Test

Cronos: The New Dawn

Von Jeremiah David am 03.09.2025

Das polnische Entwicklerstudio Bloober Team hat seit 2008 bereits satte 16 Spiele veröffentlicht, seinen ersten Achtungserfolg feierte das Unternehmen allerdings erst 2016 mit Layers of Fear. Dieser führte dazu, dass sich das Studio fortan vor allem auf die Herstellung gruseliger Walking-Sims spezialisierte; also Spiele wie Observer oder Blair Witch, die zwar reich an Atmosphäre, aber arm an Gameplay waren. Diese Titel wurden von Kritikern und Spielern überwiegend positiv aufgenommen, galten jedoch selten als herausragende Hits, die sowohl technisch als auch spielerisch vollends überzeugen konnten. Umso größer war die Skepsis, als Konami ausgerechnet Bloober Team mit dem Remake von Silent Hill 2 beauftragte. Heute wissen wir, dass die Sorgen unnötig waren.

Jetzt steht Bloober Teams neustes Horrorspiel in den Startlöchern. Cronos: The New Dawn ist eine komplett neue IP, mit der die Polen beweisen wollen, dass Silent Hill 2 kein Zufallstreffer war. Gelingt die Mission? Wir haben uns in einen Raumanzug gezwängt, um euch diese Frage zu beantworten.

Rein ins Gefecht

Cronos: The New Dawn geht anfangs äußerst spärlich mit Informationen um und wirft uns stattdessen ins kalte Wasser, beziehungsweise in die Kälte einer osteuropäischen Stadt, die von irgendeiner Katastrophe heimgesucht wurde. Es gibt keine nennenswerte Einführung oder Intro. Unser Charakter ist eine namen- und gesichtslose Zeitreisende, die im Spiel schlicht "ND-3576" oder "die Reisende" genannt wird und in einer Art futuristischem Sarkophag aufwacht. Sie soll nach einem etwas sinnfrei erscheinenden, automatisiert ablaufenden Rorschachtest ihren gefallenen Vorgänger finden. Wieso? Das ist nicht klar. Wer dieser Vorgänger war? Ist scheinbar auch nicht wichtig. Und wieso die Reisende in einem bizarren Raumanzug steckt, der sie praktisch in einen Big Daddy a la Bioschock verwandelt, ist offenbar ebenfalls nicht von belang. Ganz allgemein müssen wir festhalten: Cronos ist vor allem während den ersten Stunden kein storylastiges Spiel. Eine klassische, kohärente Geschichte als Gerüst für die Horror-Action suchen wir vergebens. Stattdessen setzt Bloober größtenteils auf environmental Storytelling. Das heißt, wir müssen uns eine Story durch Erkunden der düsteren, einsamen Umgebungen und das Lesen verschiedener Poster und Briefe selbst zusammenbasteln, ehe wir erstmals auf Charaktere treffen, mit denen wir uns unterhalten können, und die uns nach und nach Einblicke in die Ereignisse rund um die Katastrophe liefern, die die Erde zerstört hat. Die Story nimmt später durchaus an Fahrt auf und wir möchten hier nicht zu kritisch sein, aber speziell während den ersten zwei Stunden gibt es keinen roten Faden, der durch das Spiel führt und uns antreibt, immer weiter durch die postapokalyptische Welt zu stapfen.

Gib's den Waisen!

Apropos stapfen: Unsere Reisende steuert sich träge wie Isaac Clarke aus Dead Space und beherrscht auch fast dasselbe Move-set. Die Animationen sehen tatsächlich aus, als seien sie 1:1 aus Visceral Games' Sci-Fi-Horror-Klassiker entnommen. So kann sie schießen, mit ihrer Pistole zuschlagen oder Stampfattacken durchführen. Schusswaffen erweisen sich aber schnell als einzige effektive Möglichkeit, den Gegnern im Spiel wirklich wehzutun. Schlagen und Stampfen sind eigentlich nur dazu da, um gelb markierte Kisten zu zerstören, die Items wie Munition, Lebensenergie oder Crafting-Ressourcen enthalten können. Ähnlich wie in etwa der ersten Version von Resident Evil 4 kann die Reisende während dem Schießen übrigens nicht beziehungsweise nur sehr langsam gehen. Klettern kann sie ausschließlich an ausgewählten, markierten Felsvorsprüngen oder Leitern. Spezielle Gravitationsstiefel ermöglichen später allerdings noch - wieder wie in Dead Space - an magnetischen Böden zu haften.

Die eben erwähnten Gegner werden als "Waisen" bezeichnet und sind schrecklich entstellte Menschen mit mutierten Gliedmaßen oder Tentakeln, die aus Wunden wachsen. Sie kommen in verschiedenen Varianten daher, schlagen mit ihren Tentakeln aus, spucken mit Säure oder klammern sich an der Reisenden fest. Wer Dead Space kennt und angesichts des Move-Sets in Cronos eine ähnliche Vorgehensweise bei den Gegnern erwartet, wird schnell eine böse Überraschung erleben, denn es ist nicht möglich, den Waisen Gliedmaßen abzutrennen, und im Vergleich mit anderen Horrorspielen sind die mutierten Zeitgenossen in Cronos ausgesprochen zäh. Schüsse in den Torso zeigen praktisch keine Wirkung. Am besten werden die Waisen mit mehreren Headshots oder Brandsätzen beseitigt, wobei anfangs nur ein einziger Brandsatz ins Inventar passt und die Headshots idealerweise mit aufgeladenen Schüssen verteilt werden sollten. Zum Aufladen eines Schusses muss R2 gehalten werden. Gewöhnungsbedürftig ist hierbei, dass die Reisende nach wenigen Sekunden automatisch schießt. Wir können also nicht einfach R2 gedrückt halten und dann in aller Ruhe zielen, bis wir die Taste wieder loslassen. Stattdessen haben wir nach dem Drücken von R2 ein Zeitfenster von zwei oder drei Sekunden, in dem wir schnell und präzise zielen müssen, weil unsere Kugel sonst ins Nirgendwo zischt. Weil es zudem relativ wenig Munition gibt und die Reisende keinerlei Ausweichmanöver beherrscht, gilt in Cronos: Jeder Schuss muss sitzen! Vor allem das Fehlen von Ausweichbewegungen oder sonstigen Mitteln zur Abwehr gegnerischer Angriffe kann speziell zu Beginn des Spiels (und zum Teil auch später noch) frustrieren. Es ist also nicht nur der Mangel an Story, der den Einstieg in Cronos zäh gestaltet. Aber: Dranbleiben lohnt sich!

Nach einiger Zeit gewöhnt man sich an das eigenwillige Kampfsystem und es entsteht eine nervenaufreibende Spannung, bei der wir zu Vergleichszwecken wieder zu Dead Space blicken müssen. Gegner können zu jeder Zeit und sehr plötzlich zum Leben erwachen, aus fleischigen, nässenden Wänden brechen oder schlicht aus dem Boden wachsen. Die Kämpfe werden auch dadurch spannend gehalten, dass die Waisen miteinander verschmelzen können. Im Klartext heißt das, dass sich bestimmte Kreaturen die Kadaver gefallener Waisen einverleiben können, wodurch sie schneller und stärker werden. Das lässt sich nur verhindern, indem wir die Kadaver vorher schon verbrennen. Letzteres ist im Eifer des Gefechts oder aufgrund fehlender Brandsätze aber nicht immer möglich. Der Spruch "Angriff ist die beste Verteidigung" gilt in Cronos dementsprechend nicht immer. Manchmal kann eine schnelle Flucht die beste Option sein. Nur bei den Bosskämpfen oder in provisorischen Arenen mit verschlossenen Türen entfällt diese Möglichkeit.

Retro-Futurismus der 1980er Jahre

Wenn wir nicht gerade Waisen abfackeln, erkunden wir alte Ruinen oder manipulieren sogenannte Zeitanomalien. Die Umgebungen sind hochatmosphärisch gestaltet und erinnern teilweise an eine postapokalyptische Version von Silent Hill mit osteuropäischem Einschlag. Sie bestehen aus Parkanlagen, Straßenzügen, U-Bahnschächten, einem Krankenhaus und Wohnblocks mit allerlei Apartments. Wo in Silent Hill dichter Nebel durch die Straßen zieht, sind in Cronos Staubwolken.

Grafisch ist Cronos: The New Dawn eine Wucht, was nicht nur an der verwendeten Unreal Engine 5 liegt, sondern auch am herausragenden, retro-futuristischen Art-Design des Spiels, das 80er-Jahre-Flair mit monumentaler Kunst bzw. Brutalismus-Architektur kombiniert und abwechselnd in unterschiedliche monochrome Farbtöne badet. Die staubigen Gebäude und Außenanlagen sind sehr detailliert und wirken wirklich, als hätten dort einst Menschen gelebt. Erfreulich ist dabei auch, dass Cronos in der von uns getesteten Vorab-Version (wohlgemerkt ohne Day-1-Patch) bereits komplett fehlerfrei lief. Das heißt, von Rucklern, Bugs oder gar Spielabstürzen wurden wir gänzlich verschont. Ein kleiner Kritikpunkt bei der Präsentation ist allerdings, dass es den Gebieten ein wenig an Interaktivität fehlt. So kann unsere Reisende etwa weder Schränke noch Schubladen öffnen. Items liegen deshalb alle offen in der Gegend herum und sind so auffällig markiert, dass man sie kaum übersehen kann. Das schadet der Immersion. Viele der eben erwähnten Items bieten darüber hinaus keine Funktionalität in der Spielewelt. Das heißt, wenn wir beispielsweise eine alte Kamera oder sonstige Gerätschaften finden, können wir damit keine Fotos schießen, sondern sie an einer Werkbank lediglich verkaufen, um das Geld dann in Waffenupgrades oder Munition zu investieren. Ausnahmen sind Schlüssel oder ein Bolzenschneider, mit denen wir Schlösser öffnen beziehungsweise aufbrechen. Auch die Werkbank mit integriertem Shop und die Speicher-Terminals erinnern übrigens stark an Dead Space. Läden mit menschlichen Verkäufern gibt es nicht.

Der Sound ist ebenso gelungen wie die Grafik. Die Geräuschkulisse unterstreicht perfekt die Atmosphäre des Spiels, die englischsprachigen Synchronsprecher machen einen guten Job und die Musik passt wunderbar zum Sci-Fi-Setting. Einzig die Geräusche, die aus dem Controller kommen, können nerven. Letztere dürfen zum Glück jedoch ausgeschaltet werden.

Zeit für eine Anomalie?

Wenn die Umgebungen in Cronos: The New Dawn doch mal interaktive Stellen bieten, dann hauptsächlich durch Zeitanomalien. Das sind rot- beziehungsweise gelb-schwarz leuchtende Kugeln, die die Reisende mit einem speziellen Energiestrahl anvisieren kann. Einmal anvisiert, drehen sie bei bestimmten Gegenständen die Zeit zurück. So können wir etwa zerfallene Brücken oder Treppen reparieren. Das sieht ziemlich cool aus, verlangt von uns jedoch keinerlei Hirnschmalz. Letztlich sind die Leuchtkugeln wenig mehr als Schalter, die wir suchen und aktivieren müssen. Etwas mehr Eigeninitiative dürfen wir dafür deutlich später im Spiel zeigen, wenn wir elektrische Bahnen verlegen müssen, um Terminals mit Strom zu versorgen. Abgesehen davon gibt es noch ein paar kleinere Rätsel, die aber kaum der Rede wert sind. So müssen wir etwa den Code für einen Safe herausbekommen oder einen Schlüssel für eine Türe finden. Cronos wird in dieser Hinsicht nie auch nur annähernd so komplex wie Silent Hill.

Größere Zeitanomalien präsentieren sich als gelb leuchtende Risse im Zeit-Raum-Gefüge. Sie transportieren uns in eine andere Zeitebene und zu Personen, deren Wissen wir retten müssen, ehe sie in der Apokalypse umkommen. Da nur wir selbst durch die Zeit reisen können, entziehen wir unseren Zielpersonen ihre "Essenz". Das ist so etwas wie eine Seele, die fortan in uns weiterlebt. Der Haken an der Sache: Die Essenzen können zumindest teilweise von der Reisenden Besitz ergreifen, was sich in der Form von flüsternden Stimmen und Halluzinationen zeigt. Insgesamt können wir drei Essenzen aufnehmen, wobei jede Essenz uns einen kleinen passiven Boni verschafft und so beispielsweise unsere Schrotflinte oder Melee-Angriffe stärker macht. Ersetzen wir die Essenz einer Person mit der einer anderen, muss erstere gelöscht werden und kann fortan nicht mehr verwendet werden.

FAZIT:

Cronos: The New Dawn braucht einige Zeit, um in Fahrt zu kommen. Die ersten Stunden des rund 18-stündigen Spiels sind etwas zäh. Das Fehlen von Ausweichmöglichkeiten und die mehr als simplen Rätsel sind auch später noch Kritikpunkte. Dennoch entwickelt sich das Spiel nach der Anfangsphase zu einem erstklassigen Survival-Horror-Spiel. Bloober Team hat es geschafft, Elemente aus Dead Space, Silent Hill und Returnal zu einem eigenwilligen, aber keinesfalls schlechten Erlebnis zusammenzumischen. Die Spielewelt ist fantastisch designt und die unberechenbaren Gegner gepaart mit dem relativ hohen Schwierigkeitsgrad des Spiels sorgen für eine ausgesprochen nervenaufreibende Spannung, die nur wenige andere Titel so erzeugen können.

Auch wenn Cronos: The New Dawn wohl nie den Status eines modernen Klassikers erreichen wird, ist es trotz seiner Schwächen ein richtig gutes Spiel, das wir Horrorfans ruhigen Gewissens empfehlen können.

Unsere Wertung:
8.0
Jeremiah David meint: "Cronos bietet nach einem zähen Einstieg hochatmosphärischen Survival-Horror mit starker Technik."
Cronos: The New Dawn von Bloober Team erscheint am 05.09.2025 für PC und PlayStation 5 und Nintendo Switch 2 und Xbox Series. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Bloober Team zur Verfügung gestellt.
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