Pneumata
Der Release-Termin von Pneumata wurde auf der Zielgeraden mehrfach verschoben: Erst sollte das Horrorspiel am 20. August, dann am 3. September und schließlich am 20. desselben Monats erscheinen, jetzt ist es aber endlich da. Im Vorfeld sorgte Pneumata vor allem jedoch deswegen für Aufsehen, weil es sich um das Projekt eines ambitionierten Solo-Entwicklers handelt. Antonio Alvarado vom Ein-Mann-Studio Deadbolt Interactive hat sich nach eigenen Angaben von Genre-Größen wie Resident Evil, Outlast, dem hierzulande indizierten Condemned: Criminal Origins und verschiedenen Werken von H.P. Lovecraft inspirieren lassen. Ob Pneumata mithalten kann? Wir haben uns ins amerikanische Hinterland gewagt, um euch diese Frage zu beantworten.
Auf nach Milton
In Pneumata schlüpfen wir in die Rolle des ehemaligen Detektivs David Hernandez, der irgendwo in den USA in einem typischen Einfamilienhaus wohnt. Eines Nachts um genau 3:33 Uhr läutet es bei ihm an der Haustüre. Durch ein Fenster sind die roten Rücklichter eines Autos und eine dunkle Gestalt auszumachen. Wenn wir die Haustür öffnen, wartet dort jedoch nur ein Paket auf uns. Der Inhalt: Eine Videokassette, die mit „Milton, Missouri“ beschriftet ist. Wie in Resident Evil 7 können wir die Kassette in ein Abspielgerät schieben und die Filmszene nachspielen. Letztere ist ziemlich verwirrend geschnitten und zeigt eine Insel mit einem Leuchtturm. Ganz in der Spitze des Turms und damit auch am Ende des Videos angekommen finden wir ein Funkgerät und hören einen Hilferuf von Davids ermordeter Ehefrau.
Was es damit auf sich hat, ist nicht klar, aber David beschließt offenbar nach Milton zu reisen, denn eine kurze Cut-Scene später befinden wir uns auf dem Weg dorthin. Der verlassene Ort liegt in einem Wald mitten in den Ozarks, einem von Seen und Flüssen durchzogenen Plateau, das sich größtenteils über die US-Staaten Missouri und Arkansas erstreckt. Mit einer Taschenlampe, einer Pistole und einem Rucksack ausgestattet erkunden wir die Gegend und suchen Schlüssel oder andere Gegenstände, um in neue Gebiete oder an bessere Waffen zu kommen.
Nachts im Wald
Pneumata ist praktisch in zwei sehr unterschiedliche Bereiche unterteilt: Das Dorf Milton, das aus einigen verlassenen Häusern im Wald besteht, und das Clover Hill Apartmentgebäude, das mit mehreren Stockwerken und einer labyrinthartigen Kanalisation mindestens so groß ist wie der gesamte Rest von Milton.
Vermutlich wollte Deadbolt Interactive die kleine Ortschaft Milton maximal atmosphärisch gestalten, das Ergebnis ist jedoch so übertrieben, dass sowohl die Atmosphäre als auch die Übersicht darunter leiden: In dem Dorf ist es immer Nacht, es regnet ununterbrochen und alle paar Sekunden erhellt ein Blitz die ansonsten größtenteils in Finsternis getränkte Landschaft. Letzteres soll uns als Spieler wohl bei der Orientierung helfen, tut dies aber kaum und ist nach einiger Zeit einfach nur noch nervig, nicht zuletzt, weil die Blitze ziemlich seltsam aussehen und eher an große Scheinwerfer erinnern als an ein natürliches Wetterphänomen. Analog dazu leuchten auch vereinzelte Laternen, Lampen oder brennende Kreuze auf eine ziemlich unrealistische Art und Weise, die Konturen wie in einem unsichtbaren Nebel verschwimmen lässt. Anderswo leuchten Lampen durch Mauern oder andere Hindernisse schlicht hindurch.
Die unstimmigen Elemente von Pneumata hören bei der Beleuchtung leider nicht auf: Viele der heruntergekommenen Gebäude in Milton wurden nicht glaubhaft in die Landschaft integriert. Im Klartext heißt das: Die Gebäude stehen völlig willkürlich im Wald herum und sind zwar von Zäunen umgeben, nicht aber mit Straßen oder Wegen verbunden. Wenn doch mal eine erkennbare Straße vorhanden ist, wird der Weg meist auf völlig unlogische Art und Weise von britischen (???) Doppeldeckerbussen, LKWs oder Wohnwägen blockiert. Diese Hindernisse sowie Öffnungen in den Zäunen dienen einzig dem Zweck, uns linear durch Milton hindurchzulenken und zwingen uns, etliche Wohnhäuser, eine Kirche und eine Tankstelle in fest vorgegebener Reihenfolge abzuklappern, ehe wir den Clover Hill Apartmentkomplex erreichen.
Grafisch ist Pneumata derweil definitiv nicht auf dem Niveau großer AAA-Produktionen, würde abgesehen von den Lichteffekten aber ordentlich aussehen, wenn Deadbolt Interactive nicht verschiedene Assets immer wieder recycelt hätte. Das Wiederverwenden von Objekten kann man einem Solo-Entwickler wohl kaum zum Vorwurf machen, es führt aber leider dazu, dass viele der spärlich möblierten Wohnhäuser in Milton relativ gleich aussehen. Andere Gebäude wie die Kirche, die Tankstelle oder das große Apartmentgebäude sind abwechslungsreicher gestaltet, wirken aber nichtsdestotrotz wie Kulissen aus einem billig produzierten Horrorfilm oder einer Kirmes-Geisterbahn, die einfach eine Handvoll Horror-Klischees miteinander zu kombinieren versuchen. Vor allem das moderne, mehrstöckige Apartmentgebäude passt stilistisch außerdem überhaupt nicht zu den viel kleineren Bruchbuden im Wald.
Spaßbefreites Ballern, aber...
Die angriffslustigen Bewohner von Milton sind größtenteils hölzern animierte, mutierte Zeitgenossen in Latzhosen und Unterhemden, die an Filme wie The Hills Have Eyes erinnern. In Clover Hill warten dagegen vorrangig abgemagerte Zombies mit Geschwüren an den Körpern oder Untote in Schutzanzügen auf uns. Während auf der Steam-Seite des Spiels großspurig eine „vielfältige KI“ und Kämpfe gegen „unberechenbare Wesen“ versprochen werden, sind die Feinde in Wirklichkeit strohdumm und völlig berechenbar. Selbst schwächere Gegner schlucken zwar viel Munition, bleiben aber nach jedem Treffer kurz stehen, wodurch wir in alle Ruhe unsere Pistolenmagazine oder Schrotpatronen in deren Körper entleeren können. Ein vermeintlicher Boss-Gegner ist nicht in der Lage zu klettern. Wenn wir also eine Holzkiste besteigen, wendet er sich von uns ab und bleibt in einigen Metern Entfernung einfach regungslos stehen – auch dann noch, wenn wir ihn weiter beschießen. So mancher Shooter der 90er Jahre bietet eine vergleichbare oder sogar bessere KI. Wirklich gefährlich werden die Gegner erst, wenn sie in Gruppen auftauchen. Das passiert beispielsweise in Clover Hill nach einer Cut-Scene, bei der David ziemlich willkürlich seine Schusswaffen ablegt. Dann müssen wir gegen eine Horde mutierter Zeitgenossen mit einer Bratpfanne und einem Messer auskommen und Pneumata offenbart eine weitere Schwäche: Es gibt keine Gesundheitsanzeige. Wer wissen will, wie es David geht, muss sein Inventarmenü öffnen, um dort eine Prozentzahl zu finden. Plötzliche Tode sind dann mehr oder weniger vorprogrammiert.
... unterhaltsames Erkunden
Neben einer Gesundheitsanzeige suchen Spieler auch In-Game-Karten vergeblich, was speziell im weitläufigen Apartmentkomplex und der darunterliegenden Kanalisation negativ auffällt. Absolut unverständlich ist auch, dass das Autosave-Feature von Pneumata manuelle Speicherstände überschreibt. All diese Kritikpunkte könnten dazu verleiten, Pneumata für unspielbaren Software-Schrott zu halten, ganz so schlimm ist die Situation dann aber doch nicht. Pneumata ist alles andere als ein Topspiel, aber auch keine Vollkatastrophe. Während unseres Testlaufs blieben wir von größeren Bugs oder gar Spielabstürzen verschont, und trotz all der offensichtlichen Mängel kann das Spiel als oldschool Horror-Shooter mit hohem Adventure-Anteil phasenweise durchaus spaßig sein. Die verschiedenen Stockwerke von Clover Hill mit unterschiedlichen Apartments, einem Waschsalon und kleineren Büros erinnern an die Wohnanlagen aus den früheren Silent-Hill-Teilen und das Erkunden der Räumlichkeiten weiß zu unterhalten. Umso enttäuschender ist es, dass sich Herr Alvarado für andere Elemente des Spiels wohl keine Hilfe holen wollte.
Fazit
Es ist bewundernswert, dass Pneumata von einer einzigen Person entwickelt wurde, aber das Spiel muss sich trotzdem mit den Titeln viel größerer Entwicklerstudios messen und dabei wird schnell klar: Pneumata leidet unter einer seichten, unlogischen und klischeehaften Story, schlechtem Leveldesign und einem simplen Kampfsystem mit strohdummen Gegnern. Es ist keineswegs unspielbar und phasenweise weiß das Erkunden der Umgebungen in Milton während der rund 5 Stunden Spielzeit gut zu unterhalten, aber nichtsdestotrotz kann das Spiel nicht annähernd mit Resident Evil und co mithalten. Für sein nächstes Projekt sollte sich Deadbolt Interactive ein paar Mitarbeiter suchen. Wir drücken ihm dafür die Daumen.