No Man's Sky
Viele große Franchises sind das Ergebnis eines spontanen Geistesblitzes ihres Schöpfers. Ähnlich verhält es sich mit No Man's Sky: Die Mitarbeiter des kleinen englischen Studios Hello Games, zuvor nur mit einem kleinen Download-Game namens Joe Danger auf Sony-Konsolen und dem PC vertreten, hatten die Vision eines Spiels, in dem der Spieler eine schier endlos große Galaxie erforschen darf.
Ohne zu wissen, wo die Reise hingehen würde, setzte sich ein kleines Team innerhalb des weniger als 20 Mitarbeiter großen Unternehmens an diese Mammutaufgabe. Dass die Fertigstellung von No Man's Sky viele Jahre dauern sollte, lag am Ende nicht nur an der Ambition des Projektes, sondern auch an den ungewöhnlich vielen Hindernissen, die das britische Team überwinden musste. Wahrscheinlich konnte die Weltraumsimulation nur realisiert werden, weil Sony als Investor einsprang und sich im Gegenzug die konsolenweiten exklusivrechte sicherte. Gleichzeitig pumpte der Publisher aber auch einen riesigen Marketing-Ballon um das Spiel herum auf, der bei vielen Interessenten die Frage aufwarf, ob das Spiel den Hype und die Erwartungen überhaupt erfüllen könne. Wir haben uns die Vollversion angesehen und versuchen, genau diese Frage zu beantworten.
Was macht man eigentlich in No Man's Sky?
Hello Games' Studiochef Sean Murray wurde jahrelang nicht müde, No Man's Sky im Rahmen von diversen Trailern und langen Gameplay-Demos zu präsentieren. Trotzdem können sich viele Spieler bis heute nicht wirklich vorstellen, wie das Gameplay in der Praxis aussehen soll. Und selbst nach mehreren Stunden mit dem fertigen Spiel ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Eine Erkenntnis liegt daher auf der Hand: No Man's Sky ist kein klassisches Videospiel. Es gibt keine Levels, keine Endbosse, keine lineare Handlung und keine abschließende Aufgabe, nach deren Erfüllung der Abspann über den Bildschirm läuft. Und es gehört vermutlich zur Vision des Entwicklerteams, dass der Spieler gar nicht so recht weiß, was er tun soll: Weil es keine Textbox gibt, die es ihm sagt. Das räumt angehenden Weltraumtouristen viele Freiheiten ein, sorgt jedoch auch dafür, dass sie sich sehr schnell in der Spielwelt verloren fühlen könnten.
Wirklich ins kalte Wasser geworfen werden Neulinge jedoch auch nicht. In den ersten Sekunden von No Man's Sky kommt der Protagonist, ohne Erinnerungen oder eine Identität, neben einem abgestürzten Raumschiff zu sich. Sofort müssen der Raumanzug und wichtige Werkzeuge repariert und das Wrack wieder flugtauglich gemacht werden. Euer treuster Begleiter ist das Multi-Tool, dessen Laser ihr zu Beginn auf Gesteinsformationen oder rote Kristalle richten könnt, um Eisen bzw. Plutonium zu ernten. Diese Ressourcen verarbeitet ihr wiederum zu Ersatzteilen und Treibstoff weiter, bis ihr euren fliegenden Untersatz wieder flugtauglich gemacht habt. Im Weltraum winkt gleich die nächste Aufgabe: Das Bauen eines Warp-Antriebs, mit dem ihr zu einem benachbarten Sonnensystem reisen könnt. Aber aus welchem Grund wollt ihr das eigentlich?
Tatsächlich gibt euch No Man's Sky ein paar große Ziele an die Hand. Ihr könnt versuchen, zum Zentrum der Galaxie vorzudringen, oder den Rufen einer mysteriösen Entität folgen. Wer sich voll auf diese Ziele konzentriert, wird aber vermutlich nicht sehr viel Freude an seiner Reise haben: Das Sammeln der immer gleichen Ressourcen zum Bauen der nächsten Warp-Zelle ist für sich genommen nicht besonders spannend und wird sehr schnell monoton. Wer jedoch auf eigene Faust etwas herumreist, wird zahlreiche interessante Collectibles finden: Das Vokabular der verschiedenen Alien-Rassen, Technologie-Upgrades und seltene Ressourcen liegen überall auf den unzähligen Planeten verstreut. Mit dem Katalogisieren von Entdeckungen sowie dem Sammeln von Luxusgütern könnt ihr Geld verdienen, das in bessere Multi-Tools und größere Raumschiffe investiert werden darf. Wer von solchen Sammelaufgaben motiviert wird, kann in No Man's Sky sehr vieles entdecken.
Marketing vs. Realität
Glaubt man der Marketing-Kampagne und den vielen Trailern, dann sind auch kämpferische Auseinandersetzungen - sowohl auf den Planeten als auch im Weltall - eine wichtige Säule des Gameplays. Tatsächlich wirken diese jedoch sehr aufgesetzt: Die Steuerungsmöglichkeiten fallen in beiden Fällen überaus simpel aus und ihr habt eigentlich keine Möglichkeit, den Ausgang einer Schlacht durch gutes Spielen zu beeinflussen. Werdet ihr abgeschossen, bleibt euer aktuelles Inventar am Ort des Ablebens zurück, wo ihr es nach eurer Wiederkehr am letzten Checkpoint bequem abholen könnt. Aufgrund der fehlenden Dringlichkeit kommt während der Auseinandersetzungen keinerlei Spannung auf - auch dann nicht, wenn es einmal knapp wird. Das Kampfsystem schmeckt wie ein Gericht ohne Gewürze. Dass die Action-Elemente überhaupt in diesem Maße eingebaut wurden liegt wahrscheinlich nur daran, dass sie in Verbindung mit dem aktuellen Super-Buzzword "Survival" als Marketing-Zugpferd dienen und Verkäufe generieren sollen.
Das zeichnet leider ein völlig falsches Bild von No Man's Sky. Vielleicht auch bedingt durch Druck von Sony oder eventuellen Investoren bewirbt Hello Games seinen Weltraum-Ausflug als "Far Cry in Space", was mit der Realität nur sehr wenig zu tun hat. In der Folge sind viele Käufer enttäuscht und bemängeln das seichte Gameplay sowie das mangelnde Spieltempo. Tatsächlich ist No Man's Sky ein Nischentitel, der sich an einen ganz speziellen Spielertypen richtet. Wer generell keine hohe Meinung von prozedural generierten Spielwelten hat, den wird auch eine virtuelle Galaxie mit einem Durchmesser von 400.000 Lichtjahren nicht umstimmen können. Wer sich in Open-World-Spielen mit dem Schnellreisesystem durch die Gegend teleportiert, statt wirklich die Spielwelt zu erkunden, wird entsprechende Komfortfeatures vermissen, sobald sein Raumschiff nach der ersten langen Erkundungstour zwanzig Fußminuten weit entfernt steht. Und wer sich noch nie für Spiele wie Animal Crossing oder Endless Ocean erwärmen konnte, die kein traditionelles Gameplay bieten, wird auch No Man's Sky eher langweilig finden.
Risse im Raum-Zeit-Gefüge
Doch während einige absolut nichts mit der Idee hinter No Man's Sky anfangen können, gibt es auch genug Spieler, für die von der Grundidee eine enorme Faszination ausgeht. Das wird schnell klar, wenn man sich die extrem emotionalen - positiven sowie negativen - Reaktionen zu dem Titel und seiner Entstehungsgeschichte ansieht. Doch auch Fans werden vermutlich erkennen müssen, dass die Umsetzung des Konzepts noch deutlich besser ausfallen könnte. Ein Kritikpunkt, der in Anbetracht der Größe der generierten Spielwelt zunächst lächerlich klingt, ist tatsächlich der Spielumfang. Denn der Generator kann Planeten nur aus vordefinierten Bauklötzen generieren, von denen es insgesamt zu wenige gibt. Bereits nach wenigen Landungen wiederholen sich Biome, Pflanzen und Lebensformen. Fliegende Kreaturen sind immer in den gleichen Dreierformationen unterwegs, egal wo ihr euch gerade befindet. Wirkliche Wow-Effekte, wie es sie im ebenfalls auf Planeten-Erkundung ausgelegten Xenoblade Chronicles X zuhauf gab, bleiben hingegen aus.
Auch im Hinblick auf die Entwicklung eures Charakters sind sehr schnell Grenzen erreicht. Bereits nach erschreckend kurzer Zeit stolpert ihr über die Baupläne für High-End-Upgrades, deren Beschreibung euch unmissverständlich mitteilt, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Auch die für die Platin-Trophäe zu absolvierenden Meilensteine lassen sich größtenteils überraschend schnell abhaken. Einige Aufgaben - zum Beispiel das Erreichen des Zentrums der Galaxie oder das Erlernen der verschiedenen Alien-Sprachen - nehmen deutlich mehr Zeit in Anspruch; doch wenn euer Anzug, euer Raumschiff und euer Multi-Tool erst einmal voll aufgewertet sind, dient die Erkundung der Planeten nur noch dem Anhäufen von Geldmassen, für die ihr keine Verwendung mehr habt. Für die allermeisten Spieler wird spätestens an diesem Punkt die Luft raus sein. Nur ein extrem kleiner, harter Kern der Fanbase wird sich länger als 30 bis 40 Stunden lang mit dem Erkunden der virtuellen Welten beschäftigen.
Besonders ärgerlich sind jedoch die vielen technischen Fehler, die auch in der von uns getesteten PS4-Version einen klaren negativen Einfluss auf das Spielerlebnis haben. Die Spitze des Eisbergs bilden kosmetische Fehler, die euch fast ständig begegnen werden: Gebäude und Objekte schweben in der Luft und das Spiel erzeugt ins Leere zeigende Wegpunkte in Form von kleinen weißen Kreisen, die sich nur durch einen Neustart des Spiels wieder löschen lassen. Auch das Nutzer-Interface ist sehr problematisch, vor allem weil die meisten Menüs ohne jede Sortierfunktion daherkommen, was irgendwann für ein unüberblickbares Chaos sorgt. Regelmäßig kommt es zu Fehlern, die den Spielfortschritt behindern, zum Beispiel wenn ein gefundener Bauplan für eine neue Technologie mit einer falschen Begründung verworfen wird. Wirklich bedenklich sind jedoch die viel zu häufigen Spielabstürze, die euch jederzeit aus dem Geschehen reißen können - hier macht No Man's Sky selbst den Day-One-Versionen von Oblivion oder Fallout: New Vegas ernsthafte Konkurrenz. Einige besonders unglückliche Spieler haben sogar Bugs dokumentiert, durch die sie zum Löschen ihres Spielstands gezwungen waren.
FAZIT:
Der Große Wurf, der
dem Hype in irgendeiner Weise gerecht werden würde, ist Hello Games mit
No Man's Sky nicht gelungen. Die Marketing-Kampagne verspricht eine
riesige Spielwelt und ein actionreiches Open-World-Abenteuer, doch die
Realität sieht leider anders aus: Der Planetengenerator kann virtuelle
Welten und Lebewesen nur aus vordefinierten Bausteinen generieren, die
sich zum Teil sehr schnell wiederholen, und die technische Ausstattung
der Spielfigur ist nach einer enttäuschend kurzen Zeit auf den
bestmöglichen Stand gebracht. Die offensiv beworbenen
Auseinandersetzungen mit Wachrobotern und Weltraumpiraten wirken sehr
halbgar, und da ein Ableben der Spielfigur keinen relevanten Einfluss
auf den Spielverlauf hat, kommt durch brenzlige Kämpfe oder die
prominent platzierten Survival-Aspekte keinerlei Spannung auf. Das sehr
spezielle, auf Sammeln und Erkunden ausgelegte Gameplay platziert No
Man's Sky klar im Bereich der Nischentitel. Dazu gesellen sich eine
ganze Reihe technischer Probleme: Jeder Weltraumtourist wird sich
regelmäßig mit kosmetischen Fehlern, Bugs und leider auch Spielabstürzen
abfinden müssen.
Ganz abschreiben will ich No Man's Sky jedoch auch nicht. Denn das zugrundeliegende Konzept ist zu interessant, als dass ich das Spiel einfach beseite legen und mich dem nächsten Mainstream-Titel zuwenden könnte. In seinen besten Momenten ist No Man's Sky nämlich sehr motivierend und atmosphärisch und lässt das Herzblut erkennen, mit dem die Jungs von Hello Games viele Jahre lang an ihrem Magnum Opus gearbeitet haben. Und tatsächlich spiele ich lieber einen mittelmäßigen und dafür einzigartigen Nischentitel, als den nächsten auf Hochglanz polierten Open-World-Shooter. Diese Einstellung muss nicht jeder teilen, und No Man's Sky ist objektiv betrachtet kein gutes Spiel - denn während man über die vermeintlichen Schwächen im Gameplay sehr lange diskutieren könnte, lassen die erheblichen technischen Mängel kein anderes abschließendes Urteil zu. Das heißt aber nicht, dass man No Man's Sky nicht trotzdem eine Chance geben darf.
Zweite Meinung von Lars Peterke
Am Ende ist No Man's Sky eine große Sandbox mit viel Crafting geworden. Also eigentlich Minecraft im Weltraum. Der wesentliche Unterschied: Man nutzt das Crafting nicht, um sich in der Spielwelt kreativ auszuleben, sondern um sich in ihr fortzubewegen und neue Dinge zu entdecken. Hier haben es die Entwickler geschafft, mit der tollen Atmosphäre und der endlosen Spielwelt eine mehr als gute Basis zu schaffen. Fans dieser Nische sollten sich das Spiel demnach unbedingt anschauen. Aber was ist mit allen anderen, die den Hype-Trailern von Sony auf den Leim gegangen sind? Sie werden nun vermutlich eher enttäuscht sein. Denn in allen Bereichen, in denen wir von tatsächlichem Gameplay sprechen, ist No Man's Sky momentan leider kaum mehr als ein gut gemeinter Versuch. Die Kämpfe im Weltraum und auf der Planetenoberfläche sind komplett substanzlos, der Survival-Aspekt unbalanciert und demnach kaum relevant. Was bleibt, ist eine tolle Spielwelt, die aber nur begrenzt lang zum Erkunden einlädt. Zu schnell laufen alle Spielaspekte nur noch nach Schema F ab, der Motivator "nur noch mal die eine nächste Galaxie abchecken..." kommt recht schnell zum Erliegen. Hoffentlich können Sean Murray und sein Team ihre Vision mit den vielen angekündigten Gratis-Patches in den nächsten Monaten noch zufriedenstellend abrunden. So ist No Man's Sky momentan in erster Linie eine tolle Spielwelt, die zum genussvollen Erkunden einlädt. Ein gutes Videospiel ist es jedoch nicht.
Ich gehöre dann wohl der Minderheit der Spieler an, die tatsächlich von Anfang an nicht dachten, dass das Spiel ein Infinite Warfare in Galaxiengröße ist, sondern, dass man rumfliegt, landet, lootet, craftet, abhebt, rumfliegt und diese Prozedur dann wieder von vorn beginnt. Mich hat das konzept seit dem ersten Trailer vor drei Jahren sehr gereizt und auch jetzt beim intensiven Spielen (bisher habe ich so ~40h gespielt) hat sich für mich noch nichts von der Faszination abgenutzt. Ich habe mich übrigens entschlossen, dem Ruf der Entität zu folgen und möchte echt wissen, was diesbezüglich Sache ist. Aber klar, das Spiel ist wirklich eintönig und eigentlich auch "langweilig". Allein: Ich wusste, dass das so ist und generell mag ich eintönige Spiele; von daher ist NMS für mich - und hier äußere ich für's Protokoll eine Gegenmeinung zu der des Lars - ein gutes Videospiel.
P.s.: Schade, dass der Test nicht auf die künstlerische Umsetzung des Themas Weltraum in NMS eingeht. Das Spiel ist beizeiten wirklich schön und hat eine ganz spezielle Optik. Das Entwicklerteam hat es mMn sehr gut geschafft die Ästhetik, wie man sie von Covern von Perry-Rhodan-Romanen kennt, einzufangen.
Ein Computer kann nur seelenlose Welten erschaffen, wenn dabei mal was cooles rauskommt ist das zufall.
Mit den vorgegebenen Assets ist das wie mit Legosteinen. Wenn ein Roboter die willkürlich zusammensetzt, kann da auch keine Kunst entstehen. Bei Tausenden von versuchen, kommt vielleicht mal ein Auto raus, aber ohne das es bewusst so gestaltet wurde, demnach ist es keine Kunst.
So funktioniert die Evolution seit Milliarden Jahren, nur dass der Zufall auch "Seelen" erschaffen hat. Kunst zu definieren ist genauso verbohrt, wie das Tao zu definieren.
1 b)einzelnes Werk, Gesamtheit der Werke eines Künstlers, einer Epoche o. Ä.; künstlerisches Schaffen
2)das Können, besonderes Geschick, [erworbene] Fertigkeit auf einem bestimmten Gebiet
3)in »Kunst sein«
das sagt der Duden zum Thema Kunst, ICH lese da nirgends raus, dass es von Menschenhand geschaffen sein muss
Und obwohl die Welten computergeneriert sind, erzeugen sie beim Spieler dennoch die Atmosphäre und die Emotionen, die die Entwickler mit der von ihnen geschaffenen Grundsubstanz transportieren wollten.
Ich würde No Man's Sky eher als "Kunst" bezeichnen als einen Pop-Song, dessen Komponist lediglich darauf geachtet hat, welche Tonmuster im Gehirn der meisten Zuhörer für den größten Endorphinausstoß sorgen.