Neva
2018 erzielten Nomada Studio und Publisher Devolver Digital mit dem künstlerisch wertvollen Platformer Gris einen Achtungserfolg. An diesen Erfolg möchte das Studio jetzt mit Neva anknüpfen. Wir haben uns den Titel für euch angesehen.
Mit der Morgendämmerung gegen die Dunkelheit
Neva wird von Nomada Studio als Puzzle-Platformer beworben, der Puzzleanteil ist allerdings so gering, dass wir auch getrost von nur einem Platformer sprechen können. Unterteilt in drei längere Kapitel und einen kürzeren Epilog – Sommer, Herbst, Winter und schließlich Frühling – präsentiert man uns hier also ein weiteres 2D Jump-’n’-Run, das vor allem durch seine Aufmachung überzeugen will. Den Namen Neva werdet ihr während der Spielzeit immer wieder hören, er gehört aber mitnichten dem Hauptcharakter des Spiels. Letzterer ist eine junge Frau und Schwertkämpferin namens Alba (Spanisch für "Morgendämmerung"), die in einer pastellfarbenen Welt mit zwei magischen Wölfen unterwegs ist. Der größere Wolf, ganz in weißem Fell, hat auf seinem Kopf ein Geweih aus Bäumen, während der kleinere ein solch prächtiges Geweih erst noch wachsen lassen muss.
Eines Tages werden all drei Gefährten von einer Dunkelheit angegriffen. In einer schön inszenierten Cut-Szene fällt die Finsternis wie eine Flutwelle über das Land herein. Schwarze Hände greifen aus der Dunkelheit nach den Wölfen und deren Begleitung. Der größte Wolf wehrt sich nach Kräften, ist seinem unheimlichen Widersacher jedoch nicht gewachsen und stirbt. Wir schlüpfen daraufhin in die Rolle von Alba, um die Dunkelheit zu besiegen und den Wolfsjungen Neva zu beschützen.
Gris x The Last Guardian
Das Spiel bietet uns zwei Schwierigkeitsgrade: Der Abenteuermodus ist laut den Entwicklern das "Standard-Neva-Erlebnis". Der Story-Modus konzentriert sich derweil – ebenfalls laut der Entwickler – auf die Geschichte des Spiels, in Ermangelung einer auch nur annähernd komplexen Story ist dieser Modus jedoch in Wirklichkeit schlicht ein einfacherer Schwierigkeitsgrad: Die Gegner sind schwächer und Alba unsterblich.
Als Alba müssen wir vorrangig springen und klettern, und gelegentlich gegen schwarze Gegner – maskentragende menschlich anmutende Feinde mit dünnen Spinnenarmen, die in verschieden großen und unterschiedlich agilen Varianten auftreten – kämpfen. Alba beherrscht dazu einen Doppelsprung, ein Ausweichmanöver und einen Schwerthieb. Das Ausweichmanöver zeigt sich am Boden als Rolle, in der Luft aber als horizontaler Dash, der aus einem Doppelsprung einen Dreifachsprung macht. Kombos gibt es nicht, durch das mehrmalige Treffen von Gegnern ohne eigenen Schaden zu erleiden lädt Alba jedoch ihre eigene Lebensenergie, die in der Form von drei Blüten am unteren Bildschirmrand angezeigt wird, wieder auf.
In der Praxis heißt das, dass wir viel damit beschäftigt sind von Plattform zu Plattform zu springen, ehe wir ein Gebiet erreichen, das von der Dunkelheit befallen wurde. Hier müssen erst alle Gegner besiegt werden, ehe sich Neva weitertraut. Vor allem während dem ersten Kapitel hat der junge Wolf Neva einen eigenen Kopf und erinnert damit ein wenig an Trico aus The Last Guardian. Früh im Spiel fängt er etwa an, einen Schwarm Schmetterlinge zu jagen. Auf Tastendruck kann Alba jedoch Neva zu sich rufen oder nach einer brenzligen Situation auch streicheln.
Mit jedem Kapitel wird Neva allerdings stärker. Schon im zweiten Kapitel hilft Neva aktiv bei der Gegnerbeseitigung. Einem Review-Guide, der uns von den Entwicklern bereitgestellt wurde, zufolge, ist das Spiel "ein Liebeslied, das unseren Kindern, unseren Eltern und unserem Planeten gewidmet ist". Die Beziehung zwischen Alba und dem Wolf Neva soll die Beziehung zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern symbolisieren. Wir müssen an dieser Stelle jedoch festhalten: Von allein wären wir da nicht draufgekommen.
Schöne Präsentation, limitiertes Gameplay
Neva sieht toll aus. Die von starken Hell-Dunkel-Kontrasten dominierte Farbpalette entspricht der Jahreszeit des jeweiligen Kapitels. Im Sommer bekommen wir also viel grün und gelb zu sehen, im Herbst danach viel orange, rot und braun, im Winter viel blau und grau. Die Entwickler haben sich zudem wieder für einen stark stilisierten, simplen Look entschieden, der durchaus Erinnerungen an Gris weckt. Filigrane florale Elemente werden dabei immer wieder mit geometrischen Körpern und Mustern kombiniert. Diese Optik weiß zu gefallen, kann dem Gameplay aber hin und wieder in die Quere kommen. Manchmal hebt sich die bisweilen nur wenige Pixel große Alba kaum vom Hintergrund ab, oder eine Plattform ist kürzer als es zunächst den Anschein hat, weil kaum zwischen dunkel-dunkel-braun und dunkel-braun zu unterscheiden ist. Später kann es auch sein, dass Alba während Kämpfen von Nevas immer aggressiveren Angriffen verdeckt wird. Schade ist zudem, dass das Gameplay größtenteils so simple ist wie die Optik. Vor allem die Kämpfe laufen immer wieder gleich oder doch zumindest ähnlich ab: Alba kann mit dem Schwert nach links/rechts und nach oben/unten schlagen und Gegnern ausweichen. Später dient Neva als eine Art zusätzliche Distanzwaffe und greift für Alba Gegner an oder zerstört Wände und Felsblöcke. Das war's. Diagonale Schwertstreiche beim Springen sind nicht möglich. Ebenso wenig kann Alba irgendwelche Spezialangriffe ausführen oder andere Items außer ihrem Schwert verwenden. Die limitierten Angriffsmöglichkeiten führen keineswegs zu leichten Kämpfen. Vor allem Bossgegner, die in der Form besessener Tierkadaver auftreten und definitiv Highlights des Spiels darstellen, können nur durch exaktes Timing und geschicktes Manövrieren besiegt werden, aber Neva kann sich in Sachen Gameplay so selten von anderen Genrevertretern absetzen. Erst ab dem dritten Kapitel führt das Spiel Elemente ein, die wirklich neu und frisch wirken: So gilt es an einer Stelle etwa, Alba durch einen Levelabschnitt zu geleiten, in dem unsichtbare Plattformen lediglich in einem Spiegelbild sichtbar sind. Mehr kreative Einfälle dieser Art hätten dem Spiel gutgetan.
Weniger limitiert, aber dafür schlicht nervig ist auf der PlayStation 5 außerdem die Art und Weise, wie die Spezialfunktionen des Dual-Sense-Controllers in das Spiel integriert wurden: Haptisches Feedback oder die adaptive Trigger werden nicht verwendet, aber wenn Alba nach Neva ruft oder aber das Zeitliche segnet und dabei einen letzten gurgelnden Schrei von sich gibt, kommt ihre Stimme ausschließlich und erschreckend laut aus dem Lautsprecher des Controllers. Wieso der Controller nur in diesen Ausnahmesituation so irritierend zum Leben erwacht? Keine Ahnung.
Ansonsten muss man die Akustik loben. Der Soundtrack wurde wie auch schon bei Gris von der deutschen Indie-Band Berlinist komponiert und passt stets wunderbar zum Geschehen. Ruhigere klassische Stücke begleiten Albas Reise, schwellen jedoch während emotionaleren Momenten an oder werden während den Kämpfen schneller und aggressiver. Eine Sprachausgabe gibt es in Ermangelung von Dialogen nicht.
Fazit
Es fällt mir nicht leicht, Neva zu bewerten. Es ist kein schlechtes Spiel, aber hier wurde definitiv Potential liegengelassen. Die Entwickler punkten mit einer tollen, stilisierten Optik und sorgen darüber hinaus in jedem Kapitel mit neuen Umgebungen und unterschiedlichen Gegnertypen dafür, dass während den rund vier Stunden Spielzeit nie Langeweile aufkommt. Albas stark limitierte Fähigkeiten und Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung führen allerdings auch dazu, dass sich Neva gameplaytechnisch viel zu selten von anderen Platformern abhebt. Die Entwickler wollten dies wohl durch eine emotionale Komponente ausgleichen, das gelingt ihnen jedoch nur zum Teil. Albas Beziehung zu Neva ist nett, aber kaum mit einer echten Mutter-Kind-Beziehung zu vergleichen. Auch sonst ist der Symbolgehalt des Spiels, der von den Entwicklern ausdrücklich betont wird, zu abstrus. Kaum jemand wird die dunklen Gegner im Spiel mit Umweltproblematiken oder der Coronapandemie unserer Welt gleichsetzen. Das haben andere Spiele, wie etwa After Us deutlich besser gemacht. Die meisten Spieler werden vermutlich nichts in die Geschichte hineininterpretieren. Für sie wird Neva einfach ein hübsches und gut spielbares, aber bisweilen etwas limitiertes und relativ kurzes Jump-’n’-Run sein; mit einer jungen Frau und einem Wolf, die gegen finstere Gegner kämpfen. Nicht mehr und nicht weniger.