Test

Virginia

Von Nico Zurheide am 29.09.2016

Was genau, das versucht die frisch eingestellte FBI-Agentin Anne Tarver zusammen mit ihrer Partnerin herauszufinden. Das cineastische Videospiel in Spielfilmlänge lässt die Grenzen zwischen Spiel und Film verschwimmen, wie kaum ein anderes Projekt vor ihm und lässt sich in seiner Art am ehesten mit David Lynchs Serie Twin Peaks vergleichen. Das sagen auch die Entwickler von Variable State: "Wir haben uns sicherlich etwas zu sehr auf Vergleiche mit Twin Peaks und nostalgische Referenzen verlassen." Das Debut des neuen Studios wagt also ein Experiment - zahlt es sich aus?

Normaler FBI-Alltag?

Anne Tarver und ihre Partnerin Halperin Ortega bekommen einen Fall zugewiesen. Der Sohn einer Familie in der Kleinstadt Kingdom ist verschwunden. Tarver und Ortega nehmen vor Ort ihre Ermittlungen auf und leisten ganz normale Arbeit. Doch schon bald merkt man beim Spielen von Virginia, dass dieser Fall um den verschwundenen Jungen ein MacGuffin ist, und dass es hier eigentlich um etwas ganz anderes geht. Die Story, die sich über ziemlich genau 90 Minuten erstreckt, wird dabei komplett ohne Dialoge vorangetrieben. Bilder und Musik sprechen für sich, zumindest das schafft Virginia hervorragend. Doch besonders klar dürfte die Geschichte einem Großteil der Spieler nach dem Durchspielen kaum vorkommen. Die Story wirkt diffus, springt immer wieder hin und her, durch Raum, Zeit und sogar Personen. Andauernde Schnitte machen ein Verstehen nicht gerade leichter, aber das kommt wohl ziemlich genau dem Nahe, was sich die Entwickler von Virginia erhofft hatten. 

7Gmltss_afb49b41c53a2ffcc3ab0394d5768aa06ecdcdbb.1920x1080.jpg

Die Spielfilmlänge, die ständigen Kinobalken, mehr Videosequenz als eigentliche Kontrolle über das Spiel - all das lässt Virginia wirken, als handele es sich hier eher um einen Film, als um ein Spiel. Anne wird quasi wie vom Band gezogen durch das Geschehen gelenkt. Darf man doch mal selbst die Steuerung übernehmen und muss bestimmte Gegenstände anwählen, findet man diese ziemlich genau da, wo man sie gerade vermutet. Das Spiel lässt keine Zweifel daran aufkommen, was es gerade von einem erwartet, auch wenn es das ganz subtil schafft. Neben dem kurzen Herumlaufen und dem Auswählen der passenden Gegenstände besitzt das "Spiel" keine interaktiven Elemente. Dass man hier kein gewöhnliches Videospiel erlebt, zeigt schon der Vorspann, der wie auch der Abspann direkt aus einem Film stammen könnte. 

Next-Level Walking Simulator

Diese Art der Interaktivität wird nicht jedem gefallen. Am ehesten werden sich noch Fans von anderen Walking Simulatoren wie Firewatch, Gone Home oder Abzû mit Virginia anfreunden können. Nur dass letzteres noch einen Schritt weiter geht und kaum wirklich die Kontrolle abgibt. Man könnte es als einen Walking Simulator in seiner Endstufe bezeichnen. Da keine der Personen ein Wort spricht und auch Dokumente nur bedingt die Story fortführen, vertraut das Spiel in höchstem Maße auf seine Musik. Und das zurecht: Der von Lyndon Holland komponierte Soundtrack wurde von den Prager Philharmonikern eingespielt und ist schlichtweg grandios. Die Musik ist nicht dazu da, die gerade abgebildete Stimmung einzufangen, sie erzeugt sie aktiv selbst. Die Musik reagiert hier nicht wie üblich auf das Geschehen, sondern das Spiel auf die Musik. Auch wenn so ein Konzept natürlich nur durch das weitläufige Abgeben der Kontrolle funktionieren kann. 

Grafisch setzt Virginia auf Cel-Shading; das könnte man als zweckmäßig bezeichnen. Die Personen sind dazu in der Lage, durch kleine Veränderungen ihrer Mimik klare Emotionen zu vermitteln und das hilft dem Spiel definitiv bei der Erzählung seiner Geschichte. Doch bei aller Liebe: Diese Klotzgrafik, die direkt aus einem billigen Trashtitel wie "Who's Your Daddy?" stammen könnte, ist einfach nicht schön anzusehen. Einzelne Lichtblicke gibt es, vergleichbar zu The Legend of Zelda: Skyward Sword, wenn man sich in weitläufigen Arealen befindet und weiter entfernte Objekte betrachtet. Natürlich lässt sich die Grafik von Virginia ansonsten nicht mit der aus Skyward Sword vergleichen. Es ist also schade, dass nicht zumindest die schöne Ansicht aus dem Intro des Spiels weiterentwickelt und verwendet wurde; zur besseren Veranschaulichung folgt ein direkter Vergleich, mit der Ingame-Grafik unten:

8Ppig374030_screenshots_20160922220127_1.jpg

Fazit:

Virginia wurde eindeutig von Twin Peaks und Akte X inspiriert und ist eine selten dagewesene Vermischung von Videospiel und Film. Die völlig ohne Dialog vorangetriebene Story ist zwar erstmal schwer verständlich, wird aber durchaus anregend erzählt. Während das Tempo des Spiels insgesamt eher gemächlich ist, lassen die schnellen Schnitte und Perspektivwechsel keine Langeweile aufkommen. Virginia erzählt eine Geschichte von Verrat und Moral, Freundschaft und Selbstzweifel und ist die Art von Spiel, die man nach dem Ende entweder direkt nochmal spielen oder zumindest diskutieren muss. Die Grafik ist zwar Geschmackssache, der Soundtrack aber wird sicherlich in der einen oder anderen Preisverleihung am Ende des Jahres ein Wörtchen mitzureden haben. Und jeder sollte sich darüber im Klaren sein, dass er hier nur knapp zwei Stunden unterhalten wird.

Von uns getestet: PC-Version

Unsere Wertung:
7.5
Nico Zurheide meint: "Eine faszinierende Mischung von Spiel und Film, die aber wohl nur Freunden von Walking Simulatoren Spaß bereiten wird."
Virginia erscheint für PC und PlayStation 4 und XBox One. Wir haben die Version für PC getestet.
Nur registrierte Benutzer können Kommentare verfassen. Jetzt registrieren