Paper Mario: Color Splash
Ein leeres Blatt Papier – was man damit alles anstellen kann: eine Geschichte schreiben. Girlanden basteln. Ein Bild malen. Einen Flieger falten. Oder all das in einem Videospiel kombinieren. Jetzt ist Paper Mario: Color Splash für Wii U erschienen. Unser Test.
Diesmal hat Bowser … die Farbe entführt
Jedes Paper Mario-Spiel hat den titelgebenden Papier-Style ganz eigenständig interpretiert. Eines hat mit der Flachheit der Spielwelt gespielt, das andere mit dem Wechsel zwischen 2D und 3D, das nächste mit Stickern; und Color Splash kippt jetzt einen Tuschkasten aufs Papier. Mit seinem neuen Farbhammer kann Paper Mario weiße Flecken anklecksen und entfärbten Charakteren neues Leben einhauchen.
Das ist auch bitter nötig. Denn die friedliche Prisma-Insel ist von Schergen einer gewissen Echse überfallen worden, die ihr mit Strohhalmen jegliche Farbe aussaugen. Die kunterbunten Nintendo-Charaktere finden das ziemlich trist und tun sich mit einer Farbdose namens Farbian zusammen, um die obligatorischen Farbsterne zurückzubringen. Der Story-Rahmen ist also schnell gesetzt und wird auch kaum weiter vertieft; kein Vergleich zum ausführlichen Plot von „Die Legende vom Äonentor“, der aus mehreren Perspektiven, mit viel Witz und originellen, schrägen Charakteren erzählt wurde. Paper Mario bleibt auf der Story-Ebene leider flach wie ein Blatt Papier.
Paper Mario – Color Splash ist kein geistiger Nachfolger von den Teilen 1 und 2
„Flach wie ein Blatt Papier“ – das gilt nicht nur für die Story. Color Splash ist ein geistiger Nachfolger von Paper Mario: Sticker Star, nicht von Paper Mario 1 und 2, und lässt sich deshalb kaum dem Genre des Rollenspiels zuordnen. „Für Rollenspiele gibt es doch die Mario & Luigi-Reihe“, argumentierte die Produzentin zur überraschenden Ankündigung im Frühjahr verquer. Vielen Fans wird es jedoch gar nicht schmecken, dass Paper Mario: Color Splash wie schon sein Vorgänger fast alle Rollenspielelemente der gefeierten Originale vom Nintendo 64 und GameCube fallenlässt.
Am markantesten äußert sich das in den Kämpfen: Mario bestreitet sie mit Kampfkarten (auf dem 3DS waren das die Sticker), die überall in der Welt zu finden sind. In jeder Runde kann er eine festgelegte Anzahl von Karten spielen, die dann timing-basierte Angriffe wie Sprünge und Hammerschläge aller Couleur (!) auslösen. Die Gesundheit der Gegner äußert sich rein visuell in der Farbe, die noch in ihnen steckt. Eine KP-Anzeige gibt es nicht, was manchmal etwas intransparent ist. Als Siegeslohn bekommt der Rotbemützte am Ende nicht etwa Erfahrungspunkte, sondern nur Münzen. Die haben im Spielverlauf allerdings keine relevante Funktion. Außerdem sprüht nach jedem Sieg fast splatterhaft Farbe aus den Gegnern, die Mario für seinen Farbhammer braucht. Auch sie ist jedoch so unbegrenzt in der Welt vorhanden, dass sie quasi nie knapp wird. Das hebelt auch die Mechanik hinter den Hammer-Pappen aus, die nach Kämpfen einzusammeln sind. Sie erweitern die Farbkapazität des Hammers – obwohl die Kapazität doch eigentlich nie gebraucht wird.
Eine sinnvolle Charakterentwicklung findet also nicht statt. Auch Hilfscharaktere wie in den Teilen 1 und 2 gibt es in dieser Paper Mario-Auskopplung (wieder) nicht, Farbian übernimmt lediglich die Rolle des Tippgebers. Die Protagonisten verfügen so am Ende des Spiels über genau die gleichen Fähigkeiten wie am Anfang, steigen nicht im Level auf, erlernen keine neuen Attacken, können ihre Statuswerte nicht verbessern. Das geschieht allenfalls statisch im Spielverlauf (zum Beispiel nach dem Sieg über Endbosse), aber unabhängig von der Anzahl der bestrittenen Kämpfe, die zwar gut umgesetzt sind, sich aber schnell wiederholen und nichts bringen. Wozu also kämpfen?
Wozu kämpfen? Die Frage muss man sich vor allem deshalb stellen, weil die meisten Kämpfe enden, bevor sie beginnen. Wenn der Spieler seine Karten einigermaßen geschickt spielt, kommen die Gegner gar nicht mehr zum Angriff. Die Kämpfe sind also ziemlich leicht und anspruchslos und damit eher Zeitverschwendung; selbst die Endbosskämpfe bleiben ziemlich unbefriedigend, weil sie meist nur mit einer bestimmten Sonderkarte (oder gar nicht) zu gewinnen sind.
Auch das Kampfsystem an sich nervt, denn es zwingt dem Spieler krampfhaft und völlig überflüssig das Wii U GamePad auf. Vor jeder Runde müsst ihr auf dem GamePad-Screen Kampfkarten auswählen, sie in einem separaten Schritt einfärben (das verstärkt ihren Effekt) und sie schließlich in Richtung Bildschirm schnippen. Der ganze Prozess dauert viel zu lang und zerreißt die Aufmerksamkeit ohne Not auf zwei Bildschirme. Zum Glück gibt es wenigstens eine Funktion, Knöpfe anstelle des Stylus zu benutzen.
Die Spielwelt ist zerstückelt, aber doch überraschend zusammenhängend
Noch ein Aspekt, der Paper Mario vom Rollenspiel entfremdet: Erneut haben die Entwickler auf eine zusammenhängende Spielwelt verzichtet und sie durch eine Weltkarte mit klassischen Levels ersetzt. Nach und nach öffnen sich auf ihr neue Orte – abhängig davon, welche Sterne Mario aus den Levels zurückbringt. Selten entsteht der Eindruck, irgendetwas erkunden zu können, meistens sind die Levels sehr linear aufgebaut; mitunter überraschen sie aber doch mit alternativen Farbstern-Ausgängen.
Obwohl die Schauplätze levelartig isoliert sind, bestehen dennoch oft enge Verknüpfungen zwischen ihnen. In der Mitte des Spiels bauen vier Levels sogar direkt aufeinander auf, sodass gleich ein wohliges Gefühl von Rollenspiel aufzieht. Auch an anderen Stellen sind die Verknüpfungen recht pfiffig: Items und Charaktere aus einem Level werden oft in anderen zum Weiterkommen benötigt. Meist sind die Lösungen dieser kleinen Rätsel ziemlich offensichtlich und schnell gefunden. Manchmal muss Mario Levels aber auch unverrichteter Dinge wieder verlassen, um zunächst etwas anderes zu tun, und dabei stets mehrere Spielfäden gleichzeitig in der Hand behalten, um nach und nach voranzuschreiten. Dieses Backtracking werden manche lieben, andere nicht.
Insgesamt bereist ihr während Marios Farbabenteuer etwa 40 dieser Levels, viele nur einmal, manche mehrmals. Insgesamt ergibt sich daraus eine Spielzeit von etwa 15 bis 25 Stunden, das ist sehr ordentlich - auch wenn es keine Multiplayer-Modi oder sonstige Extras obendrauf gibt.
Die Spielideen sind kreativ, abwechslungsreich und spaßig
Zusammengefasst: Obwohl Color Splash im späteren Spielverlauf etwas komplexer wird, lässt es den klassischen rollenspieltypischen Tiefgang vermissen. Das ist schade. Denn die Entwickler hatten durchaus die kreativen Ideen und das Budget, um ein richtig brillantes Spiel zu machen.
Das sinnbildliche leere Blatt Papier hat Intelligent Systems nämlich auf so kreative und abwechslungsreiche Art und Weise mit Leben gefüllt, wie man es von dem Traditionsstudio gewohnt ist. Paper Mario: Color Splash strotzt nur so vor guten Spielideen, die dem Spieler ein überraschtes Grinsen ins Gesicht zaubern. Das beginnt mit den Färbemechaniken und der neuen Ausschneidefunktion. Mit ihr kann Mario besondere Dings-Karten in der Welt platzieren und damit Events auslösen oder Teile der Kulisse ausschnippeln, um weiterzukommen.
Die eigentlichen Stars sind aber die Levels. Levels, die sich urplötzlich aufrollen wie ein DINA2-Plakat, Levels, in denen Mario überproportional groß oder klein ist, Minispiel-Levels oder Spielereien mit Perspektiven, Artstyles und Papiermaterialien. Von den konstant völlig irren Begegnungen mit psychedelischen, tollpatschigen, affektierten oder treudoofen Charakteren einmal ganz abgesehen.
Spielerisch mag währenddessen nicht allzu viel Forderndes passieren – doch äußerst unterhaltsam ist es allemal, den Entwicklern beim Ausleben ihrer verrücktesten Kreativideen zuzuschauen. Sein Ideen- und Abwechslungsreichtum ist die große Stärke von Paper Mario: Color Splash.
Das neue Paper Mario ist sehr hochwertig produziert
All das ist eingebettet in einen audiovisuellen Rahmen, der keine Wünsche offenlässt. Nie haben die Entwickler Paper Mario so detailverliebt ausgestaltet wie im neuen Wii U-Abenteuer. Alles ist komplett aus Papierelementen designed (ausgenommen die „Dingse“, die als klassische 3D-Modelle daherkommen). Immer wieder fallen dem Spieler dabei kleine Details und Animationen auf, die das Gesamtbild vollkommen machen. Die Technik der Wii U-Konsole hebt die kleinsten HD-Papierfasern in den Pappfiguren hervor und ergänzt die Welten um beeindruckende Lichteffekte. Noch nie zuvor haben Farben in einem Videospiel so gestrahlt und geleuchtet wie in Paper Mario: Color Splash.
Auch bei der Musik hat Intelligent Systems tolle Arbeit geleistet und für unterschiedliche Situationen im Spiel diverse Arrangements einspielen lassen. Zwar bekommt nach wie vor fast keine Figur irgendwelche Stimmeffekte, doch von Mario-typischen Ohrwürmern über klassische neu interpretierte Stücke hin zu beeindruckend stimmungsvollen ruhigeren Tönen spielt der Titel die ganze Klaviatur des Sounddesigns. Bei den Production Values darf man Paper Mario: Color Splash also ein besonderes Lob aussprechen.
Seht euch vor dem Fazit noch unser Video-Review zu Paper Mario: Color Splash an, in dem wir alle Aspekte des Tests noch einmal durchgehen und sie mit einigen selbst produzierten Videosequenzen untermalen:
FAZIT:
So viele kreative Ideen, so viel Abwechslung, Charme, Style und Witz; und das bei wunderschönen Grafiken und toller Soundkulisse. Hätte sich Paper Mario: Color Splash bei alldem doch bloß auch etwas mehr Komplexität, mehr spielerischen Tiefgang zugetraut. Beziehungsweise: Hätten die Entwickler ihren Spielern doch etwas mehr zugetraut … Dann hätte Paper Mario: Color Splash zu einem kunterbunt strahlenden Abschluss der Wii U-Generation werden können. Doch für eine echte Top-Wertung bleibt es spielerisch ein bisschen zu flach. Die Kampfmechaniken sind wenig motivierend, das Gamedesign ist beim Schwierigkeitsgrad und beim Anspruch deutlich auf Spieler ausgerichtet, denen man keine allzu großen Herausforderungen zutrauen möchte. Eine zusammenhängende, glaubwürdige Welt weicht weitgehend isolierten Einzellevels, eine überzeugende und motivierende Geschichte gibt es nicht. Wer sich mit dem Mangel an Komplexität und Anspruch abfindet und einfach nur einzelne Spielideen und die brillante Präsentation genießen möchte, der erkennt ein Spiel voller Witz, Esprit und lustigen Gedanken, das wir guten Gewissens weiterempfehlen möchten.
Schon komisch, was es so ausmacht, wenn die Stimme genutzt wird und nicht alle Bereiche wie in einem Test so ausführlich beleuchtet werden :D
Aber ja, schöner Test :)