Disgaea 1 Complete
Disgaea: Hour of Darkness war nicht das erste Spiel von Nippon Ichi Software. Mit Rhapsody: A Musical Adventure und La Pucelle Tactics stellte der Publisher zunächst zwei absolute Nischentitel auf die Beine, bevor er durch Disgaea zu einem der größten Namen in der JRPG-Szene werden konnte. Als das taktische Rollenspiel 2003 in den USA veröffentlicht wurde, gab es sogar einen echten Medienhype um den Titel, obwohl er weder technisch noch erzählerisch neue Maßstäbe setzen konnte - sondern einfach nur deshalb, weil die Redakteure herrlich viel Spaß damit hatten.
Dragon Ball trifft Fire Emblem
Disgaea verfolgt ein Spielprinzip, das Nintendo-Fans am Ehesten aus Fire Emblem bekannt sein dürfte. Wirklich vergleichbar sind die Gameplay-Ansätze der beiden Serien trotzdem nicht. Während in Fire Emblem ein sehr präzises Vorgehen vonnöten ist, hauen sich die Kämpfer in Disgaea übertriebene Spezialattacken mit riesigen Wirkungsradien um die Ohren, die sowohl Feinde als auch verbündete Einheiten treffen können. Der Clou daran: Mehrere Manöver lassen sich zu einer Angriffskette verbinden, der den Attacken an späteren Positionen in dieser Kette einen nicht unerheblichen Schadensbonus verleiht. Um mit maximaler Effizienz zu kämpfen, müssen wir unsere Figuren also so positionieren, dass möglichst viele Feinde, aber keine Verbündeten von den Offensivaktionen getroffen werden. Mit diesem Ansatz fühlt sich Disgaea phasenweise wie ein Puzzle-Spiel an.
Dieser Eindruck wird durch das Geo-Panel-System noch weiter verstärkt. Auf (fast) jedem der schachbrettartigen Spielfelder ist eine Reihe von Zellen farbig markiert. Befindet sich auf einer dieser Zellen ein Geo-Symbol (eine Art farbige Pyramide), werden alle gleichfarbigen Felder mit einem speziellen Effekt belegt. Diese reichen von harmlosen Status-Boosts bis hin zu wirklich extremen Beeinflussungen, die eine Schlacht im Alleingang entscheiden können. Wenn wir die Geo-Symbole zerstören und dabei Kettenreaktionen auslösen, können wir damit ordentlichen Schaden anrichten und Boni in Form von Geld, Erfahrungspunkten und neuen Items freispielen. Bei der Vorbereitung solcher Kettenreaktionen wird Disgaea dann endgültig zum Puzzle-Spiel, aber das System ist völlig optional.
Nicht viel los im Schloss
JRPGs sind normalerweise ein sehr zeitloses Genre. Umso überraschender ist die Feststellung, dass sich Disgaea 1 Complete im Vergleich zu den beiden jüngsten Serienablegern wie ein klarer Rückschritt anfühlt. Der Grund dafür ist simpel: In der Hub-Welt finden wir neben dem Portal, das uns zu den einzelnen Schlachten führt, nur noch die Waffen- und Item-Läden, das Krankenhaus, die Dark Assembly (wo wir eigene Charaktere erstellen und neue Features wie z.B. bessere Items in den Shops freischalten können) sowie den Zugang zur Item World (die aus zufallsgenerierten Dungeons besteht, in denen wir unsere Charaktere und deren Equipment weiter aufleveln können). Diese Bausteine bilden das Fundament der Disgaea-Serie, das Nippon Ichi in den Fortsetzungen übernommen und konsequent erweitert hat. Mit anderen Worten: Alle Gameplay-Features aus Disgaea 1 (und noch viel mehr) findet man auch in den aktuelleren Releases, aber der Erstling kann aus heutiger Sicht keine eigenen Innovationen mehr auf den Tisch legen.
Als einziges Alleinstellungsmerkmal bleiben dem Serienvater also die Story und die Charaktere, und die sind in Disgaea tatsächlich ziemlich einzigartig. In der Hauptrolle stehen Dämonenkönig Laharl und seine Vasallin Etna, und die verhalten sich tatsächlich so, wie man es von Dämonen erwarten würde. Im Prinzip könnten wir sagen, dass wir in Disgaea 1 den "letzten Boss" selbst steuern und die "Guten" besiegen müssen. Dementsprechend sind die Dialoge auch nicht besonders ernsthaft, sondern mit viel schwarzem Humor garniert. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Story in Disgaea 1 eher nebensächlich ist. Die Handlung hat Schwierigkeiten damit, ein ganzes Spiel allein zu tragen - sie kann also nicht ganz über die vielen fehlenden Gameplay-Features hinwegtäuschen.
Der letzte große Kritikpunkt, den wir Nippon Ichi leider ankreiden müssen, ist das auffällig schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis dieses Re-Releases. Während viele andere Publisher ihre Klassiker als Collections veröffentlichen, für 10 bis 15 Euro zum Download anbieten oder mit neuen Features auf einen aktuellen Stand bringen, steht mit Disgaea 1 Complete ein einfacher Port eines 15 Jahre alten Spiels fast zum Vollpreis in den Läden. Selbst der angepriesene Etna-Modus - eine alternative Storyline, in der Laharl zu Beginn von Etna getötet wird und die mit etwa 20 Karten immerhin recht umfangreich ist - ist nicht neu, sondern war bereits in den DS- und PSP-Portierungen von Disgaea enthalten.
Fazit:
Disgaea: Hour of Darkness ist, zumindest für JRPG-Fans, einer der einflussreichsten Titel aller Zeiten. Das Strategiespiel erorberte seinerzeit mit seinen übertriebenen Spezialattacken, seiner erfrischenden Antihelden-Story, viel schwarzem Humor und völlig unerwarteten Gameplay-Features die Herzen der Genrefans und begründete nicht nur eine der größten Serien in dieser Sparte, sondern stellte einen ganzen Publisher dauerhaft ins Rampenlicht. Dank dieser zeitlosen Elemente ist Disgaea 1 auch aus heutiger Sicht ein guter und spielenswerter Software-Titel. Im Vergleich zu seinen direkten Nachfolgern, die all diese Elemente aufgriffen, erweiterten und verbesserten, sieht Disgaea 1 nun aber (im wahrsten Sinne des Wortes) ziemlich alt aus. Deshalb werden sich selbst JRPG-Fans noch einmal fragen müssen, ob ihnen eine einfache Portierung eines über 15 Jahre alten Klassikers den Vollpreis wert ist. Nippon Ichi hätte problemlos mehrere alte Disgaea-Titel im Bundle veröffentlichen oder Disgaea im PSN als PS2-Klassiker anbieten können. Dass das Re-Release nun stattdessen genauso teuer ist wie aktuelle Releases, riecht ein bisschen nach Geldmacherei.
Hier ist ein Vergleichs-Pic:
http://www.siliconera.com/wordpress/wp-content/uploads/2018/10/comparison_thumb.png