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Silksong Week - Tag 3: Silksanity, Believer, Doubter und Clowns

Von Nico Zurheide am 03.09.2025

Es gibt Dinge im Gaming, die lassen sich schwer mit Logik oder nüchterner Analyse erklären. Hollow Knight: Silksong ist einer dieser Fälle. Seit der Ankündigung im Februar 2019 lebt ein ganzer Teil der Community in einem Zustand, der irgendwo zwischen Vorfreude, Paranoia, kreativer Selbstzerstörung und ekstatischem Wahnsinn pendelt. Dieser Zustand hat sogar einen eigenen Namen bekommen: Silksanity. Und das Epizentrum dieses Wahnsinns trägt den simplen Namen r/silksong, ein Subreddit, das in den letzten Jahren zu einem Paralleluniversum für Hoffnungen, Memes und gebrochene Herzen geworden ist.

Wir tauchen heute mitten hinein in diesen Strudel, um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, warum Fans sich in Beleiver (sic!), Doubter, Accepter und Denier unterteilt haben und was uns diese beispiellose digitale Folter über Fankultur im Jahr 2025 verrät.

Wie alles begann

Silksong war ursprünglich nur als DLC für Hollow Knight geplant. Team Cherry, das winzige Dreimannstudio aus Adelaide, kündigte das Projekt damals als eigenständiges Spiel an, mit Hornet in der Hauptrolle. Die Begeisterung war groß, schließlich war Hornet schon im ersten Teil ein Fanliebling, und der Gedanke, ihr eine ganze Kampagne zu widmen, elektrisierte die Community.

Doch dann geschah… nichts. Kein Release, kein klares Zeitfenster, keine Roadmap. Nur ab und an ein Trailer oder ein vages Statement. Jahre vergingen. Andere Indies kamen und gingen. Soulslikes wurden in Serie veröffentlicht, Metroidvania-Hypes kamen in Wellen. Doch Silksong blieb eine Fata Morgana am Horizont.

Und so entstand eine Situation, die man fast schon mit Religion vergleichen kann. Wo Fakten fehlen, blüht der Glaube. Und wo Glaube blüht, entstehen Sekten, Rituale und Mythen.

Willkommen in der Silksanity

Das Subreddit r/silksong hat inzwischen etwa 200.000 Mitglieder. Und diese Leute haben in den letzten sieben Jahren Dinge hervorgebracht, die man eigentlich in einem Ethnologie-Seminar statt in einem Gamingforum erwarten würde.

Nehmen wir die Silkposts. Jeden Tag, wirklich jeden einzelnen Tag, postet jemand etwas über Silksong. Ein Meme, eine Theorie, ein Bild, ein verzweifeltes „Where Silksong?“. Es ist eine Art kollektives Ritual, ein digitales Morgengebet. Manche User haben über Jahre hinweg tägliche Posts geschrieben, nur um den heiligen Rhythmus aufrechtzuerhalten. Eines der krassesten täglichen Rituale war dabei sicherlich das des YouTube-Kanals "Daily Silksong News", auf dem es täglich ein Video zu sehen gab, in dem zumeist bestätigt wurde, dass es eben keine News gibt. Stand heute gibt es 1691 solcher Videos.

Dazu kommen die selbst erfundenen Fraktionen, vor allem Believer und Doubter. Die Believer sind die, die überzeugt sind, dass Silksong bald kommt. Sie sahen in jedem Tweet von Team Cherry ein Zeichen. Ein Profilbildwechsel? Release steht bevor. Ein Stillleben auf Twitter? Vielleicht versteckt sich ein Hinweis. Die Doubter dagegen sind Zyniker. Sie glaubten zwar, dass das Spiel erscheinen wird, zweifelten jedoch dessen Existenz grundlegend an. Und sie machten aus ihrer Resignation eine eigene Identität. Und dann gibt es natürlich die Clowns. Die Clowns sind alle und alle sind Clowns. Sie sind diejenigen, die nach jedem noch so kleinen Gaming-Showcase ihre Clownsperücke aufsetzen müssen, weil sie im Vorfeld doch wieder an News über Silksong glaubten, obwohl sie eigentlich besser hätten wissen müssen. Das ganze nahm eine Zeit lang tatsächlich beinahe toxische Züge an, wenn beispielsweise bei den Game Awards, der gamescom Opening Night oder einer Nintendo Direct bei jedem Spiel der Chat mit Clown-Emojis geflutet wurde, nur weil es sich eben nicht um Silksong handelte. 🤡 Eine dunklere Seite der Silksanity.

Auch eine eigene Website gibt es natürlich, die der Frage nachgeht, ob Silksong bereits erschienen ist. Ein Projekt, das ab morgen endgültig seinen Sinn verloren haben wird.

Die Theorie-Maschinerie

Wo keine offiziellen Informationen sind, entsteht ein Vakuum. Und dieses Vakuum wird auf r/silksong mit einer Intensität gefüllt, die jedem True-Crime-Youtuber die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.

Jeder noch so banale Tweet von Team Cherry wurde in epischer Breite analysiert. Hat Christopher Larkin, der Komponist, ein neues Musikstück hochgeladen? Vielleicht Teil des Soundtracks. Hat jemand im Hintergrund eines Screenshots ein komisches Muster erkannt? Möglicherweise eine versteckte Release-Botschaft.

Ein besonders berühmtes Beispiel: Die „Zahlentheorie“. Jemand bemerkte, dass zwischen zwei Tweets von Team Cherry exakt 112 Tage lagen. Sofort bildeten sich Spekulationen, dass das ein Hinweis auf die 112 % Completion im ersten Hollow Knight sei. Natürlich war es das nicht. Aber für einige Tage lebte die Community in der Überzeugung, man hätte das Rätsel gelöst.

Befeuert wurde dieser Wahnsinn teilweise auch von Team Cherry selbst. So postete deren PR-Manager beispielweise im Jahr 2020 mehrere Rätsel im offiziellen Silksong-Discord, die jeweils neue NPCs aus Pharloom enthüllten. Fast schon logisch, dass daraufhin jedes Lebenszeichen der Entwickler als Rätsel aufgefasst wurde.

Humor als Überlebensstrategie

So viel Frust, so viel Enttäuschung, das kann man eigentlich nur mit Humor überstehen. Und das ist wohl der größte Schatz von r/silksong: die Meme-Kultur.

Die Nutzer posten Bilder von Grabsteinen, auf denen „Silksong Release Date“ steht. Sie malen Hornet mit Clownsnase. Sie vergleichen ihre Wartezeit mit biblischen Plagen. Es gibt ganze Ketten von Posts, in denen die Community den Release von Silksong in Absurditäten verpackt, etwa: „Silksong wird erscheinen, wenn die Sonne implodiert“ oder „wenn Valve endlich Half Life 3 bringt“. Andere Projekte von Team Cherry wurden frei erfunden, etwa das Angelspiel "Hollow Knight: Zoteboat". Eine Zeit lang taten einfach alle Nutzer so, als wäre das Spiel schon erschienen und erbaten mit bearbeiteten Screenshots Hilfe bei bestimmten Passagen oder Bossen. Die Fake-Screenshots von Team-Cherry-Tweets wurden irgendwann so inflationär, dass extra der neue Flair "Silkpost" eingeführt wurde.

In Fan-Artworks spielt Silksong selbst die Rolle einer Horrorkreatur: Das erfundene Monster „Snosk“ (eine Fusion aus Silksong und dem Hollow Knight-Boss Nosk) geisterte als Meme durch die Community. Genau wie Nosk in Teil 1 seine Opfer mit einer Ritter-Puppe lockte, lockt Snosk mit leeren Silksong-Versprechen – nur dass es das Spiel, das er anpreist, ja noch gar nicht gibt. Dieses Konzept haben die Fans ironisch aufgegriffen: Snosk symbolisiert das Albtraumszenario eines falschen „Köders“ und steht für die ausufernde Ungeduld der Community.

Doch es blieb nicht beim Memespaß. Der Subreddit wurde zur Bühne für skurrile Rituale. Drei besonders hartnäckige User wurden etwa als „Skongifizierte“ gebannt und galten sogleich als symbolische Opfertiere für Snosk. Diese Inszenierungen entwickelten bald einen eigenen Kultcharakter. Mitglieder verfassten zeremonielle Abschieds-Beiträge, in denen sie pseudo-religiös um die Erweckung von Silksong flehten. In einem dramatischen Ritualpost verabschiedete sich gar ein Moderator mit einem bombastischen Gedicht in Großbuchstaben, das mit stolpernden Formeln wie „HINTERLASST SPUREN IM SAND, WENN WIR UNS IN DIESES NEUE KAPITEL WAGEN…“ den Aufbruch in eine imaginäre Schlacht besang.

Parallel dazu kursierten Kunstwettbewerbe und absurde Fanaktionen. Community-Mitglieder malten „Anti-Snosk“-Bilder, dichteten Warnungen vor angeblichen Snosk-Sichtungen und erdachten Anti-Viren-Tools für die Fangemeinde. Eines der Highlights war ein Einmachglas, das plötzlich die Runde machte: In einem Fanbeitrag wurde das Glas als Fanggefäß gegen Snosk vorgeschlagen – so verrückt, dass es selbst zum Running Gag wurde und später in den allgemeinen Meme-Kanon überging.

Auch die ganze Mythologie drumherum wird auf die Schippe genommen. Moderatoren forderten Fans etwa scherzhaft dazu auf, Clown-Makeup parat zu halten, weil die Silksong-Warterei die Community ihrer eigenen Ausraster bewusst sein lässt. Es gab verfluchte Einträge, die Zitate aus “Evangelion” oder “Dune” spinnen, Petitionen, fünf Prozent der Mitglieder für Neuigkeiten zu opfern, und sogar Tagebuch-Formatierungen, als würden User an einem Endzeit-Thriller mitbasteln. Die gesamte Entwicklung gleicht mittlerweile einer hyperrealen Performance. Fans sinnieren im kollektiven Psycho-Spiel über den „unerreichbaren Release“ und wollen mit Humor das verzweifelte Warten überstehen.

Nicht zuletzt nahmen manche die Winzigkeiten sehr ernst: Jeder kleine Hinweis in Steam-Datenbanken oder Entwickler-Interviews wird als „Lebenszeichen“ gepriesen. Ein gerade entdeckter Build-Update oder ein neuer Produkt-Screenshot löst Euphorie aus, als hätte Team Cherry persönlich ein Zeichen gesetzt. In Ermangelung echter Neuigkeiten hat sich das Subreddit-Paradigma in bedingungslose Parodie verwandelt, schließlich haben es schon Gerüchte über DLC-Pläne oder Steam-Change-Logs geschafft, die Fans erneut in kollektive Ekstase zu versetzen.

Der Humor des Subreddits ist scharf, oft sarkastisch, manchmal bitter. Aber er ist auch verbindend. Er macht das Warten zu einer kollektiven Erfahrung, einer Art digitalem Camping vor dem Plattenladen, nur dass man nie weiß, ob die Tür überhaupt jemals aufgeht.

Das Paradox des Wartens

Hier steckt ein spannendes psychologisches Phänomen: Je länger das Warten dauert, desto größer wird die Erwartung. Und je größer die Erwartung, desto unmöglicher wird es für das fertige Spiel, diese zu erfüllen.

Doch gleichzeitig ist genau das auch die Kraft, die Silksong so einzigartig macht. Hollow Knight war bereits ein Meisterwerk, wie wir in unserem Test zum Spiel (hier nachzulesen) betont haben. Es hat gezeigt, dass ein kleines Indie-Team ein Metroidvania erschaffen kann, das selbst Größen wie Metroid oder Castlevania in den Schatten stellt. Silksong muss also nicht nur ein würdiger Nachfolger sein, es muss eine ganze Religion zufriedenstellen.

Jetzt, nach der gamescom, ist alles anders. Zum ersten Mal ist der Releasetag tatsächlich greifbar. Die offizielle Bestätigung hat die Community in einen Zustand versetzt, der schwer zu beschreiben ist. Euphorie, Erleichterung, Unglaube. Auf r/silksong liest man Kommentare wie: „Ich weiß gar nicht, wie ich leben soll, wenn es wirklich erscheint“ oder „Das Warten war so lang, dass ich nicht mal mehr weiß, wie man Spaß hat“.

Es ist fast so, als hätte man den größten Running Gag des Internets aufgelöst. Und jetzt stehen alle da und fragen sich: Was machen wir, wenn das Spiel tatsächlich draußen ist?

Ein Vermächtnis der Verrücktheit

Was bleibt, ist eine der wildesten Geschichten, die das Internet je hervorgebracht hat. Ein Subreddit, das zum Symbol für kollektives Ausharren wurde. Eine Community, die mit Clownsnasen und Memes die eigene Verzweiflung umarmt hat. Und ein Spiel, das schon jetzt Gaminggeschichte geschrieben hat, bevor es überhaupt veröffentlicht wurde.

Die Silksanity war nicht nur eine Begleiterscheinung des Wartens. Sie war Teil des Spiels. Ein gigantischer Meta-Prolog, geschrieben von tausenden Fans, jeden Tag, sieben Jahre lang.

Wenn Silksong also erscheint, dann nicht nur als Videospiel. Sondern auch als Befreiungsschlag für eine Community, die bewiesen hat, dass man selbst die absurdeste Situation mit Humor, Fantasie und einer Prise Wahnsinn überstehen kann. Nach diesem ganzen Silksanity-Zirkus stellt sich nur noch die Frage: Können wir dem Release-Tag überhaupt noch gewachsen sein?

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Silksong Week Tag 1: Hollow Knight

Silksong Week Tag 2: Alles was ihr wissen müsst

Silksong Week Tag 3: Silksanity, Beleiver, Doubter und Clowns

Silksong Week Tag 4: Happy Release Day!

Silksong Week Tag 5: Anspielbericht

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