ist ein mehr als würdiger Nachfolger eines erstklassigen Action-Adventures."
Horizon Forbidden West von Guerrilla Games erscheint für PC und PlayStation 4 und PlayStation 5. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Sony zur Verfügung gestellt.
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4 Kommentare:
Terry)
Terry
Am 25.02.2022 um 09:42
Sehr schöner Test. Hab bis jetzt zwar erst so 5-6 Stunden spielen können, aber kann dir nur zustimmen.

Und es sieht einfach so unglaublich guuuut aus.
SantiagoWinehouse)
SantiagoWinehouse
Am 25.02.2022 um 17:09
Ich bin bisher begeistert, es macht einfach enorm Spaß, die Welt zu erkunden. Es sieht einfach Hammer geil aus
Asinned)
Asinned
Am 26.02.2022 um 09:23
Schöner Test, bin nach gut 10h auch begeistert von dem Spiel. Weit bin ich aber noch nicht. Dafür macht es einfach viel zu viel Spaß die Open World zu erkunden.
TraxDave)
TraxDave
Am 06.03.2022 um 18:30
Sony exclusives sind meistens Top Notch! Leider bieten sie nie was neues, aufregendes. Aber die Triple-A-Lust muss eh auch befriedigt werden. :D