
Mandragora: Whispers of the Witch Tree
Sidescroller-Action kombiniert mit Dark Souls und Metroidvania. So lässt sich Mandragora charakterisieren. Wir haben das Indie-RPG auf Nintendo Switch unter die Lupe genommen.
Soulslike trifft Metroidvania?
Mandragora spielt in einer mittelalterlichen Fantasiewelt, die mal wieder von einem großen Übel heimgesucht wird. Über die Grenzen der Städte hinweg warten gemeine Monster und Hexen, die eine Gefahr für die Menschheit darstellen. Ihr seid derjenige, der alles wieder ins Gleichgewicht bringen soll. Als Held oder Heldin gehört ihr zur Inquisition und könnt einer von sechs Klassen angehören. Allerdings seid ihr nicht dauerhaft darauf festgelegt. Ab Stufe 25 habt ihr Zugriff auf die anderen fünf Klassen, deren Skills und spezielle Ausrüstungsgegenstände ihr dann kombinieren könnt.
Das Spiel bietet zunächst einmal recht typische, kampforientierte Sidescroller-Action, wobei es auch kleinere Plattform-Passagen gibt. Hierbei verwendet der ungarische Indie-Entwickler Primal Game Studio Elemente, die auch aus Spielen der Souls-Reihe bekannt sind. Nach einer Rast erscheinen etwa alle gewöhnlichen Gegner erneut. Auch die freischaltbaren Abkürzungen in der Welt erinnern stark an die Titel von FromSoftware.
Tatsächlich erwähnen die Entwickler auch Metroidvania-Elemente. Allerdings ist die Bedeutung gesammelter Items oder spezieller Fähigkeiten, die den Zugang zu bestimmten Bereichen ermöglichen, eher gering. Es gibt zwar einen Greifhaken und einen speziellen Schwerthieb, mit dem ihr an bestimmten Stellen in den Boden eindringt. Diese neuen Fähigkeiten erwerbt ihr jedoch in einer festgelegten Reihenfolge. Der Verlauf der Geschichte ist, obwohl ihr euch frei im bereits zugänglichen Bereich bewegen könnt, zu linear für eine echte Metroidvania-Erfahrung. Dennoch stammen viele Elemente von Souls-Spielen letztendlich aus Serien wie Castlevania oder Metroid, sodass die Bezeichnung nicht komplett aus der Luft gegriffen ist. Ein Hollow Knight solltet ihr jedoch nicht erwarten.
Es ist jedoch kein Nachteil, dass zumindest bestimmte Metroidvania-Elemente eher geringe Auswirkungen haben. Das Spielkonzept passt wirklich gut, ebenso die Art und Weise, wie die verschiedenen Teile der Welt miteinander verbunden sind und wie viele Geheimnisse es zu entdecken gibt. Man hält sich auch deshalb gerne in der Fantasy-Welt auf, weil der Grafikstil sehr anschaulich daher kommt. Die 2,5D-Welten haben im wahrsten Sinne des Wortes etwas Malerisches. Obwohl alles in einer strikten Seitenperspektive dargestellt wird, erinnert der Grafikstil aufgrund der gewählten Farben und Lichteffekte immer wieder an Octopath Traveler. Auch die Inszenierung kommt richtig gut rüber, obwohl die nur teilweise animierten Cutscenes wahrscheinlich weniger eine bewusste Designentscheidung sind als vielmehr eine Folge des vermutlich knappen Budgets.
Das Kampfsystem ist der Star
Die Kämpfe stellen ganz klar ein Highlight dar. Gerade deshalb dürften sie euch viel Freude bereiten: Das Verhalten der verschiedenen Gegner zu studieren, um erfolgreich zu sein, ist notwendig – doch genau das ergibt sich auf sehr natürliche Weise. Wie oft schießen die Bogenschützen? Wie häufig kann ich einen Schlag landen, bevor mein Gegner zum Konter ansetzt? Und, aha, wenn ich statt nach zwei Hieben auszuweichen ein drittes Mal zuschlage, kann ich den Gegenangriff stoppen, solange meine Ausdauerleiste den dritten Hieb zulässt. Bei bekannten Feinden fühlt es sich schnell so an, als würde ich eine Tanzchoreographie ausführen. Auch bei den Bossen und größeren Zwischengegnern funktioniert der natürliche Lerneffekt, ohne größere Anstrengung.
Das Gameplay ist nicht stark auf Reaktionsvermögen angewiesen, was zu einem moderaten Tempo führt. Das Zeitfenster für die korrekte Aktion öffnet und schließt sich etwas früher als in anderen vergleichbaren Spielen, aber fühlt sich wirklich angenehm an, auch wenn sich die Ausweichrolle manchmal etwas träge und unrund anfühlt. Auf jeden Fall sind hier Leute, die einfach nur auf Knöpfe hämmern, falsch. Es ist nur gegen völlig unterlegene Gegner möglich, blind draufzuhauen; in anderen Fällen werdet ihr hoffnungslos ins Gras beißen.
Ein wenig bedauerlich, aber selbst bei Spielen mit deutlich höheren Budgets nicht selten, sind wiederholte Bosskämpfe, die sich hauptsächlich nur in Nuancen unterscheiden. Dennoch ist das Design der Storybosse gelungen, zumal auch die regulären Feindtypen eine erstaunlich große Vielfalt darstellen.
Bei Standardeinstellungen lässt sich Mandragora eher als mittelschwer denn als knüppelhart einstufen. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass ihr die Kämpfe mit verschiedenen Ingame-Hilfsmitteln erleichtern könnt, die euch vorübergehende Buffs geben. Wetzsteine steigern den Waffenschaden für eine gewisse Zeit. Rüstungskits erhöhen temporär die Abwehrwerte eurer Rüstung. Mahlzeiten bieten einen Bonus auf die maximalen Talentpunkte (TP), erlauben eine sanfte Auto-Regeneration von TP oder Mana und noch vieles anderes. Natürlich existieren auch zusätzliche Verbrauchsgegenstände wie Bandagen, die einen zeitlichen Heilungsprozess unterstützen, oder Instant-Heiltränke, deren Anzahl die automatisch bei einer Rast erfolgenden Nachfüllungen übersteigt. Diesen Kram könnt ihr in begrenzter Stückzahl bei Händlern erwerben oder mit euren gesammelten Ressourcen bei Verbündeten in eurem Basislager herstellen lassen, indem ihr Schmied, Runenexperte, Schneiderin und viele andere versammelt. Grinden ist natürlich auch möglich, sei es nur für Stufenaufstiege und Gold oder um Materialien zu sammeln, die ihr für die Herstellung braucht.
Wer damit nicht zufrieden ist, kann über drei separate Reiter den Schwierigkeitsgrad modifizieren. So kann man beispielsweise den Schaden der Gegner von 100 Prozent auf 90, 80 oder nur noch 70 Prozent reduzieren. Das Gleiche gilt für die TP der Gegner. Im dritten Reiter kann man den Ausdauerverbrauch seiner Aktionen auf dieselbe Art verringern. Das hat wahrscheinlich den größten Effekt, denn ein zusätzlicher Hieb oder mehr Restausdauer für eine Ausweichrolle können entscheidend sein.
Zu guter Letzt bleibt noch ein Blick auf die Technik. Das Spiel läuft absolut flott und ohne technische Einschränkungen. Die Ladezeiten sind moderat, die Optik sieht relativ hübsch aus und das Studio hat sich Mühe gegeben, die Animationen sauber auf den Bildschirm umzusetzen. Auch musikalisch kann man nicht meckern. Gerade bei Bosskämpfen gibt es ordentlich was auf die Ohren. Die Steuerung klappt wie aus einem Guss und auch wenn die Tastenbelegung zu Beginn etwas überladen scheint, so ergibt doch alles einen Sinn, ist schnell zu erlernen und geht nach einigen Spielstunden gut von der Hand.
FAZIT:
Mandragora: The Wispers of the Witch Tree ist eine echte Perle, die viele Gamer vermutlich gar nicht auf dem Schirm hatten. Es wäre aber schade, wenn Spieler dem Titel aufgrund des geringen Bekanntheitsgrads nicht eine Chance geben würden, denn er macht nicht nur vieles richtig, sondern überragt auch einige Genre-Vertreter in manchen Punkten. Die gelungene Kombination aus Souls-like-Elementen gepaart mit 2,5D-Sidescrolling-Mechanik funktioniert toll, und dass 2D-Spiele die Massen begeistern können, beweist aktuell der Indie-Hit Silksong. Aus diesem Schatten wird Mandragora wohl nicht herauskommen, dabei braucht sich der Titel von Primal Game Studio keinesfalls vor großen Namen zu verstecken und liefert mit einer tollen Optik, einem klasse Kampfsystem und einer interessanten Story mit viel Inhalt ein gelungenes Gesamtpaket, das man sich als Fan eines der genannten Genres auf keinen Fall entgehen lassen sollte.