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Indiana Jones und der Große Kreis

Von Robert Emrich am 23.12.2024

Es hängt ein merkwürdiger Zauber voller Widersprüche über der Figur des Dr. Henry Walton Jones Junior, der sich ungeachtet seines Doktortitels lieber mit dem Namen des Familienhundes “Indiana” ansprechen lässt: Obwohl er als promovierter Professor der Archäologie an einer Universität arbeitet und an einem College unterrichtet, kann der Mann es einfach nicht lassen, sich mit Peitsche und Fedora bewaffnet rund um die Welt mit Nazis, Kultisten und Verbrechern anzulegen, um historische Schätze zu bergen. Und seine beharrliche Weigerung, trotz diverser Funde von magischen oder sogar göttlichen Artefakten an Magie zu glauben, hat ihm längst einen Eintrag in der Welt der Psychologie eingebracht. Doch das ist alles nichts im Vergleich zu den leuchtenden Augen, die junge und alte Fans der zum Teil mittlerweile mehr als 35 Jahre alten Filme bekommen, wenn die ersten sieben Akkorde der legendären Titelmelodie ertönen. Denn auch wenn die letzten Filme nicht mehr ganz an den Erfolg ihrer Vorgänger anknüpfen konnten, haben die Abenteuer des Indiana Jones etwas zeitloses an sich, selbst wenn Harrison Ford mit seinen mittlerweile 82 Jahren wohl nicht mehr als Indy vor der Kamera stehen wird. Abhilfe könnte hier das jüngst erschienene “Indiana Jones und der Große Kreis” schaffen, das uns zum ersten mal seit langer Zeit ein neues Spiel um den Charakter bietet und bei dem sich Entwickler Machine Head sehr darum bemüht hat, der Figur und dem Vorbild der Spielfilme gerecht zu werden. Ob das gelungen ist, haben wir uns für euch einmal auf der XBox Series X genauer angesehen.

Von alten und neuen Abenteuern

Das Spiel beginnt mit einer kleinen Liebeserklärung: Im Tutorial spielt ihr die Ereignisse aus dem Intro des ersten Films “Jäger des verlorenen Schatzes” inklusive Taranteln, tödlicher Blasrohr-Fallen und der Flucht vor der berühmten Steinkugel nach, während ihr die grundsätzliche Bewegung und den Umgang mit der Peitsche verinnerlicht. Beides geht gut von der Hand, auch dank der Kamera, die intelligent bei Kletterpassagen von der First- in die Third-Person-View wechselt, wenn Indy an Seilen oder Vorsprüngen jedweder Art herumklettert. Mit dem Anschluss des Tutorials beginnt die Haupthandlung des Spiels: Als Indy überrascht ihr nachts in der Universität einen Einbrecher und werdet von diesem im kürzesten Kampf-Tutorial aller Zeiten K.O. geschlagen, ehe der Schuft mit einem wertvollen Artefakt entkommt. Natürlich könnt ihr den Verlust nicht so ohne weiteres hinnehmen und jagd dem Dieb hinterher, womit das eigentliche Abenteuer seinen Lauf nimmt, das euch rund um die Welt und auf die Spur des namensgebenden großen Kreises führt: Eine Sammlung legendärer mystischer Stätten, die in einem perfekten Ring rund um die Welt angeordnet sind. Die Geschichte wird immer wieder in Zwischensequenzen erzählt, aber auch direkt im Spiel unterhält sich Indy immer wieder mit anderen Charakteren und findet mehr oder weniger hilfreiche Schriftstücke, die zusätzliche Informationen liefern. Zeitlich könnt ihr sie zwischen dem ersten und dem dritten Film einordnen (Der zweite Film spielt chronologisch vor dem ersten Teil). Dabei orientiert sich die Handlung in Sachen Stil und Tempo stark an den ersten drei Filmen, und liefert auch immer wieder Verweise auf aus dem ersten Film bekannte Charaktere, wobei die Sorgfalt, mit der Harrison Fords Mimik auf den Videospiel-Charakter übertragen wurde, besonders positiv auffällt. Crystal Dynamics Spiel “Marvel’s Avengers” musste bei seiner ersten Vorstellung viel Kritik durch die Fans der Filmreihe aushalten, da die Figuren den bekannten Schauspielern kaum ähnlich sahen. Dieses Problem habt ihr in Indiana Jones aber nicht, sodass euch hier ein vollwertiges interaktives Abenteuer mit den bekannten Figuren geboten wird. Auch wenn es mit über 20 Stunden Spielzeit deutlich länger als Filme zusammen ist.

Vielseitiger Spaß mit kleinen Schwächen

Nicht nur bei der Handlung, auch bei den Spielmechaniken orientiert sich die Suche nach dem großen Kreis stark an den filmischen Vorbildern: Ihr reist in fester Reihenfolge von Level zu Level (oder auch Land zu Land) und folgt den Brotkrumen der Handlung, die euch zum namensgebenden großen Geheimnis führen. Die meisten Level entsprechen einer kleinen offenen Welt, in der ihr euch frei bewegen und nach Lust und Laune der Hauptquest oder optionalen Nebenquests folgen, Geheimnisse aufdecken oder sammelbare Gegenstände finden. Nur einige Abschnitte, in denen die Handlung voran gebracht werden soll, haben einen festen Aufbau und führen euch damit linear zum Ziel, ohne viel Anlass für Umwege oder eigene Forschungen zu bieten. Das durch die optionalen Aktivitäten der offenen Gebiete aufgeblähte und von der Handlung ablenkende Gameplay tut dem Spiel nicht immer einen Gefallen, kann aber aus zwei Gründen ignoriert werden: Zum einen könnt ihr zuvor besuchte Orte immer wieder besuchen und zum anderen lauft ihr im Verlauf der wichtigsten Haupt- und Nebenquests, die auch gesondert aufgelistet werden, an mehr als genug Ressourcen vorbei, selbst wenn ihr nicht nach Ihnen sucht. Neben den verbrauchbaren Waren für Gesundheit und Ausdauer findet ihr auch Bücher, mit denen ihr Upgrade-Möglichkeiten freischaltet, die ihr mit der in Aktivitäten gesammelten Erfahrung aktiviert, um Indy dauerhaft ein wenig stärker zu machen. Geld gibt es in den Leveln natürlich ebenfalls, mit dem Ihr unter anderem Ausrüstung kaufen könnt, die für das weitere Abenteuer benötigt wird. Die Händler fordern zwar ziemlich happige Preise, doch mit ein wenig Umsicht ist das Geld schnell gesammelt. Gerade in den Lagern der Gegner findet sich so manches kleine Vermögen, das ihr zugunsten eurer Mission einsammeln könnt.

Nähert ihr euch Gegnern und tragt dabei keine Verkleidung, könnt ihr diese entweder mit Schusswaffen angreifen, schleichend umgehen, oder sie (heimlich) im Nahkampf K.O. schlagen. Das Spiel lässt euch fast immer die Wahl, verfolgt aber keinen der Spielstile konsequent: Munition ist grundsätzlich knapp und ein Schuss lockt alle Gegner in Hörweite zu euch, was gerade in späteren Leveln, wenn die NPCs gezielt das Feuer erwidern, euren Tod bedeutet. Trotz Machine Heads Vorgeschichten mit den letzten Wolfenstein-Spielen ist Indiana Jones und der Große Kreis kein Ego-Shooter. Schleichen ist oft die klügere Alternative, doch Gegner, die beim Schusswechsel über Adleraugen verfügen, stellen sich ironischerweise erstaunlich dumm an, wenn es darum geht, euren Charakter zu finden, wenn sich dieser hinter einer Kiste versteckt. Das macht das Schleichen im direkten Vergleich zu echten Stealth-Spielen sehr entspannt, lässt die Feinde aber dümmer als nötig wirken. Ein wenig mehr Intelligenz hätte hier gut getan, ohne den Spielfluss in die Länge zu ziehen. So schleichen wir, bewaffnet mit Besen, Hämmern, Zangen, Handfegern, Kerzenleuchtern und allem was uns sonst noch in die Finger gerät, von Gegner zu Gegner und prügeln sie damit (oder wenn nötig mit bloßen Fäusten) aus dem Bewusstsein. Auch ein Brawler will Indys Abenteuer aber nicht sein, denn obwohl die Faustkämpfe sehr gut funktionieren und es Spaß macht, sich einen der Bösewichte zu greifen und ihn mit wuchtig klingenden Schlägen zu verhauen, fehlt der Mechanik die Vielseitigkeit eines Prügelspiels. Hinzu kommt, dass die euch zur Verfügung stehenden Nahkampfwaffen oft nach einigen K.O. geschlagenen Gegnern zerbrechen, während eure Peitsche Gegner entwaffnen und sehr kurz betäuben, nicht aber besiegen kann. Gegner “umpeitschen” ist also trotz des vielseitigen Einsatzes der Waffe ebenfalls keine Option. So spielen sich die meisten Kämpfe ein wenig wie die Szenen in den Filmen in denen Indy durch feindliche Basen schleicht: Ein paar Gegner werden umgangen und einige K.O. geschlagen, während Schusswaffen den letzten Ausweg darstellen, wenn eine Flucht nicht mehr möglich ist. Am Ende einiger Level erwarten euch kleinere Bosskämpfe, bei denen ihr die verschiedenen Kampftechniken oft überlegt und unter Berücksichtigung der Umgebung einsetzen müsst. Blinde Gewalt und auch euer Revolver bringen euch spätestens hier kaum weiter, da die Gegner schnell und hart zurückschlagen und viele Treffer aushalten.

Abseits der Kämpfe erwarten euch natürlich auch die üblichen, zum Teil mit Fallen gespickten Rätsel, die euch Schritt für Schritt zu den Schätzen der jeweiligen Region führen. Hier haben sich die Entwickler eindeutig ausgetobt, was sich in einer Vielzahl unterschiedlicher und sehr kreativer Rätsel ausdrückt, die zwischen einfach und kniffelig variieren. Einige Rätsel brauchen erklärende Notizen, um gelöst werden zu können. Zu finden sind diese aber fast immer in der näheren Umgebung rund um das eigentliche Rätsel, sodass diese nie unschaffbar oder unnötig schwer sind. Hilfe erhaltet ihr außerdem hin und wieder von Gina, eurer NPC Begleiterin, sofern sie euch gerade begleitet. Gina unterstützt euch auch in einigen Kämpfen, indem sie die Aufmerksamkeit des Gegner auf sich zieht, was euch zum Beispiel Zeit zum Heilen oder für die Vorbereitung des nächsten Angriffs gibt. Aber auch abseits von Kämpfen und Rätseln ist Gina immer mal wieder hilfreich, wenn sie euch Wege ebnet und in Abschnitten hilft, die Indy alleine nicht hätte schaffen können, sodass die Figur im Verlauf des Abenteuers eine ebenbürtige und wertvolle Verbündete wird. Während sich Gina ihren Platz im Spiel erst erkämpfen muss, erfüllt Indiana Jones seine Rolle als Sympathieträger auf Anhieb und mit Leichtigkeit durch einen schlauen Kniff der Entwickler: Anders als andere Abenteurer, wie Lara Croft oder Nathan Drake kommt Indy bei fast allem was er tut sehr menschlich daher. Wenn ihr euch ächzend und mühevoll an Abhängen entlang hangelt oder an eurer Peitsch hochklettert, kann man die Anstrengungen des Charakters gut nachvollziehen. Denn von der Eleganz seiner vergleichsweise jungen Kollegen ist hier nichts zu spüren. Egal ob es um Sprints, Kletterpartien oder Kämpfe geht: Indy ist mit schöner Regelmäßigkeit spürbar erschöpft, auch wenn er natürlich letztlich alles der Not (oder eurem Controller) gehorchend mitmacht. Auch die anderen Figuren wie euer Gegenspieler Voss sind schön gestaltet und spielen ihre Rollen mit genug Pathos, um sie glaubwürdig unsympathisch zu machen. Auch viele der anderen regulären Gegner schaffen es dank kleiner inhaltlich belangloser Dialoge untereinander ein wenig lebendiger als der Durchschnitts-Scherge zu sein und manch einer darf immer mal wieder als Prügelknabe für komödiantische Einlagen herhalten, die ihr so oder so ähnlich vielleicht auch aus den Filmen kennt. So wechselt der Film auch thematisch immer mal wieder zwischen ernsten und humorvollen Momenten, immer wieder unterbrochen durch Sequenzen mit zum Teil sehr beeindruckender Action.

Optisch opulent, akustisch problematisch

Die Hardwareanforderungen des jüngsten “Indiana Jones”-Abenteuers waren schon im Vorfeld das Thema einiger Berichterstattungen, da der Titel auf dem PC ziemlich ressourcenhungrig ist. Umso schöner ist es da natürlich für alle Besitzer einer Xbox Konsole, auf der das Spiel nicht nur flüssig, sondern auch sehr gut aussehend läuft. Machine Head bietet zwar keine Auswahl zwischen einem Quality- und Performance-Modus, bietet aber die hochauflösenden Grafiken als optionalen Download an, sodass ihr euch knapp 40 der insgesamt 130 Gigabyte sparen könnt, wenn euch die schärfsten Texturen nicht so wichtig sind, oder eure Hardware sie nicht darstellen kann. Eine ähnliche Überlegung hätte vielleicht auch dem Sound des Spiels gut getan, der in einigen wenigen Leveln Probleme bekommt, wenn es im Hintergrund sehr laut zugeht, sodass der Soundkanal für die Hintergrundgeräusche ins stottern kommt, was das Geschehen im Spiel nicht stört, den ansonsten aber sehr guten Eindruck der Akustik aber untergräbt. In ruhigeren Leveln klingt nämlich alles sehr gut und auch die Synchronsprecher erledigen ihre Aufgabe hochwertig, zumal Indy in der englischen Synchronisation von Troy Baker gesprochen wird, der euch vielleicht als Joel aus den “The Last of us”-Spielen bekannt ist. Auch die Steuerung funktioniert in weiten Teilen des Spiels sehr gut. Lediglich die Funktion zum herabklettern an einer Kante wurde nicht ganz ideal gelöst: Indy muss langsam rückwärts über die Kante in den Abgrund laufen, um sich dann im Fall an einem Vorsprung automatisch festzuhalten. Eine Technik, die (vielleicht auch aufgrund der Egoperspektive) nicht natürlich wirkt. Ein echtes Problem macht das aber nicht.

Fazit:

Indiana Jones und der Große Kreis ist ein tolles Abenteuer und eine würdige Ergänzung für die Welt des Archäologen, der mit Fedora und Peitsche auf Abenteuerjagd geht. Die Figuren und die Geschichte wurden mit großer Sorgfalt und mit viel Respekt vor den filmischen Vorbildern gestaltet und die vielen kleinen Anspielungen auf etablierte Charaktere und die Sorgfalt mit der Harrison Fords Minenspiel auf den digitalen Charakter übertragen wurde sorgen für hohen Wiedererkennungswert. Spielmechanisch können die vielen kleinen Sammelaufträge mit denen der Umfang vergrößert wurde stellenweise die Immersion ein wenig stören. Doch tatsächlich können diese optional gut ignoriert werden, ohne dadurch einen Nachteil zu haben, sodass es im Bereich des Gameplays mit seinen vielen Rätseln und den unterschiedlichen Ansätzen, sich mit Gegnern zu befassen, kaum einen Grund zur Klage gibt. Technisch überzeugt Indy Abenteuer mit einer wunderschönen Grafik, die auf einer Series X Konsole absolut sauber läuft und einer in fast allen Bereichen durchdachten Steuerung, die euch weder im Kampf, noch beim Klettern vor Probleme stellt. Lediglich der in ruhigeren Gegend sehr gute Sound macht in Gebieten mit vielen lauten Hintergrundgeräuschen aktuell ein paar Probleme. Ein kommender Patch sollte hier aber Abhilfe schaffen und auch so endete das Problem bei uns mit dem Ende des Levels. Letztlich überwiegt der sehr gute Eindruck aber klar die genannten Probleme, sodass Schatzjäger, Freunde von Abenteuerspielen und Fans der “Indiana Jones”-Spiele gerne zugreifen können.

Unsere Wertung:
8.5
Robert Emrich meint: "Keiner peitscht schöner."
Indiana Jones und der Große Kreis von MachineGames erscheint am 09.12.2024 für PC und XBox Series. Wir haben die Version für XBox Series getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Bethesda Softworks zur Verfügung gestellt.
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1 Kommentar:
SantiagoWinehouse)
SantiagoWinehouse
Heute um 12:59
Super! Vielen Dank für den ausführlichen Test. Ich werde es mir dann auf PS5 holen, sobald es herauskommt .