Gerda: A Flame in Winter
Don’t Nod (bzw. Dontnod) Entertainment kennen die meisten Gamer vermutlich nur als Entwickler des narrativen Adventure-Spiels Life is Strange, das 2015 von Square Enix veröffentlicht wurde. Seit einiger Zeit fungieren die Franzosen aber auch als Indie-Publisher und in dieser Rolle bringt Don’t Nod jetzt Gerda: A Flame in Winter vom dänischen Entwicklerstudio PortaPlay auf die Switch und den PC. Wir haben die Switch-Version des Indie-Abenteuers für euch getestet.
Turbulente Zeiten
Das Thema 2. Weltkrieg wurde in Videospielen natürlich schon oft aufgegriffen, meistens stand dabei allerdings die Action klar im Vordergrund. In Spiele-Reihen wie Call of Duty, Medal of Honor, Wolfenstein oder Sniper Elite schlüpfen wir in die Rolle eines schwer bewaffneten Soldaten, um brutale Nazis brutal zu bekämpfen. Seltener sind Handlungsstränge wie beispielsweise im interaktiven Thriller Martha is Dead, oder dem hier vorliegenden Gerda: A Flame in Winter. In diesem storylastigen Rollenspiel dürfen wir einen etwas anderen Helden – oder besser gesagt eine Heldin – kennenlernen. Gerda Larsen hat mit der Armee nichts am Hut, sondern arbeitet im Jahre 1945 als Krankenschwester beim Hausarzt von Tinglev, einem kleinen dänischen Dorf, das von den Deutschen besetzt wurde. Die Spannung im Ort ist überall spürbar. Tinglev liegt nur zehn Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Hitlers Truppen wurden bei ihrem Einmarsch zwar von vielen Bürgern zunächst wie Erlöser empfangen, aber schon damals konnte sich nicht jeder mit den Nazis anfreunden, und mit zunehmender Besatzungsdauer und anhaltenden Problemen mit der Grundversorgung der Dorfbewohner ist die Stimmung jetzt fast am Nullpunkt angekommen, was immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen führt.
Gerda ist mit einem Dänen verheiratet, hat allerdings Wurzeln in Deutschland. Ihr Vater ist deutsch und hat sich in Tinglev der Gestapo angeschlossen. Dadurch sieht Gerda sich regelmäßig zwischen den Fronten. Die Situation spitzt sich zu, als ihr Ehemann Anders vom Generalinspektor Stahl verhaftet wird. Anders soll zusammen mit weiteren Widerstandskämpfern für eine Explosion in einer Fabrik, in der die Nazis Waffen lagerten, verantwortlich sein.
Vertrauen ist gut, ...
Die emotional geprägte Story von Gerda: A Flame in Winter ist gleichermaßen intelligent und spannend geschrieben und bringt den Spieler immer wieder in die Situation, Entscheidungen fällen zu müssen, deren Auswirkungen auf die Lage im Dorf nicht sofort offensichtlich sind. Je nach Vorgehensweise können Personen gerettet oder aber auch verloren werden. Eine Art Zusammenfassung bietet am Ende eine Übersicht aller Charaktere. Spielerisch präsentiert sich der Titel allerdings minimalistisch. Auf klassisches Gameplay wird fast komplett verzichtet. Gerda kann mit Hilfe einer Karte bestimmte Orte in Tinglev aufsuchen, wobei der Besuch eines Orts wie ein kleines Kapitel der Story präsentiert wird. Hin und wieder gibt es Momente, in denen Gerda nur genug Zeit hat, um einen von zwei oder drei Orten aufzusuchen, in erster Linie werden Entscheidungen jedoch durch verschiedene Dialogoptionen gefällt. Gerda baut im Laufe des Spiels zu vielen Personen in Tinglev eine Beziehung auf. Das Vertrauen der jeweiligen Person in Gerda wird mit einem numerischen Wert festgehalten. Ein positiver Wert spiegelt hohes Vertrauen wider, ein negativer dagegen Misstrauen. Während Gesprächen werden am rechten Bildschirmrand Veränderungen im Vertrauen der Gesprächspartner angezeigt. Bestimmte Werte schalten neue Dialogoptionen frei. Gleiches gilt auch für vereinzelte Gegenstände, die Gerda in der überschaubaren Spielewelt finden kann. So kann sie ein weinendes Mädchen beispielsweise mit einem Teddybären beruhigen, wenn sie diesen vorher denn gefunden und mitgenommen hat.
Am Ende jedes Kapitels hält Gerda die vergangenen Ereignisse in ihrem Tagebuch fest und zieht ein kurzes Fazit. Hierfür werden dem Spieler immer drei Textbausteine präsentiert, von denen er einen aussuchen muss. Je nach Wahl bekommt Gerda dann einen Punkt gutgeschrieben. Diese Punkte in den Kategorien Mitgefühl, Auffassungsgabe und Scharfsinn schalten ebenfalls neue Dialogoptionen frei.
Manche Dialogoptionen haben darüber hinaus unabhängig vom Vertrauen des Gesprächspartners einen ungewissen Ausgang. Solche Gesprächselemente sind mit einem Würfelsymbol versehen, denn hier entscheidet allein der Zufall, ob Gerda zum Beispiel mit einer herausfordernden Frage oder gewagten These Erfolg hat.
Mittelmäßige Präsentation
Technisch präsentiert sich Gerda: A Flame in Winter ziemlich nüchtern und zweckmäßig. Die Kamera ist nicht frei bewegbar, sondern folgt Gerda automatisch. Der Grafikstil wurde laut den Entwicklern von Gemälden skandinavischer Impressionisten beeinflusst, sieht häufig aber einfach nur wie ein lieblos verwendeter Photoshop-Filter aus. Besonders schade ist, dass die Charaktere kaum ausgearbeitet wurden. So sind den winzigen, starren Gesichtern von Gerda, Anders und Co nie Emotionen abzulesen. Ähnliches gilt für die Akustik. Eine Sprachausgabe gibt es ausschließlich für die Tagebuchtexte. Die vielen Dialoge im Spiel sind nicht vertont und werden deshalb nur mit Texteinblendungen vorangetrieben, die speziell im Handheld-Modus aufgrund der kleinen Schrift anstrengend werden können. Die Hintergrundmusik schwankt zwischen passend und völlig unauffällig. Angesichts der Story, die Themen wie Mitgefühl, Gemeinschaft und Mut zu zentralen Elementen macht, hätte eine detaillierte Präsentation und eine umfänglichere Sprachausgabe der Atmosphäre des Spiels sicher geholfen. Immerhin ist dem Fehlen jeglicher Action zu verdanken, dass die bisweilen etwas inkonstante Framerate keinerlei negativen Einfluss auf das Spielgeschehen hat. Nicht störend, aber eventuell etwas irritierend ist auch ein transparent-weißer Rahmen, der dem Bild verpasst wurde, um die Kälte der dänischen Winterlandschaft zusätzlich hervorzuheben.
Fazit:
Gerda: A Flame in Winter ist ein rund sechs Stunden langes, technisch und spielerisch wenig anspruchsvolles Abenteuerspiel, das ganz bewusst auf ausgefeiltes Gameplay verzichtet, damit sich der Spieler vollkommen auf die emotionale, düstere Geschichte rund um die Nazi-Besatzung von Tinglev einlassen kann. Die Story weiß inhaltlich zu überzeugen, potentiellen Käufern sollte aber klar sein, dass sie hier ein Slow-Burner erwartet und ehrliche Bemühungen nicht zwangsläufig mit einem Happy-End belohnt werden. Gerade Letzteres motiviert allerdings zum mehrmaligen Durchspielen, zumal nach dem Abspann auch nur einzelne Szenen wiederholt werden können.