Test

Miitopia

Von Deniz Üresin am 15.08.2017

Vom Inselurlaub zur epischen Quest

Selbst erstellbare Charaktere sind in japanischen Rollenspielen eher die Ausnahme als die Regel, da die Protagonisten dort meist fest in die Story eingebunden sind. Ganz verrückt wird es aber, wenn man nicht nur seine eigene Party, sondern jede einzelne Person im Spiel inklusive Endboss selbst gestalten kann. Die eigens erstellten Mii-Charaktere, die in Wii Sports noch Tennis und Bowling spielten, mischten in immer mehr Spielen mit, prügelten sich mit anderen Nintendo-Charakteren in Super Smash Bros., fuhren mit Mario in Mario Kart 8 um die Wette und wurden schließlich zu den Hauptcharakteren in Tomodachi Life - eine Lebenssimulation ähnlich wie Die Sims, nur eben deutlich schräger und lustiger. Das Hauptproblem an Tomodachi Life ist allerdings, dass der Spieler so gut wie gar keinen Einfluss auf das Spielgeschehen hat. Die Miis interagieren miteinander, wie sie es wollen und man selbst kann höchstens gelegentlich Geschenke verteilen und kleinere Aufträge für seine eigenständig handelnden Charaktere erledigen. Das macht auf Dauer wenig Spaß, vor allem, wenn sich Ereignisse nach kurzer Zeit schon wiederholen – da hilft es nichts, dass sie wirklich witzig und abgedreht sind, beim 10. Mal lacht man eben nicht mehr drüber. Aber wie ist das denn nun bei Miitopia? Ein RPG, das kann sich doch gar nicht von selbst spielen, oder?

Dein Mii, dein Abenteuer?

Miitopia schimpft sich zwar ein Rollenspiel, ist aber deutlich minimalistischer und reduzierter als selbst die simpelsten Genrevertreter. Die Story ist eigentlich nur da, damit man überhaupt einen Rahmen hat, in dem man agieren kann: Ein Fürst der Finsternis, der eine Frisur wie Wolverine hat und dessen Gesicht und Namen ihr auch frei erstellen oder von einem eurer gebastelten Miis übernehmen könnt, terrorisiert die Bewohner von Miitopia, stiehlt ihre Gesichter und setzt sie diversen Monstern auf. Ihr selbst und eure Freunde, alle von euch selbst designt oder ausgewählt, brechen auf, um dem fiesen Schurken Einhalt zu gebieten. Das war die Handlung.

Ab und zu gibt es noch den einen oder anderen wichtigeren NPC, aber generell darf man hier einfach nicht wirklich irgendwas erwarten abseits von lustigen Sprüchen. Auch die Aufgaben, die euch während eurer Reise von den Bewohnern Miitopias gestellt werden, bestehen eigentlich nur daraus, irgendeinen Level abzuschließen.

Euren Mii-Kämpfern könnt ihr neben dem Namen und dem Aussehen auch eine Persönlichkeit und eine Klasse zuweisen. Die Klassen eurer Charaktere können zu Beginn noch nicht gewechselt werden, also achtet auf eine gute Verteilung. Neben den klassischen Berufen wie Krieger und Magier gibt es in Miitopia auch noch verrücktere, wie etwa Popstar oder Blume. Die Persönlichkeit eines Miis bestimmt, welche speziellen Aktionen es im Kampf zur Verfügung hat und wie es auf manche Situationen reagiert.

Die Besetzung der Rollen ist aber auch schon die größte Einflussnahme, die ihr auf das generelle Spiel habt, denn wirklich fast alles andere spielt sich eben doch mehr oder weniger von selbst.

Dabei sein ist alles

Dieser Spruch gilt für so ziemlich alles in Miitopia – man ist dabei und das ist alles. Wählt man ein Gebiet auf der Weltkarte aus, startet eure Party das Abenteuer – und läuft automatisch von links nach rechts. Dabei quatschen die Miis munter miteinander, wobei sich die Gesprächsfetzen ständig wiederholen und nur selten aufeinander abgestimmt sind. An vorgegebenen Punkten trefft ihr dann auf Gegnergruppen, die es in klassischen rundenbasierten Kämpfen zu besiegen gilt. Aber auch hier sind die Interaktionsmöglichkeiten minimal: Nur eurem eigenen Charakter könnt ihr Befehle geben, der Rest eurer Party agiert, wie es ihm beliebt. Nicht einmal eine allgemeine Taktik lässt sich festlegen. Ob euer Heiler also nun in der nächsten Runde euch oder sich selbst oder überhaupt irgendwen heilt, ist vollkommen ihm überlassen. Außerdem funken immer wieder die Persönlichkeiten eurer Miis dazwischen – ist euer eigener Charakter zum Beispiel „verträumt“, greift er gelegentlich nicht den ausgewählten Gegner an, sondern einen anderen. Dafür ist der Angriff dann aber auch stärker. „Nette“ Miis hingegen haben ab und zu Mitleid mit dem Gegner und greifen ihn überhaupt nicht an. Dann kann es passieren, dass der Unhold dankbar ist und aus dem Kampf flieht. Da diese persönlichkeitsbezogenen Aktionen zufällig auftreten, ist noch mehr Chaos vorprogrammiert. Am schlimmsten fällt das in den kleinen Sequenzen auf, in denen euer eigener Charakter nicht Teil der Party ist – hier seht ihr quasi fast nur zu und könnt lediglich mit den magischen Streuern etwas eigene Würze ins Spiel bringen. Das wirklich sehr einfache Spiel gibt euch nämlich einige Möglichkeiten an die Hand, ein virtuelles Versagen zu verhindern. Mit dem LP-Streuer könnt ihr zum Beispiel jederzeit während des Kampfes einige Lebenspunkte eurer Mitstreiter auffüllen und mit dem MP-Streuer habt ihr einige Magiepunkte, die für die Ausübung von Spezialattacken und Magie vonnöten sind, in petto. Die Kapazität der Streuer, die sich nach dem Abschluss eines Levels immer wieder automatisch auffüllen, wird jeweils nach einer bestimmten Anzahl an besiegten Gegnern erhöht.

Abseits von den Leveln, die automatisch durchstreift werden, können auch eine Handvoll "Städte" besucht werden, die allerdings nur aus herumstehenden NPCs ohne begehbare Häuser oder Shops bestehen und im Prinzip nur dafür da sind, damit der dunkle Fürst dort weitere Gesichter stehlen kann, die ihr zurückbringen müsst, bevor die Reise weitergehen kann.

…denn sie wissen nicht, was sie tun

Ganz ohne euch als Spieler erreichen eure Helden in Miitopia also auch nicht den Abspann. Eure Interaktionen mit den Miis und der Spielwelt sind zwar rar, aber wichtig. Sobald eure Truppe an eine Weggabelung gerät, ist es an euch zu entscheiden, wo es weitergeht. Am Ende eines jeden Levels wartet ein Gasthaus, in welchem eure Charaktere kostenlos übernachten und ihre Wunden heilen können. Hier greift der soziale Aspekt des Spiels besonders – in jedem Hotelraum befinden sich nämlich zwei Betten und es liegt an euch, eure Party auf die einzelnen Räume zu verteilen. Schlafen zwei Miis im selben Raum, erhöht sich ihre Zuneigung zueinander, was sich positiv auf ihr Teamwork in Kämpfen auswirkt. Miis, die sich sehr mögen, beschützen sich beispielsweise gegenseitig oder feuern sich an. Auf der anderen Seite kann es aber auch zu Streits kommen, die bewirken, dass sich eure Partymitglieder während des Kampfes gegenseitig in die Parade fahren. Hier sollte man vor allem darauf achten, die Wünsche zu erfüllen, die die Miis von Zeit zu Zeit äußern.

Für das Charakterwachstum sorgen nicht nur durch Kämpfe gewonnene Erfahrungspunkte, sondern auch herzhafte Mahlzeiten. Die während des Durchstreifens der Level gefundenen Fressalien können frei an die Partymitglieder verteilt werden, allerdings hat jedes Mii seinen eigenen Geschmack und wird manche Dinge gar nicht essen wollen, während es andere Dinge so sehr liebt, dass die Statuswert erhöhenden Effekte sogar noch einen kleinen Boost bekommen. Das ist insofern ärgerlich, als dass es vorkommen kann, dass ein Magier beispielsweise kaum Essen mag, das seinen Magiewert erhöht, was eher unpraktisch ist. Einfluss hat man darauf jedenfalls mal wieder keinen.

Selbst die Aufrüstung eurer Helden liegt nicht gänzlich in euren Händen. Da es keine Shops in dem Spiel gibt, müsst ihr darauf warten, dass eines eurer Miis den Wunsch äußert, sich etwas Neues zu kaufen, beispielsweise eine stärkere Waffe oder eine härtere Rüstung. Geschieht dies, könnt ihr dem Mii das Geld für das entsprechende Rüstungsteil geben und dann heißt es Daumen drücken – denn die Dummerjane vergessen manchmal ihre eigenen Aufträge und kaufen stattdessen billige Heilungsitems, die man sowieso an jeder Ecke findet. In dem Fall müsst ihr warten, bis sich das Mii erneut dazu entschließt, etwas Nützliches zu kaufen. Habt ihr ein paar amiibos, könnt ihr diese an bestimmten Stellen im Spiel scannen, um an Bonuskostüme von Nintendo-Charakteren wie Mario oder Link zu kommen, die ihr euren Miis überstülpen könnt.

Fazit: Durchwachsene Bühnenshow

Miitopia ist keine Grafikbombe. Das ist allein deshalb schon ausgeschlossen, weil die minimalistisch designten Miis die Welt des Spiels besiedeln. Auch die Hintergründe, Gegnerdesigns und der Sound beugen sich der Einfachheit der Stars der Show. Die verschiedenen Gegenden, die ihr auf eurer Reise besucht, unterscheiden sich optisch und thematisch zwar immerhin, sind aber nie mehr als karge Kulissen eines Laientheaters.

Wie schon sein geistiger Vorgänger leidet Miitopia aber trotz seines Charmes und seiner irren Witze vor allem unter einer enormen Passivität, die das Spiel des Öfteren unattraktiver macht, als es hätte sein müssen. Und auch jeder noch so lustige Spruch ist auf Dauer einfach nicht mehr witzig, sodass man nach einigen Stunden höchstwahrscheinlich die B-Taste festklebt, die die hier überaus willkommene Vorspulaktion in Gang setzt, um nicht allzu lang in einer Endlosschleife aus Witzeleien und Kämpfen, in denen man selbst eh nicht viel machen kann, gefangen zu bleiben.

Das Spiel hat natürlich seine Momente und kann gerade unerfahrenen Spielern einen frustfreien Vorgeschmack auf echte Video- und vor allem Rollenspiele bieten, doch genau genommen können das Pokémon und Yo-Kai Watch auch, und diese Spielreihen bieten toll designte Spielwelten, in denen man sich aktiv entfalten kann. Miitopia hat die Fehler von Tomodachi Life nicht ausbügeln können, sondern versucht, sie in einem anderen Genre zu verstecken. Auch wenn sich die Entwickler viele lustige Ideen haben einfallen lassen – das Spiel ist zu lang, um mit diesen allein durchgängig unterhalten zu können.

Unsere Wertung:
6.0
Deniz Üresin meint: "Miitopia ist ein einsteigerfreundliches, aber leider auch viel zu passives Comedy-RPG mit euren Miis in den Hauptrollen."
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1 Kommentar:
Tobsen)
Tobsen
Am 15.08.2017 um 09:41
"man ist dabei und das ist alles." I accually lol'ed.
Mein Problem mit Miitopia ist einfach, dass es (wie diabolisches Gehirnjogging) sechs Jahre zu spät kommt. Die Spieler steigen allmählich auf Switch um, kein Mensch streetpasst mehr, die Miis wurden weitestgehend in Rente geschickt und der 3DS hat wortwörtlich dutzende bessere JRPGs zu bieten. An sich klingt Miitopia gar nicht so ultraübel, wie ich finde. Nur 2017 erscheint das Spiel ein bisschen wie ein Kropf. 2011 wäre das Spiel als "Premiumdemonstration" für das Konzept der (tragbaren und en passent übertragbaren) Miis eine Überlegung wert gewesen und neben Nintendogs + cats sicher keine verkehrte Alternative, doch wir steuern auf 2018 zu... Da wirkt Miitopia wie der vermeintlich junggebliebene 47-jährige, der nochmal in der Disco abhotten will und sich die anderen Discobesucher verschämt wegdrehen.^^
Kanta)
Kanta
Am 15.08.2017 um 12:46
Als 47er sage ich dann: "schön, umso mehr Platz für mich" :-P
prog4m3r)
prog4m3r
Am 15.08.2017 um 16:29
Du hast doch jetzt nicht ernsthaft dein Geburtsjahr angepasst um diesen schlechten Witz reißen zu können...?
Kanta)
Kanta
Am 15.08.2017 um 17:13
Nope
the_Metroid_one)
the_Metroid_one
Am 15.08.2017 um 18:33
@prog4m3r
Dann hätte er schon darauf geachtet, nicht 46 zu sein ;-)