Kommentar: Die aktuelle Konsolengeneration nervt zunehmend.
Nach der letzten State-of-Play-Sendung bin ich zu einer Erkenntnis gekommen: Die aktuelle Konsolengeneration nervt mich zunehmend. Ich verwende hier absichtlich das Wort "nerven", denn es ist nicht so, als wäre ich vollkommen unzufrieden mit den Spielen der letzten Jahre. Gerade im Indie-Bereich und von einigen kleineren Studios kommen immer wieder Softwareperlen, aber nie zuvor hatte ich so wenig Interesse an vielen AAA-Produktionen, und nie zuvor hatte ich dermaßen das Gefühl, dass die Auswahl an Spielen bis hin zum Schicksal ganzer Entwicklungsstudios von irgendwelchen Deppen in Anzügen bestimmt werden, die noch nie in ihrem Leben einen Controller in der Hand hatten.
Als diese Konsolengeneration begann, war die Ausgangslage für alle drei Konsolenhersteller – Sony, Microsoft und Nintendo – klar. Sony war der Platzhirsch, der sich während der PS4-Ära mit einem erstklassigen Portfolio an exklusiven Adventurespielen den Platz an der Sonne erkämpft hatte. Spiele wie Marvel’s Spider-Man, Horizon Zero Dawn, Uncharted 4, The Last of Us Part 2, Bloodborne oder Ghost of Tsushima waren allesamt herausragende, meist storylastige Single-Player-Games.
Microsoft war im Vergleich dazu der Herausforderer, der sein eigenes Portfolio an Spielen rund um die Forza-, Halo- und Gears-of-War-Serien dringend qualitativ aber auch in der Breite verbessern musste, während Nintendo mit der Switch offensichtlich einen Hit an der Hand hatte und schlicht so weitermachen musste wie bisher – das heißt neben den vielen Rollenspielen japanischer 3rd-Party-Entwickler mehr Titel wie Super Mario Odyssey, The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom oder Luigi’s Mansion 3 zu veröffentlichen.
Die Realität sieht in allen drei Fällen anders aus. Nintendo und Sony sind in einen Verwaltungsmodus gerutscht. Vor meinem inneren Auge stelle ich mir vor, wie Kenichiro Yoshida und Shuntarō Furukawa an großen Schreibtischen sitzen und mit einem Gummihammer immer wieder auf einen großen roten Knopf schlagen, der mit dem Wort „Remake“ beschriftet ist.
Mit The Last of Us Part 1 hat Sony es sogar geschafft, auf der PlayStation 5 ein Remake eines PS4-Remasters eines PS3-Spiels zu veröffentlichen. Auch The Last of Us Part 2, Spider-Man und Ghost of Tsushima wurden auf die PlayStation 5 portiert. Ein Remake von Until Dawn erscheint im Herbst, und Gerüchte deuten an, dass auch Horizon Zero Dawn eine Remakekur bekommen könnte. Daneben spendierte Sony der PlayStation 5 vorrangig Fortsetzungen bekannter Serien wie God of War Ragnarök, Ratchet & Clink Rift Apart, Spider-Man 2 oder Horizon Forbidden West, ehe man – vom Erfolg von Fortnite und Overwatch offenbar geblendet – beschloss, sich mehr auf Live-Service-Games zu konzentrieren – ein Genre, das inzwischen zum Scheitern verurteilt scheint, selbst wenn namhafte Entwicklerstudios hunderte Millionen Dollar in Spiele wie Suicide Squad: Kill the Justice League pumpen. Games-as-a-Service war eine Zeit lang ein Schlagwort, das bei vielen Anzugträgern Dollarzeichen in den Augen erschienen ließ. Während es im fernen Osten auch Singleplayer-Live-Service-Titel wie Genshin Impact oder Honkai Star Rail gibt, geht es bei westlichen Publishern vorrangig um Multiplayer-Spiele. Egal ob Single- oder Multiplayer: Die Spiele sollen Gamer durch konstante Updates bei der Strange halten und sich so mit unzähligen Mikrotransaktionen über einen längeren Zeitraum monetarisieren lassen. Die Meister solcher Spiele? Epic Games (Fortnite), Blizzard (Overwatch) und Bungie (Destiny). Bungie wurde deshalb für lockere 3,6 Milliarden Dollar von Sony gekauft. Zudem wurden andere Studios dazu verdonnert, ähnliche Spiele zu entwickeln. Anfang 2022 gab Sony an, bis Ende des Geschäftsjahres 2026 insgesamt 10 Live-Service-Games veröffentlichen zu wollen. Inzwischen ist bekannt: Guerrila arbeitet an einem Online-Coop-Spiel im Horizon-Universum, Haven Studio arbeitet am Online-Shooter Fairgame$ und Firewalk entwickelt Concord. Auch Neon Koi, erst 2022 von Sony gekauft, arbeitet an einem Live-Service-Spiel für mobile Geräte. Naughty Dog sollte ein Multiplayer-Spiel in der Welt von The Last of Us entwickeln, das Projekt wurde jedoch kürzlich eingestampft.
Concord erscheint am 24. August exklusiv für die PlayStation 5. Seit der letzten State-of-Play-Sendung erst wissen wir wie das Gameplay aussieht. Die YouTube-Kommentare dazu strotzen vor Sarkasmus, ein Misserfolg scheint jetzt bereits absehbar.
Nintendo scheint zum Glück weniger Interesse an Live-Service-Games zu haben, hat zuletzt die Zahnräder des hauseigenen Remake-Karussells allerdings absolut zum Glühen gebracht. Es gibt kaum ein WiiU-Spiel, das nicht in irgendeiner Form auf die Switch portiert wurde – wohl auch der Tatsache geschuldet, dass die Switch aktuell die einzige Konsole auf dem Markt ist, die nicht abwärtskompatibel ist. Drei der fünf am meisten verkauften Switch-Spiele (Mario Kart 8, Super Smash Bros. Ultimate und The Legend of Zelda: Breath of the Wild) sind streng genommen WiiU-Spiele. Dazu gesellen sich Ports und Remakes von New Super Mario Bros. U, Luigi’s Mansion, Super Mario 3D World, The Legend of Zelda: Skyward Sword, Donkey Kong Country: Tropical Freeze, Captain Toad Treasure Tracker, und vielen weiteren Titeln. Der Aufwand, der in die Neuauflagen gesteckt wurde und wird, ist dabei schwankend mit Tendenz nach unten. Luigi’s Mansion 2 HD – ein Spiel, das im Sommer 59,99€ kosten soll – scheint ein höchst liebloser Port zu sein, dem man seine 3DS-Wurzeln deutlich anmerkt. Lieblosigkeit wurde auch jedem Pokémon-Spiel auf der Switch vorgeworfen, ganz zu schweigen vom erst kürzlich veröffentlichten Endless Ocean Luminous, das unser Redakteur Andreas als „seelenlosen Cashgrab“ bezeichnete. Größere Projekte, wie das bereits 2017 (!) angekündigte Metroid Prime 4, stecken derweil in der Entwicklungshölle und könnten eventuell gar nicht mehr für die Switch erscheinen, sondern gleich als Launchtitel für die Nachfolgekonsole dienen oder zeitgleich auf beiden Systemen veröffentlicht werden.
Und was ist mit Microsoft? Mit Hellblade 2 landete erst vor kurzem ein Game-of-the-Year-Anwärter auf der Xbox – ein dringend nötiges Highlight, um von den eher negativen Schlagzeilen im Vorfeld abzulenken. Microsoft ist als Unternehmen so wertvoll wie noch nie, aber hielt es dennoch für nötig zehntausende Mitarbeiter zu entlassen und ganze Entwicklerstudios zu schließen, darunter auch Tango Gameworks (Hi-Fi Rush, Ghostwire: Tokyo, The Evil Within), das wenige Wochen zuvor noch von Microsofts Marketing-Chef Aaron Greenberg öffentlich in höchsten Tönen gelobt worden war. Die Entlassungen kommen außerdem nach einer Shopping-Tour ungeheurer Ausmaße. Statt eigene IPs zu etablieren und neue Studios zu gründen, hat sich Microsoft einfach 19 bekannte Studios inklusiver großer IPs wie Call of Duty, Fallout oder The Elder Scrolls durch die Akquisitionen von Bethesda und Activision-Blizzard für rekordbrechende 76,2 Milliarden Dollar einverleibt.
Ehemalige Xbox-Mitarbeiter kamen in einem Interview mit dem Online-Magazin IGN zu dem Schluss, dass Xbox gar nicht mehr existiert. Dort konstatierte man nüchtern: „Es ist nicht mehr Xbox, sondern Microsoft Gaming.“ Mit anderen Worten: Statt Phil Spencer sind nun Satya Nadella (Microsoft CEO) und Amy Hood (CFO) die Strippenzieher bei Xbox. Den beiden Herrschaften dürfte es nicht gefallen haben, dass sich Microsofts Gaming-Sparte trotz der Übernahme von Bethesda und Activision-Blizzard schlecht entwickelt hat. Xbox-Konsolen-Verkäufe sind 2024 eingebrochen – 31% weniger als noch im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Dem moderaten Erfolg von Starfield steht der kommerzielle und kritische Miserfolg von Redfall gegebenüber – einem Online-Shooter, den die Entwickler von Arkane Austin Berichten zufolge gar nie entwickeln wollten. Hi-Fi Rush wurde zwar von Kritikern gelobt und war wohl auch finanziell erfolgreich, aber bei weitem kein AAA-Blockbuster, der Xbox als Marke groß weiterhelfen konnte. Die Entwicklung des Prestige-Projekts Perfect Dark geht derweil so schlecht voran, dass Crystal Dynamics als 3rd-Party-Studio eingeschaltet wurde, um das Projekt zu retten.
Phil Spencer kündigte einst an, den Kreativen in seinen Studios nicht ins Handwerk pfuschen zu wollen: „Eine Sache, die ich nicht tun werde, ist, [den] kreativen Bestrebungen unserer Teams entgegenzuwirken. Wenn ein Team wie Rare Sea of Thieves machen will, wenn ein Team wie Obsidian Grounded machen will, wenn Tango [Gameworks] Hi-Fi [Rush] machen will, wenn alle dachten, sie würden wahrscheinlich The Evil Within 3 machen … das will ich. Den Teams die kreative Plattform zu geben, um ihre Fähigkeiten und Ambitionen voranzutreiben.“ (Quelle)
Und heute? Matt Booty, seines Zeichens Leiter der Xbox Games Studios, will eine Umstrukturierung und einen Fokus auf „priority games“ – also vermutlich relativ risikolose Spiele, die einen maximalen Gewinn versprechen.
Was bedeutet das alles für die Zukunft? Tatsächlich könnten viele vermeintlich negative Entwicklungen Positives nach sich ziehen. Der Misserfolg von Titeln wie Suicide Squad oder Concord könnte dazu führen, dass sich Sony wieder mehr auf seine Paradedisziplin – Singleplayer-Games – konzentriert. Nintendo ist derweil hoffentlich nur im Verwaltungsmodus, weil im Hintergrund schon eifrig an großen Spielen für den Switch-Nachfolger gearbeitet wird. Eine Abwärtskompatibilität einer Switch 2 würde eine neuerliche Flut an Remakes und billigen Portierungen zumindest teilweise verhindern. Bei Microsoft fällt mir das Orakeln schwerer, aber ich wünsche den hochrangigen Entscheidungsträgern von Herzen, dass ihre Gier nach hinten losgeht, während ich den Entwicklern in einer zugegeben etwas paradoxen Haltung nur das Beste wünsche.
Happy Gaming!