Test

The Surge

Von Michael Prammer am 20.05.2017

Lasst uns dieses Review zu The Surge mit einem kleinen Schwank aus meiner Jugend beginnen. Im Jahr 2014 stieß ich aus Zufall auf den Titel Lords of the Fallen. Eine Art Dark Souls soll es sein, haben sie gesagt. Und tatsächlich, die Parallelen waren nicht von der Hand zu weisen und so musste sich der Titel des Frankfurter Entwicklerstudios Deck13 oft mit dem großen Rollenspiel-Giganten aus dem Hause From Software vergleichen lassen. Im Nachhinein zu Unrecht, denn Lords of the Fallen ist viel mehr als nur ein „billiger“ Abklatsch der Souls-Reihe. Beileibe ist der Titel aus Deutschland nicht fehlerfrei und er benötigte einige Updates, um kleine Kinderkrankheiten zu beseitigen. Aber dennoch waren die düstere Atmosphäre des Klosters, die großartigen Bosskämpfe und vor allem Protagonist Harkyn für Fans der Souls-Reihe eine willkommene Abwechslung. 

Sci-Fi-Setting statt Fantasy

Zurück zum Hier und Jetzt. The Surge darf gerne als geistiger Nachfolger zu Lords of the Fallen betrachtet werden, da die Entwickler die Grundmechanik des Action-Rollenspiels grundlegend übernommen haben. Jedoch erkennt man als Spieler bereits im Setting ein ganz anderes Spiel. Statt in eine Art Mittelalter- / Fantasy-Welt mit Schwert, Schild und Magie bringt uns The Surge in eine postapokalyptische Zukunft. Längst haben Maschinen einen Großteil der Arbeit auf dem Planeten übernommen und Menschen können dank Exoskeletten, maschinellen Hilfskörpern, der immer höher werdenden Ansprüchen an die Arbeitswelt gerecht werden. Die fiktive Firma CREO verhilft dem körperlich behinderten Arbeiter Warren dank eines dieser Exoskelette wieder zu voller Bewegungsfreiheit. Doch irgendetwas stimmt nicht. Maschinen schlagen plötzlich um sich und andere Mitarbeiter in den mechanisierten Hilfsgeräten trachten Warren nach dem Leben. Die Ursache rund um die Geschehnisse der Firma CREO muss der Held fortan aufklären.

Zugegeben, die Geschichte ist nicht spektakulär und, so viel sei schon mal vorweggenommen, wahrlich kein Highlight im Spiel. Anstatt eine pompöse Story aufgetischt zu bekommen, wird der Spieler mehr oder weniger mit Infohappen allein gelassen und muss sich die Geschichte stückchenweise zusammensuchen. Zudem ist Warren alles andere als eine schillernde Figur. War Harkyn noch der personifizierte Teufel, der dem Gegner dank seiner Tattoos ein leichtes Schaudern entlockte, so wirkt der aktuelle Protagonist etwas blass. The Surge zeichnet sich also nicht durch großartige Erzählungen aus, sondern durch das Spieldesign und die Spielmechanik.

Innovative Spielmechanik trifft Rollenspiel

Wie eingangs bereits erwähnt, siedelt sich auch The Surge im Action-Adventure-Genre an. Aus der Third-Person-Perspektive schlendert ihr durch die heruntergekommene Fabrikanlage und erledigt allerhand Widersacher. Diese reichen von kleinen mechanischen Spinnen bis hin zu kolossalen Bossgegnern. Letztere stellen auch in diesem Abenteuer ein absolutes Highlight dar. Hier hat man sich vor allem in Hinsicht auf Abwechslung viel Mühe gegeben. Kein Endgegner wirkt wie der andere. Jedoch gilt bei den kleinen wie bei den großen Feinden: Obacht! Bereits ein kleiner Feind kann bei Unachtsamkeit den Tod des Helden herbeiführen. So gilt es, geschickt auszuweichen, zu blocken und schließlich gezielte Kombos mit Finishing-Moves zu setzen, die Gegner von der Bildfläche pusten. Wie bereits im Vorgänger kosten solche Aktionen Ausdauerpunkte; ihr müsst also vernünftig mit ihnen umgehen, sonst seid ihr eurem Gegner schutzlos ausgeliefert.  Alles wie gehabt also? Denkste! Denn The Surge bietet eine echte Neuerung und führt bestimmte Trefferzonen ein. So kann man, bevor man sich auf einen Feind stürzt, auswählen, ob man diesen an gepanzerten Stellen oder an weniger gepanzerten Stellen angreift. Die blanken Stellen bringen den Kontrahenten schnell zu Fall, während bei Panzerungen mehr Aufwand gefordert ist - wofür allerdings auch der Ertrag höher ausfällt.
Jeder Gegner liefert Schrott. Er ist zwingend erforderlich, um den Helden voranzubringen. Waffen bekommt man oft von Gegnern, indem sie ihnen einfach entreißt. Klingt brutal? Ist es auch. The Surge ist ein knallhartes Unterfangen und nichts für zartbesaitete Gemüter. Kein Wunder also, dass die USK keine Jugendfreigabe erteilt hat, sodass nur Volljährige das Spiel kaufen können. Die gewonnenen Waffen können verstärkt werden, was durch den Metallschrott geschieht. Dieser ist mit den Seelen aus Dark Souls zu vergleichen und kann an bestimmten Speicherstellen verarbeitet werden. Ihr ahnt bereits, was jetzt kommt: Benutzt man nämlich eine solche Station, respawnen alle Gegner – mit Ausnahme der Bosse. Verliert ihr unterwegs eure gesammelten Erfahrungspunkte (in diesem Fall den Schrott), ist dieser an der Stelle des Todes wiederzufinden. Stirbt man auf dem Weg dorthin, ist alles weg und stundenlange Spielzeit unter Umständen für die Katz'. Das kennt man bereits alles aus der Souls-Reihe, es ist allerdings auch hier unter Umständen enorm frustrierend.

Der Schwierigkeitsgrad (es gibt nur einen) ist knüppelhart. Während die erste Stunde noch ein gemütlicher Spaziergang zu sein scheint, ist bereits der erste Bosskampf ein Indiz dafür, was die Nerven in den folgenden 15 bis 25 Stunden bis zum Ende in Kauf nehmen müssen. Auch bei diesen Kämpfen hat sich etwas geändert: Anstatt die Energieleiste des Widersachers zu leeren, müsst ihr erst einmal eine spezielle Leiste auffüllen. Ist das geschafft, dürft ihr euch an der Schwachstelle zu schaffen machen und habt nun ein begrenztes Zeitfenster, um die Lebensenergie des Bosses zu dezimieren. Blöd nur, dass man nicht immer sofort weiß, wo diese Schwachstelle ist - somit kann sich ein Bosskampf lange hinziehen kann. Jedoch macht sich gerade hier die schönste Seite dieses Genres bemerkbar: der Triumph. Es ist ein unglaublich befriedigendes Gefühl, wenn man nach etlichen Fehlversuchen, meist der eigenen Selbstüberschätzung oder Überheblichkeit geschuldet, den Sieg davonträgt. The Surge ist bockschwer, aber niemals unfair. 

Motivierende Charakterentwicklung und interessantes Spielsetting

Wichtig für ein Rollenspiel ist die Charakterentwicklung. Diese geschieht, wie bereits erwähnt, über die Schrottteile der besiegten Gegner. An den Speicherpunkten habt ihr dann die Qual der Wahl, wie ihr Warren besser ausstattet. Ihr könnt in Energie investieren oder aber in diverse Einzelteile, um gewisse Funktionen des maschinell verstärkten Protagonisten stärker zu machen. Dies geschieht durch Implantate. So kann er sich beispielsweise entscheiden, ob er seine Energie schlagartig oder langsam generieren lassen möchte. Weitere Implantate, von denen man je nach eigenem Level bis zu acht gleichzeitig tragen darf, bieten mehr Widerstand gegenüber Treffern, schnellere Handlungsfähigkeit oder mehr Ausdauer. Ein Vorteil dieses Systems ist, dass man sich nicht verzetteln kann und je nach Situation einfach die Implantate auswechselt. Auf diese Weise kommt kein Frust auf, wenn sich Investitionen im Nachhinein als nicht sinnvoll entpuppen. Es ist übrigens auch für den Fortschritt wichtig, den Helden stärker zu machen: Ihr stoßt im Spiel auf einige Türen, die erst ab einem gewissen Level zugänglich sind.
Das Leveldesign hat sich im Vergleich zu Lords of the Fallen doch merklich verändert. Zwar gibt es immer noch verschachtelte und verwinkelte Seitengänge, jedoch sind die Areale in der verlassenen Fabrik weitläufiger, als es noch im Kloster der Fall war. Auch hier betretet ihr immer wieder bekannte Stellen, jedoch immer wieder aus anderen Richtungen. Es gibt viele verstecke Wege und Abkürzungen zu finden, was das Spielgeschehen interessanter macht. Ebenso gut gelungen sind die vielen versteckten Extras: Audiodateien, bestimmte Waffen und der begehrte Schrott sind überall verteilt und - manchmal gut versteckt - überall in der Fabrik zu finden. 

Die Entwickler haben aus dem Vorgänger gelernt, sodass wir die technische Seite von The Surge als gelungen betrachten dürfen. Das Leveldesign selbst wirkt zwar etwas monoton, was der Thematik des Spiels mit der Fabrik geschuldet ist. Dafür kommen hin und wieder sehr ansehnliche Lichteffekte zum Vorschein. Die Optik muss sich generell nicht vor anderen Genregrößen verstecken und kann durch interessantes Gegnerdesign und einige hübsche Hintergründe durchaus überzeugen, ohne aber das ganz große Feuerwerk abzubrennen. Ebenfalls fällt positiv auf, dass wir uns nicht mit lästigen Grafikfehlern herumärgern müssen. Hier hat Deck 13 den größten Schritt nach vorne gemacht, das Spielgeschehen wirkt zumeist flüssig und stabil. Ab und zu geht die Bildrate zwar ein wenig in die Knie, aber das ist heute leider keine Ausnahme mehr und in diesem Fall auch verschmerzbar. Ärgerlich hingegen sind einige unglückliche Kameraprobleme, die gerne mal zu einem virtuellen Ableben führen können. In verwinkelten Gassen und an engen Stellen zickt die Kamera gerne mal etwas herum und stört auf diese Weise manchmal den Spielfluss.

Besonders gelungen ist die Steuerung. Diese zeigt keine Schwächen, ist dank des Anvisiersystems überaus innovativ und nach spätestens einer Stunde sehr gut beherrschbar. Hat man noch zu Beginn mit den kleineren Gegnern Probleme, nimmt man diese mit etwas Übung gekonnt auseinander und verschafft sich die notwendigen Ressourcen, um den Protagonisten stärker zu machen. Gerade in den Bosskämpfen zeigt sich die nahezu makellose Kollisionsabfrage von ihrer Schokoladenseite und ist eigentlich niemals für ein Scheitern verantwortlich. Die Verantwortung hierfür liegt meist beim Spieler selbst, wenn die eigenen Fertigkeiten nicht klug genug eingesetzt wurden. Und so soll es doch eigentlich sein.

Fazit:

Chapeau, liebes Deck 13-Team: Was ihr mir hier serviert habt, übertrifft meine Erwartungen. Ein Lords of the Fallen 2 habe ich erwartet, garniert mit einem neuen Setting. Ich habe mich auf ähnliche Grafikprobleme eingestellt und auch sonst nur einen soliden „Nachfolger“ auf dem Schirm gehabt. Ihr habt mich eines Besseren belehrt und mir neben einer interessanten Atmosphäre ein innovatives Kampfsystem geliefert, das im Genre bislang einmalig ist. Dazu kommen eine motivierende Charakterentwicklung und sehr gelungene Bosskämpfe. Die Geschichte ist nicht so gut gelungen und plätschert vor sich hin. Protagonist Warren wirkt etwas blass und kann den Spieler nicht wirklich in seinen Bann ziehen. Außerdem stören leichte Kameraprobleme den Spielspaß an einigen Stellen. Das alles ist jedoch Meckern auf einem hohen Niveau. The Surge will kein Dark Souls sein und das ist es auch nicht. Es bedient sich des bockschweren Schwierigkeitsgrades, der Spielmechanik und des Levelsystems. Dabei ist dieses Action-RPG allerdings eine völlig eigene Spielerfahrung, die für mich zu den besten Genrevertretern der letzten Jahre zählt.

Unsere Wertung:
8.5
Michael Prammer meint: "Rundes Action-Rollenspiel mit toller Spielmechanik, das wenige Wünsche offen lässt und kaum Fehler macht."
The Surge erscheint für PC und PlayStation 4 und XBox One. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
Nur registrierte Benutzer können Kommentare verfassen. Jetzt registrieren
2 Kommentare:
Kanta)
Kanta
Am 20.05.2017 um 14:41
Deck 13 ist einer der wenigen (um es positiv auszudrücken) deutschen Entwickler, die noch Ambitionen haben im sich in dem AA oder gar AAA-Markt zu etablieren. Ich wünsche ihnen viel Erfolg mit The Surge. Lords of the Fallen habe ich gespielt, das Setting von The Surge sagt mir sogar mehr zu.
JoWe)
JoWe
Am 23.05.2017 um 10:21
Schöner Test, kann ich nur bestätigen.
Übrigens kann man bei dem ersten Boss eine verbesserte Version der Waffe abgreifen (P.A.X. Imperator v2.0), wenn er NICHT von seinen eigenen Raketen getroffen wird ...