Hardware-Test zu Pokémon Go Plus: zu wenig, zu spät
Pokémon Go war der Hype dieses Sommers. Blöd gelaufen: Nintendos potenzieller Goldesel, das Zubehör Pokémon Go Plus, kommt nämlich erst jetzt auf den Markt. Wir testen, ob das Armband die App wiederbeleben kann.
Wie steht es eigentlich um Pokémon Go?
Es war ein noch nie zuvor gesehenes Digitalphänomen: Wer im Sommer dieses Jahres mitreden wollte, der musste auf dem Smartphone Pokémon fangen. Möglichst viele, möglichst seltene. Keine Smartphone-App hat je zuvor einen solchen Hype um sich erzeugt wie Pokémon Go.
Zu sagen, dass dieser Hype jetzt, genau drei Monate später, vorbei sei, wäre sicherlich übertrieben. Schließlich generiert die App immer noch jeden Tag Millionenumsätze und wird von hunderttausenden Spielern gespielt (und täglich neu installiert!). Erst Anfang Oktober hat Niantic sie in mehr als 30 neuen Ländern veröffentlicht. Heute feiert sie in Europa (erst) ihren dreimonatigen Geburtstag.
Der ganz große Trubel, der sich selbst potenziert, ist aber zweifellos vorbei. Das lässt sich schon aus der subjektiven Wahrnehmung ableiten. An Hotspots in Wohngegenden, wo sich mehrere PokéStops überschnitten, trafen sich während der Sommermonate nicht selten täglich 20, 30 Leute, um die virtuellen Treffpunkte mit Lockmodulen auszustatten und am laufenden Band Pokémon zu fangen und Erfahrungspunkte einzuheimsen. Heute herrscht dort gähnende Leere.
Dass Pokémon Go weite Teile seiner initialen Spielerschaft verloren hat, liegt sicher vor allem an den spielerischen Unzulänglichkeiten, die die App zweifellos hat: Die Spielelemente wiederholen sich schnell zu oft, Erfolgserlebnisse werden mit zunehmendem Level unangenehm selten. Wer nicht semiprofessionell Spawn-Orte und -Zeiten studiert, seine EP-Ausbeute maximiert oder auf anderen Wegen das Optimum aus dem Spielerlebnis herausquetscht, hat nach ein paar Wochen Pokémon Go einfach nichts mehr zu sehen.
Wozu braucht man Pokémon Go Plus?
Mitten in dieser Gemengelage hat Nintendo um den 16. September herum ein Zubehör auf den europäischen Markt gebracht, das im Sommer zu jedem Outfit hätte gehören können: Pokémon Go Plus.
Das ist ein kleiner Sender, der in einer zigarettenschachtelgroßen Verpackung geliefert wird und auch selbst nur kaum größer als ein Kronkorken ist. Um ihn nutzen zu können, braucht ihr zunächst die aktuellste Version der Pokémon Go-App. Ob ihr sie auf Android oder iOS nutzt, ist dabei unerheblich. Nintendo hat in den vergangenen Monaten daran gearbeitet, den Plus-Sender mit beiden Betriebssystemen (aktuelle Versionen vorausgesetzt) kompatibel zu machen.
Das Plus-Zubehör schnallt ihr euch entweder mit einem recht billig wirkenden blau-weiß-roten Armband ums Handgelenk oder befestigt es in einer Clip-Variante zum Beispiel an einer Hosen- oder Hemdtasche. Dazu müsst ihr zunächst ein wenig an den Plastikschalen herumschrauben. Ein Knopfdruck lässt die integrierte LED-Leuchte blau blinken. Das ist der Zeitpunkt, um auch in der App eine Kopplung über Bluetooth herzustellen. Der Smartphone-Bildschirm muss ab dann zwar nicht mehr eingeschaltet sein, um Pokémon Go Plus zu nutzen. Die App muss allerdings trotzdem laufen, darf nicht aus dem Arbeitsspeicher verschwinden. Das zieht immer noch einige Energie, auch im Standby-Modus. Vom Akkuverbrauch im Live-Modus ist das System aber dennoch weit entfernt.
Neben den visuellen Leuchtsignalen verfügt der kleine Chip auch über einen Vibrationsmotor. Und so läuft das „Spielen“ von Pokémon Go mit Plus-Zubehör ab: Ihr lauft wie gehabt durch die Gegend und verspürt fast im Minutentakt eine Vibration am Handgelenk – leuchtet die Lampe blau, befindet ihr euch in der Nähe eines PokéStops und könnt Items einstreichen. Leuchtet sie grün, ist ein Pokémon nah. Das passiert recht oft. Denn der Radius, in dem nach neuen Pokémon gefahndet wird, ist bei Nutzung von Pokémon Go Plus deutlich größer als beim einfachen Umherlaufen.
Blickt ihr simultan auf die App, zeigt ein roter Punkt an, welches Pokémon den Plus-Sensor gerade zum Vibrieren bringt. Ein Druck auf den Knopf bewirkt den imaginären Wurf eines Pokéballs; die LED beginnt dann, weiß zu leuchten – ein Aufblitzen für jedes charakteristische Zucken des Pokéballs. Bricht das Pokémon aus, leuchtet die Diode rot – eure Chance ist dann vertan. Und das passiert deutlich öfter, als wenn ihr ohne Plus-Sender spielt – dafür ist aber auch die Frequenz der Pokémon-Begegnungen höher. Tröstet euch: Ihr werdet nie erfahren, welches Taschenmonster euch durch die Lappen gegangen ist.
Leuchtet die Diode in allen Regenbogenfarben, habt ihr das Pokémon gefangen. Um zu erfahren, was genau euch ins Netz gegangen ist, bleibt der Blick in die App nach wie vor unerlässlich, denn außer den visuellen und haptischen Signalen zeigt der Sensor keine Infos.
Womöglich das wichtigste Feature: Pokémon Go Plus erfasst auch die zurückgelegte Wegstrecke und übermittelt sie an das Smartphone. So können Spieler die Pokémon-Eier ausbrüten, ohne unnützerweise den Bildschirm mitleuchten zu lassen.
Macht das Spaß?
Die Gretchenfrage: Macht das denn nun eigentlich Spaß? Gegenfrage: Macht Pokémon Go eigentlich Spaß? Die Spielmechaniken sind schließlich sehr rudimentär, das Bällewerfen ist kein besonders erquicklicher und unterhaltsamer Zeitvertreib. Nein, der Reiz von Pokémon Go entsteht daraus, von Pokémon überrascht zu werden, sich über seltene Gestalten zu freuen (oder sich über das 78. Taubsi zu ärgern). Und, nicht zuletzt, zog und zieht Pokémon Go viel seines Reizes aus dem Hype; dieser wohligen Gewissheit „dazuzugehören“. Das alles kann Pokémon Go Plus nur bedingt leisten; vor allem jetzt, wo es kaum noch sichtbares Interesse an der App gibt.
Freude will bei der Nutzung des Plus-Sensors nicht aufkommen. Denn man weiß ja nie, ob gerade ein Sichlor ins Netz gegangen ist. Oder das 78. Taubsi. Alles, was der Spieler bekommt, ist ein Blinken und ein Vibrieren. Nur mit viel kindlicher Fantasie lässt sich mehr hineininterpretieren. Man muss Pokémon Go eher als eine Art Unterstützung verstehen. Für sich allein genommen bietet es kein neues, kein befriedigendes Spielerlebnis. Vor allem dann nicht, wenn man sich den nahezu obszönen Preis vor Augen hält, den Nintendo für den kleinen Bluetooth-Sender veranschlagt: 39,99 Euro kostet er, ist allerdings derzeit schwierig zu bekommen – entweder weil die Nachfrage immer noch hoch ist oder weil der Handel kaum noch Interesse hat.
Unser Urteil: Pokémon Go Plus kommt natürlich viel zu spät. Der Hype ist vorbei, die herbstliche Witterung steht dem outdoororientierten Spielprinzip zunehmend entgegen. Das Zubehör kann dennoch für diejenigen sinnvoll sein, die Pokémon Go immer noch (oder erstmals) enthusiastisch spielen, denn es erleichtert die Fleißarbeit, die Pokémon Go seinen Spielern mitunter abfordert. Vor allem dürfte Pokémon-Afficionados freuen, dass auch die zurückgelegte Strecke erfasst wird – das lästige Eierausbrüten funktioniert so auch mit weniger Akkuschwund. Zusätzlichen Spaß-Faktor bringt es nicht. Der Preis für diese sehr zarten Vorteile ist demnach wirklich hoch; zu hoch wahrscheinlich für die breite Masse, die heute längst zu neuen Digital-Hypes aufgebrochen ist