Test

Everybody's Golf

Von Andreas Held am 07.09.2017

Vor 20 Jahren, als der Golfspiele-Markt fast ausschließlich von trockenen Simulationen dominiert wurde, konterte Sony mit Everybody's Golf. Das Ziel - die Entwicklung einer bunten, zugänglichen, aber trotzdem sehr anspruchsvollen Golf-Simulation - erreichte das eigenwillig benamte Entwicklerstudio Clap Hanz mit Bravour. Trotz ihrer Beliebtheit verschwand die Serie mit dem Release der PlayStation 3 in einer Versenkung - nach der Veröffentlichung des sechsten Teils auf der PS Vita im Jahre 2011 wurde sie sogar komplett auf Eis gelegt. New Minna no Golf, das in Europa - wie fast alle hierzulande erhältlichen Teile der Serie - einfach nur Everybody's Golf heißt, hat also eine große Marktlücke zu füllen.

Ein Golf-RPG?

Anders als bisherige Serienableger startet die PS4-Version mit der Erstellung eures Charakters. Der Editor gibt euch extrem viele Möglichkeiten an die Hand - dafür ist die Erstellung eines tageslichttauglichen Golfers aber auch ziemlich schwierig. Im Verlauf eurer Karriere könnt ihr nicht nur unzählige Kleidungsstücke und Accessoires für euren Golfer sammeln, sondern auch bessere Golfschläger und Bälle erspielen. Außerdem sammelt ihr nach jedem gut ausgeführten Schlag Erfahrungspunkte für den gerade benutzten Schläger, wodurch sich Schlagweite und -genauigkeit mit der Zeit stetig erhöhen.

Im Einzelspielermodus sammelt ihr in Turnieren Erfahrungspunkte, die euch schließlich Zugang zu Duellen mit bestimmten KI-Gegnern verschaffen. Besiegt ihr drei Stück von ihnen, steigt ihr einen Rang auf und wiederholt die Prozedur von vorne. Gemessen an seiner Spielzeit ist der Karrieremodus immer noch genauso umfangreich wie in den Vorgängern, allerdings stehen euch insgesamt lediglich fünf verschiedene Golfkurse zur Verfügung, die ihr im Spielverlauf somit extrem oft wiedersehen werdet. Darüber hinaus gibt es in Everybody's Golf keine vorgefertigten Turniere mit variierenden Anforderungen mehr, sondern lediglich eine kleine Auswahl an zufallsgenerierten Meisterschaften, die nach jeder beendeten Runde neu ausgewürfelt werden. Dadurch wird das Gefühl, im Spiel voranzuschreiten, stark eingeschränkt; die Karriere fühlt sich oft an wie reines Grinding nach Erfahrungspunkten.

Das ist vor allem für Multiplayer-Fans ärgerlich, denn alle Kurse müssen erst mit viel Zeiteinsatz im Einzelspieler-Modus freigeschaltet werden, bevor ihr euch mit menschlichen Spielern auf ihnen messen dürft. Everybody's Golf ist dabei eines der wenigen Spiele, das auch heute noch auf Couch-Multiplayer setzt: Selbst wenn ihr nur einen Controller besitzt, dürft ihr zu viert gegeneinander antreten und das Eingabegerät herumreichen. Im Online-Modus des Spiels werden täglich neue Turniere generiert, an denen ihr im Laufe des Tages teilnehmen und eine Punktzahl registrieren dürft. Nach Ablauf der Frist könnt ihr eure Position auf den Leaderboards einsehen, die hauptsächlich von Japanern dominiert werden, die eine Platzrunde über neun Löcher in 15 Schlägen unter Par absolvieren. Leider ist der Online-Modus insgesamt wenig reizvoll, da er mit massiven Framerate-Problemen zu kämpfen hat und ihr praktisch keine Belohnungen für absolvierte Platzrunden erhaltet.

Einfach zu lernen, schwierig zu meistern

Everybody's Golf sah sich schon immer im Fun-Sport-Genre, und angesichts der aktuellen Marktsituation ist es wenig verwunderlich, dass der neueste Titel auf maximale Zugänglichkeit getrimmt wurde. NPCs halten euch in langen Tutorials fest, und viele der aus den Vorgängern bekannten Gameplay-Features werden in der PS4-Version erst nach einiger Zeit freigeschaltet. Stärkstes Sympton dieser Händchenhalt-Offensive sind die fast im Sekundentakt aufploppenden Info-Meldungen, die euch vor jeder Kleinigkeit warnen: "Achtung Achtung, Sie zielen in die Nähe eines Wassergrabens! Außerdem zielen Sie auf einen Punkt zehn Yards hinter dem Loch, Sie sollten also nicht mit voller Kraft schlagen." Sogar bei Windstille erscheint eine Meldung, die euch darauf hinweist, dass ihr den Wind nicht beachten müsst, weil es ja keinen gibt. Diese Hinweise können nicht abgestellt werden, und selbst wenn ihr schon dutzende Turniere gewonnen habt, erscheinen sie immer noch mit derselben Frequenz. Da passt es auch ins Bild, dass die klassische Platzrunde mit 18 Löchern praktisch abgeschafft wurde - in den meisten Turnieren bespielt ihr immer nur die ersten oder die letzten neun Löcher eines Kurses. Außerdem stellen die KI-Gegner selbst auf dem zuschaltbaren "Serious Mode" keine Herausforderung dar.

Auf der anderen Seite ist Everybody's Golf potentiell immer noch genauso anspruchsvoll wie seine Vorgänger. Um gute Ergebnisse zu erzielen, müsst ihr die Beschaffenheit des Platzes, Höhenunterschiede, Unebenheiten, die Distanz zum Loch sowie die Reichweite eures Schlägers, das Wetter und die aktuellen Windverhältnisse bei der Planung eurer Schläge berücksichtigen. Hierbei helfen euch nur Erfahrungswerte, die ihr euch mit viel Übung (oder einem FAQ aus dem Internet) aneignen müsst. Auch auf der PS4 verwendet Sonys Golfspiel immer noch das bewährte Drei-Klick-System, das im Vergleich zur Steuerung in aktuellen westlichen Golfspielen altmodisch wirken mag, euch dafür jedoch auch ein Maß an Präzision ermöglicht, das mit einem kurzen Schnippen des rechten Analogsticks einfach nicht erzielt werden kann. Die hohe Genaugkeit in der Steuerung sorgt dafür, dass ihr eure spielerischen Fertigkeiten in Everybody's Golf sehr weit entwickeln könnt.

Eine große Enttäuschung sind hingegen die Open-World-Features, die Sony in seinen Ankündigungstrailern noch groß angepriesen hat. Vor jedem Abschlag könnt ihr die Kreis-Taste drücken und dann frei auf dem Golfplatz herumlaufen - das hat jedoch absolut keinen spielerischen Nutzen. Erst im Online-Modus könnt ihr auf diese Weise, nachdem ihr den Ball eingelocht habt, ein paar Münzen und Items neben dem absolvierten Kurs finden. Der Angel-Modus ist ebenfalls nur online spielbar (warum auch immer) und entpuppt sich als ein extrem einfaches Mikrospiel, das nach den ersten vier bis fünf Fängen bereits äußerst langweilig wird.

Fragwürdige Ästhetik

Seinen charmanten Comic-Stil hat Everybody's Golf in seiner siebten Iteration gegen einen generischen Handyspiel-Look ausgetauscht. Die Golfplätze kommen nun in einem eher realistischen und unkreativen Look daher, der aufgrund des niedrigen Entwicklungsbudgets gegen aktuelle AAA-Titel eine entsprechend schlechte Figur abgibt. Auch die Golfer selbst fallen dem zum Opfer, sodass es sehr schwierig wird, mit dem Charakter-Editor ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Auch die KI-Gegner lassen den Charme der Figuren aus früheren Serienablegern weitestgehend vermissen und nehmen stattdessen die Form stereotyper, zum Teil fast schon rassistischer Karikaturen an, die an schlechte Beat'em Ups aus den 90er Jahren erinnern. Noch schlimmer hat es die Musik-Untermalung erwischt: Auf den meisten Plätzen werden eure Ohren mit aufdringlicher Gute-Laune-Musik und "whoo-hoo-hoo"-Chören malträtiert, die nie über das Niveau einer seichten Pop-Nummer hinaus kommen.

In einen noch tieferen Zirkel der Handyspiel-Hölle dringen wir nach dem Öffnen des Online-Shops vor: Hier finden wir nämlich nicht nur jede Menge Day-One-DLC (darunter zwei sehr einfache Golfplätze, alternative Lackierungen für das eigene Golf-Kart oder die Möglichkeit, sechszehn statt acht Charaktere zu erstellen), sondern auch sogenannte S-Tickets, mit denen ihr euch in bestimmten Multiplayer-Modi einen Vorteil erkaufen könnt. Derartige Mikrotransaktionen sind in Freeware-Spielen schon sehr umstritten - in einem Retail-Spiel wie Everybody's Golf sind sie ein Unding.

Fazit:

Der PS4-Ableger von Everybody's Golf ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Der mickrige Umfang, der von Grinding bestimmte Karrieremodus, die schlechte audiovisuelle Präsentation, der spielerisch und vor allem technisch verkorkste Online-Modus und der mit Mikrotransaktionen vollgestopfte Online-Store bilden eine lange Reihe von Kritikpunkten. Auf der anderen Seite macht das bewährte Gameplay auch heute noch genauso viel Spaß wie früher und die neuen Ideen, darunter die RPG-Elemente und die unzähligen freispielbaren Outfits, funktionieren sehr gut mit dem Franchise. Einen Teil seiner Fehltritte kann man dem siebten Ableger von Everybody's Golf sicherlich verzeihen, da es im Gegenzug auch zu einem deutlich niedrigeren Preis im Einzelhandel verkauft wird. Wer dazu bereit ist, bekommt einen soliden Fun-Sport-Titel, der sich mit seinen zahlreichen Spielhilfen und einem niedrigen Schwierigkeitsgrad klar an Neueinsteiger richtet, ohne dabei Serienveteranen die Möglichkeit zu nehmen, ihre Fähigkeiten auf ein nahezu übernatürliches Niveau zu steigern.

Unsere Wertung:
7.0
Andreas Held meint: "Everybody's Golf ist auch auf der PS4 ein solider Fun-Sport-Titel, der aber klar unter seiner Herabstufung zur Budget-Software zu leiden hat."
Everybody's Golf erscheint für PlayStation 4. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
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1 Kommentar:
Tobsen)
Tobsen
Am 07.09.2017 um 10:24
Danke für diesen ausführlichen Test zu einem Spiel, das vermutlich nicht viele Leute auf dem Radar hatten!
[...] Fun-Sport-Titel, der sich mit seinen zahlreichen Spielhilfen und einem niedrigen Schwierigkeitsgrad klar an Neueinsteiger richtet[...]. Ich spielte den Vita-Teil der Serie und der fiel mir in fortgeschrittenen Cups sehr schwer^^. Also auch da gab es "Hilfen" in Textform so wie du sie beschrieben hast: "Gib acht, dass der Ball nicht ins Wasserhindernis fällt!". Danke für den Hinweis, Spiel^^. Also klar, es sollen halt Hilfen für Einsteiger sein und dass man das nicht ausstellen kann, nervt echt, aber es sind ja nur Einblendungen, die man zum einen eh irgendwann kaum mehr wahrrnimmt und zum anderen sind das ja keine Assisstenzsysteme. Also Ich habe auf der Vita wirklich oft in Bunker geschlagen, weil der Ball vom Wind davongetragen wurde - trotz der Einblendung, man solle auf den Wind aufpassen. Also ich will sagen: Man hat halt die Schläge eben selbst zu tätigen und das ist manchmal wirklich schwer gewesen, wie ich fand, weil die späteren Plätze so schwierig zu bespielen waren.
Auf ein Rennspiel umgemünzt wäre es so, dass es keine Spurhalte- und automatische Bremssysteme gibt, aber eine Einblendung "Es wäre gut, nicht aus der Kurve zu fliegen!". Nichtsdestotrotz fliegt man halt aus der Kurve^^. Also den Vita-Teil fand ich so dermaßen schwer in höheren Cups, dass ich es nicht durchgeschafft habe. Ich denke, ich bin einer der Spieler, die ein absenken des Schwierigkeitsgrades begrüßen. EG Vita war wie gesagt heftig.
Vyse)
Vyse
Am 07.09.2017 um 11:13
Ich finde diese Meldungen eigentlich nur deshalb nervig, weil sie mich durch ihr ständiges Aufploppen eher ablenken und das Spiel schwieriger machen ^^

Überhaupt ist EG7 eines der wenigen Spiele, das ich subjektiv tatsächlich viel höher bewerten würde als im Review. Die meisten Kritikpunkte stören mich nicht so, da ich eh nicht online spiele und gute Grafik zwar ein netter Pluspunkt, letztendlich aber eher unwichtig ist. Einige sind aber echt angefressen und auf Amazon wird das Spiel gerade ziemlich verrissen.