Test

Robinson - The Journey. Ein zum Kotzen schönes Spiel.

Von Tim Herrmann am 18.11.2016

Crytek liefert das vermeintlich erste echte Videospiel für PlayStation VR. Alles könnte bestens sein. Wenn man nach dem Spielen nicht zu oft elend darniederläge.

 …und plötzlich seid ihr allein. Auf einem fremden Planeten, begleitet nur von einem zufällig adoptierten T-Rex-Jungtier und einem schwebenden Orb namens HIGS, der euch mit neunmalklugen Sprüchen durch die Botanik jagt. Um euch herum: Dschungel, exotische Lebewesen, gigantische Reptilien.

Robinson – The Journey beginnt mit dem Ansatz einer Geschichte, die das Abenteuer zusammenhalten soll. Nach dem Absturz des Raumschiffs Esmeralda über dem fremden Planeten Tyson III ist nur noch ein Junge übrig: Robin. Er, und zahllose Trümmerteile des Wracks, die sich über die Terra Nova verteilt haben. Zusammen mit dem Begleitroboter HIGS, mehr als deutlich inspiriert vom frechen Schwebe-Androiden Wheatley aus Portal 2, erkundet er den fremden Planeten, der so aussieht wie die Erde vor 70 Millionen Jahren.

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VR wirft euch direkt in diese Welt hinein, lässt sie euch nach und nach tiefer erkunden. Damit ist Robinson – The Journey augenscheinlich das erste echte Videospiel nach klassischen Mustern, das für PlayStation VR erscheint, nachdem es für die neue Technologie bislang fast nur kurze Tech-Demos und abgehackte „Experiences“ von zehnminütiger Dauer gab. Der stolze Preis von knapp 70 Euro, den Crytek für den Titel nimmt, unterstreicht diesen Anspruch überdeutlich.

Steuerung der Arme. Mit dem Controller.

Der Spieler, der durch das VR-Headset in diese prähistorische Dschungelwelt blickt, steuert seinen Schützling mit dem ganz normalen DualShock-Controller durch die grüne Hölle. Das ist etwas überraschend, schließlich hält Robin ein Multifunktionsgerät in der Hand, dessen Form sehr an einen PS Move-Controller erinnert und eher Bewegungssteuerung erwarten lässt. Die kleine Allzweckwaffe kann Gegenstände anheben und durch die Luft schweben lassen oder die Fauna abscannen. Damit erweitert der kleine Forscher nach und nach sein Infotarium, die Spieldatenbank.

Eine Zielmarkierung lenkt der Spieler dabei durch seine Blickrichtung über den Bildschirm. Bewegungen des Kopfes verschieben verzögerungsfrei das Blickfeld und helfen dabei, die richtigen Punkte anzuvisieren. Das funktioniert – mit Einschränkungen – sehr gut. Beim Klettern zum Beispiel muss man sich manchmal schon arg verrenken, um die richtigen Felsvorsprünge anvisieren zu können. Die Griffe der linken und rechten Hand steuert der Spieler mit den L2- und R2-Triggern; ein wichtiges Spielelement, das auf Cryteks Tech-Demo für Oculus Rift basiert. Auch in manchen Rätselsequenzen sind abenteuerliche Kopfbewegungen vonnöten, die sich nicht gut anfühlen.

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Die Steuerung des Spielcharakters funktioniert ganz herkömmlich über die Analog-Sticks. Manche Designentscheidungen bei der Steuerung sind auf den ersten Blick kaum nachzuvollziehen - auf den zweiten Blick schon eher. Dass Seitwärtsbewegungen zum Beispiel deutlich langsamer sind als Vorwärtsbewegungen, ist zwar lästig, verfolgt aber ein Ziel. Das Ziel, dass die Bewegungsrichtung immer ungefähr die gleiche bleibt. Ähnlich verhält es sich mit der Kontrolle der Kamera, die augenscheinlich ebenfalls eine totale Fehlkonstruktion ist: Manchmal müsst ihr Robin im Spielverlauf natürlich drehen, um euch nicht beim Umschauen das Genick zu brechen. Wie in fast allen 3D-Videospielen lässt sich also die Kamera nachjustieren. Anstatt aber stufenlos zu schwenken, wie alle es gewohnt sind, ruckelt sie standardmäßig in festen Winkelsprüngen von 30° pro Stickbewegung um die eigene Achse. Und zunächst fragen sich alle: Was zur Hölle soll das?

Wenn man im Menü dann aber auf stufenloses Schwenken umgeschaltet hat, merkt man, was die Entwickler bezwecken wollten.

Das Spiel, das krankmacht

Die 30°-Ruckelei bei der Kamerasteuerung ist ungewöhnlich und durchaus auch unpraktisch. Gleichzeitig muss man aber feststellen: Crytek hat damit ein recht cleveres System entwickelt, um unangenehme Schwindelgefühle zu vermindern. Durch die schnellen Perspektivwechsel erwartet das Gehirn keine Bewegungsbeschleunigung; es entsteht also weniger Diskrepanz zwischen Gesehenem und wirklich Erlebtem, also: weniger Motion Sickness. Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen "Motion Sickness vermindern" und "Motion Sickness verhindern". Denn der Schwindel beim Kameraschwenk allein ist weder das größte noch einzige Problem. Kombiniert mit den Motion Sickness-Symptomen, die bei mittelschnellen Bewegungen oder Richtungswechseln in VR-Welten generell bei manchen Spielern auftreten, ist das Ergebnis fatal.

Meine erste Session mit Robinson – The Journey endete nicht nur mit einem unangenehm flauen Magen. Sondern mit echtem Brechreiz, der mit dem Absetzen des Headsets nicht verschwunden war, sondern einen halben Tag lang anhielt. Mit den weiteren Sessions (das Spiel musste ja zu Ende getestet werden) wurde es langsam besser, ich gewöhnte mich an die Bewegungsabläufe. Doch viel länger als eine halbe Stunde halte ich es auf Tyson III nicht am Stück aus. Schon beim Gedanken ans weitere Spielen schlagen alle Sensoren in meinem Gehirn Alarm: „Tu‘ dir das nicht an“, signalisieren sie.

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Diese Erkenntnis ist selbstverständlich als rein subjektiver Erlebnisbericht zu verstehen. Nicht jedem Spieler muss oder wird es genauso gehen. Aber diejenigen, die sich zu einer Risikogruppe zählen, die Probleme mit Motion Sickness kennt oder sie im Kontakt mit VR sogar schon einmal erlebt hat, werden an Robinson – The Journey höchstwahrscheinlich keine Freude haben.

Ohne VR funktioniert Robinson – The Journey nicht. Auch spielerisch.

Einen Spielmodus ohne VR gibt es nicht. Die Nutzung des Head-Mounted-Displays ist Pflicht. Das Spielkonzept wäre ohne Weiteres zwar auch ohne VR als klassisches First-Person-Adventure umsetzbar, aber Crytek weiß schon sehr genau, warum man die Spieler nicht einfach von der Couch aus auf dem Fernseher spielen lässt: Ohne VR wäre Robinson – The Journey als Videospiel kaum der Rede wert.

Das Spielprinzip ist maximal simpel gestrickt: Die Spielwelt ist aufgeteilt in drei größere und einige kleinere Areale, die durch enge Korridore nahezu linear miteinander verbunden sind. In jedem dieser Levels müsst ihr Einzelteile der havarierten Raumstation aufspüren und Daten über den Absturzhergang einsammeln – immer auf der Suche nach weiteren Überlebenden. Die anfänglich zaghaft begonnene Geschichte entfaltet sich dabei fast nicht weiter, was ziemlich frustrierend ist. Plötzlich, nach nicht einmal fünf, sechs Stunden, weicht sie auch schon den Credits und der Spieler bleibt ratlos zurück.

Auch klassische Gameplay-Elemente sind sehr sparsam in den Spielverlauf eingewebt und werden zudem kaum erklärt oder sind unsauber ausgearbeitet. Manchmal müsst ihr mit eurem Multifunktionsgerät die Stromversorgung an bestimmten Mechanismen wiederherstellen, an anderer Stelle Gegenstände werfen, um damit Dinos zu verscheuchen. An einer Stelle müsst ihr wackelige Brücken improvisieren, die nur allzu oft wieder im Moor versinken. Und gegen Ende des Spiels braucht Robin zum Weiterkommen einen Gameplay-Kniff, der nur ganz zu Beginn thematisiert wurde, in der Zwischenzeit aber gar nicht vorkam. Recht oft wisst ihr zudem gar nicht, was ihr als nächstes tun sollt.

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Diese Rätselelemente wollen also offenkundig nicht die Hauptrolle in Robinson – The Journey spielen. Viel mehr drückt sich der Dreh- und Angelpunkt des Spiels schon im Namen aus: Der Weg ist das Ziel.

Die bislang detaillierteste VR-Welt

Der Weg ist das Ziel; Crytek hat gezielt ein visuelles Erlebnis entwickeln wollen und es dann um einige spielerische Elemente erweitert. Doch die Wege durch haushohe Baumkronen, durch die Beine von gigantischen Brontosauriern, an bösartigen Raptoren vorbei und durch blubbernde Teerfelder sind schon ein Erlebnis. Crytek konnte bei der Gestaltung dieser Welt seine größte Stärke ausspielen: seine technisch-grafische Expertise. Robinson – The Journey ist unheimlich detailliert gestaltet, die Kombination aus VR-Grafik und -Sound sucht zurzeit noch ihresgleichen. Wenn ein Flugsaurier hörbar an euch vorbeizischt und dann in die Ferne entschwindet und ihr ihm noch bis zum Horizont nachschauen und seinem Kreischen lauschen könnt, wenn Insekten euch um die Ohren brummen und vor den Augen surren und wenn jede Pflanze ein bisschen anders aussieht; dann entsteht wirklich eine neue Welt um euch herum. Die bisweilen atemberaubenden Spezialeffekte und Inszenierungen sind sehr sehenswert.

Wer die neue PlayStation 4 Pro besitzt, bekommt noch einige grafische Details mehr – etwa eine noch klarere Weitsicht und detailliertere Texturen. Die Auflösung von PlayStation VR ist aber auf halbe HD-Auflösung pro Auge limitiert. Allzu viel bekommt man also vom Grafik-Upgrade nicht mit. Zu erwähnen bleibt außerdem, dass die Screenshots und Trailer nicht widerspiegeln, wie Robinson – The Journey in Wirklichkeit durch die VR-Linsen aussieht. Den Hochglanz, das Lighting und die hohe Auflösung der Screenshots kann die PSVR-Brille in dem Detailgrad gar nicht darstellen. Die tatsächlich erlebte Grafik bleibt deshalb blasser. Aber dennoch beeindruckend, keine Frage.

FAZIT:

Robinson – The Journey ist ein technisch eindrucksvolles Beispiel für eine lebendige VR-Welt, die sich um den Spieler herum entfaltet. Crytek ist es mit enormer Liebe zum Detail gelungen, den Spieler immer wieder zum Staunen über die Plastizität dieses virtuellen Planeten zu bringen. Clevere Effekte und aufregende Momente helfen dabei. Viel mehr hat Robinson – The Journey allerdings nicht zu bieten. Der Spieler bekommt kaum etwas zu tun; er muss im Wesentlichen herumlaufen und den Weg finden. Für Storytelling und anspruchsvolle Gameplay-Elemente hätte es noch reichlich Raum gegeben. Doch Crytek hat sich auf die grafische Darstellung konzentriert. Das ist für ein Spiel der ersten VR-Generation ja durchaus legitim. Doch für diese Art von Spiel ist der angesetzte Preis von knapp 70 Euro deutlich zu hoch – vor allem, wenn man sich den geringen Spielumfang von deutlich unter zehn Stunden vor Augen führt. Ärgerlich bis inakzeptabel sind zudem Schwindel- und Übelkeitsgefühle nach dem Spielen von Robinson – The Journey, die auch Cryteks Kompromisse bei der (Kamera-)Steuerung nicht ausmerzen können. Nicht jeder Spieler wird sie erleiden, aber wer mit ihnen zu kämpfen hat, wird Robinson – The Journey nicht genießen können. Alle anderen bekommen ein visuelles Erlebnis, das definitiv mehr ist als eine einfache Tech-Demo, aber trotzdem kein von Anfang bis Ende überzeugendes Videospiel.

Unsere Wertung:
6.5
Tim Herrmann meint: "Ein audiovisuell eindrucksvolles Erlebnis, das als Videospiel aber blass bleibt."
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1 Kommentar:
Farbi11)
Farbi11
Am 19.11.2016 um 10:56
Daumen hoch für die Überschrift! Köstlich X-D