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Kommentar: „Not everyone, but everywhere“ - Nintendo switcht in eine neue Generation

Von Niko Schopinski am 25.10.2016

Beim Nintendo Digital Event zur E3 2015 referierte Reginald Fils-Aimé darüber, dass sich sein Unternehmen in einem Wandel befände und erwähnte offiziell das kommende Videospielsystem mit dem Codenamen NX. Nach einer kaum enden wollenden Wartezeit mit mehr oder minder glaubhaften Gerüchten ist die Katze nun endlich aus dem Sack. Nintendos neues Baby hört jetzt auf den Namen Switch und bestätigt die immer wieder vorgetragenen Meldungen, dass es sich um ein flexibles Hybridsystem aus Heimkonsole und Handheld handelt. Inwiefern lässt sich denn nun Nintendos angekündigte Transformation ableiten? Und wie hat sich das japanische Unternehmen in den letzten Monaten bereits entwickelt?

Machen wir uns nichts vor: Die Wii U wurde bei Nintendo schon vor längerer Zeit abgeschrieben, die aktuelle Gerätegeneration ist bei der potenziellen Kundschaft durchgefallen und die ausgebliebene Marktakzeptanz dürfte auch in der Führungsriege von Nintendo für große Unzufriedenheit gesorgt haben. Dennoch hat das Unternehmen in den vergangenen ca. 18 Monaten ein riesiges Geheimnis aus der neuen Konsole gemacht, die Wartezeit auf die offizielle Enthüllung geriet für eingefleischte Nintendo-Fans zur harten Geduldsprobe. Wie genau möchte das japanische Traditionsunternehmen nach der Wii U-Katastrophe denn nun seine Kundschaft zurückerobern? Wieder mit einem „netten“ Gimmick? Oder doch eher mit einer klassischen Konsole und potenter Hardware?

Nintendo geht mal wieder einen eigenen Weg, zieht nun - abseits von Smartphone-Spielchen - aber endlich einen dicken Strich unter die „Touch!-Generations“-Ära. Der Leitspruch der vercasualisierten „Wir wollen Spiele allen zugänglich und verständlich machen – auch euren Omas“-Vergangenheit hat ausgedient. Anstatt jegliche Generation „berühren“ zu wollen und mit Bewegungssteuerung und Touchbedienung möglichst simple und zugängliche Eingabeformen in den Vordergrund zu stellen, strebt Nintendo nun größtmögliche Flexibilität und Freiheit an. Vielleicht muss gar nicht mehr jeder Nintendo spielen wollen, der einen Puls hat. Aber die, die Lust haben, sollen so spielen können, wie sie es wollen – und das möglichst unkompliziert und unabhängig von Aufenthaltsort und Situation. „Not everyone, but everywhere“ könnte das neue Motto lauten. Nintendo berührt nicht mehr alle Generationen, aber sie switchen mit dem vorgestellten Konzept jetzt endlich selbst in eine neue und lassen das Wii-, Wii U-, DS-, 3DS-usw.-Kuddelmuddel (hoffentlich) hinter sich.

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Fragezeichen

Natürlich hat die Präsentation von Nintendo Switch nicht alle Fragen beantwortet - vieles ist nach wie vor unbekannt. Laut aktuellen Berichten hat Nintendo das Second-Screen-Konzept der Wii U komplett ad acta gelegt. Noch nicht ganz geklärt ist aber die Frage, ob das Gerät über Touchscreen und Bewegungssteuerung verfügen wird. Da der Trailer diesbezüglich keine Informationen bot, ist nicht unbedingt davon auszugehen. Sollte doch entsprechende Technik verbaut werden, so scheint Nintendo derartige Features nun nicht mehr in den Vordergrund stellen zu wollen. Der positive Nebeneffekt eines Verzichts: Zum einen würde das die Hardware günstiger halten, außerdem könnten sich Spieleentwickler wieder mehr auf klassische Konzepte konzentrieren, die auf Eingaben per Analogsticks und Knöpfen setzen. Vielen Fans dürfte eine solche Rückbesinnung entgegen kommen. Gerade Star Fox Zero hat zuletzt gezeigt, das Nintendo zu krampfhaft an Second Screen und Bewegungssteuerung festgehalten hat.

Ein weiteres spannendes Thema ist die Ergonomie: Der Trailer zeigte diverse Anwendungsmöglichkeiten für die seitlichen Contollerelemente (Joy-Con). Vom Hauptgerät getrennt und quer gehalten sind diese ein potenzieller Segen für Mehrspielerpartien. Aber wie gut werden die kleinen Teile in der Hand liegen? Zudem gibt es noch so gut wie keine näheren Angaben zur verbauten Hardware. Über welche Power mag die Konsole verfügen? Und wie lange hält der Akku im mobilen Einsatz durch? Darüber hinaus stellt sich gerade im Hinblick auf Download-Spiele und möglichen Download-Content auch die bange Frage nach dem internen Speicherplatz.

Nicht zuletzt dürften aber die Spiele großen Einfluss auf den Erfolg des neuen Systems haben. Sollte Nintendo hier genauso schlafmützig weitermachen, wie in der Wii U-Ära, dann wird es auch Switch schwer haben. Neben der zukünftig hoffentlich besseren Unterstützung durch Dritthersteller braucht das Unternehmen ein aufwendiges und mitreißendes Exklusiv-Lineup. The Legend of Zelda: Breath of die Wild und Remakes von Mario Kart 8 und Splatoon werden da nicht lange ausreichen. Und ein Mario-Spiel wie das etwas blasse Super Mario 3D World wird auch nicht die Massen begeistern und Spieler von PS4 und Xbox One loseisen. Da Nintendo die eigenen Entwickler-Kapazitäten nun aber auf der neuen Plattform bündeln kann, anstatt zwingend zwei Systeme bedienen zu müssen, dürfte sich die Situation hier verbessern.

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A New Hope

Inwiefern Nintendo Switch in der Praxis wirklich so unkompliziert funktioniert, wie uns der launige Trailer weismacht, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich kaum abschätzen. Allerdings scheinen das Handling und Switchen der Hardware sehr flüssig und gut durchdacht, die Möglichkeiten, das Zocken in den Alltag einzubinden und an den persönlichen Geschmack anzupassen, erstaunlich weitreichend. Das vorgestellte Gerät wirkt erwachsener, smarter und weniger wie ein Kinderspielzeug, als das in den vergangenen Generationen noch der Fall war. Die Handheld-Einheit könnte eine passende Größe haben, überhaupt wirkt das ganze Konzept mit den abnehmbaren und flexibel nutzbaren Joy-Cons sehr vielseitig und schlüssig.

Wie also wird Nintendos Transformation weitergehen? Abseits der ausbleibenden Wii U-Unterstützung hat Nintendo im vergangenen Jahr endlich auch wieder für positive Überraschungen gesorgt: Das Phänomen Pokémon GO schwappte in den letzten Monaten mit unerwarteter Wucht über den Globus. Zudem gelang es Nintendo, Apples Keynote zur Vorstellung der neuen iPhone-Generation seinen Stempel aufzudrücken und dort Super Mario Run vorzustellen. Schon sehr bald wird außerdem das Nintendo Classic Mini auf den Markt gebracht. Diese „Neuauflage“ des NES dürfte mit seinem Originalcontroller und verschiedenen Anzeigemodi weitaus cooler sein, als bloße Spieleumsetzungen für die Virtual Console. Auch die Kooperation mit dem Schuhlabel Vans war ein durchaus beachtlicher Zug, Merchandise-Produkte mit Nintendoflair sind schließlich immer noch sehr angesagt.

Nintendo zeigt also einen dezenten Aufwärtstrend, scheint etwas mutiger und vermag wieder, die Fans zu überraschen. Die Präsentation der neuen Konsole wurde mit einem launigen Trailer aufgezogen, der in ähnlicher Machart durchaus auch für die PlayStation-Marke getaugt hätte. Das wirkt moderner und hat deutlich mehr Format, als die unseligen Fremdschäm-Clips mit der Wii-Fit-Omi. Obendrein zogen das Konzept von Nintendo Switch selbst und dessen Umsetzung ein überwiegend positives Echo nach sich, wie zahlreiche Meinungsartikel und Foreneinträge vermitteln.

Es wird spannend sein, inwiefern sich in den kommenden Monaten die noch bestehenden Fragezeichen in Gewissheit auflösen und ob oder wie Nintendo die potenzielle Kundschaft mit Spiele-Knallern befeuern kann. Es ist zu hoffen, dass das japanische Traditionsunternehmen den Schlussstrich unter die „Touch!-Generations“-Ära im Konsolenbereich konsequent und nachhaltig zieht und weiter für Überraschungen und positives Knistern sorgt, anstatt mit wenig Aufwand den Status quo verwalten zu wollen. Dann könnte aus dem Leitmotiv „not everyone, but everywhere“ vielleicht doch noch „Everybody´s Darling“ hervorgehen.

Nintendo...möge die Transformation mit euch sein!

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2 Kommentare:
Metronom)
Metronom
Am 25.10.2016 um 18:11
Ergonomie. Das ist für mich das Schlüsselwort in dem Artikel. Denn schon bei der Präsentation der Switch sah es sehr verkrampft aus, als der auf der Bank sitzende Spieler Zelda spielte und den rechten Stick bediente. Dass die Tasten und die Sticks direkt über-/ untereinander liegen, halte ich für das Handling nicht gut.
Schon das WiiU-Gamepad wurde so vorgestellt, aber in der Verkaufsversion zum Glück überarbeitet und die Sticks und Tasten leicht zueinander versetzt.
Ich hoffe das Beste.
Tim)
Tim
Am 25.10.2016 um 19:14
Ach, um Ergonomie würde ich mir wohl die geringsten Sorgen machen, das hat Nintendo noch immer ganz gut hinbekommen.

Zum Text: Ich persönlich glaube ja, dass Touch!Generations genau die richtige Initiative zur genau richtigen Zeit war. Damals, so 2006, war Gaming wirklich noch ein Hobby für einen ziemlich kleinen Personenkreis. Nintendo hat maßgeblich daran mitgewirkt, diesen Kreis zu vergrößern. Für 2016 ist dieses Konzept aber nicht mehr das, mit dem eine Konsole erfolgreich wird. Den Leitgedanken von Touch Generations muss Nintendos zwar weiterführen - aber auf Smartphones. Dort muss man die breite Masse erreichen und dann hoffen, dass sie irgendwann Lust auf eine Konsole bekommen. Ob das funktioniert? Wer weiß.