Test

Overpass

Von Andreas Held am 01.06.2020

Hindernisläufe für Autos

Neben Trackmania dürfte vor allem die Trials-Serie von Ubisoft die größte Inspirationsquelle für Overpass gewesen sein. Wie im Ubisoft-Titel fahren wir über Strecken, die mit allerlei Hindernissen und steilen Hügeln gespickt sind - diesmal allerdings nicht auf Motorrädern und in 2D, sondern mit Buggys und ATVs über komplett in 3D ausmodellierte Strecken. Dank der Kreativität der Entwickler sind wir dabei nicht nur in verbrauchten Settings wie dem Grand Canyon oder einem Steinbruch unterwegs, sondern dürfen auch mal durch den Dschungel oder über einen karibischen Strand rasen.

Herzstück von Overpass ist ein Karrieremodus, in dem insgesamt 17 Meisterschaften zur Verfügung stehen, die aus jeweils einem bis drei Rennen bestehen. Abgesehen davon, dass wir die Reihenfolge der Meisterschaften zu einem gewissen Grad beeinflussen können, ist der Karrieremodus extrem linear: Nach einer Meisterschaft geht es unabhängig von unserem Abschneiden direkt zur nächsten Rennserie weiter und wir haben noch nicht einmal die Möglichkeit, bereits absolvierte Meisterschaften zu wiederholen, um evtl. unsere Position zu verbessern. Haben wir 12 der 17 Meisterschaften absolviert, wird unser Spieldurchlauf abgebrochen und wir nehmen an einer abschließenden Weltmeisterschaft teil, sofern wir uns dafür qualifiziert haben sollten. Danach bleibt nur die Möglichkeit, im Rahmen eines New-Game-Plus-Modus eine neue Karriere zu starten.

Der vielleicht größte Designfehler des nur wenige Spielstunden andauernden Einzelspielermodus ist die Tatsache, dass er alle Spielertypen unabhängig von ihren persönlichen Fähigkeiten vor eine gleich steile Lernkurve stellt. Wenn ihr an einer Strecke mit mittlerer Schwierigkeit bereits verzweifelt und am Ende den letzten Platz belegt, werdet ihr trotzdem zur nächsten Meisterschaft weitergelassen, in der ihr dann noch schwierigere Strecken befahren müsst. Der Sog dieser Abwärtsspirale wird sogar noch verstärkt, da wir wichtige Upgrades und bessere Fahrzeuge nur dann freischalten, wenn wir in einer Serie mindestens auf dem Podium landen.

Der ultimative Dean-Takahashi-Simulator

Die meisten Spieler werden jedoch ohnehin nicht erst im Endgame, sondern bereits am Tutorial verzweifeln - es gibt nämlich durchaus Spiele, deren letzter Bosskampf einfacher ist als das Tutorial von Overpass. Bereits in den ersten Spielsekunden machen wir Bekanntschaft mit der völlig übernervösen Steuerung des Titels - kleinste Bewegungen des Analogsticks drehen unseren Buggy fast sofort um 90 Grad nach links oder rechts, Gegenlenken ist jedoch erst mit einiger Verzögerung möglich. Massives Übersteuern ist somit an der Tagesordnung. Außerdem fallen Buggys wirklich ständig und wegen jeder verfluchten Kleinigkeit auf die Seite, woraufhin wir jedes Mal mehrere Sekunden warten müssen, bis wir auf die Strecke zurückgesetzt werden. ATVs sind etwas einfacher zu handhaben, da wir mit dem rechten Analogstick unseren Fahrer neigen und das ständige Auf-die-Seite-Kippen somit manchmal noch verhindern können. Außerdem werden wir nach einem Sturz vom ATV deutlich schneller auf die Strecke zurückgesetzt als in einem Buggy.

Der absolute Oberbösewicht in Overpass ist jedoch nicht die Steuerung, und auch nicht die zahlreichen immer unmöglicher aussehenden Hindernisse, die uns die Streckenbauer in den Weg stellen - sondern Hügel, die wir hinauffahren müssen. Es ist nicht in Worte zu fassen wie schwierig es ist, in Overpass ein paar Höhenmeter bergauf zu fahren und auch Gameplay-Videos können nicht die schiere Verzweiflung ausdrücken, die man als Spieler in diesen Situationen empfindet. Fahrzeuge bleiben beim Bergauffahren plötzlich an unsichtbaren Wänden hängen und lassen sich nur noch auf der Stelle drehen und vielleicht ein bisschen seitwärts bewegen, oder sie rutschen ohne erkennbaren Grund plötzlich den kompletten Abhang wieder herunter. Oder sie kippen auf die Seite. Die von uns getestete PS4-Version hat auf Metacritic aktuell (Stand 01.06.2020) einen User Score von 0.9 Punkten - der Hauptgrund für diese Bewertung dürfte sein, dass es in Overpass fast unschaffbar ist, ein kurzes Stück bergauf zu fahren.

Diese Probleme werden dadurch verschärft, dass Overpass auch auf der PS4 Pro eine kleine technische Katastrophe ist. Die Framerate ist hochgradig instabil und die Ladezeiten so lang wie der Geschmack eines Orbit-Kaugummis. Viel schlimmer ist jedoch die Physik-Engine - die Reifen unserer Boliden und Festkörper auf der Strecke stoßen sich gegenseitig ab wie zwei gleichpolige Magneten, sofern unsere Reifen nicht mit den Objekten verschmelzen oder einfach mal ein paar Zentimeter weit durch den Boden fallen. Es kann sogar passieren, dass wir durch das Betätigen des Gaspedals bei völligem Stillstand plötzlich rückwärts fahren - oder umgekehrt durch das Einlegen des Rückwärtsgangs plötzlich doch noch ein paar Meter weit vorwärts kommen, obwohl das ein paar Sekunden zuvor offenbar nicht mehr möglich war. In einem Spiel, das als knallharte Simulation den Schwierigkeitsgrad von Trials oder Dirt Rally auffahren möchte, sind derart eklatante technische Fehler ein absolutes K.O.-Kriterium.

Fazit:

Wenn ein Spiel in einem Test für seinen zu hohen Schwierigkeitsgrad kritisiert wird, stelle ich mir als Leser immer die Frage, ob die schlechte Endwertung nicht eher mit der Unfähigkeit des Review-Autors zusammenhängt. Deshalb muss ich mir nun, in der umgekehrten Situation, auch die Frage gefallen lassen, ob Overpass wirklich einfach nur ein schlechtes Spiel ist - oder ob es vielleicht doch erlernbar wäre und ich einfach nur zu blöd dafür bin. Neben den offensichtlichen technischen Fehlern gibt es noch ein weiteres Indiz für die erstgenannte der beiden Möglichkeiten: Obwohl der Release von Overpass mittlerweile über drei Monate weit zurückliegt, erscheinen auf den globalen Leaderboards der schwierigsten Kurse weniger als zehn Bestzeiten. Falls ihr die Strecke Vertigo Slope mit einem ATV beendet, landet ihr automatischen auf dem ersten Platz - denn es hat weltweit noch niemand geschafft, auf diese Rangliste eine Zeit hochzuladen. Somit erlaube ich mir folgendes Fazit: Solange wir auf den einfachen Kursen herumfahren, kann Overpass nicht zuletzt dank des kreativen Streckendesigns wirklich Spaß machen. Aber durch die Kombination einer bockschweren Simulation mit einer nicht funktionierenden Physik-Engine wird sehr schnell jeglicher Spielspaß im Keim erstickt.

Unsere Wertung:
4.0
Andreas Held meint: "Es wäre schön gewesen, wenn die Entwickler von Overpass bei der Programmierung ihrer Physik-Engine dieselben Höchstleistungen erbracht hätten, die sie nun von ihren Spielern erwarten."
Overpass erscheint für PlayStation 4 und Nintendo Switch und XBox One. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
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1 Kommentar:
GF0P)
GF0P
Am 01.06.2020 um 22:51
Schade, Trackmania & Off-road klingt interessant, wobei im Text leider nicht darauf eingegangen wird was nun Trackmaniahaftes an dem Titel ist.
Eventuell sollte noch erwähnt sein, dass bei Metacritic der getestete PS4 Titel auf die erwähnten 0,9 bei 8 Reviews kommt, die Xbox-Version bei ebenfalls 8 Reviews mit 5,5 weitaus besser dasteht. Mangelhafte Anpassung?
Vyse)
Vyse
Am 02.06.2020 um 10:04
Der Vergleich mit Trackmania rührt daher, dass es in erster Linie erst einmal darum geht, mit möglichst wenigen Crashes die Ziellinie zu erreichen - während in den meisten anderen Rennspielen der bloße Abschluss eines Rennens eher eine Selbstverständlichkeit ist, sodass von Anfang an die Jagd nach Bestzeiten im Vordergrund steht.

Kann gut sein, dass das Spiel auf anderen Plattformen besser ist, Physik-Engines benehmen sich ja gerne mal daneben wenn es zu unerwarteten Änderungen in der Framerate kommt. Wobei eine 5,5 ja immer noch alles andere als eine gute Bewertung ist. ^^