Indika
Bereits im Mai wurde das düstere Abenteuerspiel Indika, benannt nach dem Hauptcharakter des Spiels, offiziell veröffentlicht, aber erst seit letztem Freitag (zufälligerweise Freitag, der 13.) ist es als physische Version erhältlich. Wir haben die Disc rotieren lassen und präsentieren euch nachfolgend einen Test des eigentümlichen Titels.
Surrealer Psycho-Trip durch das eisige Russland
Indika beginnt mitnichten so, wie man es nach dem Sehen verschiedener Trailer oder Screenshots erwarten würde. Letztere lassen auf eine düstere Walking-Sim schließen, aber die ersten Sekunden ähneln einem Retro-Spiel inklusive farbenfroher Pixelgrafik: Die titelgebende Nonne Indika fällt vor einem einfarbigen, blauen Hintergrund vom oberen Bildschirmrand. Als Spieler können wir sie durch Bewegen des rechten Analogsticks entweder nach links oder nach rechts fallen lassen und dadurch goldene Symbole einsammeln, die ein wenig an die Münzen in Mario-Spielen erinnern. Das letzte und größte Symbol verwandelt sich dann allerdings in einen großen Kerzenständer in einer altertümlichen Kirche und die 16-Bit-Optik weicht einer modernen und durchaus schicken dreidimensionalen Grafik. Das ist cool gemacht und zeigt auch gleich, was fortan von dem Abenteuerspiel zu erwarten ist: Eine ruhige und doch irgendwie wilde, surreale Reise durch verschiedenste Stile und Themen, die sich kaum mit einem anderen Spiel vergleichen lässt.
Gestatten, mein Name ist Satan
Die junge Indika lebt im 19. Jahrhundert als Nonne in einem russisch-orthodoxen Kloster, ist dort jedoch kein beliebtes Mitglied der Abtei, sondern eine Außenseiterin ganz ohne Freunde oder Verbündete. Letzteres wird dem Spieler von einer äußerst zynischen männlichen Erzählstimme berichtet, wäre aber auch ohne diese unmissverständlich klar, denn die anderen Nonnen im Kloster behandeln Indika mehr als stiefmütterlich. Ein Grund für ihre Außenseiterrolle ist die eben erwähnte Erzählstimme, die dem Teufel höchstpersönlich gehört. Dieser haust in Indikas Kopf und unterhält sich in regelmäßigen Abständen mit der bemitleidenswerten Ordensschwester oder beschert ihr Halluzinationen, die ihre Psyche natürlich in Mitleidenschaft ziehen.
Eines Tages erhält Indika den Auftrag, einen Brief in ein anderes Kloster zu bringen. Auf dem Weg dorthin hört sie in einem nahen Dorf panische Schreie und trifft in einer Hütte kurz darauf auf einen Mann, der eine Frau vergewaltigen will. Indika versucht, der Frau mehr oder weniger tatkräftig zu Hilfe zu eilen, ist dem grobschlächtigen Mann aber nicht gewachsen. In dem Moment mischt sich noch ein zweiter Mann ein und schlägt den ersten Kerl nieder. Eine glückliche Fügung? Mitnichten, denn der Fremde ist ein entflohener Häftling, der Indika auf seiner Flucht als Geisel nimmt. Der Fremde, der sich Indika als Ilja vorstellt, behauptet, mit Gott reden zu können und hofft, dass Indika ihm hilft, seine Seele zu heilen.
Mehr als nur eine Walking-Sim
Wir wollen an dieser Stelle nicht mehr über die Geschichte des Spiels verraten, halten aber fest: Das Putin-kritische Entwicklerstudio Odd Meter, das zum Beginn des Ukraine-Kriegs von Moskau nach Kasachstan geflüchtet ist, greift auf einzigartige, kritische Art und Weise Themen wie Glauben, Autorität und Selbstfindung auf und verpackt diese in einem Spiel mit ebenso einzigartigem Setting, bizarren Charakteren und einer surrealen und spannenden, aber zum Teil etwas langatmigen und sehr linearen Geschichte. Die Story und die Atmosphäre sind sicherlich die größten Stärken des rund 5 Stunden langen Spiels. Womit das Spiel dagegen weniger punkten kann, ist Gameplay, aber auch hier muss man den Entwicklern zugutehalten, dass Indika definitiv mehr als nur eine reine Walking-Sim ist und fast schon als Genre-Mix bezeichnet werden kann. Immer wieder müssen kleine Rätsel gelöst werden, um etwa einen Fluss mit einem Floß zu überqueren oder eine verschlossene Türe zu überwinden, außerdem können die zuvor genannten Halluzinationen dafür sorgen, dass die Spielwelt um Indika rot leuchtet und wortwörtlich auseinanderbricht. Wie tektonische Platten bei einem Erdbeben verschieben sich dann Wege, Treppen und Brücken, und Indika muss zu Gott beten, um die Welt (bzw. ihren Geisteszustand) wieder zusammenzusetzen. In der Praxis heißt das, dass wir in solchen Momenten zwischen zwei Welten hin- und herwechseln können, um simple Geschicklichkeitspassagen zu meistern. Auch in der Form weiterer Retro-Abschnitte, die Szenen aus Indikas früherem Leben nachstellen, und in einer Fabrik, in der Fische verarbeitet werden, gibt es Geschicklichkeitspassagen zu bewältigen.
Darüber hinaus gilt es einige Sammelitems zu finden, um Punkte zu bekommen, mit denen sich Skills in einem Fähigkeitsbaum freischalten lassen. Sowohl die Items als auch die Skills wie etwa "Trauer", "Demut" und "Schande" bieten jedoch mehr als offensichtlich keinerlei Nutzen und dienen so lediglich dem Zweck, die nihilistischen Botschaften des Spiels zu betonen.
Technisch zeigt sich Indika derweil überraschend stark. Das Indie-Studio Odd Meter hat hier mit Hilfe der Unreal Engine 5 eine Welt erschaffen, die zwar selten das Niveau großer AAA-Produktionen erreicht, in der Regel aber auch nicht weit davon entfernt ist. Die realistischen Charaktermodelle sind detailliert ausgearbeitet und bestrechen mit ausdrucksstarker Mimik, und auch die Umgebungen kommen trotz der überall vorherrschenden Schneeverwehungen mit etlichen schönen Details daher. Einzelne Innenräume sind so schön gestaltet, dass es sich lohnt, stehenzubleiben, um eine Kerze anzuzünden und dem hochrealistischen Interieur im zuckenden Licht etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ein besonderes Lob verdient auch die cineastische Kameraarbeit während einigen Cut-Scenes. Immer wieder verwenden die Entwickler Ego-Perspektiven diverser NPCs, die Indika beobachten. Auch gibt es eine Kamera, die an Indikas Brust geschnallt scheint und auf ihr Gesicht gerichtet ist. Schnelle Bewegungen und surreale Szenen, bei denen nur ihr Gesicht scharf bleibt, sind die Folge. Das trägt zur stellenweise wirren, (alb)traumhaften Atmosphäre des Spiels bei.
Letzteres gilt auch für die exzellente Sprachausgabe, deutsche Spieler sollten aber wissen, dass als Sprachen nur Russisch und Englisch wählbar sind. Die Lokalisierung zeigt sich lediglich in deutschen Untertiteln und Menütexten.
Die Steuerung ist derweil nicht übermäßig präzise, aber angesichts des limitierten Gameplays in der dreidimensionalen Welt völlig zweckmäßig, und während den 16-Bit-Ausflügen sorgen großzügig gesetzte Checkpoints dafür, dass nie Frust aufkommt.
Fazit
Indika ist so einzigartig, dass es sich kaum mit anderen Spielen vergleichen lässt. Zwar hat es immer wieder Passagen wie aus einem (überraschend) klassischen Adventure- oder Rätselspiel, es reichert diese aber mit bizarren Bildern und philosophischen Dialogen an. Die Welt ist düster und trostlos wie in einem Horrorspiel, ihr werdet hier jedoch keine blutverschmierten Wände finden, keine Zombies, Werwölfe, Vampire oder andere Monster, auf die ihr mit Waffen zielen könntet. Analog dazu gibt es auch keine Helden oder Antihelden. Indika nimmt stattdessen eine Prise schwarzen Humor, viel Ruhe und eine bedrückend realistische und zugleich völlig surreale Welt und fügt all diese Elemente zu einem einzigartigen und erstaunlich unterhaltsamen Flickenteppich zusammen, der letztlich viel stabiler ist, als es die einzelnen Teile vermuten lassen. Das Spiel kritisiert zudem ziemlich schonungslos die Scheinheiligkeit der Kirche und den Missbrauch von Macht. Das wird nicht jedem gefallen, wer sich aber darauf einlässt, bekommt ein Spiel, das zum Nachdenken anregt und auch nach dem Abspann noch lange im Gedächtnis bleibt.