Test

Beyond Good & Evil

Von Robert Emrich am 31.07.2024

Wenn ein Publisher ein Spiel nach 20 Jahren ein weiteres Mal auf den Markt bringt, dann spricht das entweder für die Umsatzstärke des Spiels oder aber den guten Ruf, den es bei seinen Fans genießt. Im Fall von Ubisofts “Beyond Good & Evil” trifft eindeutig letzteres zu und so haben die Spieleentwickler aus Frankreich den Titel, nach der HD-Neuauflage von 2010, anlässlich seines 20. Geburtstages erneut veröffentlicht. Wir haben uns den überarbeiteten Klassiker einmal auf der Nintendo Switch für euch angesehen und verraten euch, ob sich die (erneute) Investition lohnt.

Free the people! Fight the Power!

Mit dem Kampf gegen das Establishment hat Ubisoft spielübergreifend seinen liebsten und lohnendsten Endgegner gefunden. Ob heimlich und leise wie in den “Assassin's Creed”- Spielen oder offen und mit viel Getöse wie in Far Cry 6 und dem jüngsten Hacker-Abenteuer Watch Dogs Legion: Immer wieder gilt es, das unterdrückte Volk von seinen tyrannischen Herrschern zu befreien, um die Menschheit in eine (hoffentlich) bessere Zukunft zu führen. Neben dem revolutionären Gedanken finden sich auch Stealth-Einlagen immer wieder in den Spielen des Publishers wieder. Und so kann Beyond Good & Evil in diesem Zusammenhang (und nur auf Ubisofts Spiele bezogen) als Ursprung beider Spiel-Konzepte gesehen werden, wenn es euch, frei nach dem Motto “Großes aus kleinen Ursprüngen” die Geschichte eurer Protagonistin Jade erzählt. Die lebt anfangs zusammen mit einigen Waisenkindern und ihrem Onkel, dem anthropomorphen Schwein Pey'j, in einem Leuchtturm und hat einen ganzen Haufen eigener Sorgen: Das Geld ist knapp, der Heimatplanet steckt seit langem in einem Krieg mit den DomZ, außerirdischen Invasoren, die regelmäßig Teile der Bevölkerung entführen, und zu allem Überfluss will das örtliche Stromwerk keine Energie mehr für den heimischen Schutzschild liefern. Zum Glück im Unglück ist Jade eine tolle Fotografin und so bekommt sie über Umwege, gerade als es wirklich eng wird, den Auftrag, die Geschehnisse auf der mysteriösen schwarzen Insel aufzudecken und ihrem Auftraggeber, einem gewissen Mister De Castellac, ein paar Beweisfotos zu liefern. Also schwingt ihr euch, bewaffnet mit Kamera, Onkel und Kampfstab in Pey’js Luftschiff und damit direkt ins Abenteuer. Im Zuge der folgenden Ereignisse deckt ihr nicht nur eine globale Verschwörung auf, sondern erfahrt auch eine Menge über euch und eure Herkunft.

Die Geschichte wird im Verlauf der etwa zwölf Stunden Spieldauer ähnlich wie in einem Film erzählt und bietet neben vielen Dialogen, die euch die einzelnen Figuren näher bringen, auch die eine oder andere (emotionale) Wendung, die wir euch hier aber natürlich nicht verraten wollen. Grundsätzlich ist die Geschichte sehr gut gealtert und kann auch mit vielen heutigen Titeln mithalten. Ubisoft entschuldigt sich zwar im Vorspann des Spiels für die nicht mehr zeitgemäße Darstellung einiger Kulturen im Spiel und nimmt besonderen Bezug auf die Mechaniker der Mammago Werkstatt, deren Design durch den Rastafarianismus inspiriert wurde und die Pey’j in einer Notiz (vermutlich aufgrund ihrer Preise) als “Räuber” bezeichnet. Doch insgesamt weckt die Welt Hillys mit ihren vielen unterschiedlichen anthropomorphen Einwohnern den Eindruck des gelebten und gleichberechtigten kulturellen Pluralismus und funktioniert damit auch heute noch.

Ein wenig Schleichen, ein wenig “alles andere”

Beyond Good & Evil ist, wenn man es in einer Kategorie unterbringen möchte, ein Action-Adventure mit Schleich- und Rätsel-Einlagen. Jade verbringt einen großen Teil des Spiels damit, vorsichtig durch Anlagen voller Wachen zu schleichen, die sie, je nach Situation, bei einer Entdeckung jagen oder direkt ins Jenseits befördern. Und nicht selten fordert das Spiel eure grauen Zellen heraus, wenn ein offensichtlicher Weg versperrt ist, und ihr eine alternative Route finden müsst, die sich oft nur durch das aufmerksame Untersuchen der näheren Umgebung finden lässt. Doch obwohl Schleichen und Rätsel zentrale Elemente des Spiels sind, wird die Beschreibung dem Titel nur zum Teil gerecht. Michel Ancels Intention, eine für die damaligen Verhältnisse möglichst große und offene Spielwelt zu schaffen, ist auch 20 Jahre später noch zu spüren und so verbringt ihr eure Zeit, neben und während der Hauptmission mit allen möglichen anderen Aktivitäten. Wettrennen, Luftschlachten und Tischhockey-Matches stehen neben dem Fotografieren aller möglichen Tiere sowie dem Sammeln von Perlen auf dem Programm und wecken den Eindruck, die Geburtsstunde der berüchtigten Ubisoft-Formel mitzuerleben. Doch Ancels Team nutzt die Nebentätigkeiten nicht zum Selbstzweck oder um euch mit einem albernen Erfolg abzuspeisen, sondern als gut geplantes Mittel, um euren Fortschritt im Spiel in die richtigen Bahnen zu lenken. Fotos bringen das Geld ein, mit dem ihr unterschiedliche Power Ups erwerben könnt und Perlen können (und müssen) gegen Fahrzeug-Upgrades eingetauscht werden, die ihr im späteren Spiel dringend benötigt.

Wie die Welt bietet auch Jade Fähigkeiten, die über das Schleichen und Fotos machen hinausgehen und gerade in den ersten Kämpfen kann eure Figur so gut austeilen, dass die anfangs sanfte Lernkurve zunächst den Eindruck vermittelt, dass das Spiel für heutige Maßstäbe zu einfach sein könnte. Doch schon nach einer kurzen Weile steigt der Schwierigkeitsgrad in kleinen Schritten immer weiter und sorgt für Situationen, die neue Spieler und solche, die den Titel schon einmal erlebt haben, unterschiedlich empfinden dürften: Für Kenner und Liebhaber des Spiels ändert sich mit dem Remake sehr wenig. Sämtliche Mechaniken wurden sauber aus der ursprünglichen Version übernommen und funktionieren genau so, wie ihr sie auch schon damals erlebt habt. Für neue Spieler birgt das Spiel an einigen Stellen aber Frustpotential, da einige Mechaniken, die vor 20 Jahren in vielen Spielen normal waren und dementsprechend auch hier im vorkommen, heute aus gutem Grund meistens nicht mehr verwendet werden. Größter Kritikpunkt ist dabei ganz klar die Steuerung der Kamera, die in weiten Arealen gut funktioniert, in engen Räumen aber fest definierte Positionen einnimmt, die leider viel zu oft nicht gut gewählt sind, weil euch wichtige Elemente des Raums nicht gezeigt werden. Ein Umstand, der besonders in Schleichpassagen viele Probleme bereiten kann, wenn ihr zum Beispiel Ratten vor euch erahnt, aber nicht seht und dann blind nach vorne schlagend in den Raum gehen müsst. Dass die Level im Inneren der Gebäude zusätzlich zum Teil in atmosphärische Dunkelheit getaucht sind und wir stellenweise die Bildschirmhelligkeit am Fernseher hochdrehen mussten, um wichtige Elemente besser erkennen zu können, macht die Situation leider ebenfalls nicht besser. Und auch die Fähigkeit eurer K.I.-Partner fließend zwischen nützlich und störend hin und her zu wechseln, kann für Irritation sorgen, wenn eure Mitstreiter in Kämpfen plötzlich im Weg stehen und durch von euch kassierte Treffer Lebensenergie verlieren.

Dass das Spiel trotz dieser Kritikpunkte die meiste Zeit über Spaß macht, liegt neben der offenkundigen Leidenschaft, die die Entwickler damals in das Spiel gesteckt haben, auch daran, dass andere Konzepte und Design-Elemente auch heute noch sehr gut funktionieren. Zusätzlich fängt der Titel die herausforderndsten Abschnitte mit gut platzierten Speicherpunkten und Lebensmittelautomaten ab, an denen ihr heilendes Essen kaufen könnt. Neben den manuellen Speicherpunkten sichert das Spiel euren Fortschritt auch immer wieder automatisch, wodurch ihr im Fall einer Niederlage nur wenig Zeit verliert. Dennoch sind einige Aufgaben, denen sich Jade stellen muss, ziemlich knifflig und können durchaus mehrere Versuche erfordern.

Abgesehen vom regulären Spiel bietet euch die Anniversary Edition einen Speedrun Modus, in dem ihr das Spiel so schnell wie möglich und ohne Speicherpunkte bewältigen müsst. Außerdem hat Ubisoft der Edition eine Dokumentation zum Spiel in Form einer riesigen Sammlung von Bildern, Entwürfen und Videos spendiert, in der ihr alles über die Entwicklung des Spiels, erste Prototypen und sogar diverse nie veröffentlichte Szenen und Level erfahren könnt.

Solide Technik mit kleinen Schwächen

Technisch hat Ubisoft für die Anniversary Edition an allen möglichen Schrauben gedreht und bietet den Titel mit verbesserten Texturen, Reflektionen und Lichteffekten an, die sogar auf der Switch die ursprüngliche PC Fassung weit in den Schatten stellt. Dass diese Neuerungen trotz der immer noch recht simplen Charaktermodelle im Gegenzug ihren Tribut in Sachen Leistung fordern, ist zwar auf der Switch nicht gänzlich überraschend, aber doch irgendwie schade. Während Series X und PlayStation 5 Spieler Jades Abenteuer in 4K Auflösung mit bis zu 60 Bildern pro Sekunde erleben dürfen (eine Leistung, die auch schon ein wenig fragwürdig ist) müsst ihr auf der Switch mit 30 Bildern in Full HD vorlieb nehmen, die das Spiel leider auch nicht durchgehend halten kann. Bei großen Kamerafahrten und in wilden Kämpfen wird das Geschehen auf dem Bildschirm leicht träge, und kann sogar ein wenig ins Ruckeln kommen. Unspielbar wird BG&E dabei aber nie. Auch akustisch wurde dem Spiel eine Veredelung spendiert, natürlich ohne dabei die bekannten Synchronsprecher oder den Soundtrack zu verändern. Letzterer wurde nur noch einmal von einem Live-Orchester komplett neu aufgenommen, um noch besser klingen zu können.

Die Steuerung funktioniert zum großen Teil sehr gut, wobei es schön gewesen wäre, wenn Ubisoft für Jades Fernkampfangriffe oder den Blick durch die Kameralinse, die Bewegungssteuerung der Switch berücksichtigt hätte. Auf diesem Weg hätte man vermutlich auch den durchwachsenen Eindruck der Kamerasteuerung etwas abfedern können. Davon abgesehen gibt es aber auch hier, ähnlich wie bei den zügigen Ladezeiten, wenig zu beanstanden.

Fazit:

Wusstet ihr, dass Beyond Good & Evil ursprünglich Between Good & Evil heißen sollte? Dies ist eine der vielen Kleinigkeiten, die ich aus der Dokumentation zur Spielentwicklung gelernt habe und die das Spiel für mich irgendwie sehr treffend beschreibt. Ubisoft hat alle wichtigen Elemente des Spiels beibehalten oder sie qualitativ noch ein wenig verbessert und mit der Doku und dem Speedrun-Modus für aktuell knapp 20 Euro ein sehr gutes Päckchen geschnürt, das Fans des Spiels in selige Nostalgie versetzen kann. Neue Spieler, die das Spiel bisher noch nicht kennen, sollten aber gewarnt sein, denn ähnlich wie alte Nintendo-Spiele enthält auch BG&E einige Mechaniken, die man in aktuellen Spielen so meistens nicht mehr findet und die zumindest an einigen Stellen frustrieren können. Und auch die Technik ist nicht durchgehend super, geht aber grundsätzlich immer in Ordnung. Wer sich davon nicht abschrecken lässt und Jades Abenteuer gerne einmal erleben möchte, bevor eines fernen Tages hoffentlich der zweite Teil herauskommt, kann aber unbekümmert zugreifen und die Fackel der Revolution nach Hillys bringen. Die geknechteten Bürger werden es euch danken.

Unsere Wertung:
7.0
Robert Emrich meint: "Ein gutes Remaster eines guten Spiels."
Beyond Good & Evil von Ubisoft erscheint am 25.06.2024 für PC und PlayStation 4 und PlayStation 5 und Nintendo Switch und XBox One und XBox Series. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Ubisoft zur Verfügung gestellt.
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