Test

Those Who Remain

Von Jeremiah David am 28.05.2020

Those Who Remain beginnt mit einer kurzen, durchaus atmosphärischen Cutscene. Wir blicken als Spieler durch die Augen eines Mannes namens Edward auf einen Tisch herab, in einer Hand ein Familienfoto, in der anderen ein Whiskeyglas. Einem Monolog können wir entnehmen, dass der Mann massive Gewissensbisse hat. Letztere sind gar so schlimm, dass er einen Revolver aufhebt und sein eigenes Leben beenden will, doch in dem Moment empfängt er auf seinem Smartphone eine Textnachricht von seiner Geliebten namens Diane. Sie wartet in einem Motelzimmer auf ihn.

Was nach der ersten Cutscene folgt ist ein gut sechs Stunden langer Mix aus Walking Simulator und Rätselspiel mit ein paar eingestreuten Jagdszenen. Wem Alan Wake anno 2010 zu actionreich war, für den ist Those Who Remain genau das richtige, denn das Spiel erzählt eine ähnliche Geschichte, verzichtet allerdings fast vollständig auf klassisches Gameplay, was sich auch in der minimalistischen Tastenbelegung des Controllers zeigt: Auf der PlayStation 4 können wir mit der X-Taste Gegenstände aufheben und untersuchen, mit der Kreis-Taste können wir sie werfen. Mit L2 läuft unser Hauptprotagonist schneller. Das war‘s. Die restlichen Tasten sind nicht mit Aktionen belegt.

Unser Charakter erreicht zügig das oben erwähnte Motel, findet aber sowohl die Rezeption als auch Dianes Zimmer verlassen. In der Unterkunft ist die Dusche aufgedreht, das Wasser prasselt auf den Badezimmerboden. Es erweckt den Eindruck, als hätte Diane das Motel äußerst überhastet verlassen müssen. Der Grund? Eine tiefe, unheimliche Dunkelheit hat das Motel und die umliegenden Gebiete befallen. Nur im Licht einer Lampe oder Straßenlaterne sind wir sicher. In der Finsternis außerhalb des Lichts lauern schwarze Silhouetten mit leuchtenden Augen. Kommen wir diesen Kreaturen zu nahe, beginnt der Bildschirm zu verschwimmen und wir werden getötet. Genau wie in Alan Wake sind die finsteren Gesellen allerdings durch Licht verwundbar. Sie lösen sich wortwörtlich in Luft auf, wenn sie von einem Lichtstrahl getroffen werden.

Taubstumm und querschnittsgelähmt

Grundsätzlich ist das ein durchaus spannender Ansatz, aber anders als in Remedys Action-Adventure bewegen sich die allermeisten Gegner in Those Who Remain nicht. Sie warten in der Regel absolut regungslos in der Dunkelheit und erscheinen so zwar durchaus unheimlich, aber kein bisschen gefährlich. Der zunächst dichten Atmosphäre des Spiels schadet das gewaltig, denn als Spieler fühlen wir uns dadurch vor allem während den ersten Spielstunden praktisch nie in Gefahr. Those Who Remain entwickelt sich so schnell zu einem fast reinen Rätselspiel, bei dem es abgesehen von der Story nur darum geht herauszufinden, wie wir einen Raum oder eine Straße beleuchten können, um den nächsten Abschnitt des Spiels zu erreichen. Ein solches Spielprinzip hätte den Spieler immerhin vor ein paar kognitive Herausforderungen stellen können, aber auch als Rätselspiel kann Those Who Remain zu selten überzeugen, denn zu häufig haben die Denksportaufgaben dieselbe banale Lösung: Wir suchen einen Lichtschalter und legen ihn um.

Gebäude – unter anderem normale Wohnhäuser, eine Tankstelle, eine Polizeistation, ein Postamt und eine Kirche – sind realistisch aufgebaut und so hat fast jedes Zimmer neben der Türe einen Lichtschalter, mit dem die Silhouetten in der Dunkelheit verjagt werden können. Funktioniert ein Schalter in seltenen Fällen mal nicht, muss im Keller eine Sicherung überprüft oder irgendwo ein Generator angeschaltet werden. Manchmal ist dazu ein Schlüssel oder ein anderer Gegenstand notwendig, den finden wir meist jedoch einfach durch das Öffnen sämtlicher Schränke oder Schubladen in der näheren Umgebung. Besonders frustrierend ist hierbei die Anzahl der zu öffnenden Behälter. In der Polizeistation oder der Feuerwache stehen schon mal zwei Dutzend Spinde nebeneinander in einem einzigen Raum und das Auffinden wichtiger Objekte wird dann zur reinen Fleißaufgabe.

Neben den Suchaufgaben bietet Those Who Remain noch eine kleine Anzahl an seltsam willkürlichen Aufgaben, die scheinbar nur dazu dienen die Spielzeit in die Länge zu ziehen. Gegen Mitte des Spiels stolpern wir beispielsweise von einem Einfamilienhaus aus durch eine Art leuchtendes Portal und befinden uns plötzlich in einem Labyrinth auf einer Kürbisplantage. Dort stehen sechs steinerne Löwenfiguren an verschiedenen Plätzen, die wir nacheinander mühsam finden und auf Sockeln abstellen müssen, damit wir buchstäblich aus dem Nichts einen langen Haken erhalten, mit dem wir in dem Einfamilienhaus eine Dachbodenluke öffnen können. Wieso wir dabei von einer Art schleimigen Golem verfolgt werden, wird ebenso wenig erklärt wie das Vorhandensein der Steinlöwen in der Kürbisplantage, aber immerhin bewegt sich der Golem mal und steht nicht nur herum.

Verschenktes Potential

Es gibt neben dem Golem noch zwei weitere Gegnertypen, die sich frei bewegen können und zumindest in kurzen Abschnitten für Spannung sorgen. Einer davon ist eine verrückte alte Frau, die uns an vorgegebenen Stellen jagt. In ihrer Gegenwart heißt es schlicht: Beine in die Hand nehmen und so schnell wie möglich davonrennen! Das ist aber leichter gesagt als getan, denn das Level-Design ist stellenweise grenzwertig unfair. In einem langen Korridor bewegen sich beispielsweise Möbel wie von Geisterhand von links nach rechts oder in die umgekehrte Richtung, um uns aufzuhalten. Am Ende desselben Korridors warten zudem vier Türen, von denen uns nur eine einzige in Sicherheit bringen kann. Nur wer weiß, welche Möbel sich in welche Richtung bewegen und welche Türe am Ende die richtige ist, hat eine realistische Chance der Verrückten zu entkommen. Das frustriert, zum Glück gibt es jedoch nicht viele solcher Momente. Die überragende Mehrzahl der Gegner bewegen sich nicht, was allerdings auf andere Art und Weise nicht weniger frustrierend ist.

Mit einer einfachen Taschenlampe und mobileren Gegnern hätten die Entwickler dem Spiel viel mehr Dynamik verleihen können. An einer einzigen Stelle dürfen wir ein Feuerzeug verwenden, um aktiv gegen die schwarzen Kreaturen vorzugehen, dieses Werkzeug wird uns aber nur für wenige Sekunden überlassen. Ein Ladebildschirm bricht die Sequenz abrupt ab. Danach murmelt Edward schlicht „Wo ist das Feuerzeug? Verdammt! Vielleicht habe ich es fallen lassen“, und das Spiel verfällt wieder in den altbekannten Rhythmus, während wir uns über unseren selten dämlichen Hauptcharakter ärgern.

Im letzten Abschnitt nimmt die Story von Those Who Remain Fahrt auf und die Rätsel werden etwas anspruchsvoller. Bis dahin haben die einzigen unterhaltsamen Rätsel und Aufgaben meist mit einer kleinen Anzahl an Portalen zu tun, die uns in eine Art Parallelwelt schicken. Hier finden wir dieselben Räume wie in der realen Welt, aber alles ist verkehrt herum, alt und von Pflanzen überwuchert. Die Möbel schweben in der Luft. Das sieht trotz der meist eher zweckmäßigen Grafik des Spiels ziemlich cool aus. In der Parallelwelt können wir außerdem Dinge sehen, die in der realen Welt unsichtbar sind oder Türen öffnen, die sonst verschlossen wären. Wenn Those Who Remain den Spieler in diese surrealen Umgebungen entführt, kann das Spiel auch ohne nennenswertes Gameplay durchaus Spaß machen. Das Spiel entwickelt dann eine Atmosphäre, die an Silent Hill oder Layers of Fear erinnert und zeigt die volle Kreativität des Entwicklerteams. Leider zieht sich diese Kreativität nur durch kleine Teile des Spiels und so bleibt es fast völlig der Story überlassen uns zum Weiterspielen zu motivieren. Das schafft sie immerhin relativ gut. 

Die Geschichte bewegt sich schnell von Diane und den Ereignissen im Motel fort. Stattdessen geht es vorrangig um den Mord eines 13-jährigen Mädchens, der von etlichen Personen vertuscht und als Unfall dargestellt wurde. Das Mädchen selbst taucht als gespenstische Gestalt an bestimmten Orten immer wieder auf, und ein mysteriöser maskierter Mann präsentiert uns die Figuren, die beim Mord an sich oder bei der Vertuschung dessen involviert waren. Als Spieler dürfen wir dann über diese Figuren urteilen und ihnen entweder vergeben oder sie in die Hölle verbannen. Auf das weitere Spielgeschehen haben unsere Entscheidungen aber leider keinen Einfluss. Erst ganz am Ende werden sie relevant, wobei Those Who Remain keine halben Sachen macht. Nur wer jeder Seele vergeben hat, darf sich über ein „gutes“ Ende freuen.

Technisch bestenfalls Durchschnitt

Technisch präsentiert sich Those Who Remain durchwachsen. Die Unity Engine zaubert ein paar schön detaillierte Innenräume auf den Bildschirm, die Entwickler hätten jedoch definitiv mehr Arbeit in die Texturen und in die Ausarbeitung der Außenareale stecken können. Auch die Charaktermodelle wirken trotz ihrer geringen Anzahl grob modelliert. Mit dem inzwischen mehr als 10 Jahre alten Alan Wake kann Those Who Remain optisch nicht ganz mithalten, was vermutlich auch der sehr geringen Größe des Entwicklerteams geschuldet ist. Dass Those Who Remain von nur drei Leuten entwickelt wurde ist beeindruckend, trotzdem muss man nüchtern feststellen: Das Spiel sieht stellenweise ziemlich altbacken aus. Kleinere Fehler, wie Licht, das durch Gegenstände hindurch scheint, fehlende oder unpassende Lichtreflexionen und eine etwas inkonstante Framerate machen das Spiel keineswegs unspielbar, trüben aber den Gesamteindruck noch zusätzlich. Löblich ist dagegen, dass uns die Entwickler nicht nur deutsche Untertitel, sondern auch eine deutsche Sprachausgabe spendiert haben. Als Indie-Produktion zum Budgetpreis geht die Technik von Those Who Remain gerade noch als Durchschnitt durch.

Fazit:

Those Who Remain bietet eine langatmige und nicht völlig logische, aber dennoch interessante Mystery-Geschichte, abgesehen davon jedoch selten mehr als gute Ansätze. Das verschenkte Potential und ein paar ungünstige Designentscheidungen können ungemein frustrieren. Neben der Story sind es lediglich ein paar surreale Momente im späteren Spielverlauf, die gut unterhalten und den Kauf des Spiels rechtfertigen können. Freunde düsterer Mystery-Geschichten, die keine Action brauchen, dürfen einen Blick riskieren, sollten aber nicht mit zu hohen Erwartungen an den Indie-Titel herantreten.

Von uns getestet: PS4-Version

Unsere Wertung:
6.0
Jeremiah David meint: "Those Who Remain bietet eine interessante Mystery-Geschichte, aber wenig mehr."
Those Who Remain erscheint für PC und PlayStation 4. Wir haben die Version für PC getestet.
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2 Kommentare:
nibez)
nibez
Am 28.05.2020 um 16:05
Das erinnert mich alles sehr stark an The Suicide of Rachel Foster.
Die eher durchschnittlichen Walking Sims nehmen in letzter Zeit gefühlt ziemlich zu. Ganz so leicht ist das Genre eben doch nicht zu bedienen, auch wenn es für Indies natürlich lukrativ erscheint.
Edwood)
Edwood
Am 30.05.2020 um 13:10
There is also german dialogue and not just subtitles as mentioned in the text! Thank you
Jerry)
Jerry
Am 30.05.2020 um 13:29
Hi Edwood!
"Löblich ist dagegen, dass uns die Entwickler nicht nur deutsche Untertitel, sondern auch eine deutsche Sprachausgabe spendiert haben." translates to "It's praiseworthy that the developers didn't just add German subtitles, but also German dialogues." ;)