Test

Avowed

Von Robert Emrich am 24.02.2025

Vor einigen Tagen hat es das Entwicklungsstudio Obsidian Entertainment mit einer ungewöhnlichen Ansage in die Medien geschafft: Die Entwickler planen (vermutlich auch mit einer kleinen Prise Humor und viel Optimismus gewürzt) noch weitere 78 Jahre in der Branche aktiv zu bleiben, um dann im Jahr 2103 das 100-jährige Firmenjubiläum feiern zu können. Ob sie das schaffen, ist zwar fraglich, aber Glück wünschen wir ihnen bei dem Unterfangen in jedem Fall. Vorerst hat das Studio, das seit 2018 zu Microsoft gehört, aber erst einmal sein neuestes Rollenspiel Avowed auf den aktuellen Xbox-Konsolen, beim Cloud-Gaming Anbieter GeForce Now und natürlich auch auf dem PC veröffentlicht. Wir haben uns den Titel auf der letztgenannten Plattform einmal angesehen und geprüft, ob er mit zuvor veröffentlichten Werken wie dem sehr guten The Outer Worlds mithalten kann.

Von Göttern, Pilzen und anderen Unruhestiftern

Manche Titel klingen einfach schöner, als sie tatsächlich sind. Als Kind gewöhnlicher Menschen mit den seltenen Eigenschaften eines sogenannten “Gottähnlichen” geboren zu werden, klingt ja zuerst einmal nach vielen Huldigungen, Lobpreisungen, Feiertagen, die mit dem eigenen Geburtstag zu tun haben und generell einem entspannten Leben. Aber leider äußern sich die Eigenschaften eines Gottähnlichen in Avowed darin, dass euch, ähnlich wie den Infizierten in den “The Last of Us”-Spielen, Pilze aus dem Kopf wachsen, was euch in jungen Jahren wenig populär, dafür allerdings zum bevorzugten Ziel für Prügel macht. Derart missgestaltet als Außenseiter aufgewachsen, ernennt euch der Kaiser eures Heimatreiches Aedyr jüngst aber trotzdem zu seinem persönlichen Gesandten und schickt euch in die ferne lebenden Lande, um zu prüfen, was es mit der mysteriösen Seelenseuche im Besonderen und dem feindseligen Verhalten der Natur der Lande im Allgemeinen auf sich hat. Doch dort angekommen, geht schon kurz darauf im Prinzip alles schief und so müsst ihr euch nicht nur mit innenpolitischen Machtkämpfen und den Problemen der Bevölkerung, sondern auch mit dem eigenen Ableben und seltsamen Stimmen auseinandersetzen, die sich seit eurer Ankunft in eurem Verstand eingenistet haben.

Die Geschichte des Spiels liest sich in der Zusammenfassung recht verworren und tatsächlich haben sich die Entwickler nicht nur eine einfache “Gut gegen Böse”-Geschichte für euch ausgedacht, sondern mehrere Fraktionen in einen Topf geworfen und miteinander interagieren lassen. Letztlich folgt aber alles einem roten Faden, der euch vergleichsweise geradlinig durch die Welt des Spiels und das Abenteuer führt. Natürlich finden sich, wie in Rollenspielen üblich, überall kleine Ablenkungen in Form von Nebenquests und Dialogen, die ihr mit den Einwohnern oder euren Begleitern führen könnt. Doch am Ende werdet ihr, unabhängig von euren Taten und Entscheidungen, immer wieder zur vorgegebenen Haupthandlung geführt, deren Ende ihr, je nachdem wie gründlich ihr die Welt erkundet, in 20 bis 60 Stunden erreicht. Das mag auf den ersten Blick für ein Rollenspiel nach nicht viel klingen, doch Entwickler Obsidian will euch mit dem Spiel, ähnlich wie bei “The Outer Worlds”, eine durchdachte Geschichte und kein offenes Endlos-Abenteuer präsentieren, was in der Tat gut funktioniert. Auch in Avowed nehmen sich die Charaktere nicht ernster als nötig und es macht Spaß, hin und wieder stehenzubleiben und den NPCs bei ihren kleinen Dialogen zuzuhören oder sich auch über die Pflichtdialoge hinaus ein wenig mit ihnen zu unterhalten. Einzig die Tatsache, dass freundliche NPCs immer a fest vorgegebenen Plätzen stehen und auch (von den Gegnern mal abgesehen) sonst niemand “frei” durch die Welt wandert, ist ein wenig schade. Hier haben die Weltdesigner eine Möglichkeit verpasst, mit der man die optisch sehr schöne Welt noch ein wenig lebendiger hätte gestalten können.

Die Rückkehr der Obsidian-Formel

Für Menschen, denen Auswüchse im Gesicht weniger gut gefallen, zuerst einmal eine gute Nachricht: Die pilzartigen Wucherungen können im Charaktereditor, der euch direkt nach dem Intro angezeigt wird, angepasst und auf Wunsch auch komplett ausgeblendet werden. NPCs “sehen” sie zwar trotz allem noch und reagieren in einigen Dialogen auch entsprechend auf sie, doch für euch zeigt sich euer Charakter dann so, wie ihr ihn gerne sehen möchtet. Neben den umfangreichen Optionen, mit denen ihr eure Figur vom Hals aufwärts anpassen könnt, dürft ihr noch eine Hintergrundgeschichte auswählen, die einige Dialogoptionen und eure Startwaffe bestimmt und ein paar Attributpunkte verteilen. Beides zwingt euch aber im Verlauf des Spiels keine bestimmte Rolle oder Klasse auf und jeder Charakter kann im Prinzip alle Waffen und Zauber verwenden.

Im Spiel angekommen, erforscht ihr die lebenden Lande aus der First- oder wahlweise Third-Person-View und könnt euch innerhalb des Gebietes, in dem ihr euch gerade befindet, frei bewegen und Dinge erkunden, mit Charakteren sprechen, NPCs bekämpfen oder Quests erfüllen. Während ihr bei Nebenquests in der Regel die Wahl habt, ob oder wie ihr sie erledigt, bringen euch die Hauptquests nicht nur in der Handlung voran, sie schalten auch weitere Gebiete in den lebenden Landen frei. Die Spielwelt in Avowed besteht nämlich nicht aus einer großen Welt, sondern mehreren einzelnen Zonen, die voneinander getrennt auf dem Kontinent verteilt liegen. Der Wechsel zwischen den Gebieten ist mit einem kurzen Ladebildschirm verbunden, doch zum Glück sind die einzelnen Gebiete groß und interessant genug, um in vielen von ihnen auch mal ein gutes Dutzend Stunden zu versacken. Neben der regulären Reise zu Fuß und dem Übergang in die anderen Gebiete finden sich überall in den Gebieten strategisch platzierte Schnellreisepunkte, die sich automatisch freischalten, wenn ihr ihnen das erste mal im Spiel begegnet. Langwierige Reisen zu Fuß bleiben euch in Avowed also erspart.

Auf dem Weg zu euren Zielen geizt die Spielwelt nicht mit Ablenkungen. Überall finden sich Ruinen, Höhlen und andere Sehenswürdigkeiten, in denen ihr Monster, Schätze oder NPCs und Gegenstände findet, die die Lore der Welt ein wenig ergänzen. Fast überall finden sich zudem neue Ausrüstungsgegenstände, die ihr entweder verwenden oder zerlegen könnt, um andere Ausrüstung aufzuwerten. Das Verbessern von Gegenständen ist in Avowed zusammen mit den Level-Ups bei denen ihr natürlich auch immer ein wenig stärker werdet, eine wichtige Mechanik. Die Gegner in den Zonen passen sich nämlich nicht an den Level eures Charakters an, sodass ihr, wenn ihr zu schnell und schlecht ausgerüstet durch das Spiel hastet, irgendwann an einen Punkt gelangt, an dem die Gegner unter Umständen mehr einstecken können, als ihr im Kampf austeilt. Das Spiel erfordert, um das zu umgehen, aber kein stumpfes Farmen von Ressourcen und wer sich hin und wieder mit einigen der zur Verfügung stehenden Nebenquests befasst, sollte bei den meisten Konfrontationen keine Probleme haben. Die Kämpfe spielen sich schnell und locker. Ausgerüstet mit zwei Einhand-Gegenständen und einer Zweihandwaffe, stehen euch mit jeder Waffe ein leichter und ein schwerer Angriff zur Verfügung, wobei ihr den schweren Angriff benötigt, um zum Beispiel durch die Verteidigung einiger Gegner zu kommen. Die Mechanik ist nicht allzu komplex und hätte noch ein wenig Raum für Schlagkombinationen oder andere Tricks gehabt, wird dank eurer sonstigen Fertigkeiten, die ihr einsetzen könnt auch nicht zu einfach. Hin und wieder erwarten euch im Verlauf des Spiels einzelne Bosse, bei denen ihr umsichtig ausweichen und angreifen müsst, um die Kämpfe zu überstehen. Mit ein wenig besserer Ausrüstung und Übung sollten die meisten Gegner aber keine unüberwindbare Hürde darstellen. Am Ende eines Kampfes oder einer Quest erhaltet ihr, wie in solchen Spielen üblich, Erfahrung, mit der ihr und eure Begleiter im Charakterlevel aufsteigt. Jedes Level-Up beschert euch dabei nicht nur einen frei verteilbaren Charakterpunkt, sondern auch die Möglichkeit, neue Fertigkeiten freizuschalten, die ihr euch aus den Talentbäumen der Spezialisierungen Magier, Waldläufer und Kämpfer aussuchen könnt.

Neben der Ausrüstung und den eigenen Fertigkeiten sorgen auch eure Gefährten für Chancengleichheit im Kampf. Die sind immer schnell dabei, wenn es ans Eingemachte geht und erfüllen ihren Job entweder unter eurem Kommando oder auch ganz automatisch sehr ordentlich. Schön ist, dass sie zum einen euer Verhalten imitieren und zum Beispiel schleichen, wenn ihr gerade zum schleichen in die Hocke gegangen seid und auch sonst nicht viel Fürsorge benötigen. Wird einer im Kampf besiegt, könnt ihr ihn entweder noch während dem Kampf manuell wiederbeleben oder aber den Kampf durch Sieg oder Flucht beenden, damit er dann automatisch wieder aufsteht und sich heilt, um im nächsten Kampf wieder bei euch zu stehen. Da sie euch auch gerne mal mit einem Rat zur Seite stehen oder euch im Kampf mit besonderen Fertigkeiten helfen oder euch sogar wiederbeleben können, bilden eure Getreuen eine wertvolle Ergänzung, die dem Einzelspieler-Spiel noch ein wenig zusätzliches Leben einhaucht.

Insgesamt fühlt sich das Abenteuer durch die von den Entwicklern getroffenen Designentscheidungen vergleichsweise schnell und einfach an, hält dabei aber gut die Balance, um nicht ins Triviale abzurutschen. Viele Mechaniken wurden in ähnlicher Form schon in The Outer Worlds verwendet und es lässt sich vermuten, dass wir sie auch im kommenden zweiten Teil der Serie so oder so ähnlich wieder erleben werden. Obsidian scheint also die Formel für seine Art der Rollenspiele gefunden zu haben.

Ist das noch Skyrim oder kann das weg?

Schon eine ganze Weile vor dem Release wurde Avowed, so wie zuvor andere Spiele, mit dem legendären fünften Teil der “The Elder Scrolls”-Reihe verglichen. Ob das daran liegt, dass Obsidian für Bethesda vor 15 Jahren Fallout: New Vegas entwickelt hat, oder daran, dass der Vergleich für manche Spieler (und Tester) naheliegend war, lässt sich schwer beantworten. Tatsächlich hinkt der Vergleich zwischen den beiden Spielen aber in etwa so wie der zwischen Starfield und The Outer Worlds: Denn trotz des ähnlichen Genres verfolgen die gegenüber gestellten Titel komplett unterschiedliche Ansätze. Avowed ist, so wie auch das ebenfalls von Obsidian stammende The Outer Worlds, deutlich mehr auf die Handlung und die einzelnen Charaktere konzentriert, was auf der einen Seite bedeutet, dass ihr nicht die an Anarchie grenzende Freiheit der Bethesda-Spiele habt. Im Gegenzug erhaltet ihr dafür aber eine strukturierte Handlung mit einem roten Faden, der euch sauber innerhalb mehrerer Dutzend Stunden durch die Spielwelt führt. Natürlich geizt auch Avowed nicht mit allerlei Ablenkungen in der Spielwelt und auch ein Wiederspielwert ist dank der unterschiedlichen Spielweisen und der vielen Dialoge, in denen ihr zum Teil relevante Entscheidungen fällen könnt, selbstredend gegeben. Doch das Rollenspiel fühlt sich im direkten Vergleich und trotz vieler Möglichkeiten, eure Charaktere anzupassen, destillierter und damit kompakter an. Als besser oder schlechter würden wir an dieser Stelle keinen der beiden Spielansätze bezeichnen. Es ist schlicht eine Frage der spielerischen Vorliebe und Erwartungen, die ihr in Vertreter des Genres setzt.

Gut Ding will Hardware haben

In Sachen Hardwareanforderungen kann man Avowed einen für heutige Verhältnisse gehobenen Appetit bescheinigen. Auf den meisten PCs sollte der Titel zwar dank Upscaling-Technologien wie DLSS und FSR auch mit betagteren Ressourcen noch halbwegs vernünftig laufen. Xbox-Spieler müssen aber für sich entscheiden, ob ihnen Bildrate oder Qualität wichtiger ist und selbst auf der Series X läuft das Spiel im (hochskalierten) 4K Modus nur noch mit 30 Bildern pro Sekunde. Die reichen zwar in der Regel fast immer aus, da die Kämpfe selten extrem hektisch werden, Freunde hoher Bildraten sollten an dieser Stelle dann aber doch lieber dem ausgeglichenen oder dem Performance-Modus eine Chance geben. Im Gegenzug für die benötigten Ressourcen sieht Avowed dafür aber auch sehr gut aus und präsentiert euch immer wieder tolle Ausblicke auf fantastische Landschaften, die im Licht aller möglichen Effekte erstrahlen. Auch akustisch ist alles super. Der Soundtrack tut sich zwar nur selten durch epochale Kompositionen hervor, unterlegt das Geschehen aber immer mit zur aktuellen Atmosphäre passenden Musik, während die englische Synchronisation aller Charaktere durchgehend hochwertig klingt. Eine deutsche Synchronisation bietet der Titel leider nicht. Dafür gibt es natürlich wieder Untertitel in allen möglichen Sprachen und bei längeren Dialogen bietet euch das Spiel eine Übersicht über den aktuell gehaltenen Dialog mit diversen nützlichen Zusatzinformationen an. Die Steuerung funktioniert sehr gut, was bei unserem Test am PC aber auch nicht anders zu erwarten war. Aufgrund der wenigen überlegten Aktionen, die benötigt werden, sollte aber auch das Spielen mit dem Gamepad keine Probleme machen.

Fazit:

Mit Avowed liefert Obsidian eine weitere gelungene Version ihrer Interpretation des Rollenspiel-Genres ab. Das Spiel glänzt mit einer interessanten Geschichte und vielen sympathischen Charakteren, denen man gerne auch mal eine Frage mehr stellt und schafft damit eine tolle Atmosphäre, ohne sich ernster als nötig zu nehmen. Ein Ansatz, der auch beim Gamedesign zu spüren ist, wodurch sich viele Mechaniken schneller und einfacher als bei anderen Vertretern des Genres spielen, ohne dabei zu trivial zu werden oder ins Arcade-Genre abzurutschen. Technisch stimmt bei dem Titel alles, wobei Spieler mit schwächeren Systemen optisch ein paar Abstriche bei der Grafik oder der Bildrate in Kauf nehmen müssen. Dank moderner Upscaling-Techniken steht dem Spielspaß aber auch auf diesen Systemen wenig im Weg. So gibt es letztlich nur zwei Spielergruppen, denen wir Avowed nicht empfehlen würden: Spieler, die mit dem Genre grundsätzlich nichts anfangen können und Spieler, die sich in Rollenspielen so frei und umfassend wie möglich ausleben wollen, um die Welt und ihren Charakter in hunderten Stunden komplett nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Wer aber Lust auf ein tolles Abenteuer hat und sich nicht zu einer der zuvor genannten Gruppen zählt, sollte sich die lebenden Lande in den Schuhen eines Gottähnlichen gerne einmal ansehen.

Unsere Wertung:
8.0
Robert Emrich meint: "Pilze am Kopf bringen Spaß auf dem Bildschirm, egal ob 2013, 2020 oder heute."
Avowed von Obsidian Entertainment erscheint am 18.02.2025 für PC und XBox Series. Wir haben die Version für PC getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Xbox Game Studios zur Verfügung gestellt.
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