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Das Erfolgsrezept von Gacha Games

Von Andreas Held am 29.08.2024

Sogenannte Gacha Games sind im Westen, mit wenigen Ausnahmen, eine absolute Randerscheinung. In Asien - vor allem in Japan, China und Südkorea - haben sie jedoch mittlerweile einen gigantischen Markt für sich erschlossen. Wie riesig dieser Markt tatsächlich ist, hat eine News gezeigt, die mich zu diesem Artikel inspiriert hat: Eine Gruppe von chinesischen Spieleentwicklern möchte in Shanghai einen eigenen Stadtteil errichten, genauer gesagt eine einen Kilometer lange Shopping- und Entertainment-Meile, die ein Äquivalent zum japanischen Akihabara darstellen soll. Dass das nicht gerade billig ist, dürfte klar sein. Finanzieren lässt sich dieses Projekt nur deshalb, weil die größten Genrevertreter jeden Monat zweistellige Millionenbeträge einspielen - Umsätze, von denen selbst viele AAA-Titel nur träumen können.

Was ist eigentlich ein Gacha Game?

Gacha Games haben ihren Namen von japanischen Kapselautomaten, die ähnlich funktionieren wie ein Überraschungsei. Für einen durchschnittlichen Preis von umgerechnet zwei bis drei Euro können Kunden eine Kapsel mit unbekanntem Inhalt ziehen. Mit Abstand am häufigsten sind Automaten, in denen sich verschiedene Charaktere aus einer Anime-Serie befinden - wer eine bestimmte Figur ziehen möchte oder gar das komplette Set vervollständigen will, ist also schnell einen mittleren zweistelligen Betrag los. Gacha Games verfrachten dieses Konzept in den virtuellen Raum: Hier geben wir eine digitale Währung aus, die entweder freigespielt oder mit Echtgeld erworben kann, und erhalten im Gegenzug einen zufälligen Charakter. Diesen dürfen wir anschließend als spielbare Figur in einem wie auch immer gearteten Videospiel verwenden.

Am einfachsten umzusetzen und somit am häufigsten anzutreffen sind rundenbasierte RPGs, aber es gibt mittlerweile etliche verschiedene Konzepte: Azur Lane ist ein Bullet-Hell-Shooter, in dem wir unsere Charaktere anstelle des ansonsten zu steuernden Raumschiffs kontrollieren. Arknights ist ein Tower-Defense-Spiel, in dem wir unsere Figuren als "Türme" auf der Karte platzieren. Im Westen nicht erhältlich ist Uma Musume: Pretty Derby, wo wir Horse Girls sammeln, die in Pferderennen gegeneinander antreten. Der im Westen bekannteste Titel, Genshin Impact von Mihoyo, ist ein vollwertiges Open-World-Adventure mit starken Parallelen zu Breath of the Wild.

Der wichtigste Unterschied im Vergleich zu westlichen Titeln, die als Game as a Service betrieben werden, ist die Tatsache, dass es sich bei den meisten Gacha Games um reine Single-Player-Titel mit langen Story-Sequenzen handelt, während westliche Online-Spiele fast ausschließlich im Multiplayer spielbar sind. Ein weiterer Unterschied ist, dass wir in den asiatischen Titeln auffallend viele Spielinhalte kostenfrei erhalten. In aller Regel können wir zumindest unsere Lieblingscharaktere ohne Ingame-Käufe sammeln, manchmal ist sogar eine vollständige Charakterbibliothek ohne Echtgeld erspielbar. Pay-2-Win-Käufe sind zwar in üppiger Anzahl vorhanden, werden aber in der Regel aufgrund eines unvorstellbar niedrigen Schwierigkeitsgrads und der Abwesenheit von kompetitiven Multiplayer-Modi nicht benötigt. Kurzum: In den meisten Fällen können Gacha Games völlig kostenlos gespielt werden, ohne dass man etwas wichtiges verpassen würde.

Von Walen und Delfinen

Angesichts dieser Eigenschaften darf man sich fragen, wie Gacha Games überhaupt Geld einnehmen, aber tatsächlich haben die Entwickler natürlich ausgeklügelte Systeme entwickelt und mit Psychologen zusammengearbeitet, um möglichst viele Spieler zum Geldausgeben zu verleiten. Im Westen werden, vor allem bei Kritiken an den mittlerweile wieder aus der Mode gekommenen Lootboxen, immer wieder Parallelen zu Glücksspielautomaten und damit einhergehende Suchtgefahren angesprochen. Tatsächlich finden sich immer wieder Einzelfälle, in denen Spieler von Gacha Games aufgrund von Suchtverhalten vier- oder fünfstellige Beträge in ein einziges Spiel gesteckt und dabei einen Schuldenberg aufgebaut und ihre Ehe zerstört haben. Auch Kinder, die den Wert von Geld noch nicht vollständig verstehen und die Kreditkarte ihrer Eltern stehlen, sind immer wieder gern zitierte Opfer, vor allem wenn der Ultimate-Team-Modus von FIFA an den Pranger gestellt werden soll.

Den mit Abstand größten Teil ihres Umsatzes machen Gacha Games allerdings mit der Vermarktung und dem Verkauf ihrer Charaktere, die sehr schnell absurd teuer werden, wenn die kostenlos erspielbaren Ressourcen nicht mehr ausreichen. Die meisten Spiele veröffentlichen alle zwei bis drei Wochen mehrere neue Charaktere, die in der Regel nur eine kurze Zeit lang verfügbar sind und nur mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa einem Prozent erscheinen, wenn ihr eine neue Figur zieht. Da zehn Tickets für die Charakter-Lotterie meist ca. 20-30€ kosten und zudem fast immer zahlreiche Duplikate derselben Figur notwendig sind, um sie vollständig aufzuleveln, geben manche Spieler drei- oder vierstellige Beträge für einen einzelnen Charakter aus. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, warum so viele Nutzer bereit sind, derart viel Geld in ein Spiel zu investieren, das eher nur rudimentäres Gameplay bietet.

Sex Sells - auch 2024 noch

Um das zu verstehen muss man sich zunächst klarmachen, wer die hauptsächliche Zielgruppe von Gacha Games ist: Einsame Männer, die in der Schule gemobbt wurden und in der Folge keine sozialen Fähigkeiten entwickelt haben, nun aber einen gut bezahlten IT-Beruf ausüben und über jede Menge überschüssiges Einkommen verfügen, das sie kaum sinnvoll ausgeben können. Entwickler von Spielen, die auf den asiatischen Markt ausgelegt sind, haben sich auf diese Zielgruppe spezialisiert: Charaktere sind fast ausschließlich weiblich, entsprechen den gängigsten Schönheitsidealen und haben Persönlichkeiten, mit denen sie bei dieser Zielgruppe landen. Das wohl krasseste Beispiel dafür, wie gut das funktioniert, ist Snowbreak: Containment Zone. Nach einer holprigen Launch-Phase entschieden sich die Entwickler dazu, alle männlichen Charaktere durch Frauen zu ersetzen und sexualisierten diese so stark, dass die englischen Synchronsprecherinnen den Titel boykottierten. Der Erfolg gab ihnen recht, denn die Einnahmen explodierten, und heute gehört Snowbreak: Containment Zone mit einem geschätzten Umsatz von ca. 5 Millionen US-Dollar pro Monat zu den größten und erfolgreichsten Genrevertretern am Markt.

Dabei profitieren die hauptsächlich in China ansässigen Studios natürlich auch davon, dass ihnen westliche Entwickler diesen Markt kampflos überlassen haben. Die Zeiten, in denen Lara Croft oder Tracer aus Overwatch männliche Fantasien weckten, sind längst vorbei - in den letzten Jahren wurden solche Charakterdesigns, zuletzt in Spielen wie Concord oder Dustborn, sogar bewusst vermieden und Kritiker von den Entwicklern öffentlich beschimpft. Kein Wunder also, dass sich diese Spieler nun lieber asiatischen Entwicklern zuwenden, von denen sie mit offenen Armen empfangen werden.

Cult of Personality

Insgesamt ist das aber nur ein Faktor von vielen, denn Gacha-Entwickler machen sich vor allem ein Phänomen zunutze, das seit Jahren auch auf Seiten wie Twitch funktioniert, wo Teenager ihr Taschengeld an Millionäre überweisen. Gacha-Charaktere sehen nicht nur gut aus - sie dürfen in langen Story-Szenen die Herzen der Spieler erobern und werden auch außerhalb der eigentlichen Spiele mit einem riesigen Budget vermarktet. Memento Mori unterhält zum Beispiel einen Youtube-Kanal, auf dem für jede neue Figur ein eigener Song veröffentlicht wird - das reicht offenbar, um auch langfristig über eine Million Dollar pro Monat einzunehmen. In manchen Spielen dürfen die Figuren sogar geheiratet werden - nach dem Erwerb eines virtuellen Eherings, der so viel kosten kann wie ein eigenständiges Spiel, versteht sich. Auf diese Weise erschaffen die Entwickler parasoziale Beziehungen zwischen den Charakteren und den Spielern, die der eigentliche Auslöser für irrationale Ingame-Käufe sind. Fragt man einen Gacha-Wal, warum er gerade mehrere tausend Euro für eine einzelne Figur ausgegeben hat, ist die Antwort immer die gleiche: "Wir tun es aus Liebe zu den Charakteren".

Auch der eingangs erwähnte Gacha-Stadtteil, den Mihoyo mit anderen Studios in Shanghai errichten will, haut voll in diese Kerbe. Neben den zu erwarteten Merchandise-Geschäften und Showbühnen werden im Konzept auch "VR-Erfahrungen" und "digitale KI-Menschen" erwähnt - man darf also davon ausgehen, dass Fans ihren Lieblingschakteren dort zumindest in der virtuellen Realität begegnen dürfen und sich vielleicht sogar auf diesem Weg mit ihnen unterhalten können. Es gibt sicherlich schlechtere Geschäftsideen.

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2 Kommentare:
Jerry)
Jerry
Am 30.08. um 09:14
Wieder was dazugelernt. Ich kannte vorher nur die Kapselautomaten. Btw, bei der doch sehr konkreten Zielgruppenbeschreibung musste ich herzlich lachen.^^
Denios)
Denios
Am 30.08. um 09:45
Guter Beitrag!
Ich mag zwar prinzipiell keine Handyspiele, probiere aber trotzdem die meisten ansprechend aussehenden Gacha-Games oder Handy-Spinoffs meiner Lieblingsreihen aus. Da ein sehr großer Teil davon sich aber wirklich nahezu identisch spielt, springe ich aber meistens schnell wieder ab. Hängen geblieben bin ich tatsächlich nur bei Fire Emblem Heroes. Da habe ich aber auch noch nie Geld für Ziehungen ausgegeben (habe nur einmal einen Monat diesen Erweiterungspass gekauft, um die Entwickler einmalig zu unterstützen) und habe jetzt trotzdem über 600 Charaktere und einige meiner Lieblinge auch schon voll aufgestuft. Dragon Quest of the Stars fand ich zwar noch besser, aber das wurde ja relativ schnell wieder eingestampft. Hat halt kein Geld eingebracht, weil man keine sexy Charaktere ziehen konnte (das Gacha-System hat sich nur auf Equipment beschränkt). Naja, FEH reicht mir auf dem Handy, sonst spiele ich unterwegs ja eh lieber auf Switch :)