Test

Notruf 112: Der Angriffstrupp

Von Robert Emrich am 30.04.2024

Berufssimulations-Spiele sind auf ihre eigene Art etwas ganz Besonderes. Denn während uns die meisten Spiele durch phantasievolle Abenteuer führen und uns in die Rolle von Helden, Sportassen oder Göttern schlüpfen lassen, entspannen wir hier von unserem Alltag, indem wir den Alltag anderer Menschen erleben. Wie in einer interaktiven Form des Reality TV können hier Landwirte, Busfahrer, Polizisten, Piloten und Chirurgen (um nur einige zu nennen) munter ihre Berufe tauschen und einmal gucken, ob der Rasen auf der anderen Seite frei von Verantwortung (und Gehalt) wirklich grüner ist. Die Notruf-112-Serie wird schon seit einigen Jahren veröffentlicht und bietet euch mit dem jüngst auf der Switch erschienenen Teil “Der Angriffstrupp” die Möglichkeit, selber einmal als Feuerwehrmann Brände zu bekämpfen, Leben zu retten und generell bei Notfällen vor Ort zu sein. Ob das Spaß macht, haben wir uns für euch einmal angesehen.

Spinnen, mäßiges Gamedesign und Trupps, die keine sind

Das Spiel beginnt und begrüßt euch mit einem Menü, dessen gesamte Aufmachung an die seligen Zeiten erinnert, in denen die Playstation 2 noch neue grafische Maßstäbe setzte. In fünf Menüpunkten könnt ihr die Kampagne spielen, erledigte Einsätze wiederholen, ein Tutorial erleben, einige wenige Einstellungen am Spiel vornehmen und die Steuerung ansehen (allerdings ohne sie ändern zu können). Wer sich von der groben Aufmachung nicht abschrecken lässt und tapfer die Kampagne auswählt, wechselt direkt in den Mitschnitt des nächsten Notrufs und hört zusammengefasst, worum es geht. Mal riecht es irgendwo nach Rauch, mal steckt jemand in einem Aufzug fest, ist verletzt oder vermisst und in einem Fall durften wir sogar eine tropische Spinne fangen, die fast so groß wie unser Kopf war und uns durch ihr Plastikbehältnis während des Transports unentwegt anstarrte. Eine Freude für jeden Arachnophobiker.

Unabhängig vom Notfall läuft es in jedem Einsatz weitestgehend gleich ab: Ihr kommt mit dem Einsatzwagen am Einsatzort an, wo euch der Truppleiter und ein Zivilist erste mehr oder weniger hilfreiche Informationen geben. Danach seid ihr weitestgehend auf euch gestellt und müsst einen Weg zu eurem Ziel finden, das es im Anschluss fachgerecht zu behandeln gilt. Hierbei stellen sich euch allerlei Hindernisse in den Weg, die sowohl Feuerleuten als auch Gamedesignern den kalten Schweiß auf die Stirn treiben dürften. Verwinkelte, sich wiederholende Gebäude, Texturen und Assets sorgen genauso für Verwirrung wie fehlende Laufkarten, ahnungslose NPCs oder Gefahrenquellen, die erst dann gut sichtbar sind, wenn man sich mit ihnen im selben Raum befindet (bei Feuern immer eine gute Sache). Auch das Inventar arbeitet gegen euch, da ihr im Einsatzwagen zwar alle nötigen Werkzeuge findet, aber immer nur vier Gegenstände mit euch führen könnt. Dabei nimmt ein einzelner Schlüssel im Inventar den gleichen Platz wie ein Feuerlöscher ein, sodass man immer wieder nicht benötigte Gegenstände auf den Boden werfen muss, um Platz für andere Ausrüstung zu schaffen. In den Einsatzwagen zurückräumen kann man im Spiel eh nichts. Vermutlich hat die virtuelle Feuerwehr einen unsichtbaren virtuellen Praktikanten, der am Ende des Einsatzes alles wieder aufräumt.

Überhaupt scheint es in eurer Feuerwache entweder eine Menge unsichtbarer Kollegen oder einen drastischen Personalmangel zu geben, da ihr während der Einsätze immer alleine seid. Euer mäßig informativer Truppführer steht zwar bei jedem Einsatz vor dem Haus, und bei Rettungen oder Bergungen wartet auch eine Sanitäterin mit Rettungstrage auf ihre Patienten. Aber davon abgesehen wirken die Orte, von den etwaigen Opfern einmal abgesehen, oft leer und damit ziemlich steril. Natürlich würde die Simulation einiges an Spielspaß einbüßen, wenn eine K.I. plötzlich im Spiel eure Aufgaben für euch erledigen würde. Für den Realismus wären aber einige Schaulustige und zumindest ein weiterer Feuerwehrmann mehr als wünschenswert. Zumal ein Trupp per Definition immer aus mindestens zwei Personen besteht und sich das Spiel in seiner aktuellen Form im Prinzip widerspricht.

Bei der Quelle des Unglücks angekommen, gibt sich das Spiel wie eine Sandbox, indem es euch keinen klaren Lösungsweg für das Problem vorgibt, entpuppt sich dann aber doch als krampfig linear, weil es nur einen Lösungsweg akzeptiert. Das ergibt in einigen Szenarien natürlich Sinn, da sich bestimmte Situationen nur auf einem Weg lösen lassen. Brennendes Fett löscht man nicht mit Wasser(!) und Rauch wird man effizient durch Belüftung wieder los, wenn das Feuer aus ist. In Fällen wie zum Beispiel der Spinne, die eingefangen werden muss, bietet der Einsatzwagen aber theoretisch gut ein halbes Dutzend Wege, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Stattdessen müsst ihr den einen Plastikbehälter finden, den das Spiel für angemessen hält und die Aufgabe mit eben diesem erledigen. Zum Glück im Unglück, wenn auch absolut nicht realistisch, verhalten sich alle Gefahrenquellen komplett statisch und bleiben immer gleich schlimm, egal ob ihr fünf oder 50 Minuten für deren Bewältigung braucht. Tatsächlich werdet ihr aber an den meisten Einsätzen kaum so lange sitzen, da viele Notfälle eher trivial sind und theoretisch innerhalb von wenigen Minuten gelöst werden können. Dass einige Einsätze länger dauern, liegt schlicht an den genannten Stolpersteinen, die euch das Spiel in den Weg legt und den versteckten Nebenaufgaben, die ihr durch bloßes Herumprobieren mit etwas Glück finden könnt. Hin und wieder gibt euch jemand einen Hinweis, wenn ihr noch etwas absperren, einen Raum belüften oder ein Haustier retten könnt. In den meisten Fällen hat uns aber nach einigen Minuten die Motivation verlassen und so sind wir nach dem Abschluss der eigentlichen Mission wieder in unseren Wagen gestiegen, um den Einsatz zu beenden.

Technik

Auch technisch macht Notruf 112: Der Angriffstrupp nur mäßigen Eindruck. Die Vermutung, dass das Spiel für Nintendo Switch das gewohnte grafische Downgrade erhalten hat liegt nahe, aber tatsächlich sieht es auf anderen Plattformen, von leicht höher auflösenden Texturen einmal abgesehen, kaum besser aus. Die hölzernen und zum Teil fehlenden Animationen verstärken den Eindruck eines alten Titels und untergraben stellenweise leider auch die Realitätsnähe. Dass das Spiel, abgesehen von der Musik im Titelmenü, keinen Soundtrack bietet, ist vermutlich dem Versuch geschuldet, eine ernsthafte Simulation zu schaffen und geht damit in Ordnung. Im Gegenzug hätte man aber bei der Synchronisation noch eine Schippe drauflegen können, da Teile der Dialoge gar nicht erst synchronisiert wurden, während euer Truppführer unbeirrbar und bar jeder Abwechslung immer dieselben Sätze aufsagt, wenn man ihn anspricht. Die Steuerung funktioniert grundsätzlich, wirkt aber bei der Tastenbelegung besonders beim Handling des Inventars undurchdacht und umständlich. Stellenweise ist genaues Zielen z.B. beim Benutzen eines Schalters erforderlich, selbst wenn es die einzige mögliche Aktion im Bild ist.

Fazit:

Notruf 112: Der Angriffstrupp ist ein Spiel mit einigem Potential und einigen tiefgreifenden Problemen. Denn obwohl es grundsätzlich funktioniert und zumindest ansatzweise den Alltag eines Feuerwehrmannes (oder einer Feuerwehrfrau) simuliert, sorgt die Summe der lieblosen Entscheidungen bei der optischen, akustischen und spielerischen Gestaltung des Spiels dafür, dass es einfach nicht mitreißen kann. Wir könnten dem Spiel die träge Steuerung, das nervige Inventar, die trivialen Mission, die wenigen und viel zu passiven NPCs oder andere Schnitzer - wie den Ausdauerverlust beim regulären Öffnen einer Tür - verzeihen, wenn sich das Spiel selber weniger ernst nehmen würde. Mit ein wenig mehr Humor und einigen belohnenden Splash-Screens könnte man die ganze Simulation wie den Goat-Simulator gedanklich in der Trash-Schublade einsortieren und so mit ihm Spaß haben. Aber der Titel gibt sich, von einigen Kalauern abgesehen, die eher den Eindruck vermitteln, dass auch die Entwickler keine Lust auf das Spiel haben, so bieder und trocken, dass wir nach einigen Missionen versucht waren, uns auf die Seite des Feuers zu schlagen. Für überzeugte Fans des Genres, die schon immer einmal Brandschützer*in sein wollten, könnte der Titel vielleicht einen Blick wert sein. Allen anderen kann das Spiel aber nicht empfohlen werden.

Unsere Wertung:
4.0
Robert Emrich meint: "Vielleicht werde ich doch lieber Landwirt."
Notruf 112: Der Angriffstrupp von crenetic erscheint am 05.03.2024 für PlayStation 4 und PlayStation 5 und Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Aerosoft zur Verfügung gestellt.
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