Test

While Waiting

Von Nico Zurheide am 11.03.2025

Die meisten Videospiele sind darauf ausgelegt, die Spieler mit actiongeladenem Gameplay, schnellen Belohnungssystemen und konstantem Fortschritt bei Laune zu halten. While Waiting, das experimentelle Spiel von Optillusion, geht jedoch einen völlig anderen Weg. Hier dreht sich alles um das, was sonst in Spielen nach Möglichkeit vermieden wird: das Warten. In einer Zeit, in der Effizienz und ständige Beschäftigung als oberste Prinzipien gelten, stellt dieses Spiel eine radikale Gegenbewegung dar – eine, die das Warten nicht als Hindernis, sondern als bewusstes Erlebnis begreift.

Eine Reise ohne Ziel

Anders als klassische Narrative mit klar definierten Zielen präsentiert While Waiting eine offene, fast poetische Geschichte, die sich vielmehr durch Emotionen als durch konkrete Ereignisse entfaltet. Das Spiel setzt keine Handlung im traditionellen Sinne voraus, sondern lässt die Spieler Situationen des Wartens erleben: an Bushaltestellen, in Wartesälen oder in einer endlosen Schlange. Doch hinter dieser simplen Prämisse verbirgt sich eine tiefere Erzählung – eine, die sich nicht durch Dialoge oder Cutscenes entfaltet, sondern durch das eigene Nachdenken, durch die Lücken, die die Stille hinterlässt.

Mit jedem Warten kommen Gedanken. Wer sind die anderen Menschen um mich herum? Wohin gehen sie? Warum warten sie? Was bedeutet Zeit, wenn ich nichts tue? Das Spiel stellt keine expliziten Fragen, aber es regt genau diese Reflexion an. Und genau hier liegt seine wahre Stärke: While Waiting erzählt eine Geschichte, die jeder selbst in seinem Kopf formt.

Der spielgewordene Leerlauf

Das Gameplay von While Waiting ist so reduziert, dass es fast schon provokativ wirkt. Statt Kämpfen, Rätseln oder Geschicklichkeitsprüfungen konfrontiert das Spiel seine Spieler eben mit dem namensgebenden Warten. Mal geschieht dies in absoluter Stille, mal mit sanften Animationen oder subtilen Geräuschen im Hintergrund. Es gibt dabei zwar immer kleine Interaktionsmöglichkeiten – das Durchzappen am TV, eine Partie Tetris im Fach des Schultisches, ein Hund, der gestreichelt werden will –, doch der Kern des Spiels bleibt stets derselbe: Geduld üben, nichts tun und akzeptieren, dass manche Dinge einfach Zeit brauchen.

Hier wird ein fundamentales Element des menschlichen Lebens spielerisch erfahrbar gemacht. In unserer modernen Welt sind wir darauf programmiert, Wartezeiten zu füllen – mit Smartphones, mit Musik, mit Ablenkung jeder Art. While Waiting jedoch nimmt uns diese Fluchtmöglichkeiten und zwingt uns dazu, den Moment auszuhalten. Und genau darin liegt sein radikales Potenzial: Das Spiel wird zu einer spielerischen Meditation über Zeit, Geduld und unsere Unfähigkeit, Langeweile zu akzeptieren.

Grafisch setzt das Spiel dabei auf einen minimalistischen, fast skizzenhaften Stil. Die Umgebungen sind einfach, aber stimmungsvoll gestaltet, oft mit sanften Farbverläufen und ruhigen Hintergründen. Der Soundtrack ist dezent, aber präzise platziert: das Summen von Neonlichtern, das entfernte Hupen einer Autokolonne, das Rauschen von Regen. Diese Detailverliebtheit sorgt für eine fast hypnotische Atmosphäre, die das Gefühl des Wartens nicht langweilig, sondern eindringlich macht.

Die audiovisuelle Zurückhaltung ermöglicht es den Spielern, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, nämlich das eigene Empfinden. Ohne die ständige Reizüberflutung anderer Spiele entfaltet sich eine fast traumhafte Ruhe, die mit jeder vergehenden Minute tiefer ins Bewusstsein dringt.

Die Kunst des Wartens

While Waiting könnte als Versuch gesehen werden, eine fundamentale Wahrheit des Lebens spielerisch darzustellen: dass Zeit nicht immer genutzt, sondern manchmal einfach nur erfahren werden muss. In einer Welt, in der „Produktivität“ als höchste Tugend gilt, erscheint das Konzept des Spiels fast schon subversiv.

Das Warten ist eines der wenigen Dinge, die jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Status oder Alter erlebt. Es ist ein universelles Phänomen, ein unausweichlicher Bestandteil der Existenz. Doch während wir normalerweise darauf konditioniert sind, das Warten zu überbrücken – durch Ablenkung, durch Multitasking –, fordert uns While Waiting dazu auf, es bewusst wahrzunehmen. Damit stellt das Spiel eine existenzielle Frage: Ist das Leben nicht auch eine Abfolge von Wartezeiten, unterbrochen von kurzen Momenten der Bewegung?

Die größte Stärke von While Waiting liegt in seiner Originalität. In den letzten Jahren hat ein Spiel selten so konsequent mit Erwartungen gebrochen und dabei eine so tiefe Wirkung erzielt. Die Atmosphäre, das reduzierte Gameplay und die subtile Erzählweise machen es zu einer einzigartigen Erfahrung, wenn man sich darauf einlassen kann.

Denn genau das, was für manche faszinierend ist, könnte für andere frustrierend sein. Wer auf klassische Spielmechaniken wie Fortschrittssysteme oder Herausforderungen hofft, wird hier nicht fündig. Auch das extrem langsame Tempo könnte manche Spieler abschrecken – besonders jene, die das Medium eher als Quelle schneller Unterhaltung sehen.

Fazit:

While Waiting ist kein Spiel für jeden. Es verlangt Geduld, Reflexion und die Bereitschaft, sich auf eine unkonventionelle Spielerfahrung einzulassen. Doch wer diese Voraussetzungen mitbringt, wird mit einem einzigartigen Erlebnis belohnt. Einem, das zum Nachdenken anregt und lange nachwirkt. In einer Zeit, in der alles immer schneller, effizienter und hektischer wird, erinnert While Waiting daran, dass es auch einen Wert darin gibt, einfach nur zu sein. Ein ruhiges, ungewöhnliches Spielerlebnis – oder eine Geduldsprobe, je nach Perspektive.

Unsere Wertung:
7.0
Nico Zurheide meint: "Ein faszinierendes, meditatives Experiment, das die Kunst des Wartens spielerisch erfahrbar macht."
While Waiting erscheint am 05.02.2025 für PC und Nintendo Switch. Wir haben die Version für PC getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Optillusion zur Verfügung gestellt.
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